Es wird ja immer behauptet, dass die Aktionsformen der LetztenGeneration von den inhaltlichen Fragen ablenken. Interessanterweise gibt es jetzt sogar schon in der BILD-Zeitung in Artikeln über Klimakleber Karten zu den Folgen des Klimawandels (BILD, 29.11.2022):
Komplett ohne Einordnung. Ich Frage mich auch was sie uns damit sagen wollen. Wir, die Mega-Verschmutzer (USA, Australien, Europa), sind safe? Alles gut? Ich habe mal ein bisschen recherchiert, wo die Karte her ist. Ich dachte erst so was wie EIKE, aber die Karten gibt es in der Tat beim Institute for Economics & Peace, nur dass sie dort aktuell sind und ganz anders aussehen: vision of humanity. Fast die ganze Welt ist von hohen ökologischen Bedrohungen betroffen.
Es gibt verschiedene Indikatoren, die man sich einzeln anzeigen lassen kann. BILD hat sich eventuell den softesten rausgesucht, die Ernährungsunsicherheit. Leider finde ich genau diese Karte nicht, wahrscheinlich weil der Bericht inzwischen aktualisiert wurde.
2022 haben wir gesehen, wie stark Missernten auch in Europa ausfallen können. Die Po-Ebene hatte praktisch kein Wasser mehr. Genauso ist der Osten Deutschlands von Dürren betroffen. Die Versorgungssicherheit ist wahrscheinlich deshalb gewährleistet, weil wir reich genug sind, auf dem Weltmarkt Nahrungsmittel zu kaufen.
Ansonsten steht auf der Seite:
On the other hand, 80% of the countries with the worst ETR scores are also among the world’s least resilient. This indicates that these nations may not be able to mitigate the impacts of their rapidly changing environment. The 30 countries facing the highest level of ecological threat are home to 1.26 billion people.
Highlighting the gravity of the situation, 90% of the 20 least peaceful countries face at least one catastrophic ecological threat, while 80% have low societal resilience. Ten of the twelve countries with the highest ecological threat rating, in all four domains, currently suffer from conflict deaths, while 11 of these countries have moderate to high ratings for the intensity of the internal conflict.
Auf Deutsch: Viele Länder werden sich nicht anpassen können und unter den 20 am wenigsten friedlichen Ländern sind fast alle von mindestens einer ökologischen Bedrohung betroffen.
Zusammengefasst: Die BILD-Grafik hat mit den gesamten ETR-Scores nichts zu tun und ist eine extreme Falschdarstellung. Die Lage ist ernst.
Entwarnung (am Abend des 25.11. eingefügt): Ein Kollege hat mich darauf hingewiesen, dass die taz um Größenordnungen daneben lag. Leider habe ich die Zahl nicht selbst überprüft. Statt 3,6 Gigatonnen werden „nur“ 3,6 Megatonnen ausgestoßen: Hier ist der Originalbericht von South Pole.
Svenja Schulze, damals noch Umweltministerin, hat 2019 auf die Frage nach unserem CO2-Restbudget geantwortet: „Unter diesen ganzen Tonnen und so kann sich doch keiner was vorstellen.“ Ich habe das schon mehrfach in diesem Blog aufgegriffen (Zu unserem CO2-Restbudget: Car is over, Sind Fluggäste Mörder?, Flüge, CO2, Verantwortung und Mitschuld). Das war damals natürlich ein Ausweichmanöver, aber es ist ja in der Tat so, dass diese Zahlen schlecht mit Konkretem verbunden werden können. Man braucht dazu Vergleiche. Zum Beispiel die 1000-Tonnen-Regel (1000 Tonnen verbrannter Kohlenstoff = 1 Mensch, der an den Folgen der Klimakatastrophe vorzeitig sterben wird, Parncutt, 2019).
In der taz stand heute, dass eine Firma im Auftrag der Veranstalter (!) berechnet hat, dass der CO2-Ausstoß für die Fußball-WM in Katar 3,6 Gigatonnen beträgt (taz, 25.11.2022: 3). Die taz berichtet über die NGO Carbon Market Watch, die zu höheren Zahlen kommt, weil zum Beispiel der sehr CO2-intensive Bau der Stadien nur zu einem kleinen Teil berücksichtigt ist.
3,6 Gigatonnen? Ist das viel? Wenig? Geht so? Spaß muss sein? Wir können es mit den Zahlen vergleichen, die im IPCC-Bericht genannt wurden: Der Sachverständigenrat für Umweltfragen, der die Bundesregierung berät, hat errechnet, dass das CO2-Budget für Deutschland bei 2 Gigatonnen liegt, wenn wir das 1,5°-Ziel mit einer Wahrscheinlichkeit von 67% erreichen wollen (SRU, 2022: 7). 67% ist gezockt: Ja, ja, nein. In einem Drittel der Fälle geht es daneben, also 1,6° oder mit entsprechend abnehmender Wahrscheinlichkeit auch mehr bzw. sehr viel mehr.
Das heißt was? Das bedeutet, dass diese eine Fußball-WM das Doppelte des Restbudgets für unser ganzes Land verbraucht. „Is ja nich schlüm, wird ja kompensiert.“ Anhand dieses Ereignisses kann man eigentlich sehr schön sehen, wie absurd Kompensation ist. Wenn Kompensation ein sinnvolles Instrument in der Klimakatastrophe wäre, könnten wir auch sagen: Och, wir machen einfach nichts und kompensieren dann, dass wir zum Fenster raus heizen (= offene Stadien klimatisieren), mal eben die Tochter mit dem Flugzeug über’s Wochenende besuchen (= Shuttleflüge für außerhalb Katars untergebrachte WM-Teilnehmer*innen) usw.
Schlussfolgerung: Solche Ereignisse wie die Fußball-WM in Katar können wir uns als Menschheit nicht mehr leisten. Kompensation ist ein untaugliches Instrument, das nur dem Greenwashing und der Gewissensberuhigung dient.
Quellen
IPCC, 2021. Zusammenfassung für die politische Entscheidungsfindung. In Beitrag von Arbeitsgruppe I zum Sechsten Sachstandsbericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen [Masson-Delmotte, V., P. Zhai, A. Pirani, S.L. Connors, C. Péan, S. Berger, N. Caud, Y. Chen, L. Goldfarb, M.I. Gomis, M. Huang, K. Leitzell, E. Lonnoy, J.B.R. Matthews, T.K. Maycock, T. Waterfield, O. Yelekçi, R. Yu, and B. Zhou (eds.)] (ed.), Naturwissenschaftliche Grundlagen. https://www.de-ipcc.de/media/content/AR6-WGI-SPM_deutsch_barrierefrei.pdf.
Parncutt, Richard. 2019. The Human Cost of Anthropogenic Global Warming: Semi-Quantitative Prediction and the 1,000-Tonne Rule. Frontiers in Psychology 10(2323). 1–17. (doi:10.3389/fpsyg.2019.02323)
Zur Zeit bin ich stellvertretender Institutsleiter. Bisher war die Arbeitsverteilung so, dass ich Dienstreiseanträge, die die Institutsleiterin oder ihre Arbeitsgruppe stellt, unterschrieben habe. Vor Kurzem hat mich die Institutsleiterin gebeten, alle Dienstreiseanträge zu unterschreiben, weil sie mit der Leitung genug zu tun hat und weil die Aufgabenverteilung auch früher schon so war. Nun sehe ich plötzlich alle Reiseanträge, auch die Flugreisen. Ich habe lange über die Situation nachgedacht, konkret über die Genehmigung von Flugreisen seit Juni. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ich keine Flugreisen mehr genehmigen werde.
Konkret bedeutet das nur, dass die Institutsleiterin die Flugreisen genehmigen muss. Es ist keine totale Blockade von Flugreisen. Einziges Problem sind die Reisen der Institutsleiterin selber bzw. ihrer Arbeitsgruppe. Diese Reisen kann dann wahrscheinlich jemand, der hierarchisch über uns beiden steht, genehmigen. Also jemand aus dem Dekanat.
Laut Verfassung der Humboldt-Universität kann die Institutsleitung mit einer 2/3-Mehrheit im Institutsrat über alle Statusgruppen hinweg abgewählt werden. Das könnte in einer der nächsten Sitzungen passieren.
Nachtrag 14.06.2022: 1) Der Dekan hat mit mir gesprochen und versteht das. Ich bin nicht zurückgetreten oder abgewählt worden. 2) Die Kommission zu Flugreisen, die wir schon im Juni eingerichtet haben, hat getagt und ich bin optimistisch, dass wir für das Institut eine Lösung finden, die über die uniweiten Regelungen zu Flugreisen hinausgeht.
Details
Wir sind bei einer Erderhitzung von 1,2° gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter. Alle Gebiete auf der Erde sind bereits jetzt von unglaublichen Katastrophen betroffen. 180 Tote im Ahrtal, Schäden in Milliardenhöhe. 1300 Tote in Pakistan, ein Drittel des Landes überflutet, 33 Millionen Menschen mussten ihre Wohnungen verlassen (Wikipedia: Überschwemmungskatastrophe in Pakistan 2022). In China stehen Menschen nach Starkregen bis zum Hals eingeschlossen in U-Bahnen. Auch in New York flutet der Starkregen die U-Bahnen. Sturmschäden in Florida, Flüsse trocknen aus, Kraftwerke können mangels Kühlwasser nicht mehr betrieben werden, Ernteausfälle. Hungersnöte. In diesem Sommer sind 10.000 Menschen allein in Deutschland den Hitzetod gestorben, wie man anhand von Übersterblichkeitsstatistiken, die mit Hitzetagen korrelieren, nachweisen kann (taz, 22.08.2022). In Europa waren es 24.000 (taz, 07.10.2022) (Zu einer Übersicht über Katastrophen siehe Katastrophen. Im Quellenverzeichnis der Seite findet man Links zu Fernsehberichten.) Das ist das, was wir jetzt haben. Bei 1,2°. Die Wissenschaft geht davon aus, dass das 1,5°-Ziel nicht zu halten ist. Derzeit steuern wir auf 2,7° zu (Klimaforscher Prof. Lucht in der taz, 17.02.2022). Ganze Bereiche der Erde werden unbewohnbar werden, woraus sich Migrationsbewegungen und Ressourcenkriege ergeben werden.
Die Themenklasse Nachhaltigkeit der Humboldt-Universität hat sich mit den Reisen des wissenschaftlichen Personals der HU beschäftigt. Sie haben Vorschläge gemacht, wie mit Flugreisen umgegangen werden sollte. Keine Inlandsflüge, ein Flug pro Jahr pro Person (Appiah-Nuamah et al. 2021). Die Veröffentlichung ist von 2021. Inzwischen ist es 2022 und wir sind einen IPCC-Sachstandsbericht weiter. Was in diesem Bericht steht, ist erschreckend. 2020 blieben nur noch 400 Gt CO2-Ausstoß, wenn man das 1,5°-Ziel mit einer Wahrscheinlichkeit von 67% erreichen will. Bei 83% waren es nur noch 300 Gt.
Seitdem haben wir aber weitere 70 Gt verbraucht, d.h. es bleiben 230 Gt, wenn wir das 1,5°-Ziel mit 83%iger Wahrscheinlichkeit erreichen wollen (siehe Zu unserem CO2-Restbudget bzw. Sachverständigenrat Umweltfragen, 2022).
Svenja Schulze hat 2019, als sie noch Umweltministerin war, einmal gesagt, als sie auf die Restmenge CO2 angesprochen wurde: „Unter diesen ganzen Tonnen und so kann sich doch keiner was vorstellen.“ (Kontraste, ARD, 30.09.2019). Um zu zeigen, was diese ganzen Tonnen bedeuten, kann man die Restmenge unter allen Menschen aufteilen. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen, ein Gremium aus Professor*innen, das die Bundesregierung berät, hat das gemacht und kommt auf 24t pro Person bei einer Wahrscheinlichkeit für 1,5° von nur 67%. (Es gibt mehrere Berechnungsmöglichkeiten. Das ist hier schon eine der günstigeren. Historisch gesehen, haben wir schon alles verbraucht. Zu den Details siehe Zu unserem CO2-Restbudget bzw. Sachverständigenrat Umweltfragen, 2022). Da wir als Deutsche einen durchschnittlichen Ausstoß von 11t pro Jahr haben, heißt das, dass in weniger als drei Jahren unser Restbudget aufgebraucht sein wird.
Vor diesem Hintergrund muss man nun das Fliegen betrachten. Unser CO2-Restbudget ist praktisch aufgebraucht und für Interkontinentalflüge ist kein Budget mehr vorhanden. Zur Kompensation habe ich in Dienstliche Flüge und CO2-Kompensation u.a. Folgendes geschrieben: Wir stehen kurz vor dem Erreichen von Kipppunkten, so dass es nicht angeht, das CO2 auszustoßen mit dem Versprechen, es in ein paar Jahren durch Projekte wieder einzusparen (atmosfair verspricht Projektumsetzung innerhalb von zwei Jahren). Wir müssen als Gesellschaften jetzt radikal umsteuern und dazu gehört eben auch, nicht mehr oder sehr viel weniger zu fliegen.
