taz-Reisen auf dem persönlichen Level

Lieber Herr Hartmann,

Vor nun fünf Monaten, Mitte April 2024, habe ich auf Mastodon einen Thread begonnen und der taz einen Brief geschrieben. Die ganzseitige Werbung für Flugreisen, mehrmals in der Woche, konnte ich einfach nicht mehr ertragen. Der Gipfel war die Werbung für eine Flugreise nach Togo, mit der man mit Menschen vor Ort über die Gründe für ihren Migrationswunsch reden konnte.

Anzeige für Reise nach Togo in der taz vom 18?.04.2024

Jeder, der das möchte, kann sich über die Gründe für Migrationswünsche bei der Bundeszentrale für Politische Bildung informieren und dieses kurze Video über Klimawandel und Togo ansehen:

fluter, 15.03.2023: Klimawandel in Togo: Die Frage nach Gerechtigkeit „Der steigende Meeresspiegel nimmt Lomé, der Hauptstadt Togos, etwa einen Meter Strand pro Jahr – und den Menschen die Lebensgrundlagen.“

Wenn Sie behaupten, ein Besuch vor Ort wäre nötig, um die Katastrophe zu verstehen, dann stellen Sie taz-Leser*innen in Bezug auf ihre Empathiefähigkeit und ihren Intellekt ein Armutszeugnis aus. Ich fühle mich durch dieses Argument beleidigt. Ein taz-Leser merkte im Leserbrief an: Man würde ja auch nicht nach Gaza fliegen, um dort den Krieg und das Leid zu verstehen (taz, 10.08.2024). Nein, das müssen wir nicht. Wir haben eine gute Zeitung, die uns informiert.

Am 30.04. haben wir miteinander telefoniert. Ich habe danach auf Mastodon geschrieben:

Es ist immer blöd, wenn man die netten Menschen, die so was organisieren, persönlich kennenlernt. Dann kann man nicht mehr so gut ranten. =:-) Aber ich finde das mit den Flugreisen immer noch falsch.

Tröt auf Mastodon, 30.04.2024

Ihre Argumente für das Fliegen fand ich damals nicht überzeugend. Die Leserbriefredaktion hatte meinen Brief ins Haus weitergeleitet. Ich hatte die Unterstützung von 20 Personen versprochen, die neue Genossenschaftsanteil von jeweils 500€ für insgesamt 10.000€ erwerben, wenn die taz die Flugreisen einstellt. Auf diesen Brief bekam ich nie eine offizielle Antwort. Die Werbung für Flugreisen ging weiter. In hoher Frequenz. Mal ganzseitig, mal als Lückenfüller.

Werbung in der taz für eine Flugreise nach Saudi-Arabien, 24?.04.2024

Am 21.06.2024 habe ich dann einen nachdrücklichen Brief an die Chefredakteurin Ulrike Winkelmann, die Ökoredakteur*innen und die Leitung der taz-Genossenschaft geschrieben. Da es mit Genossenschaftsanteilen (Zuneigung) nicht geklappt hatte, wollte ich es mit dem Entzug der Zuneigung probieren: Reduktion politischer Abos, Kündigung von Genossenschaftsanteilen. Und zwar nicht nur durch mich, sondern durch mein gesamtes Netzwerk (Mastodon-Follower und Bekannte von Scientists4Future). Da die taz-Klima/Wirtschaftsredaktion den Flugreisen auch skeptisch gegenübersteht, kam es dann zum Gespräch mit Christian Jakob, dem Organisator der Togo-Reise und mir, das auch in Auszügen in der taz abgedruckt wurde (taz, 03.08.2024).

Die Genossenschaft hatte sich nie bei mir gemeldet und ich habe erst bei dem Gespräch in der taz erfahren, dass ich als Genossenschaftler eine Möglichkeit habe, Dinge wie die taz-Reisen zu beeinflussen. Ich habe also direkt nach dem Gespräch einen entsprechenden Antrag gestellt.

Am 14.09. fand die Genossenschaftsversammlung statt und Sie haben mich auf einem persönlichen Level angegriffen. Ich möchte Ihnen also auf einem persönlichen Level antworten. Gnadenlos.

Ich wurde gefragt, ob denn eine solche Antwort noch nötig sei, da die Abstimmung ja gewonnen wurde. 54,4% (339 Personen) der abstimmenden taz-Genossinnen waren für ein Ende der Flugreisen, 37,4% waren für das Weiterführen (233 Personen) und 8,2% haben sich enthalten (51 Personen). Dieser Brief richtet sich also nicht nur an Sie, sondern auch an die Personen, die Ihrer Argumentation gefolgt sind bzw. sich enthalten haben (284 Personen).

Ad-hominem Argumente und das persönliche Level

In der Diskussion meines Antrags auf Einstellung der Flugreisen haben Sie Folgendes gesagt:

Ich halte den Ansatz von Stefan Müller aber auch für falsch, er wird der Komplexität der Problematik nicht gerecht, er dient vor allem der eigenen Bestätigung, dass man etwas macht und auf der richtigen Seite steht.

Thomas Hartmann in der taz-Genossenschaftversammlung am 14.09.2024 zum Thema Flugreisen

Das ist eine so genantes ad-hominem-Argument. Diese richten sich gegen Personen anstatt auf der Sachebene zu argumentieren und sind in wissenschaftlichen Argumentationen unzulässig.

Wikipedia stellt die abstrakte Form solcher Argumente wie folgt dar:

Schlussschema bei ad-hominem-Argumenten nach Wikipedia

Die zweite Prämisse ist für den Schluss irrelevant, weshalb das Schema kein gültiges Schlussschema ist. In der Politik ist es mitunter wichtig, zu schauen, wer spricht. Wenn jemand für die Verbreitung von Unwahrheiten bekannt ist, kann das für die Einordnung von Aussagen wichtig sein. Sie haben mir nun vorgeworfen, dass mein Handeln „der eigenen Bestätigung, dass man etwas macht und auf der richtigen Seite steht“ dient. Das wäre so ähnlich wie „selbstsüchtig“ im obigen Schema. Dazu gleich mehr. Aber nehmen wir mal an, ich würde in der Fahrradbranche arbeiten und hätte ein Eigeninteresse daran, dass keine Flugreisen mehr angeboten werden und die Menschen statt dessen mehr Fahrrad fahren würden. Selbst dann würden meine Argumente nicht falsch werden. Solche ad-hominem-Argumente sind BILD-Zeitungsniveau und für einen ehemaligen Chefredakteur der taz nicht angemessen.

Davon abgesehen geht dieses ad-hominem-Argument total nach hinten los, denn Sie haben damit, dass Sie mir unterstellt haben, dass mein Antrieb wäre, etwas zu tun, um auf der richtigen Seite zu stehen, zugegeben, dass Sie auf der falschen Seite stehen.

Nun ja. Nun also weiter auf der persönlichen Ebene.

Sie kennen mich nicht und unterstellen mir dennoch blinden Aktionismus aus Wohlfühlgründen. Sie hätten etwas über mich aus dem taz-Gespräch erfahren können oder aus anderen öffentlich zugänglichen Quellen. Sie behaupten, dass ich nicht genügend über die Notwendigkeit von Flügen nachgedacht hätte:

Es fehlt die Reflexion, welche Flüge sind erforderlich.

