Diesen Brief habe ich an die Mitarbeiter*innen meines Instituts geschrieben, nachdem mich zwei Personen um die Genehmigung ihrer Flugreise nach Sizilien gebeten hatten.
Liebe alle,
Ich wurde von zwei Personen um die Genehmigung ihrer Dienstreise nach Sizilien gebeten. Die Reisen sind mit Flug geplant. Wie Ihr wisst, genehmige ich seit 2022 keine Reisen mit Flügen mehr (Flüge, CO2, Verantwortung und Mitschuld). Das bedeutet nicht, dass die Reisen nicht stattfinden können, denn andere Personen mit den entsprechenden Befugnissen können die Reise genehmigen. 2022 war ich stellvertretender Institutsdirektor. Ich habe damals meinen Entschluss mitgeteilt. Inzwischen habt Ihr mich zum Institutsdirektor gewählt. Ich möchte den Anlass nutzen, erneut ein paar Dinge zur Klimakatastrophe zu sagen und zu versuchen, mein Handeln zu erklären.
Die Klimakatastrophe ist da, es gibt kein CO2-Restbudget
In den Monaten von März bis Juni gab es wieder einen Hungerstreik. Mehrere Klimaaktivist*innen haben gestreikt, darunter die Mutter zweier Kinder. Wissenschaftler*innen von Scientist Rebellion haben solidarisch gefastet. Wolfgang Metzeler-Kick, Ingenieur für Technischen Umweltschutz, war insgesamt fast 100 Tage im Hungerstreik.
Wolfgang Metzler-Kick war bereit, Hungers zu sterben, damit vier Fakten in das Bewusstsein der Bevölkerungen dringen:
Der Fortbestand der menschlichen Zivilisation ist durch die Klimakatastrophe extrem gefährdet.
Der CO₂-Gehalt in der Luft ist viel zu hoch (0,42 ‰). Der Weltklimarat zeigt einen Weg (SSP1-1.9 “1,5°-Pfad”), mit dem die Menschheit die beste Überlebenschance hat.
Dieser Pfad hat einen Zielwert von 0,35 ‰ (bis zum Jahr 2150). Das bedeutet, es sind bereits jetzt hunderte Gigatonnen zu viel CO₂ in der Luft.
Wir müssen jetzt, wenn auch mit Jahren Verspätung, radikal umsteuern.
Die Hungerstreikenden waren in Kontakt mit den Scientists 4 Future und diese haben die vier Punkte der Hungerstreikenden überprüft und eine Aussage korrigiert. In ihrer Presseerklärung vom 06.05.2024 haben sie die vier Punkte, die oben aufgeführt sind, formuliert.
Die Scientists schreiben dazu:
Diese Feststellungen sind wissenschaftlich solide und vernünftig. Die Erderhitzung ist unzweifelhaft eine existenzielle Gefahr für die menschliche Gesellschaft, im Sinne nicht nur der angesprochenen „Überlebenschancen“, sondern eines menschenwürdigen Lebens und einer Lebensweise, die mit dem Erdsystem verträglich ist. Ebenso unzweifelhaft ist die Erderhitzung überwiegend die Folge des ungebremsten Verbrennens von Kohle, Gas und Öl, worauf die Energieversorgung der meisten Volkswirtschaften immer noch gründet. Letztlich tun die Regierungen der Welt zweifellos viel zu wenig, um die technisch mögliche und finanziell machbare Defossilisierung voranzutreiben.
Zur Einordnung: Scientists 4 Future ist eine Vereinigung von Wissenschaftler*innen, die zum Thema Klimawandel arbeiten und sich für eine entsprechende Politik engagieren. Es ist die Fakt-Checking-Organisation hinter Fridays for Future. Das Fachkollegium, das für die Presseerklärungen verantwortlich ist, besteht aus hoch angesehenen Professor*innen aus dem Klimabereich. Ein Gründungsmitglied ist zum Beispiel der Klimageograph und Vizepräsident für Forschung der Humboldt-Universität Prof. Dr. Christoph Schneider.
Noch mal im Detail: Was bedeuten diese vier Punkte? Der erste Punkt ist klar: Die menschliche Zivilisation ist in Gefahr. Zu dieser Zivilisation gehören Kunst und Kultur, gehören Sprachen. Sprachen, die Ihr liebt und erforscht. In Gesellschaften, die sich im Existenzkampf befinden, wird es dafür keine Ressourcen mehr geben. Der zweite Punkt ist: Wir sind bei 424 parts per million (ppm) CO2-Gehalt in der Luft. Wir müssen zu 350 ppm zurück. Ist es da schlau weiteres CO2 auszustoßen? Zumal nicht geklärt ist, wie das Rückholen von CO2 und die Speicherung von CO2 ohne mögliche Leckagen im Gigatonnen-Berich funktionieren kann.
Selbst wenn man – wie die IPCC-Szenarien – davon ausgeht, dass wir noch in einem gewissen Rahmen CO2 emittieren können, das wir dann eben zurückholen müssen, ist das Kontingent, das wir als Deutsche nach dem Pariser Abkommen für die Erreichung des 1,5°-Ziels noch hatten, seit diesem März aufgebraucht. Das zeigt der Sachverständigenrat für Umweltfragen in einer Veröffentlichung (SRU, 2024). Der Sachverständigenrat für Umweltfragen ist ein Gremium, das die Bundesregierung berät. Zu den sieben Personen in diesem Rat gehört seit 2016 Prof. Dr. Wolfgang Lucht (Physiker und Geographieprofessor der Bereiche Klimaforschung, Erdsystemanalyse und Nachhaltigkeitswissenschaft ebenfalls von der Humboldt-Uni und vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung).
Wenn aber selbst dieses Budget aufgebraucht ist und wir aber irgendwie leben müssen (essen, heizen, Kleidung, Bahn fahren, das Fahrrad reparieren), dann sollten wir wohl als Gesellschaft darüber nachdenken, was wirklich wichtig ist und was nicht.
Der letzte Brief, den ich Euch geschrieben habe, ist von 2022. Jetzt ist es inzwischen 2024. 2024 war der heißeste Sommer, der jemals gemessen wurde (afp, 06.09.2024). Der zweitheißeste war 2023. Die Scientists 4 Future kommen mit der Aktualisierung ihrer Demomaterialien gar nicht hinterher.
Dieser weitere Anstieg der Temperatur in den letzten beiden Jahren seit 2022 war verbunden mit vielerlei Katastrophen: Dürre, Hitze, Hunger, Fluten. Die Klimaveränderungen führen zum Einwandern von Arten in unsere Lebensbereiche. Zum Beispiel die Tiegermücke wird hier heimisch. Sie überträgt gefährliche Krankheiten wie das Dengue-Fieber.
Fliegen tötet
Bei einer Diskussion von Flugreisen im Jahr 2022 hatte ich auch Parncutt (2019) erwähnt, der berechnet hat, wie viele zukünftige Tote die Verbrennung von Kohlenstoff bewirkt. Seinen Abschätzungen nach führen 1000 Tonnen verbrannter Kohlenstoff zu einem vorzeitigen klimabedingten Toten (die 1000-Tonnen-Regel). 1000 Tonnen verbrannter Kohlenstoff erzeugen 3700 Tonnen CO2. Man kann also leicht ausrechnen, wie viele Menschen bei einem gewissen Flugaufkommen sterben werden. In diesem Jahr versuche ich, die taz davon abzubringen, touristische Flugreisen zu organisieren und zu bewerben (Gespräch in der taz). Bei den Gesprächen wurden die Zahlen von Parncutt in Frage gestellt. Im Zuge der Diskussion habe ich eine aktuelle Veröffentlichung von Pearce & Parncutt (2023) zum Thema gefunden, die die Argumentation ausbaut, und ich habe die Abschätzung eines Journalisten besprochen, der fand, dass Parncutts Zahlen und meine Berechnungen um Größenordnungen falsch liegen. Interessanterweise kam bei dieser Diskussion heraus, dass die Abschätzungen, auf die sich der Journalist bezog, in derselben Größenordnung liegen. Siehe Abschätzung der Tode, die wir durch unsere Treibhausgas-Emissionen verursachen. Das halte ich für eine gute Bestätigung dieser Abschätzungen. Als Ergebnis bleibt die Schlussfolgerung von Parncutt (2019):
Therefore, flying should be made more expensive (e.g. by carbon taxes) and reserved for emergencies and life-saving projects.
Sizilien liegt in Europa. Es ist mit dem Zug + Fähre erreichbar (Brouter: Berlin, München, Bologna Centrale, Siracusa, Noto, 32 Stunden mit Nachtzug von Bologna nach Siracusa). Sprachwissenschaftler*innen können in Zügen arbeiten. Es gäbe also keinen Grund zu fliegen. Wenn man es dennoch tut, kann man die Insel von oben sehen. Man kann die Katastrophe sehen, die man selbst gerade mit seinem Flug verstärkt:
In Sizilien gibt es die schlimmste Dürre seit 20 Jahren. Die Bauern schlachten ihre Tiere, weil sie nicht genug Wasser haben. Das Wasser wird für die Bevölkerung rationiert. Der Tourismus ist nicht betroffen. Die Konferenz wird in einem klimatisierten Hotel stattfinden. Es wird wunderbar. Man kann mit anderen Wissenschaftler*innen interessante Probleme besprechen. Das Essen wird sicher gut sein. Ein Salat mit Ziegenkäse vielleicht? Wenn die Konferenzteilnehmer*innen nicht rausgehen, werden sie auch nicht mit der unterversorgten Bevölkerung ringsum in Kontakt kommen. Sie werden nicht erfahren, dass die Bauern ihre Ziegen schlachten müssen und vielleicht in einigen Jahren der Ziegenkäse aus Deutschland importiert werden wird.
Wenn Ihr mit dem Flugzeug einschwebt, werdet ihr das vertrocknete Land sehen können und die leeren Wasserbecken. Achtet darauf! Ich möchte, dass Ihr Euch das für immer merkt! Dass Ihr es nie vergessen könnt.
Bin nur ich es, der das alles pervers findet?
Genehmigung von Flugreisen
Ich kann die aktuelle Situation nicht verdrängen. Ich beneide Euch darum, dass Ihr es könnt. Ich kann verdrängen, dass Ihr fliegt. Bitte erinnert mich nicht daran. Bitte treibt mich nicht in die Verzweiflung. Behaltet die Tatsache für Euch, bittet mich nicht um Genehmigungen. Macht das mit Eurem Gewissen aus. Ist es wichtig zu fliegen? Wofür? Muss ich diese Aktivität unternehmen, das schlimmste Umweltverbrechen, das man legal als Einzelperson begehen kann (Niko Paech 2019)? Und wenn Ihr die Frage mit Ja beantwortet, dann schämt Euch und sagt mir nichts davon und bittet mich nicht um Beihilfe. Ich werde nicht unterschrieben. Wenn Ihr mir dennoch schreibt, werdet Ihr eine Reaktion wie diesen Brief bekommen. Ihr werdet Daten und Fakten über Euer Reiseziel bekommen und ich werde Euch aufzeigen, wie Ihr gerade dieses Ziel mit Euren Aktivitäten zerstört. Sei es Vanuatu, seien es die Gebiete in Südamerika. Fragt mich nicht. Bitte!