Parncutt (2019) hat in seinem Aufsatz in frontiers in Psychology die 1000-Tonnen-Regel aufgestellt, nach der 1000 Tonnen verbrannter Kohlenstoff einen Klimatoten bedeuten. Das heißt, dass wegen einem Flug von Berlin nach Sydney 0,61 Menschen sterben. Bei zwei solchen Reisen (oder mehreren kleineren Reisen) sind die 329 Passagiere also gemeinschaftlich für den Tod eines Menschen verantwortlich.
Vor drei Jahren haben Monika Schäfer, Gisbert Fanselow und ich eine Selbstverpflichtungskampagne für den Verzicht auf Kurzstreckenflüge gestartet und an der HU haben sich 21,4% der wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen verpflichtet, Strecken, die unter 12h mit der Bahn zu bewältigen sind, nicht mehr zu fliegen. Seit dem hat sich einiges getan. Die HU hat zwei Klimamanager*innen, es gibt eine Klimasteuerungsgruppe, es gibt die Empfehlungen der Nachhaltigkeitsklasse, aber es gibt leider immer noch keine Änderung der Reisebestimmungen der HU. Diese sind nach dem Bundesreisekostengesetz gestaltet, so dass sich an dieser Stelle wahrscheinlich erst etwas ändern wird, wenn das Bundesreisekostengesetz angepasst wird.
Moral und Weigerung
Nachdem ich meinen Kolleg*innen mitgeteilt habe, dass ich keine Flüge mehr genehmigen werde, bekam ich von einer eine Antwort, in der stand, dass das gar nicht ginge, denn rechtlich könne ich nur solche Reisen nicht genehmigen, die gegen dienstliche Interessen verstoßen würden.
Der Punkt hier ist kein rechtlicher, es ist ein moralischer. Ich kann es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, dass durch mein Handeln Menschen zu Tode kommen. Mein letzter privater Flug war 2008. Mein letzter Interkontinentalflug war 2016 nach Seoul, mein letzter innereuropäischer Flug 2017. In Seoul war ich eingeladener Sprecher auf einer Computerlinguistikkonferenz und habe zwei Vorlesungen gehalten. Es war eine schöne Reise und wichtig für den Lebenslauf. 2017 bin ich nach Oslo geflogen, um dort zwei Tage lang Anträge für Forschungesgelder zu besprechen und zu bewilligen. Eine verantwortungsvolle Tätigkeit und ebenfalls wichtig für den Lebenslauf. (Und die Lebensläufe vieler Sprachwissenschaftler*innen in Norwegen.) Im August 2019 habe ich nun beschlossen, überhaupt nicht mehr zu fliegen. Weder privat noch dienstlich (siehe Ich fliege nicht mehr). Die Abwägung der Vorteile (für mich) und Nachteile (für andere) hat ergeben, dass Flüge nicht zu rechtfertigen sind. Ein Vortrag über eine tolle Theorie vs. eine hungernde Familie, ein weggerissenes Haus, ein Mensch, der bis zum Hals im Wasser in einer gefluteten U-Bahn steht?
Durch die neue Konstellation im Institut bin ich jetzt in die Lage gekommen, dass ich, obwohl ich nicht selbst fliege, dafür verantwortlich bin, dass andere fliegen. Diese Verantwortung lehne ich ab. Ich bin nicht bereit, sie zu übernehmen. Wenn ich damit gegen Gesetze verstoße, dann ist das so. Ich kann nicht anders handeln.
Einige Beispiele dazu, die in ihrer Dimension und teilweise den Auswirkungen für die Betroffenen verschieden sind, aber verdeutlichen, wie Menschen in großen Apparaten handeln oder nicht handeln oder entgegen allgemeinen Erwartungen handeln.
Menschen, die nicht tun, was sie sollen / die tun, was sie nicht sollen
Todd Smith ist Pilot, d.h. er war Pilot. In Großbritannien. Dort muss man die Piloten-Ausbildung selbst bezahlen und er hat sein gesamtes Gehalt, das er in fünf Jahren verdient hat, und das Geld, das seine Großmutter durch den Verkauf ihres Hauses bekommen hat, in die Ausbildung zum kommerziellen Piloten gesteckt. Die Großmutter ist bei ihnen eingezogen. Wegen einer Magenentzündung konnte er nicht fliegen und sein Arzt hat ihn dazu überredet, auf Fleisch zu verzichten. Er hat sich dann mit Veganismus beschäftigt und von da war es nicht weit zu den Klimafakten. Das Ergebnis war, dass er seinen Beruf an den Nagel gehängt hat und Klimaaktivist geworden ist. Hier, in einem Bericht der Deutschen Welle, kann man die Details nachlesen.
He still loves flying and misses being up in the skies. But he won’t return until the industry takes its obligations seriously. In the meantime, he plans to continue honoring his own.
„As pilots, we’re trained to think, free from bias, to mitigate risks, to preserve life. I’m simply following my training and trying all that I can to get the industry to mitigate its risks. After all, safety is our No. 1 priority.“
In Frankreich gab es Polizisten, die Jüd*innen vor Razzien der Deutschen gewarnt haben, obwohl sie den Befehl der Regierung hatten, den Deutschen zuzuarbeiten und die Deportationen in Konzentrationslager zur Ermordung zu unterstützen. Sie haben unter Einsatz ihres eigenen Lebens viele Menschen vor den Gaskammern gerettet. Dennoch tat sich die Polizei lange schwer damit, Polizisten zu ehren, die eigenmächtig gehandelt und gegen Befehle verstoßen haben. Heute dienen sie als Beispiele für die Gewissensbildung der Polizei (taz, 18.07.2022).
Ich bin Pazifist. Ich war bei der Armee, weil im Osten Verweigerung Gefängnis und den Ausschluss vom Studium bedeutet hätte, aber ich hätte niemanden erschossen. Nur mich selbst. In meiner Anverwandtschaft gab es einen Mann, der im zweiten Weltkrieg in Norwegen war. Er sollte norwegische Partisan*innen erschießen und hat sich geweigert. Daraufhin wurde er selbst erschossen. Seine Familie hat in der Nachkriegszeit in Westdeutschland nie darüber gesprochen, weil sie es für eine Schande hielten, dass ihr Sohn, Bruder, Onkel den Befehl verweigert hat. Ich denke, die meisten Menschen sehen das heute anders.
Schlussfolgerung
Alle, die die Klimakatastrophe in ihrem gesamten Ausmaß verstehen (George Monbiot (2022) spricht von weniger als 1% der Weltbevölkerung), werden verstehen, dass ganz anders gehandelt werden muss. Aus diversen Gründen handelt die Menschheit aber nicht adäquat. Wie Parncutt bereits 2019 schrieb, sollte nur noch in Notfällen geflogen werden (S. 12). Ich habe mich deshalb entschlossen, keine Flüge zu genehmigen. Wenn das Institut einfach weiter machen möchte, wie bisher, muss es mich abwählen oder die Anträge anderweitig genehmigen lassen.
Quellen
Appiah-Nuamah, Maame & Berner, Richard & Gipp, Antonia & Hohmann, Theresa & Nöfer, Johannes & Pätzke, Franka & Prawitz, Hannah et al. 2021. Wissenschaftliches Reisen: THESys Humboldt-Stipendium Themenklasse Nachhaltigkeit und Globale Gerechtigkeit 2020/2021. Humboldt-Universität zu Berlin. (doi: 10.18452/23298)
IPCC, 2021. Zusammenfassung für die politische Entscheidungsfindung. In Beitrag von Arbeitsgruppe I zum Sechsten Sachstandsbericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen [Masson-Delmotte, V., P. Zhai, A. Pirani, S.L. Connors, C. Péan, S. Berger, N. Caud, Y. Chen, L. Goldfarb, M.I. Gomis, M. Huang, K. Leitzell, E. Lonnoy, J.B.R. Matthews, T.K. Maycock, T. Waterfield, O. Yelekçi, R. Yu, and B. Zhou (eds.)] (ed.), Naturwissenschaftliche Grundlagen. https://www.de-ipcc.de/media/content/AR6-WGI-SPM_deutsch_barrierefrei.pdf.
2019 habe ich aufgehört zu fliegen (Ich fliege nicht mehr). Ich bin zur Zeit stellvertretender Institutsleiter und damit dafür mitverantwortlich, wenn andere fliegen. Ich muss ihre Dienstreiseanträge genehmigen. Universitäten müssen beim CO2-Ausstoß, so wie die restliche Gesellschaft auch, zur CO2-Neutralität kommen. Seit Kurzem denke ich wieder verschärft über das Fliegen und Kompensationen nach. Hier versuche ich, meine Gedanken zu systematisieren und entsprechende Schlussfolgerungen abzuleiten.
Ausgangslage
Die Ausgangslage sieht so aus, dass wir in einer Welt leben, die sich gegenüber der vorindustriellen Zeit bereits um 1,2° erwärmt hat. Wir sind mitten in der Klimakatastrophe. In Deutschland sind in diesem Sommer 10.000 Menschen den Hitzetod gestorben, wie man mittels Übersterblichkeitsuntersuchungen feststellen kann (taz, 22.08.2022). In Pakistan sind 1400 Menschen gestorben und ein drittel des Landes wurde überflutet (Wikipedia). Menschen sind obdachlos. Eine beispiellose Katastrophe. Gewaltige Stürme verwüsten Florida, die Wälder haben in ganz Europa gebrannt. Flüsse wie der Rhein und der Po trocknen aus. Missernten.
Das ist erst der Anfang.
Wissenschaftler*innen gehen davon aus, dass das 1,5°-Ziel nicht mehr zu erreichen ist. Selbst mit den aktuellen Verpflichtungen nicht und viel schlimmer noch: Selbst diese Verpflichtungen werden nicht eingehalten und insgesamt steuert die Welt auf eine Erwärmung von 2,7° zu (Prof. Wolfgang Lucht, zitiert nach taz, 17.02.2022).
Klimaaktivist*innen fordern deshalb die Ausrufung des Klimanotstandes und ein entsprechend rasches Handeln, was die Umsetzung von Maßnahmen angeht. Ulrike Herrmann bezieht sich immer wieder auf die Kriegswirtschaft, die in Großbritannien in der Zeit des zweiten Weltkriegs eingeführt wurde, um das britische Militär für den Krieg gegen Nazideutschland hochzurüsten (taz, 17.09.2022).
Das Fliegen gehört zu den energieintensivsten Fortbewegungsarten. Parncutt (2019) hat errechnet, dass die Verbrennung von 1000 Tonnen Kohlenstoff zu einem Klimatoten führt. 1000 Tonnen Kohlenstoff, entsprechen 3.700 Tonnen CO2. Man kann dann ausrechnen, den Tod von wie vielen Menschen ein Flug verursacht. Parncutt kommt zu dem Schluss, dass nur in Notlagen geflogen werden sollte.
Therefore, flying should be made more expensive (e.g. by carbon taxes) and reserved for emergencies and life-saving projects.
Im Institut haben wir eine Gruppe gegründet, die sich damit beschäftigen soll, wie wir die dienstlichen Flüge organisieren. Über die Gründe, warum es diese Gruppe gibt, schreibe ich vielleicht noch einmal extra. Der Punkt ist, dass wir eigentlich nicht mehr fliegen dürfen, dass aber seit drei Jahren in der Uni nicht viel zum Thema passiert ist. Es gibt jedenfalls keine strengeren Regeln. Eine wichtige Sache ist allerdings doch passiert: Die Themenklasse Nachhaltigkeit & Globale Gerechtigkeit 2020/2021 hat eine großartige Arbeit geleistet und die Empirie der Flugreisen an der Humboldt Universität aufgearbeitet (Appiah-Nuamah et al. 2021). Es gibt jetzt einen Überblick, welche Fakultäten wie viele Flugreisen unternehmen, warum geflogen wird usw. Interviews zur Lösung des Problems und Überlegungen zur CO2-Kompensation.
Verweilzeit
Ein wichtiger Punkt bei der Bewertung von Reisen ist die Verweilzeit am Reiseziel. Es gibt Menschen, die zu einem Konferenzvortrag nach Australien fliegen und dann schnell wieder zurück. Ein, zwei Tage und hops zum nächsten Vortrag bzw. zurück nach Hause an den Schreibtisch. Solche Flüge sind kritisch zu sehen und können bzw. müssen höchstwahrscheinlich durch Online-Präsenz ersetzt werden. Im Gegensatz dazu gibt es längere Forschungsaufenthalte. Die Themenklasse hat den CO2-Ausstoß ins Verhältnis zur Aufenthaltsdauer gesetzt. Ein sinnvolles Maß.
Karrierenachteile und Neubewertung
Corona hat gezeigt, dass viele Treffen vermieden werden können und dass Konferenzen online stattfinden können. Was online eher schwierig ist, ist das Knüpfen von Netzwerken. Menschen mit etablierten Netzwerken können eher auf Reisen verzichten als Nachwuchsforscher*innen. Die Themenklasse hat Interviews durchgeführt und ein Interviewpartner, Prof. Niewöhner, bringt es auf den Punkt:
Wenn man das Reisen jetzt radikal einschränken würde, dann würde das in der Tat Ungleichheiten auf zweierlei Hinsicht massiv verstärken. Das eine ist innerwissenschaftlich, oder sagen wir mal innereuropäisch. Es würde den Nachwuchs benachteiligen, denn die etablierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die Professuren, haben ihre Netzwerke. Das sind auch vertrauensvolle Kontakte und das kann man relativ gut digitalisieren. Wir haben auch die Freiheit über forschungsfreie Semester etc. dann mal länger irgendwo hin zu reisen. […] Da gibt es eine gewisse Flexibilität, das kann man sich einrichten. Das heißt, wenn man das [Reisen] jetzt radikal streichen würde, hätte man eine Benachteiligung des wissenschaftlichen Nachwuchses, wenn man nicht die Kriterien mitverändern würde, was geleistet werden muss.