Thomas Hartmann, 14.09.2024 zum Thema Flugreisen

Ich habe in meinem Beitrag vor Ihnen auf der Genossenschaftsversammlung und auch im Streitgespräch, das in der taz veröffentlicht wurde, beispielhaft Reisen aufgezählt, die ich für unnötig halte. Oben ist die Reise nach Togo bereits erwähnt und für ein neues Kleid und eine Kunstausstellung nach Dakar? (Beschreibung der Dakar-Reise)

Von der taz organisierte Reise nach Dakar zur Kunstausstellung. Mit Programmpunkt Kleid schneidern lassen.

Nein, lieber Herr Hartmann, das geht nicht. Ist schwer vermittelbar. Ich kann nicht sehen, warum eine solche Reise notwendig ist und wie man die entstehenden Schäden rechtfertigen kann.

Wenn Sie sich ein bisschen umgeschaut hätten, wüssten Sie, dass ich mich intensiv mit dem Thema Fliegen auseinandersetze. Ich bin in der Klimagruppe der Humboldt-Universität. Das ist eine Gruppe, die gemeinsam mit zwei Klimamanager*innen das Klimakonzept der Humboldt-Universität ausgearbeitet hat. Das Ziel der HU ist es, bis 2030 klimaneutral zu werden (Klimakonzept der HU). Ein großer Anteil des CO2-Ausstoßes kommt aus dem Bereich Mobilität (29% bei der HU). Davon ist ein großer Bereich von den Dienstreisen und von den Dienstreisen entfallen 95% auf die Flugreisen (Klimakonzept, S. 47). Das Ziel der Humboldt-Universität ist es deshalb, Flugreisen auf ein Minimum zu reduzieren. Dazu gehört unbedingt die Frage nach der Notwendigkeit von dienstlichen Flugreisen. Ich habe sehr genau darüber nachgedacht, wie man das akademische System umorganisieren kann, so dass Flüge vermeidbar werden. Ich habe mich bereits vor Corona dafür eingesetzt, dass eine online-Teilnahme bei Konferenzen möglich ist. Wir haben bereits 2012 Workshops mit Skype durchgeführt. Ich bin in der Arbeitsgruppe der HU, die sich mit den Flugreisen beschäftigt. Man kann also sagen, dass ich mich hauptberuflich damit beschäftige, Flugreisen zu reduzieren, während Sie Werbung für touristische Flugreisen machen und sie damit normalisieren. Das ist umso schlimmer, als die taz fast komplett werbefrei ist. Es gibt regelmäßig Werbung für den Bundestalk, für den taz-Shop, die taz-Reisen und ab und zu für die Bundeswehr (SCNR. Das bedeutet „sorry could not resist“. (SCNR)).

Ich bin seit 2019 bei den Scientists for Future in Arbeitsgruppen zu Flugverkehr tätig und habe zum Beispiel für den freiwilligen Verzicht auf Kurzstreckenflüge geworben. Die entsprechende Kampagne für Berlin/Brandenburg lief 2019 und war sehr erfolgreich (Pressespiegel zur Selbstverpflichtung).

Verkündung der Ergebnisse der Selbstverpflichtungsaktion gegen Kurzstreckenflüge beim globalem Klimastreik von Fridays for Future am Brandenburger Tor, Berlin, 20.09.2019, Bild: © Melanie Quilitz, HU

Wir haben die Selbstverpflichtungsaktion 2020 auf das gesamte Bundesgebiet ausgedehnt (unter1000.scientist4future.org) und über 4000 Personen haben unterschrieben, aber das hatte sich dann mit Corona erledigt. Im Zusammenhang mit diesen Aktivitäten habe ich mich intensivst mit Flugreisen beschäftigt. Wenn man abwägen will, muss man die Schäden kennen. Man kann diese in Geld ausrechnen, wie es das Umweltbundesamt tut, oder aber die Menschenleben abschätzen, die unser Konsum fordert. Die Abschätzung der Todesopfer hat Parncutt (2019) geliefert. Er schätzt, dass pro 1000 Tonnen verbranntem Kohlenstoff ein Mensch klimawandelbedingt stirbt. Diese Zahlen habe ich in meiner „Erpressungsmail“ zitiert. Sie wurden in Antwortmails von verschiedenen Personen angezweifelt und die taz hat sie in keinem Beitrag erwähnt und auch die Passagen des 75-minütigen Gesprächs in der taz, die sich auf die Abschätzungen von Parncutt bezogen haben, kamen in der Veröffentlichung des Gesprächs nicht vor (was man niemandem vorwerfen kann, weil nur eine Seite zur Verfügung stand). Ich habe basierend auf den Überlegungen von Parncutt ausgerechnet, dass ein voll besetzter Flug von Berlin nach Sydney (beide Richtungen, 329 Personen) 0,61 Menschen tötet (siehe Blogpost). Zwei solche Australienreisen würden also mehr als einen Menschen töten. Es wurde behauptet, dass Parncutts Abschätzungen und folglich meine Berechnungen um Größenordnungen falsch liegen. Dazu wurden Zahlen von Bishen & Glick, Sam (2024) herangezogen. Die Autoren haben ihre Studie für das Weltwirtschaftsforum erstellt. Das ist ein konservativer Thinktank, nicht für Panikmache bekannt. Das Interessante ist nun, dass diese Abschätzung der Todesfolgen von CO2-Ausstoß genau in der selben Größenordnung liegt wie Parncutt (2019). Man kann das sehen, wenn man einige Rechenfehler meiner Kritiker behebt (siehe Abschätzung der Tode, die wir durch unsere Treibhausgas-Emissionen verursachen vom 17.08.2024). Wichtig ist, dass Bishen & Glick einige Punkte überhaupt nicht berücksichtigen, die aber in den kommenden Jahren weiter zum klimabedingten Sterben beitragen werden (siehe Unberücksichtigte Todesursachen: Kriege, Krankheiten durch invasive Arten wie die Tiegermücke). Das bedeutet, dass das Weltwirtschaftsforum die Folgen, die insgesamt entstehen werden, als noch gravierender einschätzt als Parncutt und somit ich.

So viel zur angeblich fehlenden Reflexion. Die konkret angebotenen Reisen habe ich mir angesehen. Ich konnte bei der Flugreise nach Dakar (Kunstausstellung und maßgeschneidertes Kleid), nach Togo usw. keinen Grund für die Reisen finden, der die Umweltschäden rechtfertigen würde.

Es folgen nun drei Teile: der Anfang, die Mitte und das Ende. Sie beziehen sich alle drei auf Ihr Leben. Der Mittlere hat mit Ihrer gegenwärtigen Argumentation zu tun.

Der Anfang: Linksradikal

Sie haben 1977 die taz mitgegründet und waren ihr erster Chefredakteur. Damals stand im Kopf der taz noch, dass es sich um eine linke radikale Tageszeitung handelte.