Ich hoffe, dass der Tag kommen wird, an dem Ihr versteht, warum ich so handele, wie ich handele. Ich hoffe, dass er bald kommt.
Parncutt, Richard. 2019. The Human Cost of Anthropogenic Global Warming: Semi-Quantitative Prediction and the 1,000-Tonne Rule. frontiers in Psychology 10(2323). 1–17. (doi:10.3389/fpsyg.2019.02323)
Pearce, Joshua M. & Parncutt, Richard. 2023. Quantifying Global Greenhouse Gas Emissions in Human Deaths to Guide Energy Policy. Energies 16(6074). 1–20. (doi:10.3390/en16166074)
Ich habe an verschiedenen Stellen Parncutt (2019) zitiert, der die 1000-Tonnen-Regel aufgestellt hat, wonach 1000-Tonnen verbrannter Kohlenstoff einem zukünftigen Klimatoten entsprechen. In der Diskussion um die taz-Flugreisen habe ich mit vielen Menschen gesprochen oder gemailt. Es gab zwei Einwände gegen Parncutt (2019). Der erste ist ad hominem und im Prinzip als Argument unzulässig: „Richard Parncutt ist Musikologe und was hat das denn mit Klimafolgenforschung zu tun?“. Davon abgesehen, dass ad-hominem-Argumente unzulässig sind, hat Parncutt aber nicht nur Musikologie studiert, sondern Psychologie, Physik und Musik. Damit kennt er sich mit Fragen der menschlichen Wahrnehmung bestens aus und kann Modellierungen, Wahrscheinlichkeiten und mathematische Zusammenhänge verstehen. Er ist also jemand, der hervorragend für das Thema geeignet ist. In einer weiteren Publikation zu Treibhausgasemissionen und deren Folgen arbeitet er mit Joshua M. Pearce zusammen. Pearce ist Informatiker und einer der meistzitierten kanadischen Wissenschaftler (> 31.000 Zitationen, h-index: 86, google scholar-Profil).
Parncutt hat in seinem Aufsatz Berechnungen angestellt, wie viele Menschen sterben müssen, wenn eine bestimmte Menge CO2 ausgestoßen wird. Da niemand in die Zukunft schauen kann, handelt es sich bei seiner Berechnung um eine Abschätzung. Er hat als Grundlage ein 2°-Szenario angenommen. Unser Ziel als Menschheit ist, deutlich unter 2° zu bleiben (Pariser Abkommen) und sogar 1,5° anzustreben. Derzeit läuft es wohl auf 2,7° hinaus (climateactiontracker.org). Alle Berechnungen der Klimaforscher*innen sind mit Wahrscheinlichkeiten behaftet, weil sich Klimaentwicklungen nur mit Wahrscheinlichkeiten vorhersagen lassen. Wichtig ist, dass der Worst-Case überhaupt noch nicht bekannt ist und erforscht werden müsste, damit wir wissen, was im schlimmsten Fall passieren kann (Kemp, Xu, Depledge & Lenton 2022). In der Diskussion, ob die taz Flugreisen anbieten soll oder nicht, hat mich eine Mail erreicht, in der jemand Parncutts Berechnungen grundsätzlich in Zweifel gestellt hat. Er bzw. sie hat andere Abschätzungen zitiert und behauptet, dass diese in Größenordnungen auseinander liegen. Das wäre für meine Argumentation natürlich unschön gewesen, weshalb ich mir den Einwand genauer angeschaut habe.
Eine andere Abschätzung und ein Fehler?
Das war die Berechnung, die zeigen soll, dass Parncutt und ich in meinem Post Sind Fluggäste Mörder? falsch liegen:
16.482 Kilometer Luftlinie sind es von Frankfurt nach Sydney
Das sind 32.964 Kilometer hin und zurück
Wenn im Flugzeug 300 Menschen sitzen, entstehen insgesamt hin und zurück 300 x 32.964 KM = 9.889.200 Personen-Flugkilometer (PFKM)
Teilt man das globale Flugaufkommen (siehe 1.) von 3,8 Billionen PFKM durch die auf diesem einen Flug geflogenen PFKM dann kommt man auf einen Wert von 3,8 Billionen/9,8892 Mio = 384.257. Das ist das Äquivalent von Sydney-Flügen in den 2021 global geflogenen Jahres-Personenkilometern. Es ist also insgesamt weltweit pro Jahr so viel geflogen worden, wie 384.257 mal ein volles Flugzeug FRA-Sydney und zurück.
Sie sagen, der Sydney-Flug verursache insgesamt 0,61 vorzeitige Todesfälle. Setzt man das ins Verhältnis zum gesamten Flugaufkommen, würde das 0,61 x 384.257 = 234.397 vorzeitige Todesfälle insgesamt durch das globale Flugaufkommen 2021 bedeuten.
Der Flugverkehr trägt mit etwa 5 Prozent zur globalen Erderhitzung bei, das hatten Sie ja auch so gesagt. Damit trägt er dann wohl auch mit etwa 5 Prozent zur Zahl der Klimawandel-bedingten vorzeitigen Todesfälle bei. Das bedeutet, es müsste 20 mal so viele vorzeitige Todesfälle durch den Klimawandel insgesamt geben als jene, die auf den Flugverkehr entfallen, also 234.397 x 20 = 4.687.942, pro Jahr.
Wenn man bspw. den Zeitraum 2000 bis 2050 betrachtet, wären das also 4.687.942 x 50 = 234,3 Millionen vorzeitige Todesfälle in 50 Jahren.
Das sieht erst mal plausibel aus und wenn das so richtig wäre, dann wäre die Abschätzung von Parncutt und meine Berechnung für den Sydney-Flug um den Faktor 16,16 falsch.
Bevor wir uns die Details angucken noch eine grundsätzliche Frage an den Kritiker und die Leser*innen: Würde es für Sie einen Unterschied machen, wenn Sie mit einer Handlung einen Menschen töten würden oder wäre es weniger schlimm, wenn der Mensch erst stirbt, wenn Sie diese Handlung 16 Mal wiederholt hätten bzw. wenn die Handlung von 16 Personen parallel ausgeführt würde? Also: Egal, wie meine Erörterung im Folgenden ausfällt, wir können bereits jetzt festhalten: Fliegen tötet! Wenn Sie fliegen, töten Sie. Ja, Sie!
Berlin vs. Frankfurt und Umstiege
Ich nenne den Kritiker bzw. die Kritikerin im Folgenden K. In meiner Abschätzung hatte ich nicht den Flug von Frankfurt/Main nach Sydney berechnet, sondern den von Berlin nach Sydney. Es gibt keine Direktflüge vom BER sondern nur Verbindungen mit Zwischenstopp. Für meine Berechnung hatte ich einen Zwischenstopp in Singapur angesetzt. Es gibt noch Flüge über London oder Paris, aber die wären vom CO2-Ausstoß noch schlimmer. Ich hatte mir bei meiner Berechnung die Flugzeugtypen genau angeschaut und bin von maximaler Auslastung ausgegangen, als dem bestmöglichen Fall für das Klima. Damit wären es 329 Plätze und nicht 300. Die Entfernung von Berlin nach Singapur und von Singapur nach Sydney sind laut luftlinie.org 16.222,34 km. 16.222,34 * 2 * 329 = 10.674.299,72 Personen-Flugkilometer (PFKM). 3,8 Billionen PFKM / 10.674.299,72 ergibt 355.995 Flüge Berlin Sydney und zurück, statt wie in 5. 384.257. Multipliziert mit 0,61 ergibt 217.157 vorzeitige Todesfälle durch das gesamte Flugaufkommen in 2021. Mal 20 ergibt die CO2-Toten insgesamt: 4.343.142. Mal 50 die CO2-Toten in 50 Jahren laut K., also 217.157.102. K. hatte 234,3 Mio vorzeitige Sterbefälle ausgerechnet. Durch meine Korrektur der Flugdistanzen und der Personen im Flugzeug habe ich die Zahl der Toten schon mal um 17,1 Mio reduziert. Das waren Fehler, die durch Änderungen der Reise und der Auslastung der Flugzeuge entstanden sind. Man darf diese Größen aber nicht ändern, denn das Ziel von K. war ja, zu zeigen, dass die Größe 0,61 falsch war und diese Bezog sich auf den Berlin–Singapur–Sydney-Flug. Es gibt aber noch weitere, gravierendere Fehler.
2021 mal 50?
Begin der Abschätzung
K geht zurück nach 2000 und berechnet dann die Zahl der Toten, indem er die Zahl der Toten, die man aufgrund des CO2-Ausstoßes von 2021 erwarten würde, mit 50 multipliziert. Die Studie vom Weltwirtschaftsforum, die K. zitiert, ist von 2024 (Bishen & Glick 2024). Der Aufsatz von Parncutt, den ich zitiere, ist von 2019. K schreibt: „Wenn man bspw. den Zeitraum 2000 bis 2050 betrachtet, wären das also 4.687.942 x 50 = 234,3 Millionen vorzeitige Todesfälle in 50 Jahren.“ Das Zurückgehen in der Zeit funktioniert nicht, weil die Effekte des CO2s kumulativ sind. Das CO2 bleibt in der Atmosphäre und dadurch, dass es dort mehr wird, verstärken sich die Effekte. Die Temperaturen steigen, Dürren nehmen zu, Fluten nehmen zu, Hitzetote nehmen zu. 2000 war unsere Welt in Bezug auf die Klimaschäden noch viel weniger schlimm als heute. Parncutt macht Vorhersagen über zukünftige Tote, d. h. über Menschen, die sterben werden, weil sie immer größer werdenden Katastrophen zum Opfer fallen werden. Es sterben schon jetzt in manchen Jahren in Europa Zehntausende an Hitze, aber das wird noch zunehmen. Die Opferzahlen in den vergangenen 25 Jahren sind winzig im Vergleich zu dem, was noch kommen wird. Ich habe hier schon eine Seite mit Katastrophenberichten gesammelt. Das ist das, was wir jetzt haben. Bei ca. 1,2° + El Niño.
Abschätzung für 25 Jahre oder für 100–200 Jahre?
Die von K zitierte Studie geht von 14,5 Mio Toten bis 2050 aus (25 Jahre). Parncutt (2019) geht von Toten bis 2120–2220 („spread over one to two centuries“) aus. Ob man jetzt die 14,5 Mio Toten vervierfachen bzw. verachtfachen sollte, vermag ich nicht zu sagen. Dazu müsste man mehr über die Studien wissen und ins Detail gehen. Die Klimawissenschaftler*innen gehen davon aus, dass die Schäden, die wir jetzt anrichten, ihre Folgen noch sehr viel später entfalten werden. Auftauende Permafrostböden können kommen, dadurch, dass der Eispanzer auf Grönland schmilzt, kommt das Eis in tiefere Regionen, wodurch es schneller schmilzt usw. Das wird alles auch noch weitergehen, nachdem wir aufgehört haben zu emittieren.