Interview mit Prof. Dr. Jörg Niewöhner, 17.12.2020, S. 30
Entscheidend ist der letzte Teilsatz: „wenn man nicht die Kriterien mitverändern würde, was geleistet werden muss.“ Für die Einstellung von Mitarbeiter*innen, die Berufung von Professor*innen und die Vergabe von Drittmitteln gibt es Kriterien für wissenschaftliche Qualifikation/wissenschaftlichen Erfolg. Ich habe darüber nachgedacht, wie man diese Kriterien verändern könnte und eine Möglichkeit ist einfach, den CO2-Ausstoß als Kriterium bei der Evaluation hinzuzufügen. Bisher wird bewertet, wie viele Aufsätze jemand gechrieben hat und in welchen Zeitschriften diese veröffentlicht wurden. Dabei spielt das so genannte akademische Alter eine Rolle, d.h. nicht wie alt jemand ist, sondern wie lange er/sie gebraucht hat, um nach dem Studium an die Position zu gelangen, an der er/sie jetzt ist. Konferenzvorträge werden in Bewerbungen als Zeichen von Aktivität ebenfalls positiv bewertet. Man kann nun aus den Konferenzreisen den CO2-Abdruck ermitteln und kann das Erreichte an den eingesetzten Ressourcen (CO2) messen. Wenn jemand ohne CO2-Emissionen viele gute Fachzeitschriftenartikel veröffentlicht, ist er/sie besser als jemand, der/die ständig durch die Welt jettet.
CO2-Kompensation
Ich bin wie Parncutt (2019) der Meinung, dass man überhaupt nicht mehr fliegen sollte. Das wird erst im Verlauf der nächsten Jahre bei zunehmender Verstärkung der Krise durchzusetzen sein. Da ein CO2-Ausstoß von Null angestrebt wird, kann dieser also nur über Kompensationen erreicht werden.
Was im besten Fall passieren wird
Die Themenklasse diskutiert ethische Aspekte der Kompensation. Sie vergleicht das britische Lebensmittelverteilungssystem im zweiten Weltkrieg mit der Kompensation. Die Essenmarken waren in Großbritannien nicht handelbar. Somit entstand eine Gleichheit und Solidarität unter den Menschen. Das Analogon beim Fliegen wäre der Ausschluss von Kompensationen: Alle haben die gleichen Rechte bzw. Pflichten. Reichere dürfen sich nicht mehr Verschmutzungsrechte kaufen (S. 50–51). Die Autor*innen halten die Kompensation aber für legitim, wenn die Summen für Kompensationen so hoch sind, dass sie der Gemeinschaft nützen. Allerdings sollte das nicht dazu führen, dass Menschen weiter exzessiv fliegen können. Für die wissenschaftlichen Reisen schlagen sie deshalb vor, Inlandsflüge und mehrere Flüge pro Jahr zu verbieten. Damit bliebe für 2408 wissenschaftliche Mitarbeiter*innen der HU die Möglichkeit für einen Flug pro Jahr. Dieser trägt zum CO2-Ausstoß der HU bei, der auf Null gesenkt werden muss. Das heißt, dass diese Flüge kompensiert werden müssen.
Die Themenklasse hat sehr schön herausgearbeitet, dass Kompensation mit steigender Nachfrage teurer wird, weil die niedrig hängenden Früchte zuerst gepflückt werden, d.h. Kompensationsprojekte, die viel bringen und billig sind, werden zuerst durchgeführt. Das heißt, wenn man z.B. Kompensationen über einen Zeitraum von 10 Jahren betrachtet, wären die am Ende des Zeitraums teurer als am Anfang. Daraus ergibt sich, dass man für die Kompensation höhere Beträge ansetzen muss als die Kosten, die zur Zeit real entstehen. Außerdem wurden Rebound-Effekte besprochen und die Tatsache, dass wir, wenn wir im globalen Süden CO2-Einparungsprojekte fördern, den Menschen dort die Möglichkeit wegkaufen, selbst CO2 zu reduzieren. Der Vorschlag ist deshalb, Projekte lokaler Anbieter wie die Wiedervernässung von Mooren zu finanzieren.
Was passieren müsste
Ich habe lange über das Kompensieren nachgedacht. Ist es OK? So wie die Themenklasse schreibt? Wenn man dreimal so viel CO2 zurückholt, wie man durch seinen Flug ausstößt? Viermal? Weil man es kann? Weil man das Geld hat und reich ist? Der Moralphilosoph Bernward Gesang hat so etwas in der taz geschrieben. Sollen wir doch irgendwo im Süden etwas finanzieren, das unsere Emission ausgleicht. Wir können dann fröhlich weiter fliegen, Fleisch essen, Kinder kriegen, wenn wir nur dafür sorgen, dass irgendwo anders CO2 eingespart wird und andere Menschen keine Kinder bekommen (taz, 18.03.2022). Doch wirklich, das hat er geschrieben.
Nach längerem Nachdenken ist mir ein Vergleich eingefallen, der deutlich macht, warum das falsch ist. Man stelle sich folgendes vor: Jemand der unbedingt ein paar Dinge loswerden will (= einen wissenschaftlichen Vortrag in Asien oder Amerika halten will) scheißt einfach in den Eingangsbereich der Humboldt-Universität. So mitten hin. Achtlose Menschen laufen durch und verteilen letztendlich alles gleichmäßig in der Eingangshalle. Man sieht es praktisch nicht mehr (so wie CO2). Eine andere hat ein kleineres Geschäft zu verrichten (einen Vortrag in Europa mit Flugreise). Das ist praktisch, denn es versickert gleich alles zwischen den Dielen. Ein Problem ist der Sommer (die Hitzeperioden, Dürren, Waldbrände, ausgetrocknete Flüsse, Missernten), denn dann ist die Kacke am Dampfen und es stinkt zum Himmel. Und deshalb beauftragt man einen Schwarzen Menschen (jemanden aus dem globalen Süden), unseren Scheiß aufzuräumen.
Soweit zum Gleichnis. Das Problem wird durch folgenden Umstand verschärft: Wenn man die Restmenge CO2, die zur Verfügung steht, um das 1,5°-Ziel zu erreichen, auf alle Menschen aufteilt, dann ergibt sich, dass für jeden Deutschen eine Restmenge von 24 Tonnen zur Verfügung steht, wenn wir das 1,5°-Ziel mit 67% Wahrscheinlichkeit (klappt, klappt, Mist) erreichen wollen (SRU, 2022). Das bedeutet, dass in drei Jahren alles aufgebraucht ist, wenn man den Durchschnittsausstoß von 11 Tonnen pro Jahr zugrundelegt. Wenn man aber nun einmal im Jahr Economy nach Seoul (4,3t), Los Angeles (5,095t) oder Sydney (10,683 t) fliegt, stößt man jeweils eine Menge CO2 aus, die ein Vielfaches der klimaverträglichen Jahresemission von 1,5t pro Person beträgt. Oder anders: Man kann in seinem Leben noch fünf Mal nach Korea fliegen. Dann ist das Budget komplett aufgebraucht und man hat noch nichts gegessen, nicht geheizt und so weiter. Das einfach nur, um die Größenordnungen der Verschmutzung aufzuzeigen, die man anrichtet.
Die Kompensation bei atmosfair läuft so, dass innerhalb von zwei Jahren der Ausgleich geschaffen wird (atmosfair, 03.10.2022). Da heißt, dass es in der Zwischenzeit stinkt! Nicht love is in the air, sondern CO2. Wir sind nah an den Kipppunkten dran und der fortwährende Ausstoß von CO2 ist ein Spiel mit dem Feuer.
Der Schluss kann nur sein, dass wir unseren wissenschaftlichen Vortrag nicht über das Leben von Menschen stellen dürfen, dass CO2-Kompensation nur ein Ablasshandel und eine Kompensation für uns selbst, für unser Gewissen, ist und dass wir einfach keinen Mist machen sollten, den andere dann – vielleicht zu spät – wegmachen müssen.
Vielmehr sollten wir nun endlich in den Notfallmodus schalten und das, was wir vielleicht für Kompensationsprojekte machen könnten, zum Beispiel die Wiedervernässung von Mooren, einfach so machen. Fridays For Future fordert 100 Milliarden dafür.
Also, lasst uns aufhören mit dem Scheiß und lasst uns uns selbst retten.
Quellen
Appiah-Nuamah, Maame & Berner, Richard & Gipp, Antonia & Hohmann, Theresa & Nöfer, Johannes & Pätzke, Franka & Prawitz, Hannah et al. 2021. Wissenschaftliches Reisen: THESys Humboldt-Stipendium Themenklasse Nachhaltigkeit und Globale Gerechtigkeit 2020/2021. Humboldt-Universität zu Berlin. (doi: 10.18452/23298)
Parncutt, Richard. 2019. The Human Cost of Anthropogenic Global Warming: Semi-Quantitative Prediction and the 1,000-Tonne Rule. frontiers in Psychology 10(2323). 1–17. (doi:10.3389/fpsyg.2019.02323)
Henning Jeschke vom Aufstand der Letzten Generation steht im Amtsgericht Tiergarten wegen versuchter Nötigung vor Gericht. Er hat am 24.06. eine Straße blockiert, indem er sich festgeklebt hat. Ihm ist es als einzigem gelungen, sich festzukleben, bei anderen Aktivist*innen hat das die Polizei verhindert.
Die Verhandlung
Die Verteidigerinnen Sonja Manderbach und Carla Hinrichs wurden nicht anerkannt, weil sie nicht über ein abgeschlossenes Jura-Studium verfügen.
Henning Jeschke muss sich also selbst verteidigen. Ich habe Aussagen stichpunktartig aufgeschrieben und, was folgt, ist daraus rekonstruiert bzw. entspricht diesen Stichpunkten. Audio- oder Videoaufnahmen sind in Deutschland nicht erlaubt. Ein Rechtsanwalt meinte dazu, dass das dazu diene Show-Veranstaltungen zu verhindern.
Jeschke: Ja, habe mich angeklebt. War richtig so, würde das wieder tun, weil wir alle die #LetzteGeneration sind, die noch handeln kann.
Jeschke trägt zu seiner Biografie vor: In der Schule wöchentliche Demokratiestunde geleitet, als Wahlhelfer gearbeitet, bei Fridays For Future Reden gehalten, nur um dann zu sehen, wie die Regierung nach der Klimastreik-Demo von 1,4 Mio Menschen ein verfassungswidriges #Klimapaket verabschiedet. Da die Politik weiß, was sie tut, handelt es sich um Massenvernichtung. Politik hat versagt. Information über Lage wird unterschlagen. In Indien gab es existenzielle Probleme für Bauern (?). Menschen sind auf die Autobahnen gegangen und haben ihre Ziele erreicht. Unsere Hände werden keine Waffen tragen und unsere Herzen werden offen sein. Wegen der Kipppunkte gilt: Es gibt keinen Mittelweg. Deswegen saß ich am 24.06. auf der Straße und werde das auch weiter machen.
Die Anklage erfolgt nach §240 Strafgesetzbuch wegen Nötigung: Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Tat zu dem angestrebten Zweck verwerflich ist. Richterin spricht von ihrer 14jähringen Tochter. Sie hat sich mit der Sache beschäftigt und auch mit anderen Richter*innen gesprochen. Sie weiß, dass die #LetzteGeneration nicht irgendwelche Spinner sind, wie in manchen Medien behauptet. Sie hat auch einen Fachartikel gelesen zum Thema Straßenblockaden gelesen, hält den rechtfertigenden Notstand aber nicht für gegeben. Sie nennt den Autor des Fachartikels nicht, aber es könnte Mathis Bönte (2021) sein. Man müsse immer die Frage stellen, ob es mildere Mittel gebe? Persönlich hält sie Straßenblockaden nicht für geeignet. Sie betont, dass das ihre persönliche Meinung ist.
Jeschke stellt einen Beweisantrag zu Klimanotstand. Richterin: Keine Beweise für Klimakatastrophe nötig, das glaube ich ihnen alles.
Jeschke stellt Antrag: #Klimawandel und #Klimaschutz sollten nicht in Verhandlung und Protokollen verwendet werden, weil dieses framing von fossilen Thinktanks kommt. Statt dessen: #Klimanotstand. Die Richterin will sich nicht vorschreiben lassen, welche Wörter sie gebrauchen soll und lehnt Antrag ab.
Jeschke stellt den Antrag, den Klimaforscher (Name habe ich nicht verstanden) vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung (PIK) als Zeugen zum rechtfertigenden Notstand zu hören. Dieser halte sich unten als Zeuge bereit. Ziel der Aktionen der Letzten Generation: Abwendung der Gefahr durch Erwirkung von Aufmerksamkeit. Klimakatastrophe ist existenzielle Bedrohung. Widerstand gegen unzureichende Maßnahmen. Dadurch ist die Verwerflichkeit auszuschließen und somit die Verurteilung unmöglich.