Die taz-Gründerinnen haben die taz für einen Tag übernommen. Siehe taz, 14.05.2018

Ich war zum Zeitpunkt der taz-Gründung neun Jahre alt. Die taz konnte man da, wo ich wohnte, nicht lesen. Ich hätte mit neun eh noch nichts damit anfangen können. In den 80ern habe ich – wahrscheinlich im SFB – Interviews mit euphorisierten Menschen gehört, nachdem es die ersten Wahlerfolge der Grün-Alternativen-Liste gab. Ich habe geahnt, dass etwas Großartiges, etwas Wichtiges passiert war. Ströbele war dabei. Nach der Wende habe ich, sobald es mir möglich war, die Ost-taz gelesen und später dann die West-taz. Ich habe den politischen Preis gezahlt und als ich eigenes Geld verdient habe, mehrere Genossenschaftsanteile gezeichnet (damals gab es öfter Rettet-die-taz-Kampagnen).

Sie haben eine linke radikale Zeitung gegründet, aber Ihre heutige Argumentation ist feinster Neoliberalismus, Vorbilder, auf die Sie verweisen, vertreten neoliberale Positionen und argumentieren in der taz für schwarz-grüne Positionen und Regierungen. Dazu im Detail gleich mehr. Zuerst möchte ich Ihnen zeigen, was Linksradikale heute machen. Sie sind Teil der Klimabewegung. Sie sind wahrscheinlich ein kleiner Teil, denn die Mehrheit der Menschen in der Klimabewegung, sind wohl nicht linksradikal, aber links sein, ohne Klima mitzudenken, funktioniert eben nicht.

Linksradikale waren in Lützerath, sie waren in der Leinemasch in Hannover und sie waren bei Solidaritätsveranstaltungen für die Letzte Generation in Berlin.

Tadzio Müller bei Demonstration gegen die Räumung von Lützerath für den Braunkohleabbau, rechts daneben Michael Zobel, Keyenberg, 14.01.2023
Aktivisten blockieren von der Polizei neu gebaute Zufahrtsstraße nach Lützerath, 06.01.2023
Pause in Tümpeltown. Baumbesetzer*innen in der Leinemasch, Hannover, 14.01.2024

Ich weiß nicht, ob ich hier jemandem auf den Bildern Unrecht tue und er gar kein Linksradikaler ist, ich habe die entsprechenden Personen nicht unmaskiert gesehen und nicht im Detail mit ihnen über ihre Positionen gesprochen. Aber bei Tadzio Müller ist die Sache klar: Er schreibt es ja selbst an sich dran.

Leander Grasmeier von der Letzten Generation spricht auf Solidemo für Letzte Generation. Rechts daneben Tadzio Müller mit T-Shirt, auf dem steht: „Homosexueller Linksextremist“. Alexanderplatz, Berlin, 23.04.2023
Vertreterin der Interventionistischen Linken spricht bei Solidemo für Letzte Generation. Rechts unscharf Tadzio Müller. Berlin, Alexanderplatz, 23.04.2023

Und in der Nähe der Fabrik von Tesla kämpfen Linksradikale in einem Wasserschutzgebiet für den Klimaschutz.

Baumhäuser im besetztem Wald in Grünheide bei „Tesla den Hahn abdrehen“. Auf den Transparenten steht: „Water is a human right!“ / „Klimaschutz ist kein Verbrechen!“. Berlin, 21.03.2024

Und ich möchte Ihnen noch zwei weitere Bilder zeigen. Sie haben mit Neokolonialismus zu tun. Das erste Bild zeigt eine Aktion von Debt4Climate. Die Betonblöcke symbolisieren die Schulden des Globalen Südens im Vergleich zu den Klimaschulden, die der Norden angehäuft hat.

Lukas Hufert von Debt4Climate spricht vor dem Finanzministerium zwischen zwei Betonblöcken, die die Schulden des Südens und des Nordens vergleichen. Die Schulden des Nordens sind 10 Mal so groß, wie die des Südens, weshalb die Aktivist*innen einen Schuldenerlass fordern. Platz des Volksaufstands von 1953, Berlin, 12.10.2023

Das zweite Bild zeigt ein Banner-Drop von Extinction Rebellion in Gedenken an die Ogoni Nine.

Aktivist*innen von Extinction Rebellion beim Banner Drop (Shell to hell / Ogoni people are not forgotten) für die Ogoni Nine, die mit 700.000 Ogoni gegen Shell protestiert hatten und am 10.11.1995 nach einem dubiosen Gerichtsprozess gehängt wurden. Links unten 8 Kreuze für Mauertote. Berlin, 10.11.2023

Das waren Umweltaktivisten in Nigeria, die von Shell ermordet worden sind. Dafür, dass das Öl für uns weiter sprudeln kann. Es ist also nicht nur so, dass unser Konsum Menschen in der Zukunft tötet, nein, für unsren Konsum wurden auch in der Vergangenheit schon Menschen getötet.

Und weil wir gerade dabei sind, möchte ich sie darauf hinweisen, wie der Dienstleister arbeitet, über den die taz-Reisen die Kompensation abwickelt, die sie für zwei von den vielen Reisen leisten. Atmosfair kompensiert ausschließlich über Projekte im globalen Süden.

Kompensationsprojekte von Atmosfair 2024. Bis auf das Weiterbildungsprojekt sind alle Projekte im Globalen Süden angesiedelt.

Das liegt daran, dass diese Projekte billiger sind als andere Projekte mit gleichem Effekt. Eine neo-kolonialisitische Herangehensweise. Für die Details und andere Probleme bei der Kompensation verweise ich auf einen Bericht der Themenklasse Nachhaltigkeit der Humboldt Universität zu Flugreisen und Kompensation.

Von Positionen der Linksradikalen oder radikalen Linken, ja was das Fliegen angeht, sogar von linken Positionen aus der Klimagerechtigkeitsbewegung, sind Sie weit entfernt. Ihre Argumentationsweise fällt eher unter neoliberal.

Die Mitte: Neoliberal

Sie haben in Ihrer Rede zu den taz-Genoss*innen gesagt:

Nicht Verbote werden das Verhalten ändern, sondern ein verantwortlicher Umgang mit dem ökologischen Fußabdruck. Da ist sicherlich noch Sensibilisierungsarbeit angetan.

Thomas Hartmann in der taz-Genossenschaftversammlung am 14.09.2024 zum Thema Flugreisen

Das kommt aus der taz? Nach fünf Jahren Fridays for Future, Scientist for Future, Extinction Rebellion, Scientist Rebellion, Letzte Generation?

Natürlich sind individuelle Verhaltensänderungen wichtig und der individuelle Fußabdruck kann Einzelpersonen einen Eindruck vermitteln, wo sie gerade stehen (siehe Warum individuelle Verhaltensänderungen wichtig sind). Aber letztendlich wird das Konzept des CO2-Fußabdrucks von Ölfirmen dazu benutzt, von strukturellen Problemen abzulenken. (Diese Nutzung geht auf British Petrol zurück.) Und genau das wird jetzt von einem tazler vertreten? Mir zeigt das, dass Sie ganz, ganz weit entfernt von Klimagerechtigkeitsfragen sind. Aber das muss wohl so sein, wenn man Flugreisen organisiert. Es zeigt auch, dass Sie nicht gut vorbereitet waren, denn den Fußabdruck hatte ich im taz-Gespräch angesprochen.