Das CO2 ist in der Luft und verschwindet dort nicht so schnell. Die Rückholmaßnahmen sind teuer und noch nicht ausreichend entwickelt. Wer weiß, vielleicht kriegen wir es in den Griff, vielleicht nicht. Es ist alles andere als klar, wie das weiter läuft.
Ein wichtiger Punkt beim Zurückholen ist, dass wir dazu erneuerbare Energie benötigen, denn CO2-Entfernung ist energieintensiv und wenn wir nicht erneuerbare Energie verwenden würden, würden wir bei der Entfernung von CO2 gleich neues produzieren.
Real emittiertes CO2 bzw. hoffentlich sinkender Ausstoß
Wir sind dabei, den CO2-Ausstoß zu reduzieren. Bis 2050 will die Welt klimaneutral sein. Das heißt, wir werden in den kommenden Jahren immer weniger CO2 ausstoßen. Das bedeutet, dass die Anzahl der verursachten Toten mit dem sinkenden Ausstoß an CO2 abnimmt. Man kann also nicht einfach die Zahlen von heute bzw. 2021 mal 50 nehmen. Hier sind ein paar Szenarien aus dem IPCC-Bericht:
Die Grafik beginnt erst 2010. In den Jahren bis 2023 ist der CO2-Ausstoß aber bis auf die Corona-Delle immer angestiegen:
2021 ist der Höchstwert in der IPCC-Abbildung, also wären nach dem IPCC-Szenario alle Jahre vor und nach 2021 niedriger als der Wert von 2021, den K mit 50 multiplizieren wollte. Leider ist der CO2-Ausstoß nach 2021 noch nicht gesunken, sondern gestiegen. Um Ks Fehler zu reparieren, muss man die Flächen unter der Kurve ansehen bzw. einfach die bereits bekannten ausgestoßenen CO2-Mengen für die Berechnung verwenden. Nach den Angaben von statistica und IEA (2024) ist die Gesamtmenge des von 2000 bis 2023 ausgestoßenen CO2s 789,430 Giga-Tonnen. Pro Jahr wären das im Schnitt 32,893 Giga-Tonnen. K hat aber den CO2-Ausstoß von 2021 mit 50 multipliziert. 2021 war der Ausstoß 36,817 Giga-Tonnen. Für den Zeitraum 2000–2023 ergäben sich 24 * 36,817 = 883,608, also 94,178 Giga-Tonnen zu viel.
Wie die CO2-Emissionen in der Zukunft aussehen werden, wissen wir leider nicht genau. Parncutt geht von einem 2° Szenario aus, d. h. die CO2-Emmisionionen müssen sinken und es wird in Zukunft weniger emittiert als jetzt. Zur Korrektur von Ks Zahlen könnte man alles durch zwei teilen (die Fläche unterhalb der Kurve).
Wenn wir also den korrigierten Wert für die Toten oben nehmen und dann annehmen, dass der Wert unter der Kurve insgesamt die Hälfte an CO2 ist und also durch zwei teilen bekommen wir 217.157.102 / 2 = 108.578.551.
Nimmt man die 14,5 Millionen aus der Studie, die K angeführt hat, mal 8 (für 200 statt 25 Jahre), kommt man auf 116 Millionen. Das ist doch wunderbar nah beieinander, oder. =:-)
Ich würde es aber insgesamt eher so ausrechnen wie Parncutt. Der hat eine Abschätzung des bisher verbrannten Kohlenstoffs/Tote einer Abschätzung der Verbrennung allen verfügbaren Kohlenstoffs gegenübergestellt.
Dennoch: Wir sind bei unserem Rumgerechne bei denselben Zahlen rausgekommen und ich bin noch nicht fertig.
Eine wichtige Anmerkung zu einem wahrscheinlichen Denkfehler von K. In 8 hatte er die Toten in 50 Jahren ausgerechnet. Es geht nicht um Menschen, die innerhalb dieser Jahre sterben, obwohl auch jetzt schon Hunderttausende vorzeitige, kimawandelbedingte Tote zu beklagen sind (taz, Spiegel zu Hitzetoten), es geht um das in dieser Zeit ausgestoßene CO2, den verbrannten Kohlenstoff und die Toten, die das in der Zukunft wahrscheinlich jetzt schon bewirkt hat. Die oben erwähnten 789,430 Giga-Tonnen CO2 aus dem Zeitraum 2000–2023 entsprechen 213,359 Giga-Tonnen Kohlenstoff = 213.359.000.000 Tonnen. Wenn 1000 Tonnen verbrannter Kohlenstoff einem zukünftigen Toten entsprechen, dann haben wir in der Zeit von 2000 bis 2023 den vorzeitigen klimawandelbedingten Tod von 213.359.000 Menschen bewirkt. Dieser zukünftige vorzeitige Tod kann in der Zeit von 2000 bis 2023 gelegen haben, es kann aber auch einer der Tode sein, die noch kommen werden. Wie oben dargelegt, rechnet Parncutt mit den Toten innerhalb von 100–200 Jahren.
Unberücksichtigte Todesursachen bei Bishen & Glick (2024)
Die Studie von Bishen & Glick (2024) berücksichtigt laut ZDF-Meldung folgende Faktoren: „Die Studienautoren betrachten sechs zentrale Klimawandel-Folgen: Überschwemmungen, Dürren, Hitzewellen, tropische Stürme, Waldbrände und einen steigenden Meeresspiegel.“
Kriege
Dabei sind keine Kriege berücksichtigt. Es wird ziemlich sicher Kriege geben. Kriege um Wasser, Kriege um Anbaugebiete, kriegsähnliche Situationen bei Migrationsversuchen, bei denen viele Menschen sterben. Eine solche Situation gab es schon in Spanien (tagesschau 29.06.2022).
Indien, Pakistan und China hängen von denselben Wasserressourcen ab (Tibet). Alle drei sind Atommächte. Das sind die am dichtesten besiedelten Regionen der Welt. Magnason (2020) hat anschaulich darüber geschrieben.
Hans-Josef Fell zitiert immer die Studie von Spratt & Dunlop (2019) aus Australien:
Die hat ein Vorwort eines Admirals. Das Militär beschäftigt sich schon sehr lange mit den drohenden Klimakriegen.
Krankheiten
Ebenfalls nicht berücksichtigt wurden in der von K zitierten Studie die Toten durch Krankheiten. Durch die Klimaverschiebung werden z.B. hier in Deutschland Tiere heimisch, die Krankheiten verbreiten. Zecken kommen weiter in den Norden und auch die Asiatische Tiegermücke wird hier heimisch.
Die Asiatische Tigermücke ist in der Partymeile der deutschen Hauptstadt angekommen. Die eingeschleppte Art hat eine schwarz-weiße Zeichnung und ist für den Menschen nicht nur nervig. Sie kann auch Erreger wie Dengue-, Zika- oder Chikungunya-Viren übertragen. Durch die Klimaverschiebungen aufgrund der Erderhitzung fühlt sie sich zunehmend auch in Europa heimisch.
Parncutt berücksichtigt die Krankheiten sehr wohl:
Many different climate impacts could directly or indirectly lead to premature death or exacerbate existing rates of premature death from hunger or avoidable disease. Vector- and rodent-borne diseases including arboviral (dengue, chikungunya, West Nile, and malaria) may change their geographic distribution with climate change (temperature, extreme weather events, and seasonality) and environmental factors (land-use, ecosystems, deforestation, hydrology, and biodiversity); rodent population density and distribution are also affected by weather conditions (Apfel, 2007, p. 4). “(H)uman illnesses due to antimicrobial-resistant infections may become a major cause of death from infectious diseases worldwide by 2050” (UN Environment, 2019, p. 12). At the same time, food demands may increase by 50% (Searchinger et al., 2018).
Zwei Grad, drei Grad oder mehr?
Parncutt geht bei seinen Abschätzungen von 2° Erwärmung aus.
My focus will instead be on a single scenario in which GMST rises to 2°C above pre-industrial temperatures.
Pearce & Parncutt (2023) schreiben dazu:
For example, the increase in mortality caused by a global mean temperature increases from 1.5° to 1.6°C relative to pre-industrial temperatures will probably be less than the increase in mortality caused by raising global temperature from 2.5° to 2.6° C. The 1000-tonne rule applies to global warming of less than 2° C, and more work is needed to model possible non-linearities at higher temperatures.
Das bedeutet, dass die Katastrophen, die am Ende auf uns warten, wahrscheinlich noch einmal viel härter werden, als das, was Parncutt in seine Berechnungen einbezogen hat. Das bedeutet auch, dass Kipppunkte erreicht werden können, die dann zu wesentlich schlimmeren Zuständen führen. Etwas zugespitzt kann es sein, dass zehn Flüge einer taz-Reise (und die 200, die im Zusammenhang mit dieser Reise auf das Konto der taz-Werbung gehen, weil Flüge als etwas Normales beworben werden) dazu geführt haben werden, dass wir über die Klippe gehen.
Technology will fix it
Den Hunger haben wir im Griff. Menschen werden länger leben. Oder doch nicht?
K zieht die Argumentation grundsätzlich in Zweifel, weil unsere Lebenserwartung ja steigt:
b) Mein eigentlicher Punkt aber ist, dass es zu kurz greift, die Emissionen auf einzelne Konsum-Einheiten herunterzubrechen, wenn man in die Zukunft schauen will. Es ist ja gleichzeitig so, dass 1. viele Prozesse, die die Lebenserwartung und Gesundheit – also Summe gesunder Lebensjahre – stetig höher schrauben, weitergehen und sich beschleunigen und
Diese werden durch den Klimawandel wieder aufgehoben und entwickeln sich gerade in die andere Richtung. Ein Beispiel ist der Hunger. Es wurde behauptet, dass die Menschheit den Hunger in den nächsten Jahren in den Griff bekommen würde. Ich habe da mal nachgeschaut:
Diese Entwicklungen legen offen, dass die heutigen Ernährungssysteme nicht nachhaltig, ungerecht, nicht inklusiv und anfällig für Umweltschäden und die gefährlichen Folgen des Klimawandels sind. Auf der elementarsten Ebene sind diese Ernährungssysteme nicht in der Lage, alle Menschen mit ausreichend nahrhaften Lebensmitteln zu versorgen.
Der Kampf gegen den Hunger war in den letzten Jahren nicht mehr erfolgreich. Polykrisen machen alles kaputt. Die Katastrophe hat bereits begonnen.
Davon abgesehen, ist die Argumentation schräg: Weil wir unsere Lebenserwartungen erhöhen, können wir fliegen, denn das gleicht sich dann aus? Vielleicht würde ich gern länger leben und bin nicht bereit, meine potentielle Lebenszeit für den Urlaub weniger zu opfern? Wer entscheidet, dass ich früher sterben soll? Wer entscheidet, dass Menschen im Globalen Süden, die nie ein Flugzeug betreten haben, sterben sollen? K?