Staatsanwalt: Der Antrag ist abzulehnen, weil es unerheblich sei, ob #Klimanotstand vorliegt.
Richterin Antrag wird abgelehnt, weil Klimafakten und #Klimakatastrophe bekannt sind.
Jeschke: Prof. Dr. Wolfgang Lucht vom PIK hat eine schriftlicheStellungname zu diesem Prozess abgegeben: Politische Kurs ist zu langsam. „Politische Ignoranz“. Jeschke will das gesamte Papier zu Protokoll geben.
Richterin: Was berücksichtigt werden soll, muss auch verlesen werden.
Jeschke verliest aus Luchts Stellungnahme: Es bleibt wenig Zeit für Reaktion. Für 1,5° müsste Deutschland rascher klimaneutral werden. Bundesregierung muss ein CO2-Budget vorlegen. Das hat die Bundesregierung bis heute nicht getan. Wahrscheinlich wird Deutschland die aktuell gültigen Klimaziele verfehlen, obwohl die ohnehin oberhalb von dem liegen, was für die Erreichung des 1,5°-Ziels nötig wäre.
Jeschke: Die Straßenblockade hat zu großem Medienecho geführt und war angemessen. Allein 41 Artikel zum 24.06. Eine gewöhnliche Demo erzeugt weniger Aufmerksamkeit. Sitzblockade ist ein mildes und geeignetes Mittel. Widerspricht Aussage der Richterin, dass Blockade nicht geeignet ist.
Jeschke: Antrag auf Kenntnisnahme der Artikel und des Medienechos.
Richterin: Abgelehnt.
Jeschke: Antrag: Bilder von Demo ansehen.
Richterin: Das wollte ich sowieso machen, das war mein Masterplan.
Jeschke: Die Polizei hat nicht beachtet, dass es sich um politische Versammlung handelt. Sie habe diese nicht verlegt oder aufgelöst, sondern Aktivisten sofort geräumt.
Richterin: Verfahren wird auf Nötigung beschränkt. Wenn mehrere Paragrafen verletzt sind, dann kann man nur eine Sache weiter verfolgen. (Ich glaube, das andere war Widerstand §115, bin aber unsicher.)
Journalistinnen bemerken Frau (nicht von LG), die mit professionellem Equipment Audioaufnahmen macht. Richterin holt Polizist, der Aufnahmegerät beschlagnahmt. [NB: Audioaufnahmen wären schon praktisch, weil so schnell alles mitzuschreiben, nicht einfach ist. =:-)]
Jeschke: Es wird alles so weitergehen im Oktober. Er zitiert Jürgen Trittin zum Erfolg der Aktionen. Trittin soll als Zeuge geladen werden: Der durch friedliche Straßenblockaden erzeugte Druck führe zu Handlungen. Der Druck von der Straße habe schon Wirkung gezeigt. Dehalb war die Nötigung nicht verwerflich, denn die Blockaden bewirken Maßnahmen zum Klimaschutz. Deshalb plädiert Jeschke auf Freispruch, denn die Tat sei somit nicht rechtswidrig gewesen.
Richterin verlässt mit weiterer Zuschauerin wegen evtl. Audioaufnahmen auf deren Handy den Gerichtssaal.
Der Antrag zur Ladung Jürgen Trittins wird abgelehnt, weil die Wirkung der Blockade so allgemein nicht überprüfbar sei.
Richterin: „Sind wir am Ende?“ Jeschke: „Ja, die gesamte Zivilisation und hier auch.“
Staatsanwalt: Die Anklage wegen Widerstand ist eingestellt. Aber der Vorwurf der versuchten Nötigung bleibt. Der Klimanotstand ist eine Krise, die uns alle betrifft. Ziel der Tat war zu erreichen, dass der Planet bewohnbar bleibt. Das steht aber nicht vor Gericht, sondern die Tat. Dafür sieht das Gesetz eine Haftstrafe oder eine Geldstrafe vor. Wegen fehlender Vorstrafe kommt nur eine Geldstrafe in Betracht. Das Notwehrrecht greift nur, wenn eine gegenwärtige Gefahr abgewendet werden kann. Personen werden Geisel der Überzeugung des Angeklagten. Wie das Blockieren das Erreichen des Gradziels bewirken soll, erschließt sich dem Staatsanwalt nicht. (Einschub StMü: Er sollte sich mit zivilem Ungehorsam beschäftigen, aber das passt wohl nicht zur Rolle des Staatsanwalts.) Angeklagte sollte andere Mittel verwenden: Wahlen, Demonstrationen, Kunstfreiheit. (Einschub StMü: Fallen Aktionen mit trojanischen Pferden unter Kunstfreiheit? In dem Pferd waren vier Personen drin.) Die Tat sei unzulässig und verwerflich. Da der Angeklagte nicht vorbestraft ist, schlägt die Staatsanwaltschaft 20 Tagessätze a 10€ = 200€ + Kosten des Verfahrens als Strafe vor. Die Sekundenklebertuben werden als Tatmittel eingezogen.
Jeschke: Ich bin schockiert. Wozu haben wir denn ein Grundgesetz? Grundgesetz heißt doch, dass wir bestimmte Sachen nicht verhandeln müssen. Ökosysteme kollabieren, nach Kipppunkten gibt es kein Zurück mehr, Zwangsmarsch ins Verderben, Verzicht auf Führung ist kriminell. Und das ist nicht von mir, damit zitiere ich den UN-Generalsekretär. Ein Alien, das von außen auf die Erde blickt, würde nicht verstehen, was wir hier machen.“ (Seine Stimme versagt.) Das Frauen-Wahlrecht, Rechte für Schwarze, das freie Wochenende wurden mit zivilem Ungehorsam erkämpft. Wir erleben, wenn Justiz nicht stark genug ist, wie eine Aushöhlung geschieht, wie Menschen sich Wahrheit konstruieren. Bei 4° wird es vielleicht noch 1 Mrd. Menschen geben vielleicht 1/2 Mrd. d.h. 7 Mrd Menschen werden verschwunden sein. Vielleicht sind wir auch schon im Atomkrieg untergegangen. (NB StMü Gletscher speisen Flüsse in Indien, Pakistan, China. China kontrolliert Tibet und damit das Wasser. Alle drei sind Atommächte. Quelle: Wasser und Zeit) 1,5° sind vorbei. Kipppunkte fallen in den nächsten Jahren. Es bleiben wenige Jahre, das Ruder herumzureißen. Regierung begegnet dem mit Ignoranz. Eine mutige Entscheidung hier kann eine Debatte auslösen, die Welt zu ändern. Damit könnte man Veränderungen im Justizapparat anschieben, wenn nicht, machen Sie sich zur Komplizin der Vernichtung der nächsten Generation. Auf Ihre Gräber werden unsere Kinder später spucken. (NB: Henning Jeschke spricht von „unseren Kindern“, vielleicht kann das Missverständnis, sie würden irgendwie behaupten, sie seien die letzten Menschen jetzt mal aufhören.) Für mich ist es gleich, was Sie machen, ich werde wieder das Gleiche tun. Sagen Sie, auf welcher Seite der Geschichte Sie stehen. Ich wollte niemanden emotional unter Druck setzen, oder vielleicht doch.
Das Urteil
Richterin verkündet Urteil: 20 Tagessätze à 10 Euro + Kosten des Verfahrens. (NB: Also das Strafmaß, dass auch die Staatsanwaltschaft gefordert hat. Allerdings ist das eine geringe Strafe.) Richterin zum Urteil: Der Angeklagte hat sich an der Seestraße als Einziger festgeklebt, eine Spur blockiert. Dazu gilt die Zweitereiherechtssprechung vom Bundesgerichtshof. Richterin findet diese merkwürdig, aber das ist nun mal gültiges Recht. (NB: Beruhigt mich ja irgendwie, denn ich hatte von zweite Reihe in der Zeitung gelesen und fand das auch absurd.) Autofahrer fördern Klimakrise, aber das geht zu weit, weil das machen wir ja alle. (NB: Die Autofahrer*innen sind nicht das Ziel der Aktionen. Das Ziel ist maximale Disruption und die sich daraus ergebende Aufmerksamkeit für den Klimanotstand.) Es ergab sich eine Beeinträchtigung der Fortbewegungsfreiheit. Menschen auf dem Weg zur Arbeit, haben das Recht dorthinzukommen. Es ist fraglich, ob Blockaden ein geeignetes Mittel sind. Das zu sagen, fällt mir nicht leicht, habe ich schon gesagt. Schwierig auf den politischen Prozess zu verweisen, neben der Straße zu demonstrieren funktioniert auch nicht. Moralische Erwägungen gehören aber nicht in die juristische Diskussion.
Das war das Ende. Die Aktivist*innen im Gerichtsaal waren traurig, es gab Tränen aber auch Support.
Das war erst das erste in einer Reihe weiterer Verfahren, aber im Oktober geht die Letzte Generation wieder auf die Straße. Von einer Journalistin befragt, ob das denn erfolgreich sei, antwortete Henning Jeschke: Ja, am Anfang waren wir 30. Jetzt sind wir 500 in Deutschland und es gibt die Letzte Generation in 10 Ländern.
Nachgedanken
Dinge, die ich heute gelernt habe: Das Amtsgericht Tiergarten hat drei Standorte und ohne Aktenzeichen ist man verloren. Deshalb kein Bild vom Prozessauftakt.
Es gab auch einen Bericht in der taz von Gareth Joswig. Er schreibt: „Unsere Kinder werden auf unsere Gräber spucken, wenn wir nicht handeln.“ Ich habe mir notiert: „Auf Ihre Gräber werden unsere Kinder später spucken.“ Es ging um den Justizapparat. Die taz-Formulierung scheint mir nicht sinnvoll, denn Henning Jeschke handelt ja. Sein Ansatz mag falsch sein und vielleicht nicht funktionieren, aber es wird niemand sagen können, er habe nichts getan. Für solche Details wären Audioaufzeichnungen gut. An der einen oder anderen Stelle in der Verhandlung hätte ich auch gern Bilder gemacht. Es waren schon sehr interessante Gesichtsausdrücke. Aber ich verstehe auch, dass es so ist, wie es ist.
In der Nacht fiel mir noch diese Vorlesung von der Klimavorlesung an der TU Berlin ein.
Petra Vandrey erklärt dort, dass die nicht endenden Aktionen Politiker*innen im Tagesgeschäft immer wieder daran erinnern, dass es da ja noch ein Problem gab.
Ich habe über die Richterin nachgedacht. Wie verläuft ihr Alltag? Erzählt sie zu hause am Abendbrotstisch von ihren Verfahren? Am Tag davor? Spricht sie mit ihrer 14jährigen Tochter? „Aber, was er gemacht hat, war doch richtig. Hast Du doch selber gesagt.“ „Ja, aber juristisch war es falsch.“ „Ja, aber, sind dann nicht die Gesetze falsch?“ „Nun ja, …“ „Kann man die ändern?“ „Ja, aber ist nicht einfach.“ „Kannst Du sagen: Ich will das nicht entscheiden?“ „Nun ja, … ist nicht einfach.“ Ich habe die Richterin gefragt, wie es weitergeht und ob sie noch mehr solche Verfahren bekommt. Sie meinte, es gäbe ein Rotationsprinzip und ohnehin seien eigentlich Verkehrsrichter*innen für die Blockaden verantwortlich. Da jetzt aber so viele Verfahren anstehen, bekommt sie vielleicht ja noch eine zweite Chance.
Offene Fragen
Wenn es nur versuchte Nötigung war, weil die Straße nicht komplett blockiert war, dann müssten ja auch alle anderen Prozesse nur wegen versuchter Nötigung geführt werden, weil es immer eine Rettungsgasse gibt, über die der gestaute Verkehr abfließen kann. Die Blockade ist dennoch wirksam, weil die Polizei dann oft die ganze Autobahn für mehrere Stunden sperrt.
Ich ärgere mich seit Jahren über Achtlosigkeit und verschenkte Chancen, weshalb ich mich entschlossen habe, einen Post darüber zu schreiben.
Zerstörte Bilder
Bei Demonstrationen und auch bei Aktionen zivilen Ungehorsams kommt es vor, dass Menschen nicht darüber nachgedacht haben, was sie zur Veranstaltung anziehen. Ich habe immer wieder Diskussionen darüber, weshalb ich hier ein paar krasse Beispiele und ein paar positive Beispiele bringen möchte.
Das erste Bild hat bei mir echt Fragen ausgelöst!
Warum hat ein Mensch mit ökologischen Einstellungen so eine Mütze? J*e*e*p stellt schwere Geländewagen her, die leider auch in der Stadt gefahren werden. Südafrika ist von Berlin nur mit einem Langstreckenflug erreichbar. Was vermittelt so ein Logo auf der Mütze? Ich war in Südafrika und habe dort eine Safari gemacht? Ich fand das so toll, dass ich mir im Souvenir-Laden des Naturparks eine Mütze gekauft habe? Ich bin in den Jeep-Club eingetreten und habe diese Mütze bekommen? Ich habe die Mütze hier in einem Laden gekauft und nicht weiter darüber nachgedacht, was ich kaufe? In jedem Fall ist die Nachricht verheerend. Sie steht direkt im Widerspruch zu dem, was das restliche Bild zeigen würde.