Müller: Bei denen geht es mir nicht nur um den CO2-Fußabdruck der einzelnen Reisenden, sondern auch um die Außenwirkung des ganzen Projekts. Sie bewerben Flugreisen mit Ihrer guten taz-Marke und vermitteln, es sei schon okay, nach Marokko oder nach Togo zu fliegen. Man unterscheidet ja den CO2-Fußabdruck, also die anfallenden CO2-Emissionen, und den CO2-Handabdruck. Das ist die positive Wirkung, die man erzielt, wenn man andere Leute oder besser noch ganze Organisationen oder Regierungen dazu bringt, ihren Fußabdruck zu senken. Aber was die taz mit den Reiseangeboten macht, ist das Gegenteil davon. Sie bringen ja Leute dazu zu fliegen! Sie haben einen negativen Handabdruck!1

Der Punkt ist, dass wir bei den taz-Flugreisen auf dem überindividuellen Level sind. Sie, Herr Hartmann, sind dafür verantwortlich, dass Menschen fliegen. So wie British Petrol, Shell, Exxon und die diversen Autofirmen, die für SUVs werben und dadurch erst einen Markt geschaffen haben für Millionen Tote verantwortlich sind, sind auch Sie für Tode mitverantwortlich. Natürlich wesentlich weniger, aber Sie sind mitverantwortlich. Sie sind aber nicht nur für die Toten mitverantwortlich, die die taz-Reisen bewirken, sondern auch für Tote, die auf Flugreisen von anderen Anbietern zurückgehen. Das liegt daran, dass Sie Werbung für Flugreisen gemacht haben. In hoher Frequenz. In einer Zeitung mit ökologischem Anspruch. Die krasseste Werbung ist in der Ausgabe vom 14.09.2024 erschienen, dem Tag der Genossenschaftsversammlung:

Werbung für taz-Flugreisen: „Mit taz-Reisen der Sonne hinterher“, taz, 14.09.2024, am Tag der Abstimmung.

Und da steht es schwarz auf gelb: „Mit taz-Reisen der Sonne hinterher“. Da können Sie von Austausch und Horizonterweiterung reden, so viel wie Sie wollen. Sie appellieren an touristische Bedürfnisse, Sie wecken sie, Sie fördern sie. Sie normalisieren sie. Menschen, die die taz lesen, denken: „Jo, ab in den Süden. Machen doch alle. Selbst die Öko-Zeitung macht Werbung dafür.“ Hier wird auch klar, warum Ihr Argument „Wir haben die Zahl der Flugreisen reduziert“ nicht viel taugt. Denn die Werbung bleibt. Selbst wenn Sie nur eine Flugreise anbieten würden und diese aber permanent bewerben würden, würden Sie Schaden anrichten.

Und ja: Wir brauchen Verbote. Wir brauchen Verbote, um die Menschheit vor sich selbst zu schützen. Wir brauchen Verbote, um die entfesselten Märkte in ihre Schranken zu weisen. Beispiele für erfolgreiche Verbote ist das Rauchverbot in öffentlichen Gaststätten, Werbeverbote für Alkohol und Zigaretten, das Glühlampenverbot, Verbot der Straßenbeheizung mit Heizpilzen. Ich habe schon 2019 für ein Tempolimit und das Verbot für Flugreisewerbung und für SUVs argumentiert. Ich gebe Ihnen ein Beispiel, was Werbung bewirkt: Nach der Ölkrise gab es in den USA Beschränkungen für den Maximalverbrauch von PKWs. Lediglich Trucks durften mehr verbrauchen. Was Trucks genau sind, war nicht ausreichend strikt geregelt, weshalb die Autoindustrie diese Lücke nutzte und die SUVs erfand. Problem: Diese aufgeblasenen Metallberge wollte niemand haben. Die Autofirmen haben sie mit einem Werbebudget von 9 Milliarden Doller innerhalb von 10 Jahren in den Markt gedrückt (Schaupp, 2024: Stoffwechselpolitik). Gegen jegliche Vernunft, gegen Nachhaltigkeit, gegen den wirklichen Bedarf. Wenn Sie gegen Verbote sind, sind sie auf der Seite der INSM und der CDU/CSU, die die Grünen als Verbotspartei framen und für bedingungslose marktradikale Freiheit eintreten. Bei der Sache mit der Freiheit sollten Sie immer bedenken, dass Sie durch Ihre Freiheit und die Ihrer Reisenden die Freiheit anderer einschränken: die Freiheit der Menschen im globalen Süden, die nie ein Flugzeug betreten haben und die Freiheit zukünftiger Generationen. Zu dieser gibt es sogar ein Verfassungsgerichtsbeschluss:

Die Rich­te­r:in­nen sehen allerdings die Gefahr, dass, wenn jetzt zu wenig getan wird, die junge Generation ab 2030 ganz unverhältnismäßig belastet wird. Es dürfe nicht „einer Generation zugestanden werden, unter vergleichsweise milder Reduktionslast große Teile des CO2-Budgets zu verbrauchen, wenn damit zugleich den nachfolgenden Generationen eine radikale Reduktionslast überlassen“ würde. So entstehe ein großes Risiko für die Freiheitsrechte, weil fast jede Freiheitsausübung – etwa Reisen oder Einkaufen – derzeit noch mit der Produktion von Treibhausgasen verbunden ist.

Pötter, Bernhard & Rath, Christian. 2021. Entscheidung zum Klimaschutzgesetz: Karlsruhe for Future. taz. 29.04.2021

Erst im Juni sprach sich UN-Generalsekretär António Guterres für ein Verbot von Werbung für fossile Brennstoffe aus und am 12.09.2024 hat die Stadt Den Haag in den Niederlanden Werbung für fossile Brennstoffe komplett verboten. Das schließt auch Werbung für Flüge und Kreuzfahrten ein:

Den Haag ist die erste Stadt der Welt, die ein Werbeverbot für fossile Brennstoffe erlässt, um ihren CO2-Fußabdruck zu verringern. In dem Beschluss der Ratssitzung vom 12. September 2024 heißt es: „Werbung für Produkte und Dienstleistungen fossiler Brennstoffe, Flugurlaub, Flugtickets, graue Stromverträge, Gasverträge, Kreuzfahrten oder Autos mit einem fossilen oder Hybridkraftmotor ist verboten.“ Weiter wird ausgeführt: „Fossile Werbung, die von einem öffentlichen zugänglichen Raum aus sichtbar ist, ist verboten, es sei denn, es betrifft Firmennamen, Firmenlogos und Anzeigen in oder in unmittelbarer Nähe des Gebäudes, in dem die Aktivitäten stattfinden, auf die sich die Werbung bezieht.

Hinske, Regine. 2024. Erste Stadt weltweit: Den Haag verbietet Werbung für fossile Brennstoffe. Squirrel News, 20.09.2024.

Für Verbote gibt es übrigens auch hierzulande Mehrheiten. So zum Beispiel für ein Tempolimit. Auch für die Verbote der taz-Flugreisen gibt es inzwischen Mehrheiten. Die absolute Mehrheit der taz-Genoss*innen (54%) war für flugfreie taz-Reisen. Nur 37% dagegen. Das sind 17% mehr Stimmen für ein Verbot der Flüge. Ein klares Ergebnis. Warum die taz dann von unentschiedenen Genoss*innen schreibt, ist mir unklar.