Anpassung! Wie wir uns nur zu gern einlullen lassen
K schreibt:
2. viele Prozesse weitergehen, die die Wahrscheinlichkeit, durch die Folgen der Erderhitzung vorzeitig zu sterben, verringern, u.a. durch Anpassung, wegen der bei steigender Bevölkerungszahl und schwerer werdenden Extremwetterereignissen relativ weniger Menschen zu Tode kommen als früher
Überschwemmungen
Ja, aber das ist ein Wettlauf in verschiedene Richtungen. Das Klimachaos wird immer schlimmer werden und die Frage ist, wie viel unsere Anpassungen nützen werden. Das Ahrtal ist hinüber, andere Regionen werden folgen. Große Teile der Welt sind dicht besiedelt. Wie will man die schützen? Wie will man die U-Bahn in Berlin und den chinesischen Großstädten schützen? Dort standen Menschen bis zu den Schultern im Wasser, weil alles geflutet wurde (Starkregen in China: Mindestens 12 Menschen sterben. 2021. tagesschau).
Ja, ich weiß: Schwammstadt. Wurde in Berlin gerade am Hegelplatz angefangen. Aber ansonsten dauert es mehrere Jahre eine Brücke zu sanieren und wir werden weltweit mit der Beseitigung von Schäden beschäftigt sein. Im Ahrtal sind die Schäden immer noch nicht behoben und schon gibt es die nächsten Fluten. Haben Sie mal versucht einen Handwerker zu bekommen? Bei zunehmenden Katastrophen wird das immer schwieriger werden. Und die Alterspyramide ist auch gegen uns.
Pakistan, 2022: 1700 Tote. 33 Mio Menschen betroffen. Ein Drittel des Landes unter Wasser. 30 Mrd US$ Schaden. Da is nix mit Schwammstadt. Arme Länder können sich nicht so schützen wie wir und mal ganz ehrlich: Wir können es auch nicht. Siehe oben.
Hitze: Tote Menschen
Und vor der Hitze kann sich die Menschheit nur bedingt schützen. Die Menschen in Togo zum Beispiel, die am Meer gewohnt haben. Im Beitrag Klimawandel in Togo kann man sehen, dass sie gar keine Betonhäuser mehr gebaut haben, weil sie vor dem Wasser zurückweichen. Ohne feste Häuser ist auch nichts mit Klimaanlage.
2003 kam der erste Hitzesommer in Europa mit 45.000–70.000 Toten (Wikipedia, Rahmstorf, 2022).
Gegen die Hitze kann man sich bedingt schützen, aber wir können nicht unser komplettes Leben klimatisieren. 2022 waren es 62.000–107.000 Hitzetote (Barcelona Institute for Global Health nach Reimer 2024, Rahmstorf, 2022). 2023 dann 47.690 (Reimer 2024). Es gibt Menschen, die im Freien arbeiten müssen (Polizei, Feuerwehr bei zunehmenden Waldbränden, Bäuer*innen, Forsterbeiter*innen). PD Dr. Susanne Koch von der Charité und Scientist Rebellion weist in Vorträgen immer wieder darauf hin:
Brüllaffen sind wie wir Primaten. Das sollte dem Letzten klarmachen, dass schon jetzt in einigen Regionen lebensfeindliche Bedingungen herrschen, an die die Natur sich nicht und wir nur mit technischem Aufwand anpassen können.
In Indien fallen die Vögel vom Himmel (rnd, 22.05.2022). Fische sterben massenhaft im Amazonasgebiet und in Lagunen am Mittelmeer (ZEIT online, 28.09.2023, taz, 12.08.2024). „Wassertemperaturen von 35 Grad töteten dort [in der Lagune von Orbetello am Mittelmeer] fast alles Leben.“ Wie sollen wir uns anpassen? Das Mittelmeer kühlen, das jetzt im Schnitt 28,9° warm ist (tagesschau, 16.08.2024)? Fischer*innen leben von diesem Meer. Wie sollen sie sich anpassen? Sollen sie in Bürojobs wechseln? Oder Bauarbeiter*innen werden und die Schäden der Katastrophe beheben? Sicher findet sich schon was …
Auch bei den Arten (Pflanzen und Tiere, ja, auch Bäume wandern, langsam) gibt es Wanderungen in Richtung Pole bzw. in höhere Regionen bzw. tiefer ins Meer. Aber das funktioniert nicht, weil es in der Biologie verschiedene Trigger gibt: Licht und Wärme. Wenn Futter und Beute auf andere Trigger reagieren, sterben Arten aus.
Ein Beispiel ist der Hering (Bolten 2021): Weil die Heringslarven sich im warmen Wasser früher entwickeln als das Plankton, das sie als Nahrung benötigen. Wegen dieser klimawandelbedingten Desynchronisierung brechen die Heringsbestände massiv ein:
„Damit wird klar, dass der Klimawandel bereits heute wirtschaftlich erhebliche Auswirkungen hat, nicht erst in 30 Jahren: Der Bestand ist nur noch halb so produktiv wie vor 30 Jahren“, erklärt Christopher Zimmermann, vom Thünen-Institut.
Und irgendwann können Arten auch nicht mehr höher auf den Berg oder tiefer ins Wasser, weil sie entweder ganz oben/unten angekommen oder nicht angepasst sind.
Der Biologe Dr. Mark Benecke erklärt Artensterben wie folgt: Wir machen gerade irreversibel Sachen kaputt. Die Arten sind ein Netz. Nahrungsketten. Man kann Teile eines Netzes zerschneiden. Es funktioniert dann immer noch einigermaßen. Aber wenn zu viel zerschnitten ist, crasht es irgendwann.
Die aktuelle Katastrophe und die Zukunft
Wir sind zur Zeit bei 1,2° + El Nino. Über Landmassen erwärmt sich die Erde doppelt so stark. Durch die Klimakatastrophe entstehen vermehrt so genannte Omega-Lagen, so dass Hitzeglocken länger an einem Ort stehen. Man kann sich vorstellen, was noch kommt. Auch wenn die Menschen selbst nicht sterben, so stirbt das Draußen. Und die Frage wird sein: Wollen wir so leben? Dann kommen Depressionen und Suizide (Heinz, Andreas, Andreas Meyer-Lindenberg, 2023).
Ansonsten bewundere ich Ks Optimismus. Das Wasser, das jetzt zusätzlich in der Luft ist, kommt irgendwo wieder runter. Wir hatten im Juli 2024 eine Gewitterzelle über Berlin. Die hat den Nordosten verwüstet. Es kam so viel Wasser in einem Rutsch runter, dass ich das gegenüberliegende Haus nicht mehr sehen konnte. So etwas habe ich noch nie vorher erlebt. Stefan Rahmstorf hat einen Artikel im Spiegel über Stürme geschrieben. Die Hurrikane kommen bei zunehmender Erwärmung der Meere auch nach Europa (Rahmstorf 2019).
K schreibt:
Das muss man, will man ein realistisches Bild haben, mit einkalkulieren. Menschen werden umsiedeln,
Wir werden sie erschießen oder im Meer ersaufen lassen (siehe Christian Jakob, 2024 zur Situation in Mauretanien).
K schreibt:
ihre Anbaumethoden umstellen, anders bewässern, ihre Häuser und Städte anders bauen, sich vor Hochwasser und Hitze schützen. Das wird nicht allen gelingen und man kann das alles nicht direkt gegeneinander rechnen, dafür sind die Dinge zu komplex.
Ja, es ist sehr komplex. Dafür gibt es dann Wahrscheinlichkeiten und Abschätzungen. Das hat Parncutt gemacht.
Für die Details empfehle ich die Lektüre des Artikels.
K weiter:
Aber trotzdem ist ihre Frage – „Wollen Sie, die 300 Sydney-Passagier, trotzdem fliegen, wenn Sie dazu 0,61 Menschen erschießen müssten?“ eine mir zweifelhaft scheinende Verkürzung.
Ich möchte das Grauen sichtbar machen. Das, was wir verdrängen. Selbst wenn wir nur 0,3 Menschen erschießen müssten oder nur 0,1, bleibt die Frage: Ist es das wert? Und wir kennen ja das Elend vor Ort. Man muss ja nicht mal von erschießen und sterben reden. Es reicht ja schon, das Leid zu kennen, das man (mit) verursacht. (Die Sache mit dem Erschießen habe ich als Gedankenexperiment aufgeschrieben: Fliegen tötet. Würdest Du es auch direkt tun? Ein Experiment)
Zwei Sachen noch:
1) Wir haben in der Wissenschaft noch nie über Worst-Case-Szenarien geredet. Niemand von den Klimawissenschaftler*innen will als Doomer gelten (Kemp, Xu, Depledge & Lenton 2022). Für unsere Entscheidungen sollten wir den Worst Case kennen. Das, was passieren kann, wenn wir Pech haben: den schlimmsten Fall. Wie gesagt: Alles in der Klimawissenschaft arbeitet mit Wahrscheinlichkeiten. Das ist es, worüber wir gerade reden und wie Niko Paech 2019 gesagt hat: Zu fliegen ist das größte Umweltverbrechen, das man als Einzelperson legal begehen kann.
Zusammenfassung
Zusammenfassung: Ks Zahl von 14,5 Mio liegt in der Größenordnung genau bei dem, was Parncutt sagt, nur dass die zitierte Studie viele Todesursachen nicht einbezieht. Aus Sicht der Autor*innen der Studie müsste es insgesamt also noch schlimmer sein. Eine Anpassung ist nur bedingt möglich, jedenfalls sicher nicht so, dass sich für die zukünftigen Generationen ein lebenswertes Leben ergibt. Deshalb müssen wir JETZT jeden erdenklichen CO2-Ausstoß vermeiden.
Fliegen tötet. Und zwar wahrscheinlich viel mehr Personen, als sich jede*r Fliegende eingestehen möchte.
Das Problem muss auf überindividueller Ebene gelöst werden. Das ist unter den gegebenen politischen Umständen nicht einfach, aber Firmen sollten keine Flugreisen organisieren oder bewerben, schon gar nicht, wenn das wie bei Leser*innenreisen von Zeitungen nicht zu ihrem Kerngeschäft gehört.
Heinz, Andreas, Andreas Meyer-Lindenberg & DGPPN-Task-Force „Klima und Psyche“. 2023. Klimawandel und psychische Gesundheit. Positionspapier einer Task-Force der DGPPN. Nervenarzt 94(3). 225–233. (doi:10.1007/s00115-023-01457-9)
Parncutt, Richard. 2019. The Human Cost of Anthropogenic Global Warming: Semi-Quantitative Prediction and the 1,000-Tonne Rule. frontiers in Psychology 10(2323). 1–17. (doi:10.3389/fpsyg.2019.02323)
Pearce, Joshua M. & Parncutt, Richard. 2023. Quantifying Global Greenhouse Gas Emissions in Human Deaths to Guide Energy Policy. Energies 16(6074). 1–20. (doi:10.3390/en16166074)
Spratt, David & Dunlop, Ian. 2019. Existential climate-related security risk: A scenario approach. Melbourne, Australia: Breakthrough – National Centre for Climate Restoration. (https://www.preventionweb.net/publications/view/65812) (Accessed April 4, 2021.)