Beispiel zwei ist auch sehr schön. Ein Klimaaktivist macht Werbung für das amerikanische Militär. Pazifismus ist ja ein bisschen aus der Mode gekommen, aber das amerikanische Militär hat einen enormen CO2-Ausstoß (mehr als Schweden, Welt 29.08.2022). Insbesondere Flugzeuge sind klimaschädlich. Insgesamt dürfte klar sein, dass solche Aufschriften auf Demos daneben sind und von der eigentlichen Bildaussage ablenken.
Letztes Beispiel: Werbung. Diese Person macht Zigarettenwerbung:
Mit Inkrafttreten des Tabakwerbeverbots haben Tabakfirmen ihre Strategien umgestellt. Sie haben versucht, Farben zu besetzen und auch Bekleidungsmarken ins Leben gerufen. Niemand, der politisch denkt, sollte seinen Körper für Tabakwerbung zur Verfügung stellen.
Menschen, die lesen können, müssen Schrift lesen. Das passiert automatisch und unbewusst. Menschen, die Kleidungsstücke mit Nachrichten tragen, transportieren diese Nachrichten, machen Firmen oder Institutionen populär.
Das Beste bisher war ein Schild, das darauf hinweist, dass entlang der Lieferketten mehrheitlich Frauen leiden:
Garniert mit einem Rucksack von Puma. Zu Puma findet man folgendes in Wikipedia:
Puma wurde im Jahr 2007 von der Clean Clothes Campaign kritisiert. Die von Puma gezahlten Löhne würden in El Salvador nicht für den Grundbedarf an Lebensmitteln ausreichen. Arbeitnehmerinnen seien deswegen gezwungen, auf Pausen zu verzichten und Überstunden zu leisten, um über Zuschläge und Bonusleistungen ihren Verdienst aufzustocken. In Zulieferbetrieben würden Arbeitnehmerinnen zum Teil beschimpft und körperlich misshandelt.
STRG F hat Baumwolle von Puma-Produkten analysiert. Diese zeigen, dass Puma entgegen eigener Behauptungen, Baumwolle aus Xinjiang bezieht. In Xinjiang gibt es Umerziehungslager der chinesischen Regierung, wo Minderheiten zum Ernten und Weiterverarbeiten von Baumwolle gezwungen werden.
Der zweite Punkt hat jetzt nicht unbedingt etwas mit Frauenrechten zu tun. Dennoch: Kein Puma-Logo sollte Teil eines Protests sein. Es stellt sich die Frage nach der individuellen Verantwortung: Sollten Aktivist*innen Puma-Rucksäcke haben dürfen? Meinetwegen. Wer weiß, was auf meinen Rucksäcken drauf steht. Aber sie sollten dann doch so reflektiert sein, dass sie nicht mit diesem Rucksack in einen Protest gehen, der genau die Produktionsbedingungen anprangert, unter denen der Rucksack entstanden ist.
Photoshop
Wenn Ihr Fotograf*innen richtig wütend machen wollt, dann sagt ihnen: „Ach, das kann man doch alles mit Photoshop wegmachen.“ Solche Aussagen sind eine grobe Missachtung der Arbeit der Fotograf*innen, denn die Aussage ist: „Ich denke nicht nach darüber, was ich anziehe, denn Du kannst ja Deine Zeit damit verbringen, meine Gedankenlosigkeit irgendwie auszubügeln.“
Außerdem bitte ich Folgendes zu bedenken:
Es sind nicht nur Fotograf*innen anwesend, die der Klimabewegung wohlgesonnen sind. Ich wurde 2021 von meiner Agenturchefin gebeten, Fotos von vermüllten Demonstrationsorten zu machen. Es gäbe dafür Abnehmer.
Im Pressebereich zählen Sekunden. Je nach Situation/Aktion kann man nicht anfangen, jedes Bild einzeln zu bearbeiten. Problematische Bilder fliegen raus. Im schlimmsten Fall übersieht man Problemfälle und Bilder landen in Pressedatenbanken.
Bei langen Veranstaltungen kommen 1000–2000 Bilder zusammen, aus denen dann vielleicht mehrere Hundert ausgewählt werden. Da von Fotograf*innen zu erwarten, dass die diese bearbeiten, ist eine Sauerei. Ehm, sorry.
Ja, man kann einige Dinge mit Photoshop machen, aber zum Beispiel das Logo auf der Mütze gehört zu den schwierigeren Sachen, denn die umgebende Struktur ist detailliert und Manipulationen würden auffallen.
Die Bearbeitung von Reportagebildern ist grenzwertig.
Bei folgendem Bild habe ich die Werbung für einen Texttilkonzern so stark abgedunkelt, dass sie praktisch nicht mehr sichtbar ist.
Da war das Original:
Man kann nicht anders, als es von links nach rechts zu lesen. Und da steht zuerst Lee und man ist mit Gedanken irgendwo weit weg. Zum Beispiel in Indien bei den 60.000 Arbeiter*innen, die 5.000 Jeanshosen pro Tag produzieren.
Das Abdunkeln des Logos ist aus Reportagesicht grenzwertig. 2013 gab es Wirbel um das Gewinnerbild des World Press Photo Awards (Süddeutsche Zeitung, 14.05.2013), weil dem Fotografen das Aufhellen von Bildstellen vorgeworfen wurde. Fotograf*innen arbeiten meist mit RAW-Dateien. Das sind die Daten, wie sie der Sensor der Kamera liefert. Da muss in jedem Fall an den Helligkeiten und Kontrasten gedreht werden, sonst würde zum Beispiel das Bild oben wie folgt aussehen:
Bilder sind also fast immer bearbeitet, aber die Frage ist, wie weit man in den Bildinhalt eingreift. In jedem Fall wäre es besser gewesen, wenn das T-Shirt keine Werbebotschaft verkündet hätte.
Nutzt die Möglichkeiten!
Wir reden über Werbung, über Nachrichten in Bildern. Die Proteste brauchen Berichterstattung in den Medien. Aktivist*innen wollen sichtbar sein und wollen ihre Anliegen sichtbar machen. Wir können von den Profis lernen. Schaut man sich Sportübertragungen und Pressekonferenzen nach Sportereignissen an, so sieht man, dass Getränke sorgfältig platziert werden, dass die Akteure Firmenlogos auf der Kleidung haben und sogar auf dem Kragen, so dass man sie auch bei Nahaufnahmen von Personen im Bild hat. Warum also nicht die eigene Message verbreiten?
Hoodies können das Logo, den Schriftzug einer Gruppe tragen:
Ein Anstecker ans Kleid ist möglich und reversibel:
Bei dem Bild ist ein Teil des Banners zu sehen, die Logos der Deutschen Bank und es ist sehr gut, dass die Frau ein (farblich kontrastierendes) XR-Logo am Kleid hat.
Auch Gesichtsmasken oder Gesichter kann man mit Nachrichten und Logos verzieren.
Auch Beutel kann man für Nachrichten nutzen. So steht auf dem Beutel von Isabelle Bungart: „Kapitalismus tötet. Systemwandel statt Klimawandel“:
Oder man kritisiert mit seinem Beutel die Verhängung eines Klebertransportverbots:
Der beste Beutel ist der hier, der tragbare Politik fordert:
Zusammenfassung
Bitte lasst Kleidung, Taschen, Beutel usw. mit Firmenlogos zu hause. Zieht neutrale Sachen an, trennt Firmen-Logos ab, dreht Mützen, T-Shirts, Einkaufstüten oder -beutel um oder noch besser: Nutzt den Platz für Slogans oder Logos Eurer Bewegungen.
In der Klimabewegung wird immer wieder darauf hingewiesen, dass der individuelle Fußabdruck Teufelszeug ist und dass angeblich individuelle Verhaltensänderungen nichts bringen würden, da die Lösung der großen Probleme um Größenordnungen wichtiger ist (z.B. Mau, 2022). Das sind verschiedene Punkte, die mitunter vermischt werden.
Fußabdruck vs. Handabdruck
Der CO2-Fußabdruck ist ein Maß dafür, wie viel CO2 einer konkreten Person zugerechnet werden können. Heizung, Ernährung, Mobilität, Konsum spielen eine Rolle. All das kann man reduzieren bzw. umstellen, aber auf bestimmte Faktoren hat die Einzelperson keinen Einfluss. In Mietwohnungen gibt es normalerweise keine Möglichkeit, den Vermieter dazu zu bringen, dass er eine Wärmepumpe einbaut oder eine Solaranlage auf dem Dach installiert.
Psycholog*innen sehen deshalb den so genannten Handabdruck als besseres Maß. Dabei geht es darum, wie viele Menschen man dazu bringt, weniger CO2 auszustoßen. Während man beim eigenen Fußabdruck an Grenzen kommt und zur Frustration, sorgt man beim Handabdruck letztendlich dafür, dass andere ihren Fußabdruck reduzieren und bis man da an Grenzen stößt, werden noch einige Jahre ins Land gehen.
Bleibt, wie Ihr seid, macht, was Ihr immer macht. Ist schon OK. Not.
Nun findet man aber auch Äußerungen in der Presse oder in sozialen Medien, dass es nicht darum geht, dass Einzelpersonen ihre Gewohnheiten ändern sollen. Ich habe einen Extremfall aus dem Freitag bereits diskutiert. Hier ist ein anderes kurzes Beispiel:
Lang ging es in der Klimakommunikation darum zu vermitteln dass es einen anthropogenen Klimawandel gibt. Das scheint (weitgehend) erreicht. Nun folgt der nächste Marathon: zu vermitteln dass es nicht um „weniger Fleisch und mal das Auto stehenlassen“ geht.
Ich würde ein „nur“ zwischen „nicht“ und „um“ einfügen, aber so wie es oben steht, halte ich die Aussage für falsch. Es gibt ein ganz einfaches Argument. Wir müssen unseren CO2-Ausstoß auf null Gramm CO2 senken (oder Null Tonnen, Null ist Null, nichts). Da die Fleischerzeugung dafür sorgt, dass große Mengen CO2 freigesetzt werden, muss das reduziert werden. Genauso sieht es bei Verbrenner-Autos und kerosinbetriebenen Flugzeugen aus.
Jetzt kann man sagen: Jo, ist aber alles egal, wenn weiter Kohlekraftwerke laufen, Ölfelder erschlossen werden usw. Das stimmt: #CarbonBombs. Und wenn es darum geht, Massen zu mobilisieren, oder Massen die Angst vor einer grünen Regierung zu nehmen, dann ist es vielleicht taktisch geschickt zu sagen: Hej, Ihr seid großartig. Bleibt wie Ihr seid. Wählt uns, wir machen das dann für Euch. Es ist nun aber so, dass wir gewählt haben. Wir haben die bestmögliche Regierung. Drei Parteien mit 1,5°-Ziel im Parteiprogramm und noch 270 Gt Restbudget. Diese Regierung wird das 1,5°-Ziel krachend reißen. Die nächsten Wahlen sind weit weg. Wir haben ein CO2-Restbudget von 27,7t pro Person, wenn wir 1,5° mit 83% Wahrscheinlichkeit halten wollen. Das heißt, das reicht noch für knapp drei Jahre. Mit Autofahren und viel Rumfliegen ist da nichts. Das Ernährungssystem muss umgestellt werden, wenn wir die Weltbevölkerung ernähren wollen. Man kann sich jetzt auf den Standpunkt stellen, dass das die Regierung machen muss. Es muss Vorgaben geben, die für alle gelten.
Das Problem ist nun aber, dass Regierungen, egal welcher Art (meine Vorhersage ist, dass die nächste Regierung Grün-Schwarz sein wird), nur das tun, was sie für opportun und durchsetzbar halten.
Wenn also alle SUV fahren, Rindfleisch essen und nach Thailand fliegen toll finden und für unverzichtbar halten, werden sich Regierungen schwer damit tun, SUVs zu verbieten, Fleisch zu versteuern, die Subventionen für das Fliegen abzubauen und die ökologischen Schäden in Tickets einpreisen zu lassen. Wenn alle ihre Autos benutzen wollen, wird ein Umbau der Städte in Schwammstädte und ein verkehrsreduziertes Leben nicht möglich werden. Wenn dagegen 70 Prozent der Deutschen ohnehin vegetarisch leben würden, der Rest nur – wie früher – einen Sonntagsbraten essen würde und 60 Prozent der Deutschen in Bayern, Thüringen, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern oder Brandenburg Urlaub machen würden, kämen die Regierungen vielleicht auch auf die Idee, das zu fördern.
Experimente haben gezeigt, dass Menschen andere Menschen beeinflussen. Dieser Einfluss wirkt nicht nur direkt (Person A beeinflusst Person B) sondern auch über mehrere Stufen hinweg: Person A beeinflusst Person B, wodurch Person C beeinflusst wird. Dabei haben Person A und Person C keinen unmittelbaren Kontakt, sie müssen sich nicht einmal kennen. Die folgende Abbildung veranschaulicht das.