Auch der Move mit „Anreise kann individuell gewählt werden.“ ist sehr geschickt: FDP-like (Wissing zum Tempolimit: „Das Tempo gehört in die Eigenverantwortung der Bürger“, Tagesspiegel, afp, 22.01.2023). Im Prinzip kann man mit dem Zug fahren, aber leider, leider fliegen dann doch wieder die meisten Teilnehmer*innen. Der Flug wird ja vorgeschlagen, der Reiseleiter sitzt mit im Flugzeug und der Flughafentransfer ist auch schon organisiert.

Organisation der Reise nach Dakar (Senegal), taz, 2024

Sehr schön war der Diskussionsbeitrag einer Teilnehmerin, die sich für die taz-Reisen aussprach. Sie sei auf der Hinfahrt nach Sizilien mit dem Zug gefahren und rückzu, tja, leider, da ging es irgendwie nicht anders, was genau da war, wollte sie uns nicht sagen, aber sie ist dann doch lieber geflogen.

In der taz-Mitgliederinfo haben Sie Folgendes geschrieben und das dann auch in Ihrer Rede wiederholt.

effektiver Klimaschutz muss an den ökonomischen Rahmenbedingungen ansetzen: Fliegen darf nicht mehr subventioniert werden. Fliegen darf nicht billiger sein als Bahn fahren. Hier können massenhaft unnötige Flüge eingespart werden. Flugreisen zum Austausch mit Menschen im globalen Süden bleiben dringend erforderlich in unserer globalisierten Welt. Wir sollten unseren Blick auf die Welt nicht verengen.

taz Mitgliederinfo Nr. 34, S. 12

Diese Argumentation kennt man auch von anderen Akteuren: Die FDP verweist auf Europa, die AfD auf China oder Indien. Andere sollten was tun, andere sollten sich ändern oder etwas ändern. Es ist klar, dass wir die Probleme nur auf der internationalen Ebene lösen können. Alle Staaten gemeinsam müssen auf null kommen. Daraus folgt aber auch, dass jeder Staat auf null kommen muss und daraus, dass jede Organisation und jede Firma auf null kommen muss. Die taz arbeitet mit ihrem hervorragenden Klimajournalismus an der politischen Lösung. Das befreit sie aber nicht davon, als Firma die Klimaschäden, die sie zu verantworten hat, zu reduzieren. Und wie gesagt, es sind nicht nur die Schäden, die Sie direkt verursachen sondern auch die Schäden, die dadurch entstehen, dass es taz-Leser*innen normal finden, „der Sonne hinterher zu fliegen“, weil Sie das pausenlos bewerben. Ich kann Ihnen die Katastrophen aufzählen, an denen sich die taz mitschuldig macht. Die taz schreibt täglich darüber. Sie müssen mir den positiven Nutzen aufzeigen. Dieser wurde immer nur behauptet. Lesegeräte sind im Vergleich zu gebrochenen Staudämmen und überfluteten Städten lächerlich.

Sie zitieren Peter Unfried:

Peter Unfried aus der taz […] hat es schon vor über zehn Jahren in der taz immer wieder reflektiert und festgestellt: Oh Gott, ich sollte wohl meine inspirierenden Besuche in Kalifornien nur alle zwei oder drei Jahre besuchen.

Thomas Hartmann in der taz-Genossenschaftversammlung am 14.09.2024 zum Thema Flugreisen

Peter Unfried ist der oberste Neoliberale in der taz. Das muss seine Argumente nicht falsch machen (siehe oben), aber die Argumente selbst sind eben neoliberal, die Tatsache, dass man anderen Menschen schadet, wird nicht ausreichend berücksichtigt. Und taz-Journalist*innen, die darüber schreiben, dass sie alle paar Jahre ihre Verwandten in den USA besuchen, haben eben nicht nur einen entsprechenden Fußabdruck, sondern auch einen Handabdruck: Sie haben als Journalisten gesellschaftlichen Einfluss. Sie senden Signale: Fliegen ist OK, ist leider geil.

Deichkind: Leider geil

Wissen Sie, ich halte es da lieber mit einem anderen Mitglied der Familie Unfried. Peter Unfrieds kleiner Bruder Martin Unfried hatte in der taz die Kolumne Ökosex. Hier schreibt er im VCD-Magazin fairkehr über das Fliegen und Moral.

Martin Unfried argumentiert wie ich gegen die Normalisierung und schreibt auch konkret zu den USA-Flügen: Es sollte für einen 60-Jährigen, der schon viel gesehen hat, einfacher sein, auf interkontinentale Flüge zu verzichten. Das gilt natürlich auch für seinen 5 Jahre älteren Bruder. Dieser ist kein gutes Vorbild.

Sie haben in Ihrer Rede von fünf taz-Reisen gesprochen. Barbara Junge im Newsletter von sechs. Ich habe mich intensiv vorbereitet. Da ich nur drei Minuten Zeit hatte, habe ich die folgende Folie nicht verwendet, aber ich möchte sie Ihnen zeigen:

Es waren sieben Reisen geplant und diese wurden beworben. Immer wieder. Vietnam, Kuba, Togo, Senegal, Saudi-Arabien, Marokko, Libanon. Bei diesen würde ich einen Anreise ohne Flug für unrealistisch halten. Dazu kommen Reisen nach Estland, Istanbul, Irland, Rom, Warschau, Sizilien. Ziele, zu denen man nicht unbedingt fliegen muss, aber wie Ihre Verteidigerin freimütig bekannt hat, dann doch fliegt.

Als ich in den 90ern nach West-Berlin konnte, habe ich dort überall an den Häusern Graffiti gesehen: taz lügt. Ich wusste nicht, warum und wer die an die Häuser gesprüht hatte. Aber ich habe gesehen, dass Sie jetzt wie die BILD-Zeitung auf der persönlichen Ebene argumentiert haben, dass Sie Zahlen manipulieren und dass Ihre Argumente neoliberal sind. Sie stehen nicht für die gesamte taz, aber mich hat das an die 90er erinnert.

Herr Hartmann, Sie haben in den 70ern die taz gegründet. Eine radikal linke Tageszeitung. Ich weiß nicht, was für Musik Sie damals gehört haben. Zappa? The Doors? Greatful Dead? Oder Punk? PVC, Wall City Rock, No Escape? Die Neubauten, Kein Bestandteil sein? Ich war da noch klein, aber in den 80ern habe ich angefangen, mich für Musik zu interessieren, bin zu Konzerten gegangen. Eine wichtige Band war „Die Firma“. Nach der Wende ist eine CD erschienen. Ein Lied heißt RGM: Rock gegen Mittelmäßigkeit. Darin heißt es: „Wir müssen aus dem Zentrum, weg von der Mitte, weg von Geheucheltem! Wo ist der Weg von der Mitte?“

Tatjana Besson von der Firma beim letzten Konzert der Freygang-Band in Berlin, Schokoladen, 22.03.2019

Hören Sie mal rein. Vielleicht erinnert Sie das an etwas.

Das Ende: sanft, friedlich, versöhnt

Sie sind jetzt 77 Jahre alt und werden bald sterben. (Wenn Sie 80 wären, wäre Ihre Lebenserwartung für Berlin als Mann 88,21 Jahre. Da Sie aber Raucher sind oder waren (taz, Personalseiten), verkürzt sich Ihre Lebenserwartung um 9 Jahre (Deutsches Krebsforschungszentrum, 2014: Was uns Lebensjahre raubt). Also 80. Ich wünsche Ihnen, so wie ich es allen wünsche, die sterben müssen, einen angenehmen Tod. Einschlafen und nicht mehr aufwachen. Ohne Schmerzen.