Am 03.08. erschien in der taz ein Gespräch von Christian Jakob und mir über die Frage, ob die taz Flugreisen anbieten sollte. Ich denke, dass eine ökologisch orientierten Zeitung wie die taz keine Flugreisen organisieren und bewerben sollte, weil es dabei ein Glaubwürdigkeitsproblem gibt: Man kann nicht einerseits auf die Folgen des CO2-Ausstoßes hinweisen und andererseits eine Reise organisieren und dann ein Bedürfnis in potentiellen Konsument*innen wecken. Werbung für Flugreisen lässt diese als etwas Normales erscheinen, was sie nicht sind, denn wir müssen unseren CO2-Ausstoß auf Null bringen. Offiziell bis 2045, aber eigentlich eher heute als morgen, denn es ist bereist jetzt zu viel CO2 in der Luft.
Auf derselben Seite wie das Streitgespräch befindet sich ein Text von Bernhard Pötter, meinem Lieblings-taz-Autor, der viel über die Klimakrise schreibt, aber stets mit Humor. Ich schätze das sehr, denn ohne Humor wäre das alles nicht auszuhalten. Es gibt, glaube ich, bisher nur einen Text von ihm, der mir nicht gefällt, und das ist der vom 03.08. Ich werde ihn im Folgenden zerrupfen und die Einzelteile besprechen.
Los geht’s.
Ach ja, das Fliegen. Seufz. An keiner anderen Frage trennt sich heutzutage so die Spreu der Klimaschweine vom Weizen der Aufrechten. Ob jemand in ein Flugzeug steigt oder nicht, hat heute oft die Qualität einer Nagelprobe. Früher lauteten die entscheidenden Fragen: Beatles oder Stones? Katholisch oder evangelisch? Dortmund oder Bayern? Heute heißt es: Mit dem Flugzeug in den Urlaub oder nicht? Die Antwort sagt oft viel über den jeweiligen Menschen. Und leider meist nichts Gutes.
Das bagatellisiert die Geschichte irgendwie gleich im ersten Absatz. Beatles oder Stones ist egal. Beide gut. Katholisch oder evangelisch ist egal. Sich deshalb die Nase einzuhauen ist irre. Dortmund oder Bayern? Wie kann man eine Stadt mit einem Bundesland vergleichen? Mit dem Flugzeug in den Urlaub oder nicht? Tja, lieber Herr Pötter, die Realität ist die: Diese Frage wird nicht gestellt. Jedenfalls nicht von mir. Meine Prenzlauer-Berg-Freunde fliegen alle in den Urlaub. Auf einem Messaging-Kanal kamen mal Grüße aus Laos, woraufhin ich anmerkte, dass die Grüßenden, doch wenigstens so viel Umweltbewusstsein haben sollten, dass sie diese Grüße weglassen, wenn sie schon fliegen. Danach gab es einen Riesen-Shitstorm und zwar nicht gegen die Laoten, sondern gegen mich, wie ich es denn wagen könne, individuelles Verhalten zu kritisieren. Also: In meinem Umfeld fliegen alle fröhlich, als gäbe es kein Morgen und niemand stellt die Frage nach dem Fliegen. Es ist sogar klar, dass sie nicht gestellt werden darf. Würde sie gestellt, wären wir schon einen Schritt weiter.
Leider ist das aber auch überhaupt nicht das Thema des Streitgesprächs mit Christian Jakob und das Gesamtthema der Wochenend-taz, das groß auf der Titelseite angekündigt wurde, gewesen.
Bernhard Pötter lenkt vom Thema ab. Die Frage war nicht, ob man privat fliegen sollte, sondern vielmehr: Darf eine Firma Flugreisen organisieren? Konkret: Darf die Firma, für die Bernhard Pötter arbeitet, nämlich die taz, Flugreisen organisieren? Darf sie dafür werben? Darf sie ein Bedürfnis nach einer Flugreise (der beworbenen taz-Reise oder qua Normalisierung irgendeiner anderen Flugreise) erzeugen?
Wir sind bei 424 ppm CO2 und müssen zurück auf 350 ppm
Weiter im Text:
Denn entweder die Flugbegeisterte blendet alle ökologischen und sozialen Probleme aus, die der massenhafte Luftverkehr mit sich bringt. Oder der Fluggegner reklamiert für sich, den einzig wahren Weg zum Ökofrieden zu kennen. Weil er am Boden bleibt und vielleicht sogar dort klebt. Es gibt da keine Grauzone, keinen Raum für Kompromisse. Für die Lösung von Problemen ist das nie gut.
Sie haben es im weiteren Artikel geschrieben: Klimaverträgliches Fliegen ist zur Zeit und bis auf Weiteres nicht möglich. Wir müssen auf Null CO2-Emissionen kommen und danach mit dem Rückholen von CO2 aus der Atmosphäre beginnen. Es sind bereits jetzt hunderte Gigatonnen CO2 zu viel in der Luft. So steht es auch im IPCC-Report (SSP1-1.9 “1,5°-Pfad”). Der Klimaaktivist Wolfgang Metzeler-Kick war bereit, dafür zu sterben, dass sich das Wissen um diese Tatsache weiter in der Gesellschaft verbreitet. Die Statements der Hungerstreikenden wurden von den Scientists for Future bestätigt (Presseerklärung vom 06.05.2024).
Alles was wir jetzt weiter in die Luft pusten, müssen wir dann später zurückholen. Das Rückholen ist sehr energieaufwendig und kann sinnvoll nur mit erneuerbaren Energien erfolgen, weil man sonst sofort wieder neues CO2 emittieren würde.
Es ist ungefähr so: Wenn Sie mich zu sich nach Hause einladen würden (worüber ich mich jetzt ohne jeden Quatsch sehr freuen würde), würde ich ins Wohnzimmer gehen, wo hoffentlich ein Teppich liegt, und einfach draufpullern. Ich bin ein sehr großzügiger Mensch und würde die Reinigung auch bezahlen. Nicht nett? Unmögliches Benehmen? Aber das ist es, was wir gerade tun. Entweder wird die Pisse in den nächsten Jahren über Kompensationsprojekte entsorgt (falls die nicht Fake sind) oder wir heben uns das für später für die nächste Generation auf. Zwischendurch stinkt es halt ein bisschen. Vielleicht kacken wir auch ganz ab, wenn wir über die Kipppunkte kommen. Dann wird das Wohnzimmer komplett unbewohnbar. Aber einige von uns können dann vielleicht noch im Schlafzimmer weiterleben, das in Richtung Nordpol ausgerichtet ist.
Die Lösungen liegen auf dem Tisch (seit 2019 bzw. 2022)
Für die Lösung des Problems mit den Flugreisen gibt es inzwischen gute Vorschläge. Prof. Andreas Knie schlägt ein Kontingent von drei Flugreisenpaare pro Jahr pro Person vor. Wer weniger braucht, kann seine Anrechte verkaufen (Schier 2019). Die Kontingente werden dann mit der Zeit von drei auf zwei auf eins reduziert. Eine andere Idee habe ich bei einer Flughafenblockade von Scientist Rebellion zum ersten Mal gehört: exponentielle Besteuerung von Flugmeilen.
Dabei würde ich entstehende Schäden in beiden Varianten sofort einpreisen (860€2023 pro Tonne CO2, Umweltbundesamt 2024). Das Fliegen würde in jedem Fall sehr viel teurer werden. Subventionen (Kerosinsteuer, Unterstützung defizitärer Flughäfen) sollten sofort gestrichen werden.
Wir beide wissen, dass die Klimabewegung diese Sachen seit Jahren fordert. Wir wissen, dass sich bezüglich der Subventionen nichts ändert. Was soll man als Individuum tun? Was soll ich tun? Was können Sie tun? Ich wähle alle paar Jahre brav. Ich habe bei Scientist 4 Future eine Selbstverpflichtungsaktion für den Verzicht auf dienstliche Kurzstreckenflüge mitinitiiert und diese dann von Berlin/Brandenburg auch auf das Bundesgebiet ausgeweitet: #unter1000. Sie informieren, wie ja auch vorbildlich in Ihrem Beitrag, über die Schädlichkeit des Fliegens. Aber dann? Was dann? Was folgt? Wie kriegen wir die Subventionen weg? Was sollen Kompromisse? Soll ich mit meinen Prenzlauer-Berg-Freunden aushandeln, dass sie nur noch drei mal im Jahr eine Wochenendreise machen? Würde das das Problem der Flugreisen lösen? Noch mal zur Erinnerung: Wir müssen auf Null. Wie kann ein Kompromiss aussehen?
Es gibt eine Sache, die Teil der Lösung ist, die ich bisher nicht erwähnt habe: ein Werbeverbot für Fernreisen (Das habe ich schon 2019 gefordert: Verzicht und Verbote). So wie es Werbeverbote für Tabak und für Alkopops gibt, sollte es auch Werbeverbote für Flugreisen, SUVs und andere klimaschädliche und damit tödliche Produkte geben. Kann ich als Stefan Müller ein solches bundesweites oder gar europa- oder weltweites Werbeverbot irgendwo erreichen? Nein. Ich kann alle vier Jahre wählen, aber diese Zeitabstände sind viel zu groß und wer weiß, was die dann gebildete Regierung umsetzt.
Deshalb versuche ich nun, wenigstens die taz dazu zu bringen, keine Flugreisen mehr zu organisieren und diese dann eben auch nicht mehr zu bewerben.
Aber geht es hier darum, ein Problem zu lösen? Oder eher darum, recht zu haben?
Mir geht es darum, das Problem zu lösen. Ich arbeite seit 2019 an der Reduktion der Flugreisen im akademischen Bereich und gerade die Togo-Reise, wo man als Tourist die Opfer der Klimakrise besichtigen sollte, hat mich hart getriggert. Deshalb nun seit April der Kampf gegen die touristischen Reisen für Bildungsbürger*innen von der taz.
Für n bisschen Recht haben, wäre das wohl etwas viel Aufwand.
Gasheizungen und Whataboutismus
Bernhard Pötter schreibt weiter:
Vielleicht helfen ein paar Fakten: In Deutschland verursachen Flüge laut Statistischem Bundesamt und Öko-Institut pro Jahr etwa 28 Millionen Tonnen CO2– ungefähr 3 Prozent der Treibhausgase. Rechnet man alle Faktoren ein, dass Treibhausgase so weit oben in der Luft zum Beispiel noch stärker wirken als am Boden, machen diese Flüge etwa 10 Prozent des deutschen Beitrags zur Erderhitzung aus. Ganz schön happig für eine Aktivität, die zu großem Teil reiner Luxus ist: Zwei Drittel der Flugreisen in Europa und nach Übersee sind Urlaubsreisen.