In einem Experiment, in dem es darum ging, Geld zu geben, von dem dann die gesamte Gruppe mehr hat als wenn alle ihr Geld behalten (siehe Anhang), konnten Fowler & Christakis (2010) zeigen, dass der Einfluss bis zu drei Graden weiter reicht. Eleni beeinflusst Lucas, Lucas Erika, Erika Jay und Jay Brecken. Gleichzeitig beeinflussen Lucas und Erika und Jay aber auch noch andere Menschen. Es ist zu vermuten, dass das auch in realen sozialen Kontexten so funktioniert. Das Ergebnis wäre dann, dass sich zukunfstkompatibles Verhalten weiter verbreitet. Das muss natürlich durch die Politik ermöglicht und gefördert werden. Es ist eine komplexe Interaktion nötig. Aber die Menschen komplett zu entlasten und zu sagen: „Ej, mach ma wie Du immer machst, wir kriegen das schon irgendwie hin!“ (Mau, 2022), wird nicht funktionieren.
Anhang
In dem von Fowler & Christakis (2010) beschriebenen Experiment hat jeder Teilnehmerin 20 MU (money units). Wenn er oder sie eine MU in die Kasse einer Gruppe einzahlt, bekommt jeder in der Gruppe 0,4 MU (Es entstehen also 1,6MU). Wenn alle all ihr Geld abgeben, bekommt jede/r 32 MU. Wenn jemand asozial ist und 20 MU für sich behält, während alle anderen alles einzahlen, bekommt er 44 MU. Man kann nun feststellen, dass das Verhalten der Teilnehmer*innen sich über mehrere Personen hinweg in Richtung Kooperation verbessert. Menschen tun, was andere Menschen tun.
Quellen
Fowler James H. & Christakis Nicholas A. 2010. Cooperative behavior cascades in human social networks. Proceedings of the National Academy of Sciences. Proceedings of the National Academy of Sciences 107(12). 5334–5338. (doi:10.1073/pnas.0913149107)
Die Klimabewegung fordert immer wieder eine adäquate Berichterstattung über Klimathemen in den Medien. Ja, es ist wahr, angesichts der Bedeutung der Klimakatastrophe für die Menschheit müssten die Themen mindestens so präsent sein, wie der Ukraine-Krieg im Februar und März. Aber es ist nicht so, dass die Klimathemen gar nicht vorkämen. Wir neigen nur dazu, Dinge wieder zu vergessen. Da ich das immer wieder für Diskussionen, Vorträge und Blog-Posts brauche, habe ich beschlossen, hier eine Seite mit Medien-Berichten über Katastrophen anzulegen.
Dürre
Überall auf der Welt gibt es Gebiete, die von Dürrekatastrophen betroffen sind. In Somalia gab es 2022 die schlimmste Dürre seit 40 Jahren. Hundertausenden droht laut UN der Hungertod (tagesschau, 11.06.2022). In Indien ist es viel früher im Jahr als üblich sehr heiß. Lang anhaltende Hitzeperioden von über 40° kann der menschliche Körper nicht aushalten. (taz, 23.05.2022: Extreme Hitze in Indien und Pakistan: Gelebte Klimakrise)
Auch in Kalifornien gibt es Dürre-Katastrophen und Notstand wird ausgerufen. Wegen der hohen Brandgefahr werden Kraftwerke abgeschaltet und die Stromversorgung ist tagelang unterbrochen (tagesschau, 16.05.2022). Auch in Deutschland gab es bereits Gemeinden, in denen das Trinkwasser knapp geworden ist (Spiegel 34/2020).
Der Po in Italien ist in weiten Teilen des Landes versiegt. Die Ernte in Norditalien ist verloren.
“What has been a slow-motion train wreck for 20 years is accelerating, and the moment of reckoning is near,” said John Entsminger, general manager of the Southern Nevada Water Authority, which supplies the Las Vegas area.
He pointed out that Lake Mead’s water level, now at 1,045 feet above sea level, has continued to decline toward critically low levels. Hoover Dam could still release water down to a level of 895 feet, but below that, water would no longer pass through the dam to supply California, Arizona and Mexico — a level known as “dead pool.”
“We are 150 feet from 25 million Americans losing access to the Colorado River, and the rate of decline is accelerating,” Entsminger told the senators.
Avoiding “potentially catastrophic conditions,” Entsminger said, will require reductions that many water managers previously considered unattainable.
Durch die zunehmende Erwärmung werden Regionen, in denen es jetzt schon heiß ist, unbewohnbar werden. Aber auch Europa ist stark betroffen. Im Hitzesommer 2003 sind in Südeuropa 45.000–70.000 hitzebedingt gestorben (Wikipedia: Hitzewelle 2003). Eine Modellierung, die 2022 im Ärzteblatt veröffentlicht wurde, zeigt, dass 2018–2022 über 19.000 Menschen an Hitze gestorben sind (Hitzebedingte Mortalität in Deutschland zwischen 1992 und 2021).
Kälte
Ja, auch wenn Menschen wie Trump das nicht verstehen (wollen), auch Kältewellen zählen zu den Folgen der Klimaänderungen. Es gibt im Polargebiet einen starken Luftwirbel. Dieser wird klimawandelbedingt ab und zu unterbrochen, weshalb dann sehr kalte Luft in südliche Gebiete gelangt (Wille, 2021).
Brände
In Kannada, den USA, Russland, Australien gibt es riesige Waldbrände. Zum Teil gab es die auch früher schon, aber jetzt sind die Wälder trocken und die Brände nehmen enorme Ausmaße an und sind nicht mehr zu kontrollieren. Auch in Brandenburg hat es 2022 gebrannt und die Feuerwehr hat den Brand nur unter Kontrolle bringen können, weil es geregnet hat.
Siehe Überflutungen und Quellen unten. Erinnert sei auch an das Starkregenerignis 2017 in Berlin. In China und in New York waren Menschen in der U-Bahn eingeschlossen, standen in U-Bahnwagen bis zur Brust im Wasser.
Hungersnöte
Siehe Dürre.
Erste Welt und Deutschland
Das ist doch alles weit weg und betrifft uns nicht! Oder? Selbst wenn man zynisch ist oder irgendeinen Weg sucht, die Katastrophe zu verdrängen, wird das nicht lange funktionieren, denn es ist alles verknüpft und verwoben. Die erste Welt ist auf die Lieferungen aus der zweiten angewiesen. Unsere Computer, Telefone und bald auch Autos werden in Regionen hergestellt, die massiv betroffen sind. Siehe Dürre in Taiwan verschärft Chip-Krise. Aber wie ich oben gezeigt habe, sind die USA, Kanada, Australien und auch Europa von Hitze, Waldbränden, Dürren, Kälteeinbrüchen und Überflutungen betroffen. Erinnerung: Wir sind jetzt bei 1,2°. Das 1,5°-Ziel ist nach Aussage von Wissenschaftler*innen nur noch unter höchsten Anstrengungen zu erreichen und dass die erfolgen, ist unrealistisch. Das heißt, es werden 1,6 oder sogar mehr Grad werden. Wie der UN-Generalsekretär António Guterres gesagt hat: Jeder Bruchteil eines Grades zählt. (Rede, 28.02.2022, offizielle Übersetzung)
Die Welt. 2021. Spinnenplage Australien: Nach Hochwasser hüllen teils giftige Spinnen Australien in ihre Netze. WELT Nachrichtensender. (https://www.youtube.com/watch?v=b96Q6YT4cwo)
Winklmayr, Claudia & Muthers, Stefan & Niemann, Hildegard & Mücke, Hans-Guido & an der Heiden, Matthias. Hitzebedingte Mortalität in Deutschland zwischen 1992 und 2021. Ärzteblatt. (doi:10.3238/arztebl.m2022.0202)
In diesem Blog-Post beschäftige ich mich mit dem CO2-Impact von Flügen. Aber er kann auch dazu dienen, eine allgemeine Vorstellung von CO2-Auswirkungen zu bekommen.
Langstreckenflüge und die 1000-Tonnen-Regel
In der Semantik gibt es bestimmte Ansätze, die die Bedeutung von Wörtern in kleinere Bestandteile zerlegen und somit komplexe Bedeutungen auf einfachere Bedeutungen zurückführen. Das Standard-Beispiel ist kill `töten´. Die Bedeutung wird mit cause(x,become(not(alive(y)))) angegeben (McCawley, 1968: 73; Katz, 1970: 244; siehe Wierzbicka, 1975 für kritische Kommentare). Die Formel kann man so lesen: x bewirkt, dass y in den Zustand des Nicht-lebendig-Seins übergeht. In diesem Blogpost beschäftige ich mich mit den Auswirkungen unseres CO2-Ausstoßes am Beispiel des Fliegens. Klar ist, dass letztendlich die Energiequellen für alles, was wir tun, umgestellt werden müssen und dass wir den Energieverbrauch insgesamt reduzieren müssen. Das heißt, dass wir an den großen politischen Stellschrauben drehen müssen. Aber das Problem ist einfach zu groß für uns Menschen, um es komplett zu verstehen und die Dimension begreifen zu können (Parncutt, 2019:11). Wie die ehemalige Bundesumweltministerin Svenja Schulze 2019 auf die Frage nach dem Restbudget an CO2 ausweichend sagte: „Unter diesen ganzen Tonnen und so kann sich doch keiner was vorstellen.“ (Mihatsch, 2019; Kontraste, ARD, 30.09.2019).
Ich suche immer nach Wegen, die Zerstörung, die wir anrichten, und die Winzigkeit des verbleibenden Rest-Budgets greifbar zu machen (siehe Zu unserem CO2-Restbudget: Car is over). Ich glaube, dass das Beispiel vom Fliegen recht anschaulich ist. Auch wird man beim Fliegen die Energieträger auf lange, lange Zeit nicht auf erneuerbare Energien umstellen können. Die Luftfahrt-Industrie geht von 2050 aus.
Wie ich im Anhang zeige, erzeugt ein Flug von Berlin nach Sydney und zurück einen Ausstoß von über 2259 Tonnen CO2. 1000 Tonnen verbrannter Kohlenstoff ergeben einen vorzeitigen klimabedingten Tod (Parncutt, 2019). 1000 Tonnen verbrannter Kohlenstoff entsprechen 3700 Tonnen CO2, d.h. die Sydney-Reise ist equivalent zur Verbrennung von 610 Tonnen Kohlenstoff. Man kann also sagen, dass die 329 Passagiere zusammen 0,61Menschen töten. Zwei Flüge Berlin-Sydney und zurück bewirken den Tod von mehr als einem Mensch. Zu Langstrecken-Flügen direkt siehe auch Parncutt (2019: 12).
Tötung? Totschlag? Mord?
Flugpassagiere töten Menschen. Bewusst, unbewusst? Fahrlässig? Absichtlich? Ignorant? Im Folgenden möchte ich weiter über die Einordnung nachdenken. Ein Flug Berlin-Sydney bewirkt, dass ein Mensch stirbt. Wie? Ich habe jemanden getötet? Ich habe doch gar nichts gemacht, saß nur im Flugzeug. Selbst wenn man nicht direkt jemanden mit Händen oder Waffen tötet, kann eine Tötung oder fahrlässige Tötung vorliegen. Zum Beispiel ermittelte die Polizei wegen fahrlässiger Tötung, als ein Restaurantgast an einem verunreinigten Getränk starb (BR24, 13.02.2022).
Fahrlässige Tötung
Fahrlässige Tötung liegt vor, wenn die Sorgfaltspflicht verletzt wird (Wikipedia: Fahrlässigkeit). Hat man als Mensch die Pflicht, die Konsequenzen seines Handelns zu überdenken? Auch wenn alle etwas tun? Auch wenn man mit 329 Menschen gemeinsam etwas tut? Auch wenn morgen und übermorgen und überübermorgen das nächste Flugzeug fliegt? Wenn man Flugtickets normal im Internet und in Reisebüros kaufen kann? Und wenn man doch überhaupt nicht gewusst hat, wie schädlich das Fliegen ist? (Unter diesen ganzen Tonnen kann sich doch keiner etwas vorstellen!) Dieser Blog-Post will das ändern. Wer ihn gelesen hat und dennoch fliegt, tötet bewusst Menschen.
Totschlag
Einfaches Bewirken reicht für Totschlag nicht aus (Wikipedia: Totschlag). Die Tötung muss vorsätzlich geschehen.
Mord
Bei Mord müssen zusätzlich noch bestimmte Tatmerkmale vorliegen (Wikipedia, 2022: Mordmerkmale). Dazu gibt es drei Fallgruppen: 1) Niedrige Beweggründe: Mordlust, Befriedigung des Geschlechtstriebs, Habgier, Sonstige. 2) Verwerfliche Begehungsweise: Heimtücke, Grausamkeit, Gemeingefährliche Mittel. 3) Deliktische Zielsetzung: Ermöglichungsabsicht, Verdeckungsabsicht. Was jetzt kommt, ist nicht ganz ernst gemeint und Gerichte würden das sicher anders sehen, aber es geht darum, unser Handeln und die Gründe dafür zu reflektieren und dazu sind die folgenden Vergleiche wohl geeignet.1
Mordlust
Fliegen aus Freude am Spaß fällt wohl unter Mordlust. Ich habe zufällig einen entsprechenden Flug auf Flightradar gefunden.
Es war nur ein kleiner Mord im Vergleich zu einem Flug nach Sydney, aber der Flug war komplett sinnlos und diente nur zur Belustigung der Insassen.