Wenn Sie Pech haben, werden sie klimawandelbedingt in der Hitze umkommen, von Fluten hinweggespült werden oder im Urlaub von einem zusammenbrechenden Berg erschlagen werden, weil der Permafrost in den Hochgebirgen zu tauen beginnt.

Dieses Jahr hatten wir den heißesten Sommer seit Beginn der Temperaturaufzeichnungen. Der zweitheißeste lag im Jahr davor. Es gab in den Hitzesommern seit 2003 hunderttausende Tote in Europa (Hitzesommer 2003, Winklmayr et al. 2022). Betroffen sind vor allem Neugeborene und Alte. Ich habe einmal in meinem Leben ein Dehydrierung erlebt. Ich wünsche das meinem ärgsten Feind nicht. Sie sind nicht mein Feind und ich wünsche Ihnen auch nicht den Tod. Ich kämpfe gegen die weitere Erderhitzung. Für uns alle, für meine Kinder, für Sie, für mich.

Herr Hartmann, es ist Ihr Lebenswerk, aber unser Leben. Bitte beenden Sie Ihre Arbeit bei den taz-Reisen, ohne weiter Flugreisen anzubieten. Konzentrieren Sie sich auf Zug- oder Busfahrten, damit Sie uns allen als der Coole, der Lässige, der Flexible in Erinnerung bleiben, als der Sie auf den taz-Mitarbeiterseiten beschrieben wurden. Es ist nie zu spät.

Wolfgang Metzeler-Kick, 49, Ingenieur für technischen Umweltschutz am Tag 38 seines Hungerstreiks, wird aus dem Polizeikessel gebracht. Beugehebel an der Hand, Hand unter dem Kinn. Auf dem Plakat einer Frau steht: „Wer wollen wir gewesen sein?“. Nach Blockade der Frankfurter Allee durch die Letzte Generation, 13.04.2024

Es gibt ein Beispiel: Ein Pilot hat viel in seine Ausbildung investiert. Das Fliegen war sein Traum. Irgendwann hat er erkannt, dass das Fliegen aus ökologischen Gründen nicht zu rechtfertigen war. Er hat seinen Beruf aufgegeben und hat sich Extinction Rebellion angeschlossen (Walker, 2022). Sie haben mir vorgeworfen, ich würde nur an mich denken. Das ist nicht richtig. Ich denke auch an Sie: Sie haben ein großes Wissen in Bezug auf Reiseplanung. Zugreisen durch Europa oder sogar weltweit zu planen und zu buchen ist nicht trivial. Agenturen stellen die online-Buchungen ein, weil die Bahn die Vermittlungshonorare gestrichen hat. Wie wäre es, wenn die taz-Reisen den Genoss*innen bei der Buchung von Zugreisen helfen würden? Auch darüber könnte man eine Leserbindung erreichen.

Bezüglich Flugreisen ist jetzt, glaub ich, alles gesagt, aber wenn Sie möchten, können wir uns mal treffen und über die taz-Reisen ohne Flüge oder den Teil der taz-Reisen, der ohne Flüge stattfindet, reden. Zum Beispiel die Reisen mit dem Zug nach Vietnam und Indien, die sie organisiert haben!

Peace!

Es grüßt Sie herzlich Ihr Stefan Müller

Quellen

afp. 2023. „Autofahren bedeutet Freiheit“: Verkehrsminister Wissing lehnt Tempolimit ab. Tagesspiegel. Berlin. (https://www.tagesspiegel.de/politik/autofahren-bedeutet-freiheit-wissing-lehnt-tempolimit-ab-9221373.html)

Appiah-Nuamah, Maame & Berner, Richard & Gipp, Antonia & Hohmann, Theresa & Nöfer, Johannes & Pätzke, Franka & Prawitz, Hannah et al. 2021. Wissenschaftliches Reisen: THESys Humboldt-Stipendium Themenklasse Nachhaltigkeit und Globale Gerechtigkeit 2020/2021. Humboldt-Universität zu Berlin. (http://dx.doi.org/10.18452/23298)

Bishen, Shyam & Glick, Sam. 2024. Quantifying the Impact of Climate Change on Human Health. World Economic Forum & Oliver Wyman. (https://www.oliverwyman.de/unsere-expertise/publikationen/2024/jan/quantifying-climate-change-impact-on-human-health.html)

Guterres, António. 2024. There is an exit off ‘the highway to climate hell’, Guterres insists. United Nations. (https://news.un.org/en/story/2024/06/1150661#:~:text=Guterres.,have%20control%20of%20the%20wheel.%E2%80%9D&text=The%20iconic%20blue%20whale%20looms,special%20address%20on%20climate%20action)

Hinske, Regine. 2024. Erste Stadt weltweit: Den Haag verbietet Werbung für fossile Brennstoffe. Squirrel News, 20.09.2024. (https://squirrel-news.net/de/news/erste-stadt-weltweit-den-haag-verbietet-werbung-fuer-fossile-brennstoffe/)

Mignake, Gnim Zabdiel & Jordan, Juraj. 2023. Klimawandel in Togo: Die Frage nach Gerechtigkeit. fluter / Bundeszentrale für Politische Bildung. (https://www.fluter.de/kuestenerosion-togo-klimawandel-film)

Pötter, Bernhard & Rath, Christian. 2021. Entscheidung zum Klimaschutzgesetz: Karlsruhe for Future. taz. (https://taz.de/Entscheidung-zum-Klimaschutzgesetz/!5763553/)

Schaupp, Simon. 2024. Stoffwechselpolitik: Arbeit, Natur und die Zukunft des Planeten. Berlin: Suhrkamp.

Walker, Tamsin. 2022. Meet the pilot who stopped flying because of climate change. Deutsche Welle. Bonn. (https://www.dw.com/en/todd-smith-emissions-aviation-pilot-safe-landing-extinction-rebellion-climate-activist/a-61953106)

Winklmayr, Claudia & Muthers, Stefan & Niemann, Hildegard & Mücke, Hans-Guido & an der Heiden, Matthias. 2022. Hitzebedingte Mortalität in Deutschland zwischen 1992 und 2021. Ärzteblatt. (doi:10.3238/arztebl.m2022.0202)

Diese ganzen Tonnen, Fußball in Katar und Kompensation

Entwarnung (am Abend des 25.11. eingefügt): Ein Kollege hat mich darauf hingewiesen, dass die taz um Größenordnungen daneben lag. Leider habe ich die Zahl nicht selbst überprüft. Statt 3,6 Gigatonnen werden „nur“ 3,6 Megatonnen ausgestoßen: Hier ist der Originalbericht von South Pole.

Svenja Schulze, damals noch Umweltministerin, hat 2019 auf die Frage nach unserem CO2-Restbudget geantwortet: „Unter diesen ganzen Tonnen und so kann sich doch keiner was vorstellen.“ Ich habe das schon mehrfach in diesem Blog aufgegriffen (Zu unserem CO2-Restbudget: Car is over, Sind Fluggäste Mörder?, Flüge, CO2, Verantwortung und Mitschuld). Das war damals natürlich ein Ausweichmanöver, aber es ist ja in der Tat so, dass diese Zahlen schlecht mit Konkretem verbunden werden können. Man braucht dazu Vergleiche. Zum Beispiel die 1000-Tonnen-Regel (1000 Tonnen verbrannter Kohlenstoff = 1 Mensch, der an den Folgen der Klimakatastrophe vorzeitig sterben wird, Parncutt, 2019).