Fliegen ist die klimaschädlichste Art der Fortbewegung, sie ist weltweit ein Luxus der Reichen und der wohl größte Hebel, mit dem man als Privatperson diesen Planeten ruinieren kann. Wir befinden uns mitten in einem Notstand und müssen schnell an allen möglichen Hebeln ziehen.
Aber Fliegen ist auch hochsymbolisch. Es ist zur Gretchenfrage geworden, ob es jemand ernst meint mit der Klimazukunft – oder ob er oder sie das Engagement nur heuchelt. Dabei hätten andere Themen mindestens genauso viel Aufmerksamkeit verdient.
Wer jetzt noch aus Trotz oder Unwissen die Entscheidung trifft, sich eine Gasheizung anzuschaffen, macht sein Leben sehr klimaschädlich, und das wahrscheinlich auf Jahrzehnte. Das Heizen von Räumen verursacht in Deutschland etwa 150 Millionen Tonnen Kohlendioxid jährlich. Das taugt den meisten Menschen aber anders als das Fliegen nicht für große Emotionen.
Sorry, lieber Herr Pötter, das ist Whataboutism vom Feinsten. Es tut natürlich besonders weh, wenn so etwas vom Lieblingsklimaautor kommt. Wie oft spricht man bei Partys darüber, was die Heizung so macht? Wie viele Städter können die Form ihrer Heizung überhaupt beeinflussen? Wenn sie in einem Miethaus wohnen? Die Entscheidung für eine neue Heizung fällt alle paar Jahre, die für Flugreisen vielleicht mehrfach im Jahr.
Und der wichtigste Punkt ist: Eine Heizung braucht man im Winter, eine Flugreise braucht man nicht. Wir haben in unserem Mehrfamilienhaus übrigens Erdwärme, Wärmepumpe und Solarthermie. Und natürlich würde ich das auch jedem und jeder erzählen, die mir von ihrer neuen Gasheizung berichtet.
Auch für mein Leben habe ich beim Reisen keine ideale Lösung. Ich hasse Fliegen. Ich finde es furchtbar, genervt mit anderen Genervten in langen Schlangen zu stehen, mich in einen unbequemen Sitz zu quetschen, schlecht zu essen und zu wissen, wenn etwas schiefgeht, hast du keine Chance. Wie vergleichsweise entspannend sind da die Nachtzüge und verspäteten ICEs mit verstopften Klos und verpassten Anschlusszügen.
Ach, ich fand’s ganz nett, als ich noch geflogen bin. 2017 bin ich sogar Business Class geflogen, weil ich sehr groß bin und die geringen Sitzabstände in der Economy Class eine Qual für mich waren. Das Essen war da ordentlich. Aber ganz im Ernst: Business Class ist noch schlimmer vom CO2-Impact und man sollte eben gar nicht mehr fliegen. Mein letzter privater Flug war 2008 und mein letzter dienstlicher Flug 2017. Zu einem eingeladenen Vortrag in Seoul. Seitdem fliege ich nicht mehr und habe das auch öffentlich gemacht: Ich fliege nicht mehr. Ich bin mehrfach mit Nachtzügen gefahren und das geht ganz gut.
Fliegen, Politik und Journalismus
Trotzdem sitze ich immer mal wieder im Flugzeug. Vor allem, wenn es zu Klimakonferenzen geht – und die hämischen Kommentare können Sie sich jetzt sparen: Jedes Champions-League-Spiel treibt mehr Menschen in ein Flugzeug als die Klimaverhandlungen der Vereinten Nationen.
Das hatte ich ja auch im Gespräch mit Christian Jakob gesagt: Journalist*innen und Politiker*innen sind die Ausnahme. Die taz hat ein gutes Netz von Auslandskorrespondent*innen und wenn jemand vor Ort ist, muss auch nicht viel geflogen werden. Fachjournalist*innen müssen zu wichtigen Ereignissen gelangen. Ob sie mit der grünen Außenministerin mitfliegen müssen, müssen sie bzw. Sie mit ihrem Gewissen ausmachen (Pötterer. 2024. Arbeiten mit Flugscham: Als ich neulich in Neuseeland war).
Und ja, selten steige ich auch privat ins Flugzeug. Um die US-Verwandtschaft mal wieder zu sehen. Um die Gastfamilien der Kinder in Lateinamerika zu besuchen. Aber viel öfter mache ich mich bei Freunden und Verwandten unbeliebt, wenn ich nicht für zwei Wochen nach Portugal oder zum Wochenende nach Mallorca mitkommen will. Und nach Stockholm, Oslo, Korsika und Toulon kommen wir auch gut mit dem Zug.
Vielleicht schauen Sie den Beitrag Sind Fluggäste Mörder? an und wägen noch einmal neu ab, ob die Interkontinentalflüge noch vertretbar sind. Es sieht so aus, als seien wir gerade auf die individuelle Ebene abgerutscht, aber das stimmt nicht, denn Sie sind als Journalist eine öffentliche Person. Sie bilden Meinung. Sie sind ein Vorbild. Sie sind die Beruhigungspille für meine Freunde aus dem Prenzlauer Berg. Wenn der Pötter als Ober-Öko das Fliegen OK findet, kann ich es auch machen.
Aktivismus, Framing und Vorbilder
Aber es geht ja ums große Ganze: oben oder unten? Und das ist schon Teil des Problems.
Denn die Idee, eine richtige Botschaft brauche ideale BotschafterInnen, ist so alt wie falsch. Das Ideal einer lebendigen Demokratie wird auch durch korrupte Politiker nicht erledigt, freie Medien bleiben ein hohes Gut, auch wenn sie Unsinn verbreiten. Yannick Seuthe, der „Bali-Flieger“, der als Mitglied der Letzten Generation einen Flug nach Thailand buchte und trotzdem Flughäfen blockiert, sagt zu Recht: „Ich muss kein perfekter Mensch sein, um für meine Grundrechte einzustehen.“
Das ist recht lustig, wenn einem der Medien-Profi erklärt, dass das eigene Verhalten im Kampf für ein Ziel keine Rolle spielt. Natürlich haben Sie im Prinzip Recht: Es geht um die Frage individuelles Verhalten und Veränderung auf gesellschaftlicher Ebene. Nur geht es andererseits auch um Glaubwürdigkeit. Die Bali-Geschichte, die ja eine Thailand-Geschichte war, war das größte PR-Desaster der Letzten Generation in der gesamten Zeit, die diese Bewegung existiert (seit 2021). Die Gegenseite wartet nur auf solche Fehler.
Ich habe 2021 eine Demonstration von Extinction Rebellion zur Wahltour der CDU fotografiert. Meine Agenturchefin rief mich extra an, um mir zu sagen, dass ich Bilder von Müll machen sollte, wenn irgendwo bei der Demo welcher liegen gelassen würde. Es gäbe Kunden, die dafür zahlen würden.
Der CO2-Ausstoß eines Thailandfluges ist der größte und für die Gegenseite beste Müll, den man als Einzelner produzieren kann (Niko Paech, 2019), aber das sagten Sie ja oben bereits selbst. Es geht um Framing. Das sollten Sie als Profi wissen. Die Gegenseite framet die Grünen (#veggiDay usw.) und die Klimas als Menschen, die anderen etwas vorschreiben wollen, aber selbst nicht entsprechend handeln. Das entlastet all jene, die verdrängen und klimaunverträglich handeln wollen. Schlussfolgerung: Wenn man sich politisch exponiert, muss man höhere Ansprüche erfüllen, als wenn man als Privatperson unterwegs ist. Das gilt für Außenminister*innen, die mal eben ein Nachtflugverbot aushebeln, um per Kurzstreckenflug zum Fußball zu fliegen (taz 05.07.2024) genauso wie für Klimaaktivist*innen, die eben nicht nach Thailand fliegen und auch keine Mützen vom Jeep Club South Africa aufsetzen sollten. Über letztere habe ich in No Logo? Logo geschrieben.
Und die ganze Frage stellt sich natürlich noch einmal auf der überindividuellen Ebene: Wie glaubwürdig wäre German Zero, wenn auf ihren Webseiten Werbung für RWE geschaltet würde? Wenn German Zero einen Teil ihrer Einkünfte aus Kohlegeschäften bekommen würde? Wie glaubwürdig wäre Changing Cities, wenn ein Teil ihres Budgets aus Verkäufen und Werbung für Porsche-SUVs stammen würde? Wenn das Drogenhilfsprojekt Fixpunkt e.V. einen Teil seiner Einkünfte aus dem Verkauf von Heroin bekommen würde? Sollten sie Förderern anbieten, mal gemeinsam mit den Junkies vom Bahnhof einen Tag zu verbringen und sich selbst Heroin zu spritzen? Als ultimative Experience, damit die Förderer des Elend nachvollziehen können? Wie glaubwürdig ist eine Öko- und Bewegungszeitung, wenn sie Flugreisen organisiert und bewirbt?
Politikverdrossenheit und moralische Standards bei Politiker*innen
Und noch als Letztes zu diesem Punkt: „Das Ideal einer lebendigen Demokratie wird auch durch korrupte Politiker nicht erledigt“. Glauben Sie das ernsthaft selbst? Ja, sicher wird das Ideal nicht erledigt, aber schauen Sie sich den Osten an, schauen Sie sich Gründe für Politikverdrossenheit an. Lässt es Sie kalt, wenn Scheuer unsere Steuergelder in den Sand setzt und nicht dafür zur Verantwortung gezogen wird? Dass niemand mehr zurücktritt? Egal wie groß das Vergehen ist? Dass viele, viele Politiker*innen Betrüger*innen sind, die in ihren Dissertationen plagiert, also Ideen und Textteile gestohlen, haben? Ist das nicht höchst frustrierend? Ja. Das schadet der Demokratie.
Die Unterscheidung in Gut und Böse, Kompromisse und die Lösung von Problemen
Weiter im Text:
Wenn man die Flugdebatte moralisch auflädt, lauern große Gefahren: Man geht den Anti-Öko-Narrativen auf den Leim, die Krawall wollen und die Unterscheidung in Gut und Böse. Diese Identitätsdebatte lässt keinen Raum mehr für die Suche nach echten Lösungen.
Ach so. Wo sollen wir denn suchen? Ich glaube, die Lösungen stehen alle oben. Sofortige Streichung der Subventionen. Werbeverbot. Hohe Preise oder Kontingente. Andere Lösungen sehe ich nicht und diese reichen ja auch völlig aus. Sie müssen jetzt nur umgesetzt werden. Wie kommen wir da hin? Über Argumentationen für diese Lösungen? Wie können die aussehen? Wie soll man denn argumentieren, wenn Moral keine Rolle spielen darf? Warum darf man „Du sollst nicht töten!“ nicht erwähnen? Und wieso darf ich keine Maximalforderungen stellen? Natürlich darf ich das! Der Kompromiss wird mit der Gegenseite ausgehandelt und deren Standpunkt ist, dass alles so bleibt, wie es ist. Es wurde übrigens schon einmal ein Kompromiss ausgehandelt: in Paris. Die Welt hat sich auf ein Klimaziel deutlich unter 2 Grad geeinigt. Davon sind wir aber derzeit weit entfernt (climateactiontracker). Zu fordern, dass wir jetzt selbst den Kompromiss vorschlagen, damit die Anti-Ökos uns lieben, ist schräg.