Befriedigung des Geschlechtstriebs
Darunter fällt natürlich der Sextourismus. Zu den Reisezielen gehören Thailand, Vietnam und die Philippinen, Kuba, die Dominikanische Republik, Brasilien, Kenia, Gambia, alles Länder, die nur über Langstreckenflüge erreichbar sind.
Habgier
Das mit der Habgier ist jetzt vielleicht etwas weit hergeholt, aber darunter könnte man alle geschäftlichen Flüge zählen: Menschen, die aus beruflichen Gründen fliegen, tun das, weil Dinge sich in persönlichen Gesprächen besser besprechen lassen und das der Firma nützt oder weil sie einen Konferenzvortrag halten wollen und das der Karriere nützt. Die ganze Sache ist nicht so einfach, weil das gesamte Wissenschaftssystem so aufgebaut ist, dass internationale Kontakte, Zusammenarbeit und Projekte belohnt werden. Bis zum heutigen Tag scheint es mir für wissenschaftliche Karrieren nötig zu sein, weltweit unterwegs zu sein. Zumindest ist es von Vorteil. Diese Reisen kann man natürlich sinnvoll organisieren und auf ein Minimum begrenzen. Insgesamt müssen Flüge teurer werden und das gesamte Wissenschaftssystem muss sich ändern und wieder lokaler werden.
Heimtücke
Zu Heimtücke fällt mir nichts ein.
Grausamkeit
Es muss wohl als grausam gelten, wenn man jemanden verhungern2 lässt, wenn man jemanden in der Hitze34 oder Kälte5 umkommen lässt, ihn ertrinken67 lässt oder wenn man dafür sorgt, dass das Haus einer Person einstürzt bzw. abbrennt und diese Person ihrer Lebensgrundlagen beraubt wird. All das sind Effekte, die die menschengemachten Klimaveränderungen hervorrufen. Eine gute Übersicht und viele, viele Quellen findet sich in Parncutt, 2019. Ich habe eine Übersichtsseite mit Medienberichten zusammengestellt. Einige Videos der Tagesschau oder von reuters sind auch unten bei den Quellen verlinkt. Menschen werden an Hitze sterben (Abschätzung der Zahl der Hitzetoten: Bressler, 2021), die Hitze und Trockenheit verstärkt die Häufigkeit und Auswirkung von Waldbränden, Missernten führen zu Hungerkatastrophen, Menschen sterben in Fluten. Fluten und Brände machen Menschen obdachlos. Viele der Katastrophen passieren in weit entfernten Gegenden, so dass wir sie prima ausblenden können, aber die Dürre und die Waldbrände gibt es bereits auch in Brandenburg und die Katastrophe im Ahrtal hat gezeigt, was für verheerende Auswirkungen Starkregenereignisse hierzulande haben können.
Gemeingefährliche Mittel
Der Mord an einer Person durch einen Flug verwendet gemeingefährliche Mittel, denn die Art und Weise, wie diese Person ermordet wird, betrifft die gesamte Erde. Fliegen ist gemeingefährlich.
Ermöglichungsabsicht
Dieses Mordmerkmal liegt vor, wenn Täter*innen den Mord begehen, um dann weitere Verbrechen begehen zu können. Ein Beispiel hierfür wäre eine touristische Reise in die USA mit dem Ziel, diese dann mit einem Verbrenner-Auto zu durchfahren. (Habe ich selbst 1993 gemacht. Sorry Welt.)
Verdeckungsabsicht
Wenn man jemanden tötet, um ein Verbrechen zu verschleiern, liegt ein Mordmerkmal vor. Hierzu fällt mir auch nichts ein.
Schlussfolgerung
Es liegt natürlich kein Mord vor, aber es gibt keine Gründe für das Fliegen, die über Menschenleben gehen. Kurzstreckenflüge lassen sich meistens durch Bahn- oder Busreisen ersetzen und Langstreckenflüge sollte man einfach nicht mehr machen.
Die Moral von der Geschicht
Man tötet keine Menschen. In vielen Religionen und Wertesystemen ist das fest verankert. „Du sollst nicht töten.“ ist das fünfte Gebot der christlichen Religionen. Interessanterweise fällt bei den Katholiken auch Selbstmord unter dieses Gebot (Kathpedia: Selbstmord). Parncutt (2019: 4) schreibt zu den Opfern der Klimakatastrophe, dass „ca. 109 Reiche dabei sind, die Leben von 109 Armen vorzeitig zu beenden.“8 Die Wahrscheinlichkeit, dass die Reisenden ihren eigenen Tod bewirken, ist relativ gering, da Menschen, die Fernreisen unternehmen zu den Wohlhabenderen auch unter der Bevölkerung der wohlhabenden Länder gehören dürften. Aber selbst diese Länder sind zum Beispiel von Hitze, Waldbränden und Überflutungen mit Toten und großen materiellen Schäden betroffen, wie die jüngsten Ereignisse gezeigt haben (Überflutungen im Ahrtal9, Kanada, Australien, Brände in den USA, Kanada, Australien). Wenig bekannt ist auch der Hitzesommer in Europa im Jahre 2003, der zu 45.000–70.000 vorzeitigen Toden geführt hat. Zu den Details siehe Wikipedia: Hitzewelle in Europa 2003.
Die Schlussfolgerung, die auch Parncutt (2019: 12) zieht ist: „Deshalb sollte das Fliegen teurer gemacht werden (z.B. durch Kohlenstoffsteuern) und auf Notfälle und Lebensrettungsmaßnahmen beschränkt werden.10 An dieser Stelle muss auch noch einmal darauf hingewiesen werden, dass Deutschland das Fliegen immer noch durch das Nichterheben einer Keosinsteuer subventioniert (Wikipedia: Kerosinsteuer).
Disclaimer
Internet-Trolle freuen sich immer, wenn sie in Scoial-Media-Profilen von Aktivist*innen Bilder finden, die auf Langstreckenflüge hinweisen. Bei mir braucht niemand lange zu suchen, denn ich habe meine Flüge selbst bestens dokumentiert.
Dienstliche und private. Siehe Ich fliege nicht mehr. Dabei habe ich 45,3 t CO2 ausgestoßen. Wegen der Höhenwirksamkeit muss man diese Menge mit einem Faktor zwischen 2 und 3 multiplizieren. Ich habe also mittels meiner Flüge ein Zehntel zur Tötung eines Menschen beigetragen. Seit 2008 fliege ich privat nicht mehr und seit 2019 auch dienstlich nicht. So wird meine Schuld hier nicht größer.
Anhang: Berechnung CO2-Impact Berlin–Sydney
Parncutt (2019: 12) hat die 1000-Tonnen-Regel auch auf Langstreckenflüge angewendet. Er schreibt dazu:
A typical passenger jet carries 300,000 l of fuel and consumes 200,000 on a long flight, creating 500 tonnes of CO2 corresponding to 135 tonnes of carbon. That is about 1/8 of 1,000 tonnes, or 1/8 of a human life, according to the 1,000-tonne rule. Aircraft also emit other GHGs, and the high altitude at which the GHGs are emitted must also be considered. If the overall warming effect is at least twice the effect of the CO2 alone (Penner et al., 1999), a future person dies for every four long flights, on average. Therefore, flying should be made more expensive (e.g. by carbon taxes) and reserved for emergencies and life-saving projects.
Im Folgenden habe ich die Berechnungen anhand von konkreten Beispielen nachvollzogen. Ich habe dafür einen Billiganbieter (Scoot) ausgesucht. Billiganbieter sind meist effizient, da ihre Maschinen voll ausgelastet werden und der Sitzplatzabstand minimal ist. Der Flug geht über Singapur und man kann diese Details bei atmosfair eingeben. Man bekommt dann für Economy-Flüge und für Business-Class-Flüge folgendes Ergebnis für die von Scoot verwendeten Flugzeuge Boeing 787-8 und 787-9.
Scoot bestuhlt die Boeing 787-8 mit 18 Business-Class-Sitzen und 311 Economy-Sitzen (Sitzplan). Damit ergibt sich bei voll ausgelasteter Maschine ein CO2-Impact von 311 * 2,064t + 18 * 3,870t = 711,564 t für den Flug nach Singapur.
Für den Flug nach Sydney wird die größere Boeing 787-9 verwendet. Sie hat 340 Economy-Class-Sitze und 35 Business-Class-Plätze. Der CO2-Impact beträgt 1,174t bzw. 2,202t für Economy und Business-Class.
Für den gesamten Flug Singapur-Sydney sind es 340*1,174t + 35 * 2,202t = 476,23t. Die Berechnung für die gesamte Reise Berlin–Sydney ist nicht so einfach, denn in der Singapur-Sydney-Maschine sitzen auch Menschen, die nicht aus Berlin kommen, da die 787-9 ja größer ist als die 787-8.11 Rechnet man den Anteil der Berliner*innen aus, ergeben sich 417,812t. Insgesamt ergibt sich für Berlin–Sydney also ein CO2-Impact von 1129,376t. Für den Hin- und Rückflug ergeben sich 2258,752t. Diese entsprechen 610,474t Kohlenstoff.
Die 329 Menschen haben also 0,61 Menschenleben auf dem Gewissen.
Quellen
Bressler, R. Daniel. 2021. The mortality cost of carbon. nature communications 12(4467). 1–12. (doi:10.1038/s41467-021-24487-w)
Parncutt, Richard. 2019. The Human Cost of Anthropogenic Global Warming: Semi-Quantitative Prediction and the 1,000-Tonne Rule. Frontiers in Psychology 10(2323). 1–17. (doi:10.3389/fpsyg.2019.02323)
Vielleicht bin ich merkwürdig. Anders als alle anderen. Die Klimabewegung sagt seit einigen Jahren, die Ölkonzerne (konkret British Petrol) hätten sich die Sache mit dem individuellen CO2-Abdruck ausgedacht, um uns von den eigentlich wichtigen Sachen abzulenken. So gibt es zum Beispiel das folgende Video von Funk (Angebot von ARD und ZDF für 14-29jährige):
Das Video ist insgesamt gut, schaut es Euch an.
Für mich macht die Argumentation, wie man sie oft findet, jedoch keinen Sinn. Alle weisen darauf hin, dass man seinen CO2-Impakt nur begrenzt reduzieren könne und dass es doch besser sei, gegen die Energiekonzerne vorzugehen, die für den Teil verantwortlich sind, den wir selbst nicht beeinflussen können.
CO2-Fußabdruck: Was sagt er uns und ist er nützlich?
Ich habe schon einige Jahre den CO2-Rechner vom Umweltbundesamt benutzt und halte ihn für ein hervorragendes Werkzeug zur Veranschaulichung der Folgen des eigenen Handelns. Dabei ist klar, dass wir bestimmte Komponenten nicht komplett kontrollieren können. Wir benutzen einen bestimmten Anteil von Infrastruktur, der vom Staat für alle Bürger*innen gestellt wird und welche Art Energie diese benutzt bzw. wie effizient Gebäude gedämmt sind, können wir nicht direkt beeinflussen. Ob wir fliegen oder Auto fahren, wie wir Urlaub machen, können wir dagegen sehr wohl beeinflussen. Auch unsere Ernährung haben wir zu einem großen Teil unter Kontrolle. Der durchschnittliche CO2-Fußabdruck in Deutschland lag 2018 bei 11,6t. Meiner bei 5,69t. Man kann also durch bewusste Entscheidungen seinen CO2-Abdruck fast halbieren.
Die Abbildung zeigt die Bereiche, die wir zum Teil selbst beeinflussen können. Wohnen & Strom, Mobilität, Ernährung, Konsum. Bei mir sieht das so aus, dass ich in einem Passivhaus wohne (Heizung bleibt aus, in Kälteperioden wird es bis zu 19°, dann Pullover), Rad und Bahn fahre, nie fliege und außer Fotokram und gelegentlich Anziehsachen praktisch nichts konsumiere.
Wenn wir den Abdruck von Deutschland mal eben halbiert hätten, wären wir schon großartig. Und wenn nur ganz schnell ein Drittel weg wäre, wäre das auch schon gut. Nicht jede/jeder kann alles, aber alle können vieles.
Ich ärgere mich schon lange über Artikel über den CO2-Fußabdruckrechner. Auslöser für diesen Post war ein Artikel im Freitag, der von Klimaakativist*innen geteilt und gutgeheißen wurde: Wer rettet das Klima: Ich oder wir? Katharina Mau fragt:
Wäre der Klimawandel wirklich gestoppt, wenn nur alle Menschen auf Plastiktüten verzichten und auf Ökostrom umsteigen würden? Wie groß ist der Spielraum des individuellen Handelns? Und wo muss der Staat ran, und die Politik, um systemische Veränderungen anzustoßen?
Katharina Mau weist darauf hin, dass den größten Teil des CO2-Ausstoßes der Energiesektor zu verantworten hat und dass unser individueller Umstieg das Problem nicht komplett löst, weil verschiedene Industriezweige auf eben jene fossile Energie zurückgreifen. Da wir entsprechende Produkte kaufen, haben wir immer noch einen Anteil an diesem Ausstoß.
Selbst dann wären Industrie, Gewerbe, Handel und Dienstleistungen immer noch für drei Viertel des Stromverbrauchs verantwortlich. Vor allem muss sich also das System ganz grundsätzlich ändern.