In der taz stand heute, dass eine Firma im Auftrag der Veranstalter (!) berechnet hat, dass der CO2-Ausstoß für die Fußball-WM in Katar 3,6 Gigatonnen beträgt (taz, 25.11.2022: 3). Die taz berichtet über die NGO Carbon Market Watch, die zu höheren Zahlen kommt, weil zum Beispiel der sehr CO2-intensive Bau der Stadien nur zu einem kleinen Teil berücksichtigt ist.

Aktivistin von Extinction Rebellion vor der Adidas-Filiale in Berlin. XR protestiert gegen das Sponsoring der WM in Katar. Kurfürstendamm, Berlin, 19.11.22 Bild: CC-BY-NC Stefan Müller

3,6 Gigatonnen? Ist das viel? Wenig? Geht so? Spaß muss sein? Wir können es mit den Zahlen vergleichen, die im IPCC-Bericht genannt wurden: Der Sachverständigenrat für Umweltfragen, der die Bundesregierung berät, hat errechnet, dass das CO2-Budget für Deutschland bei 2 Gigatonnen liegt, wenn wir das 1,5°-Ziel mit einer Wahrscheinlichkeit von 67% erreichen wollen (SRU, 2022: 7). 67% ist gezockt: Ja, ja, nein. In einem Drittel der Fälle geht es daneben, also 1,6° oder mit entsprechend abnehmender Wahrscheinlichkeit auch mehr bzw. sehr viel mehr.

Das heißt was? Das bedeutet, dass diese eine Fußball-WM das Doppelte des Restbudgets für unser ganzes Land verbraucht. „Is ja nich schlüm, wird ja kompensiert.“ Anhand dieses Ereignisses kann man eigentlich sehr schön sehen, wie absurd Kompensation ist. Wenn Kompensation ein sinnvolles Instrument in der Klimakatastrophe wäre, könnten wir auch sagen: Och, wir machen einfach nichts und kompensieren dann, dass wir zum Fenster raus heizen (= offene Stadien klimatisieren), mal eben die Tochter mit dem Flugzeug über’s Wochenende besuchen (= Shuttleflüge für außerhalb Katars untergebrachte WM-Teilnehmer*innen) usw.

Schlussfolgerung: Solche Ereignisse wie die Fußball-WM in Katar können wir uns als Menschheit nicht mehr leisten. Kompensation ist ein untaugliches Instrument, das nur dem Greenwashing und der Gewissensberuhigung dient.

Quellen

IPCC, 2021. Zusammenfassung für die politische Entscheidungsfindung. In Beitrag von Arbeitsgruppe I zum Sechsten Sachstandsbericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen [Masson-Delmotte, V., P. Zhai, A. Pirani, S.L. Connors, C. Péan, S. Berger, N. Caud, Y. Chen, L. Goldfarb, M.I. Gomis, M. Huang, K. Leitzell, E. Lonnoy, J.B.R. Matthews, T.K. Maycock, T. Waterfield, O. Yelekçi, R. Yu, and B. Zhou (eds.)] (ed.), Naturwissenschaftliche Grundlagen. https://www.de-ipcc.de/media/content/AR6-WGI-SPM_deutsch_barrierefrei.pdf.

Parncutt, Richard. 2019. The Human Cost of Anthropogenic Global Warming: Semi-Quantitative Prediction and the 1,000-Tonne Rule. Frontiers in Psychology 10(2323). 1–17. (doi:10.3389/fpsyg.2019.02323)

Sachverständigenrat für Umweltfragen. 2022. Wie viel CO2 darf Deutschland maximal noch ausstoßen? Fragen und Antworten zum CO2-Budget. Berlin: Sachverständigenrat für Umweltfragen. (https://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/04_Stellungnahmen/2020_2024/2022_06_fragen_und_antworten_zum_co2_budget.html)

Vuillemin, Clara. 2022. Das Märchen der klima-neutralen WM. taz, 25.11.2022. Berlin. https://www.taz.de/!5893932.

Dienstliche Flüge und CO2-Kompensation

2019 habe ich aufgehört zu fliegen (Ich fliege nicht mehr). Ich bin zur Zeit stellvertretender Institutsleiter und damit dafür mitverantwortlich, wenn andere fliegen. Ich muss ihre Dienstreiseanträge genehmigen. Universitäten müssen beim CO2-Ausstoß, so wie die restliche Gesellschaft auch, zur CO2-Neutralität kommen. Seit Kurzem denke ich wieder verschärft über das Fliegen und Kompensationen nach. Hier versuche ich, meine Gedanken zu systematisieren und entsprechende Schlussfolgerungen abzuleiten.

Ausgangslage

Die Ausgangslage sieht so aus, dass wir in einer Welt leben, die sich gegenüber der vorindustriellen Zeit bereits um 1,2° erwärmt hat. Wir sind mitten in der Klimakatastrophe. In Deutschland sind in diesem Sommer 10.000 Menschen den Hitzetod gestorben, wie man mittels Übersterblichkeitsuntersuchungen feststellen kann (taz, 22.08.2022). In Pakistan sind 1400 Menschen gestorben und ein drittel des Landes wurde überflutet (Wikipedia). Menschen sind obdachlos. Eine beispiellose Katastrophe. Gewaltige Stürme verwüsten Florida, die Wälder haben in ganz Europa gebrannt. Flüsse wie der Rhein und der Po trocknen aus. Missernten.

Ausgetrocknete Ilm in Kranichfeld, 22.07.2022, Bild: Stefan Müller

Das ist erst der Anfang.

Wissenschaftler*innen gehen davon aus, dass das 1,5°-Ziel nicht mehr zu erreichen ist. Selbst mit den aktuellen Verpflichtungen nicht und viel schlimmer noch: Selbst diese Verpflichtungen werden nicht eingehalten und insgesamt steuert die Welt auf eine Erwärmung von 2,7° zu (Prof. Wolfgang Lucht, zitiert nach taz, 17.02.2022).

Klimaaktivist*innen fordern deshalb die Ausrufung des Klimanotstandes und ein entsprechend rasches Handeln, was die Umsetzung von Maßnahmen angeht. Ulrike Herrmann bezieht sich immer wieder auf die Kriegswirtschaft, die in Großbritannien in der Zeit des zweiten Weltkriegs eingeführt wurde, um das britische Militär für den Krieg gegen Nazideutschland hochzurüsten (taz, 17.09.2022).

Das Fliegen gehört zu den energieintensivsten Fortbewegungsarten. Parncutt (2019) hat errechnet, dass die Verbrennung von 1000 Tonnen Kohlenstoff zu einem Klimatoten führt. 1000 Tonnen Kohlenstoff, entsprechen 3.700 Tonnen CO2. Man kann dann ausrechnen, den Tod von wie vielen Menschen ein Flug verursacht. Parncutt kommt zu dem Schluss, dass nur in Notlagen geflogen werden sollte.

Therefore, flying should be made more expensive (e.g. by carbon taxes) and reserved for emergencies and life-saving projects.