Statt auf sinnvolle Regulierung zu setzen, wollen die rechten Bremser in Union und FDP alles über angeblichen technischen Fortschritt („Technologieoffenheit“) lösen – und es dem Einzelnen überlassen, was er oder sie tut. Ähnlich individualisiert ist da von der Gegenseite die Forderung nach moralisch einwandfreiem Verhalten.
Das nämlich löst kein kollektives Problem, wie wir es beim Fliegen haben. Es löst nicht den Skandal des steuerfreien Kerosins, es bringt uns nicht internationalen Abkommen zur Besteuerung von Flügen oder dem Verbot von Privatjets näher. Es liefert keinen technischen Durchbruch bei der Entwicklung und massenhaften Produktion von klimaneutralen E-Fuels.
Ja. Bzw. Nein. Nein, doch nicht. Es gibt die individuelle Ebene und dann die politische Ebene. Wenn nun aber alle Deutschen oder alle Europäer oder einfach alle einsehen würden, dass Fliegen verwerflich ist und nicht mehr fliegen würden oder zumindest bereit wären, nicht mehr zu fliegen, wenn auch die anderen nicht mehr fliegen, dann wären auch entsprechende politische Reglungen leichter umsetzbar. Es gibt Studien, die zeigen, dass individuelles Handeln auch Änderungen in der Gesellschaft bewirken. Menschen machen, was Menschen machen. Deswegen ist auch unser individuelles Verhalten wichtig. (siehe Warum individuelle Verhaltensänderungen wichtig sind von 2022)
Politik und Individuen
Das geht nur über gute, alte, langweilige Politik, also über kollektives Handeln. Und für ein gutes Verhandlungsergebnis sind andere Dinge wichtiger als eine blitzblanke Moral der VerhandlerInnen.
Ja. Aber es ist wichtig, dass es viele Individuen gibt, die im Prinzip bereit sind zu solch kollektivem Handeln und dafür ist ein Bewusstseinsbildungsprozess wichtig.
Am Ende muss aber natürlich wenig bis gar kein Fliegen herauskommen, solange das nicht annähernd klimaneutral geht, das ist auch klar. Nur sollte das eben keine moralischen Höchstleistungen der einzelnen Menschen erfordern, sondern durch die richtigen Strukturen ermöglicht werden.
Genau. Ein Anfang wäre, dass die taz nicht mehr für Flugreisen wirbt und diese als etwas Normales darstellt. Ihr Artikel legt nahe, dass Fliegen zwar schädlich ist, aber auch touristisches Fliegen irgendwie trotzdem doch manchmal gerechtfertigt ist. Damit fliegen Sie nicht nur selber, Sie reduzieren auch die Gewissensbisse anderer. Wie viel Einzelne dann fliegen, liegt in deren Ermessen. Ganz prima FDP-mäßig. Dieser Artikel geht dann leider auch von Ihrem sonst hervorragenden Handabdruck ab.
Kulturkampf, politischer Kompromiss und Übergriffigkeit oder die Arbeit in einer Rüstungsfirma
Wer sich von Öko-Seite auf einen Kulturkampf einlässt, diskreditiert den politischen Kompromiss. Dann ist der Aktivismus nicht an einer Lösung interessiert, sondern will den anderen vor allem seine Art zu denken und zu leben aufdrängen. Das ist nicht nur übergriffig, sondern geht auch schief.
Nun ja. Siehe oben. Die Fakten sehen so aus: Fliegen tötet. Es tötet Schwache. Das ist die Grundlage für jede Abwägung. Wenn man in einer Rüstungsfirma arbeitet, die Waffen für Kriege herstellt, weiß man, dass man mit dem Tod anderer Menschen Geld verdient. Wenn man in einer Firma arbeitet, die Flugreisen organisiert, weiß man, dass diese Firma mit dem Tod anderer Menschen Geld verdient. Christian Jakob und auch Thomas Hartmann, der Chef der taz-Reisen, hat diese Tode gegen andere Vorteile wie Kontakt zwischen Völkern aufgewogen. Christian Jakob in dem in der taz dokumentierten Gespräch und Thomas Hartmann in einem Telefonat mit mir. Sie sind der Meinung, dass der Nutzen der Reisen höher ist. Wie viele Leben durch taz-Reisen gerettet werden, konnte aber bisher niemand abschätzen. Wie viele Menschen durch verbrannten Kohlenstoff sterben, wurde dagegen schon abgeschätzt. Es gibt die 1000-Tonnen-Regel, die besagt, dass für 1000 Tonnen verbrannten Kohlenstoff ein Mensch in der Zukunft vorzeitig stirbt (Parncutt 2019, Pearce & Parncutt 2023). 1000 Tonnen Kohlenstoff sind 3.700 Tonnen CO2. Ich habe mit dieser 1000-Tonnen-Regel berechnet, dass die Passagiere in einem voll besetzten Flug nach Sydney gemeinsam für den Tod von 0,61 Menschen verantwortlich sind. Fliegen tötet.
Die Gefahr dabei, wie oft in linken und ökologischen Bewegungen: Wir verkämpfen uns bis aufs Blut bei Details und lassen die großen Gegner dabei ungeschoren. Fürs Rechthaben sind manche bereit, den ganzen Laden niederzubrennen, statt zu sehen, wo eigentlich der Feind steht.
Ich sehe das sehr klar. Ich möchte nichts niederbrennen. Ich habe Stand heute 30.000€ in Form potentieller Genossenschaftsanteile für meine Öko-Zeitung besorgt. Sie muss nur einfach aufhören, tödliche Produkte zu organisieren und zu bewerben, dann bekommt sie das Geld. Ich erinnere hier noch einmal gern an das World Media-Projekt, aus dem die taz ausgestiegen ist, weil die Pariser Projektkoordination darauf bestand, Werbung für Aérospatiale, eine Militärfirma, zu machen (1992, taz ohne Rüstung).
Schluss
Nicht in ein Flugzeug zu steigen, ist eine ehrenhafte Weigerung, an der Klimakrise mitzuwirken. Das allein löst aber das Problem nicht. Dafür braucht es Allianzen. Und die werden durch moralischen Rigorismus eher schwieriger als einfacher. So kompliziert ist das. Ach ja, das Fliegen. Seufz.
Meinetwegen sollen alle fliegen, wie sie wollen. Ich diskutiere mit meinen Freunden darüber nicht, denn es ist genau so, wie Sie sagen. Als Gesellschaft sollten wir aber darüber diskutieren, was unser Handeln bewirkt. Und Moral ist dabei eine wichtige Kategorie. Ich bin deshalb sehr froh, dass das Thema wieder in der taz diskutiert wird. Wenn uns allen klar ist, was Flüge bewirken, dann sollte auch klar sein, dass die taz keine Flugreisen mehr anbieten darf. Schon gar keine nach Togo mit dem Ziel, Gründe für Migration zu verstehen.
PS: Smart move, die Reise nach Togo erst mal abzusagen. Bleiben aber noch die Reisen nach Marokko, Dschidda (Saudi-Arabien), Kuba und Vietnam.
Parncutt, Richard. 2019. The Human Cost of Anthropogenic Global Warming: Semi-Quantitative Prediction and the 1,000-Tonne Rule. frontiers in Psychology 10(2323). 1–17. (doi:10.3389/fpsyg.2019.02323)
Pearce, Joshua M. & Parncutt, Richard. 2023. Quantifying Global Greenhouse Gas Emissions in Human Deaths to Guide Energy Policy. Energies 16(6074). 1–20. (doi:10.3390/en16166074)
Zur Zeit bin ich stellvertretender Institutsleiter. Bisher war die Arbeitsverteilung so, dass ich Dienstreiseanträge, die die Institutsleiterin oder ihre Arbeitsgruppe stellt, unterschrieben habe. Vor Kurzem hat mich die Institutsleiterin gebeten, alle Dienstreiseanträge zu unterschreiben, weil sie mit der Leitung genug zu tun hat und weil die Aufgabenverteilung auch früher schon so war. Nun sehe ich plötzlich alle Reiseanträge, auch die Flugreisen. Ich habe lange über die Situation nachgedacht, konkret über die Genehmigung von Flugreisen seit Juni. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ich keine Flugreisen mehr genehmigen werde.
Konkret bedeutet das nur, dass die Institutsleiterin die Flugreisen genehmigen muss. Es ist keine totale Blockade von Flugreisen. Einziges Problem sind die Reisen der Institutsleiterin selber bzw. ihrer Arbeitsgruppe. Diese Reisen kann dann wahrscheinlich jemand, der hierarchisch über uns beiden steht, genehmigen. Also jemand aus dem Dekanat.
Laut Verfassung der Humboldt-Universität kann die Institutsleitung mit einer 2/3-Mehrheit im Institutsrat über alle Statusgruppen hinweg abgewählt werden. Das könnte in einer der nächsten Sitzungen passieren.
Nachtrag 14.06.2022: 1) Der Dekan hat mit mir gesprochen und versteht das. Ich bin nicht zurückgetreten oder abgewählt worden. 2) Die Kommission zu Flugreisen, die wir schon im Juni eingerichtet haben, hat getagt und ich bin optimistisch, dass wir für das Institut eine Lösung finden, die über die uniweiten Regelungen zu Flugreisen hinausgeht.
Details
Wir sind bei einer Erderhitzung von 1,2° gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter. Alle Gebiete auf der Erde sind bereits jetzt von unglaublichen Katastrophen betroffen. 180 Tote im Ahrtal, Schäden in Milliardenhöhe. 1300 Tote in Pakistan, ein Drittel des Landes überflutet, 33 Millionen Menschen mussten ihre Wohnungen verlassen (Wikipedia: Überschwemmungskatastrophe in Pakistan 2022). In China stehen Menschen nach Starkregen bis zum Hals eingeschlossen in U-Bahnen. Auch in New York flutet der Starkregen die U-Bahnen. Sturmschäden in Florida, Flüsse trocknen aus, Kraftwerke können mangels Kühlwasser nicht mehr betrieben werden, Ernteausfälle. Hungersnöte. In diesem Sommer sind 10.000 Menschen allein in Deutschland den Hitzetod gestorben, wie man anhand von Übersterblichkeitsstatistiken, die mit Hitzetagen korrelieren, nachweisen kann (taz, 22.08.2022). In Europa waren es 24.000 (taz, 07.10.2022) (Zu einer Übersicht über Katastrophen siehe Katastrophen. Im Quellenverzeichnis der Seite findet man Links zu Fernsehberichten.) Das ist das, was wir jetzt haben. Bei 1,2°. Die Wissenschaft geht davon aus, dass das 1,5°-Ziel nicht zu halten ist. Derzeit steuern wir auf 2,7° zu (Klimaforscher Prof. Lucht in der taz, 17.02.2022). Ganze Bereiche der Erde werden unbewohnbar werden, woraus sich Migrationsbewegungen und Ressourcenkriege ergeben werden.