Sie fährt fort:
Denn was noch dazukommt: Unser Stromverbrauch wird in Zukunft steigen. Autos sollen elektrisch fahren, Wärmepumpen unsere Häuser heizen, und grüner Wasserstoff, hergestellt mit Erneuerbaren, soll als Brennstoff für die Industrie bereitstehen. Der Think-Tank Agora Energiewende prognostiziert, dass sich der Stromverbrauch bis 2045 verdoppeln wird.
Was in Artikeln wie dem vom Freitag immer wieder passiert, ist, dass diverse schwarze Peter hin und hergeschoben werden. Industrie und Handel und Dienstleistungen sind für drei Viertel des Stromverbrauchs (nicht des CO2s wohlgemerkt) verantwortlich. Ja, prima! Aber der Punkt ist ja, dass wir unser Konsum reduzieren sollen. Das bedeutet, dass auch diese drei Viertel sinken. Wir brauchen mehr Strom für Autos? Nein, danke! Wir brauchen weniger Autos. Wir können unser Problem nicht lösen, indem alle, die jetzt einen Verbrenner fahren, dann ein E-Auto fahren. Das ist Wahnsinn und ineffizient. Schon der Bau dieser Autos würde für CO2-Ausstoß sorgen, den wir uns nicht mehr leisten können. Wenn weniger Autos benutzt werden, müssen auch nicht so viele hergestellt werden, weshalb „die Industrie“ auch weniger Energie und sonstiges braucht. Die Wärmepumpen brauchen zwar Energie, aber viel weniger als bei Verbrennung.
Natürlich kann und sollte auch jeder und jede Einzelne Strom sparen, indem sie das Licht aus- oder den Stand-by-Modus des Fernsehers abschalten: Laut der gemeinnützigen Beratungsgesellschaft co2online könnten wir über 15 Millionen Tonnen CO₂ einsparen, wenn alle Privathaushalte in Deutschland ihr Stromsparpotenzial voll ausschöpfen würden. Das klingt nach viel, es sind aber nur sieben Prozent von dem, was die Energiewirtschaft im Jahr 2020 verursacht hat.
Ehm. Ja? Wir müssen auf Null. Lieber heute als morgen! Was ist das für ein unglaublicher Unfug! Jeder, jede kann mit minimalem Aufwand zu Hause Energie sparen. Was soll dieser Öko-Whataboutism? Warum schreiben Öko-Redakteur*innen so etwas? Man sollte ihnen sofort ihr Gehalt um 7% kürzen. Freut den Verlag sicher und sie sollen sich nicht so haben!
Es geht weiter:
Wer also die Wahl hat, einen Nachmittag lang alle Glühbirnen durch Energiesparlampen auszutauschen oder auf die Straße zu gehen – ja, der sollte wohl lieber zu Plakat und Trillerpfeife greifen.
Was soll das? Wenn ich einmal meine Glühlampen austausche, allgemein sparsam mit Energie umgehe, sparsame Geräte kaufe, spare ich langfristig Energie ein. Zum Beispiel kann man seinen Wäschetrockner abschaffen. Der verbraucht einen Haufen Energie und ist unnütz, denn die Wäsche trocknet auch so. Tausende Generationen vor uns haben ohne Trockner gelebt. Wenn man die Lampen getauscht hat und jeweils sparsame Geräte kauft, braucht man keine weitere Zeit für ein sparsames Leben und kann Plakate malen und lostrillern.
Was hier gemacht wird, von Ökoredakteur*innen und auch von Öko-Aktivist*innen ist eine systematische Entlastung: Ej, ich geh ja zwei Mal im Jahr zu FFF demonstrieren, ich kann also super weiter SUV fahren, Energie verschwenden und tonnenweise Avocados essen (siehe unten). Nein! Kannst’e nicht! Privates ist politisch! Du bist für die Scheiße verantwortlich, die Du machst. Ja!
Flugscham. Ja, bitte! Und SUV-Scham gleich noch dazu
Womöglich markiert das Aufkommen des Begriffs „Flugscham“ jenen Moment, da die Diskussion über die Klimaschädlichkeit unserer Mobilität vollends zu einer moralischen wurde: Was, du fliegst noch?!? Oder umgekehrt: Was, ihr wollt den Leuten ihren wohlverdienten Urlaub in Mallorca madig machen?!? Hier kommt ein Vorschlag zur Versachlichung.
Der Sektor Verkehr innerhalb Deutschlands – also erst mal ohne internationale Flüge und Schiffsreisen – macht ein Fünftel der nationalen Treibhausgase aus. Etwa 60 Prozent dieser Emissionen verursachen Autos – Inlandsflüge nur 1,4 Prozent. Ja, das Flugzeug ist zwar das klimaschädlichste Verkehrsmittel überhaupt. Weil wir aber im Inland so viel Auto fahren und so wenig fliegen, fallen die Flüge kaum ins Gewicht.
Sag ich doch: Whataboutism! Das ist ja nur 1,4% (Die Zahl ist wahrscheinlich falsch, siehe unten). Dieselbe Art Argumentation findet man übrigens auch bei so Leuchten, die von der AfD beeinflusst sind: Deutschland produziert ja nur 2% des CO2. Vergessen wird dabei immer, dass wir nur 1% der Weltbevölkerung sind.
Der Punkt ist: Wir müssen auf Null. Das heißt, wir müssen uns überlegen, wie wir die 60% der Autos und die 1,4% der Inlandsflüge wegbekommen. Da man die Inlandsflüge einfach durch Bahnfahrten ersetzen kann, gibt es hier überhaupt nichts zu diskutieren. Das Flugbenzin ist übrigens staatlich subventioniert. Auch das sollte schleunigst abgeschafft werden.
Die Zahlen mit 60% scheinen mir auch falsch. Muss ich noch überprüfen.
Insgesamt kann man durch die Ernährung also einen relativ großen Einfluss auf den individuellen Klima-Fußabdruck nehmen. Aber: Ein schneller Kohleausstieg hätte eine viel größere Wirkung, als wenn einzelne Menschen sich vegan, regional und saisonal ernähren oder Bio kaufen. Die Stromerzeugung aus Kohle verursachte im Jahr 2020 123 Millionen Tonnen CO₂ – fast doppelt so viel wie die gesamte Landwirtschaft.
Zurück zur Avocado: 2018 wurden laut statistischem Bundesamt 94.000 Tonnen Avocados importiert. Nach Angaben des Umweltbundesamts hat ein Kilo Avocado einen CO₂-Fußabdruck von 0,6 Kilogramm Treibhausgase. Das macht etwa 0,06 Millionen Tonnen Treibhausgase für alle 94.000 Tonnen Avocados. So wenig? Ja, es handelt sich ja nur um eine kleine Einzelentscheidung. Die auch zeigt, worauf wir unsere Energie eher richten sollten, als mit dem Finger auf unsere Avocado-Toasts zu zeigen – zum Beispiel auf den Kohleausstieg.
94.000 Tonnen ergeben 56.400 Tonnen CO2? Und das CO2 ist noch nicht alles! Wasser! Der Avocado-Anbau ist extrem wasserintensiv: Für ein Kilogramm Avocados werden durchschnittlich 1000 bis 1500 Liter Wasser benötigt – etwa acht Mal so viel wie für ein Kilogramm Kartoffeln. Und das, obwohl Avocados in Chile oder Israel angebaut werden. Ich empfehle zum Thema Avocados den Artikel: Avocado: Wasserverbrauch und Umweltbilanz. In diesem Artikel wird außerdem auf die Lagerung und Reifung von Avocados und einigen anderen Wahnsinn eingegangen. Es werden Tipps zum Kauf von Avocados gegeben, wenn man denn dann überhaupt noch welche kaufen will.
Sind wir alle doof? Nee, oder?
Der Artikel endet so:
Wer seine mentale Energie mit Entscheidungen verbraucht wie „Bio in Plastikverpackung oder konventionell unverpackt?“, „Käse aus Brandenburg oder Sojaschnitzel aus Dänemark?“, darf sich ruhig mal ein Stück Sahnetorte beim Bäcker gönnen. Fünkchen auszupusten, während das Feuer daneben munter weiterbrennt, bringt uns nicht weiter. Vor allem, wenn wir darüber vergessen, den Eimer zu nehmen – und anzufangen zu löschen.
Wie ich oben gezeigt habe, kann man durch sein individuelles Verhalten den CO2-Fußabdruck um fast die Hälfte reduzieren. Ein SUV ist kein Fünkchen. Er ist klimatechnischer Wahnsinn. Lebensmittel und Blumen, die um die ganze Welt gekarrt bzw. geflogen werden, sind unsinniger Luxus. Flugreisen für ein Wochenende in Tallin sind unverantwortlich. Das Rockkonzert in London funktioniert nur wegen der Subventionen der Flugindustrie und wir müssen darum kämpfen, dass diese abgeschafft werden. Aber bis das passiert, sollten Individuen sich selbst aus Einsicht in die sich aus der katastrophalen Lage ergebende Notwendigkeit nicht mehr zum Spaß für eine Nacht nach London fliegen.
Menschen, die so etwas tun, obwohl wir noch ein CO2-Budget für drei Jahre haben, wenn wir das 1,5°-Ziel halten wollen, sind unverantwortlich und sollen sich wenigstens schlecht dabei fühlen. Davon ausnehmen kann man vielleicht Aktivist*innen, weil die hoffentlich in der Tat etwas bewirken. Was man aber immer bedenken sollte, wenn man solche Artikel verfasst, liest und preist: Es waren 1,4 Mio Menschen mit Fridays For Future auf der Straße. Vielleicht kann man 3 Mio Menschen zu denen zählen, die jemals irgendetwas für das Klima getan haben, politisch aktiv wurden. Die restlichen 80 Mio werden solche Artikel einfach als Rechtfertigung für ein Weiterso benutzen. Whataboutism.
Auch empfinde ich es als Beleidigung, wenn die Autorin davon ausgeht, dass wir intellektuell damit überfordert wären, uns dafür zu entscheiden saisonale, regionale, vegetarische oder besser noch vegane Produkte zu kaufen. Welche Früchte und welches Gemüse gerade lokal verfügbar ist, lernt man in der Schule oder der Domäne Dahlem, wo es herkommt und steht auf der Verpackung. Handelt man nach der Devise LeiderGeil, dann ist man eben Egoist. Da gibt es kein Vertun. Das ist dann so, als würde man im Krieg während eines Luftangriffs und Verdunklungsanordnung mit seinen Kumpels eine Party bei offenem Fenster und Festbeleuchtung feiern. Macht Spaß, aber nicht lange und auch für die anderen im Wohnblock nicht.
Ein Gerücht
So, ich setze jetzt mein erstes Gerücht in die Welt: Die These, dass der Fußabdruck schlimm sei und von BP benutzt wurde, um uns von der Energiewirtschaft abzulenken, wird massiv von einem Thinktank gepuscht, dessen Ziel es ist, uns alle zu beruhigen. Wir sollen glauben, dass das sowieso nur über die großen Stellschrauben gelöst werden kann, dass wir vielleicht mal richtig wählen müssten und ansonsten könnten wir einfach fröhlich weiter konsumieren, als gäbe es kein heißes Morgen.
Das habe ich mir komplett ausgedacht, aber wenn ich in einem solchen Thinktank arbeiten würde, würde ich mir das auch ausdenken. So. Gerücht. Verbreite Dich!
Handabdruck
Gestern habe ich vom Handabdruck als positiver Alternative zum Fußabdruck gelernt. Letztendlich ist das Ergebnis dasselbe: weniger Fleisch, nicht fliegen, weniger und kleinere Autos, wenn möglich, Auto stehen lassen und Rad fahren (geht auch auf dem Dorf), zum Bäcker laufen usw. Um reflektiertes Handeln kommen wir nicht herum.
Entschuldigung
Ich möchte mich bei Katharina Mau entschuldigen, denn dieser Blog-Post zerpflückt hauptsächlich ihren Artikel und wir sind ja eigentlich im selben Team. Ich habe Ihr Twitter-Profil gefunden und gesehen, dass sie sich mit Klimakrise und Psychologie beschäftigt. Ich habe von Psychologie keine Ahnung und wahrscheinlich ist genau das das mein Problem. Ich kann verstehen, dass es darum geht, Massen zu aktivieren und diese nicht durch Verbote abzuschrecken. Das ändert aber nichts daran, dass es Verhaltensänderungen in allen Lebensbereichen geben muss und zwar sehr schnell. Die Artikel, über die ich mich immer ärgere, sind falsch geschrieben. Vielleicht nur in Nuancen, aber so, wie sie jetzt sind, sind sie Entlastungen und für solche weitgreifenden Entlastungen haben wir nicht mehr genug CO2-Restbudget. Wie oben geschrieben: Wir sind im Krieg, die Flugzeuge sind in der Luft, wir müssen die Fenster schließen!
Disclaimer
Ej, ich bin auch nicht perfekt. Ich esse tierische Produkte wie Butter, Käse, Eier und Joghurt. Milch trinke ich praktisch keine mehr. Hafermilch geht für’s Müsli. Butter esse ich viel (ich weiß, die hat einen hohen CO2-Abdruck), die anderen Lebensmittel weniger. Schokolade und Käse kaufe ich nicht, esse ich aber gern. Der Punkt ist: Mir ist das klar und ich arbeite daran.