Die Themenklasse Nachhaltigkeit der Humboldt-Universität hat sich mit den Reisen des wissenschaftlichen Personals der HU beschäftigt. Sie haben Vorschläge gemacht, wie mit Flugreisen umgegangen werden sollte. Keine Inlandsflüge, ein Flug pro Jahr pro Person (Appiah-Nuamah et al. 2021). Die Veröffentlichung ist von 2021. Inzwischen ist es 2022 und wir sind einen IPCC-Sachstandsbericht weiter. Was in diesem Bericht steht, ist erschreckend. 2020 blieben nur noch 400 Gt CO2-Ausstoß, wenn man das 1,5°-Ziel mit einer Wahrscheinlichkeit von 67% erreichen will. Bei 83% waren es nur noch 300 Gt.
Seitdem haben wir aber weitere 70 Gt verbraucht, d.h. es bleiben 230 Gt, wenn wir das 1,5°-Ziel mit 83%iger Wahrscheinlichkeit erreichen wollen (siehe Zu unserem CO2-Restbudget bzw. Sachverständigenrat Umweltfragen, 2022).
Svenja Schulze hat 2019, als sie noch Umweltministerin war, einmal gesagt, als sie auf die Restmenge CO2 angesprochen wurde: „Unter diesen ganzen Tonnen und so kann sich doch keiner was vorstellen.“ (Kontraste, ARD, 30.09.2019). Um zu zeigen, was diese ganzen Tonnen bedeuten, kann man die Restmenge unter allen Menschen aufteilen. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen, ein Gremium aus Professor*innen, das die Bundesregierung berät, hat das gemacht und kommt auf 24t pro Person bei einer Wahrscheinlichkeit für 1,5° von nur 67%. (Es gibt mehrere Berechnungsmöglichkeiten. Das ist hier schon eine der günstigeren. Historisch gesehen, haben wir schon alles verbraucht. Zu den Details siehe Zu unserem CO2-Restbudget bzw. Sachverständigenrat Umweltfragen, 2022). Da wir als Deutsche einen durchschnittlichen Ausstoß von 11t pro Jahr haben, heißt das, dass in weniger als drei Jahren unser Restbudget aufgebraucht sein wird.
Vor diesem Hintergrund muss man nun das Fliegen betrachten. Unser CO2-Restbudget ist praktisch aufgebraucht und für Interkontinentalflüge ist kein Budget mehr vorhanden. Zur Kompensation habe ich in Dienstliche Flüge und CO2-Kompensation u.a. Folgendes geschrieben: Wir stehen kurz vor dem Erreichen von Kipppunkten, so dass es nicht angeht, das CO2 auszustoßen mit dem Versprechen, es in ein paar Jahren durch Projekte wieder einzusparen (atmosfair verspricht Projektumsetzung innerhalb von zwei Jahren). Wir müssen als Gesellschaften jetzt radikal umsteuern und dazu gehört eben auch, nicht mehr oder sehr viel weniger zu fliegen.
Parncutt (2019) hat in seinem Aufsatz in frontiers in Psychology die 1000-Tonnen-Regel aufgestellt, nach der 1000 Tonnen verbrannter Kohlenstoff einen Klimatoten bedeuten. Das heißt, dass wegen einem Flug von Berlin nach Sydney 0,61 Menschen sterben. Bei zwei solchen Reisen (oder mehreren kleineren Reisen) sind die 329 Passagiere also gemeinschaftlich für den Tod eines Menschen verantwortlich.
Vor drei Jahren haben Monika Schäfer, Gisbert Fanselow und ich eine Selbstverpflichtungskampagne für den Verzicht auf Kurzstreckenflüge gestartet und an der HU haben sich 21,4% der wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen verpflichtet, Strecken, die unter 12h mit der Bahn zu bewältigen sind, nicht mehr zu fliegen. Seit dem hat sich einiges getan. Die HU hat zwei Klimamanager*innen, es gibt eine Klimasteuerungsgruppe, es gibt die Empfehlungen der Nachhaltigkeitsklasse, aber es gibt leider immer noch keine Änderung der Reisebestimmungen der HU. Diese sind nach dem Bundesreisekostengesetz gestaltet, so dass sich an dieser Stelle wahrscheinlich erst etwas ändern wird, wenn das Bundesreisekostengesetz angepasst wird.
Moral und Weigerung
Nachdem ich meinen Kolleg*innen mitgeteilt habe, dass ich keine Flüge mehr genehmigen werde, bekam ich von einer eine Antwort, in der stand, dass das gar nicht ginge, denn rechtlich könne ich nur solche Reisen nicht genehmigen, die gegen dienstliche Interessen verstoßen würden.
Der Punkt hier ist kein rechtlicher, es ist ein moralischer. Ich kann es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, dass durch mein Handeln Menschen zu Tode kommen. Mein letzter privater Flug war 2008. Mein letzter Interkontinentalflug war 2016 nach Seoul, mein letzter innereuropäischer Flug 2017. In Seoul war ich eingeladener Sprecher auf einer Computerlinguistikkonferenz und habe zwei Vorlesungen gehalten. Es war eine schöne Reise und wichtig für den Lebenslauf. 2017 bin ich nach Oslo geflogen, um dort zwei Tage lang Anträge für Forschungesgelder zu besprechen und zu bewilligen. Eine verantwortungsvolle Tätigkeit und ebenfalls wichtig für den Lebenslauf. (Und die Lebensläufe vieler Sprachwissenschaftler*innen in Norwegen.) Im August 2019 habe ich nun beschlossen, überhaupt nicht mehr zu fliegen. Weder privat noch dienstlich (siehe Ich fliege nicht mehr). Die Abwägung der Vorteile (für mich) und Nachteile (für andere) hat ergeben, dass Flüge nicht zu rechtfertigen sind. Ein Vortrag über eine tolle Theorie vs. eine hungernde Familie, ein weggerissenes Haus, ein Mensch, der bis zum Hals im Wasser in einer gefluteten U-Bahn steht?
Durch die neue Konstellation im Institut bin ich jetzt in die Lage gekommen, dass ich, obwohl ich nicht selbst fliege, dafür verantwortlich bin, dass andere fliegen. Diese Verantwortung lehne ich ab. Ich bin nicht bereit, sie zu übernehmen. Wenn ich damit gegen Gesetze verstoße, dann ist das so. Ich kann nicht anders handeln.
Einige Beispiele dazu, die in ihrer Dimension und teilweise den Auswirkungen für die Betroffenen verschieden sind, aber verdeutlichen, wie Menschen in großen Apparaten handeln oder nicht handeln oder entgegen allgemeinen Erwartungen handeln.
Menschen, die nicht tun, was sie sollen / die tun, was sie nicht sollen
Todd Smith ist Pilot, d.h. er war Pilot. In Großbritannien. Dort muss man die Piloten-Ausbildung selbst bezahlen und er hat sein gesamtes Gehalt, das er in fünf Jahren verdient hat, und das Geld, das seine Großmutter durch den Verkauf ihres Hauses bekommen hat, in die Ausbildung zum kommerziellen Piloten gesteckt. Die Großmutter ist bei ihnen eingezogen. Wegen einer Magenentzündung konnte er nicht fliegen und sein Arzt hat ihn dazu überredet, auf Fleisch zu verzichten. Er hat sich dann mit Veganismus beschäftigt und von da war es nicht weit zu den Klimafakten. Das Ergebnis war, dass er seinen Beruf an den Nagel gehängt hat und Klimaaktivist geworden ist. Hier, in einem Bericht der Deutschen Welle, kann man die Details nachlesen.
He still loves flying and misses being up in the skies. But he won’t return until the industry takes its obligations seriously. In the meantime, he plans to continue honoring his own.
„As pilots, we’re trained to think, free from bias, to mitigate risks, to preserve life. I’m simply following my training and trying all that I can to get the industry to mitigate its risks. After all, safety is our No. 1 priority.“
In Frankreich gab es Polizisten, die Jüd*innen vor Razzien der Deutschen gewarnt haben, obwohl sie den Befehl der Regierung hatten, den Deutschen zuzuarbeiten und die Deportationen in Konzentrationslager zur Ermordung zu unterstützen. Sie haben unter Einsatz ihres eigenen Lebens viele Menschen vor den Gaskammern gerettet. Dennoch tat sich die Polizei lange schwer damit, Polizisten zu ehren, die eigenmächtig gehandelt und gegen Befehle verstoßen haben. Heute dienen sie als Beispiele für die Gewissensbildung der Polizei (taz, 18.07.2022).
Ich bin Pazifist. Ich war bei der Armee, weil im Osten Verweigerung Gefängnis und den Ausschluss vom Studium bedeutet hätte, aber ich hätte niemanden erschossen. Nur mich selbst. In meiner Anverwandtschaft gab es einen Mann, der im zweiten Weltkrieg in Norwegen war. Er sollte norwegische Partisan*innen erschießen und hat sich geweigert. Daraufhin wurde er selbst erschossen. Seine Familie hat in der Nachkriegszeit in Westdeutschland nie darüber gesprochen, weil sie es für eine Schande hielten, dass ihr Sohn, Bruder, Onkel den Befehl verweigert hat. Ich denke, die meisten Menschen sehen das heute anders.
Schlussfolgerung
Alle, die die Klimakatastrophe in ihrem gesamten Ausmaß verstehen (George Monbiot (2022) spricht von weniger als 1% der Weltbevölkerung), werden verstehen, dass ganz anders gehandelt werden muss. Aus diversen Gründen handelt die Menschheit aber nicht adäquat. Wie Parncutt bereits 2019 schrieb, sollte nur noch in Notfällen geflogen werden (S. 12). Ich habe mich deshalb entschlossen, keine Flüge zu genehmigen. Wenn das Institut einfach weiter machen möchte, wie bisher, muss es mich abwählen oder die Anträge anderweitig genehmigen lassen.
Quellen
Appiah-Nuamah, Maame & Berner, Richard & Gipp, Antonia & Hohmann, Theresa & Nöfer, Johannes & Pätzke, Franka & Prawitz, Hannah et al. 2021. Wissenschaftliches Reisen: THESys Humboldt-Stipendium Themenklasse Nachhaltigkeit und Globale Gerechtigkeit 2020/2021. Humboldt-Universität zu Berlin. (doi: 10.18452/23298)
IPCC, 2021. Zusammenfassung für die politische Entscheidungsfindung. In Beitrag von Arbeitsgruppe I zum Sechsten Sachstandsbericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen [Masson-Delmotte, V., P. Zhai, A. Pirani, S.L. Connors, C. Péan, S. Berger, N. Caud, Y. Chen, L. Goldfarb, M.I. Gomis, M. Huang, K. Leitzell, E. Lonnoy, J.B.R. Matthews, T.K. Maycock, T. Waterfield, O. Yelekçi, R. Yu, and B. Zhou (eds.)] (ed.), Naturwissenschaftliche Grundlagen. https://www.de-ipcc.de/media/content/AR6-WGI-SPM_deutsch_barrierefrei.pdf.