Parncutt. 2019: 12

Siehe dazu auch Zu unserem CO2-Restbudget: Car is over.

Ergebnisse der Themenklasse

Im Institut haben wir eine Gruppe gegründet, die sich damit beschäftigen soll, wie wir die dienstlichen Flüge organisieren. Über die Gründe, warum es diese Gruppe gibt, schreibe ich vielleicht noch einmal extra. Der Punkt ist, dass wir eigentlich nicht mehr fliegen dürfen, dass aber seit drei Jahren in der Uni nicht viel zum Thema passiert ist. Es gibt jedenfalls keine strengeren Regeln. Eine wichtige Sache ist allerdings doch passiert: Die Themenklasse Nachhaltigkeit & Globale Gerechtigkeit 2020/2021 hat eine großartige Arbeit geleistet und die Empirie der Flugreisen an der Humboldt Universität aufgearbeitet (Appiah-Nuamah et al. 2021). Es gibt jetzt einen Überblick, welche Fakultäten wie viele Flugreisen unternehmen, warum geflogen wird usw. Interviews zur Lösung des Problems und Überlegungen zur CO2-Kompensation.

Verweilzeit

Ein wichtiger Punkt bei der Bewertung von Reisen ist die Verweilzeit am Reiseziel. Es gibt Menschen, die zu einem Konferenzvortrag nach Australien fliegen und dann schnell wieder zurück. Ein, zwei Tage und hops zum nächsten Vortrag bzw. zurück nach Hause an den Schreibtisch. Solche Flüge sind kritisch zu sehen und können bzw. müssen höchstwahrscheinlich durch Online-Präsenz ersetzt werden. Im Gegensatz dazu gibt es längere Forschungsaufenthalte. Die Themenklasse hat den CO2-Ausstoß ins Verhältnis zur Aufenthaltsdauer gesetzt. Ein sinnvolles Maß.

Karrierenachteile und Neubewertung

Corona hat gezeigt, dass viele Treffen vermieden werden können und dass Konferenzen online stattfinden können. Was online eher schwierig ist, ist das Knüpfen von Netzwerken. Menschen mit etablierten Netzwerken können eher auf Reisen verzichten als Nachwuchsforscher*innen. Die Themenklasse hat Interviews durchgeführt und ein Interviewpartner, Prof. Niewöhner, bringt es auf den Punkt:

Wenn man das Reisen jetzt radikal einschränken würde, dann würde das in der Tat Ungleichheiten auf zweierlei Hinsicht massiv verstärken. Das eine ist innerwissenschaftlich, oder sagen wir mal innereuropäisch. Es würde den Nachwuchs benachteiligen, denn die etablierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die Professuren, haben ihre Netzwerke. Das sind auch vertrauensvolle Kontakte und das kann man relativ gut digitalisieren. Wir haben auch die Freiheit über forschungsfreie Semester etc. dann mal länger irgendwo hin zu reisen. […] Da gibt es eine gewisse Flexibilität, das kann man sich einrichten. Das heißt, wenn man das [Reisen] jetzt radikal streichen würde, hätte man eine Benachteiligung des wissenschaftlichen Nachwuchses, wenn man nicht die Kriterien mitverändern würde, was geleistet werden muss.

Interview mit Prof. Dr. Jörg Niewöhner, 17.12.2020, S. 30

Entscheidend ist der letzte Teilsatz: „wenn man nicht die Kriterien mitverändern würde, was geleistet werden muss.“ Für die Einstellung von Mitarbeiter*innen, die Berufung von Professor*innen und die Vergabe von Drittmitteln gibt es Kriterien für wissenschaftliche Qualifikation/wissenschaftlichen Erfolg. Ich habe darüber nachgedacht, wie man diese Kriterien verändern könnte und eine Möglichkeit ist einfach, den CO2-Ausstoß als Kriterium bei der Evaluation hinzuzufügen. Bisher wird bewertet, wie viele Aufsätze jemand gechrieben hat und in welchen Zeitschriften diese veröffentlicht wurden. Dabei spielt das so genannte akademische Alter eine Rolle, d.h. nicht wie alt jemand ist, sondern wie lange er/sie gebraucht hat, um nach dem Studium an die Position zu gelangen, an der er/sie jetzt ist. Konferenzvorträge werden in Bewerbungen als Zeichen von Aktivität ebenfalls positiv bewertet. Man kann nun aus den Konferenzreisen den CO2-Abdruck ermitteln und kann das Erreichte an den eingesetzten Ressourcen (CO2) messen. Wenn jemand ohne CO2-Emissionen viele gute Fachzeitschriftenartikel veröffentlicht, ist er/sie besser als jemand, der/die ständig durch die Welt jettet.

CO2-Kompensation

Ich bin wie Parncutt (2019) der Meinung, dass man überhaupt nicht mehr fliegen sollte. Das wird erst im Verlauf der nächsten Jahre bei zunehmender Verstärkung der Krise durchzusetzen sein. Da ein CO2-Ausstoß von Null angestrebt wird, kann dieser also nur über Kompensationen erreicht werden.

Was im besten Fall passieren wird

Die Themenklasse diskutiert ethische Aspekte der Kompensation. Sie vergleicht das britische Lebensmittelverteilungssystem im zweiten Weltkrieg mit der Kompensation. Die Essenmarken waren in Großbritannien nicht handelbar. Somit entstand eine Gleichheit und Solidarität unter den Menschen. Das Analogon beim Fliegen wäre der Ausschluss von Kompensationen: Alle haben die gleichen Rechte bzw. Pflichten. Reichere dürfen sich nicht mehr Verschmutzungsrechte kaufen (S. 50–51). Die Autor*innen halten die Kompensation aber für legitim, wenn die Summen für Kompensationen so hoch sind, dass sie der Gemeinschaft nützen. Allerdings sollte das nicht dazu führen, dass Menschen weiter exzessiv fliegen können. Für die wissenschaftlichen Reisen schlagen sie deshalb vor, Inlandsflüge und mehrere Flüge pro Jahr zu verbieten. Damit bliebe für 2408 wissenschaftliche Mitarbeiter*innen der HU die Möglichkeit für einen Flug pro Jahr. Dieser trägt zum CO2-Ausstoß der HU bei, der auf Null gesenkt werden muss. Das heißt, dass diese Flüge kompensiert werden müssen.

Die Themenklasse hat sehr schön herausgearbeitet, dass Kompensation mit steigender Nachfrage teurer wird, weil die niedrig hängenden Früchte zuerst gepflückt werden, d.h. Kompensationsprojekte, die viel bringen und billig sind, werden zuerst durchgeführt. Das heißt, wenn man z.B. Kompensationen über einen Zeitraum von 10 Jahren betrachtet, wären die am Ende des Zeitraums teurer als am Anfang. Daraus ergibt sich, dass man für die Kompensation höhere Beträge ansetzen muss als die Kosten, die zur Zeit real entstehen. Außerdem wurden Rebound-Effekte besprochen und die Tatsache, dass wir, wenn wir im globalen Süden CO2-Einparungsprojekte fördern, den Menschen dort die Möglichkeit wegkaufen, selbst CO2 zu reduzieren. Der Vorschlag ist deshalb, Projekte lokaler Anbieter wie die Wiedervernässung von Mooren zu finanzieren.

Was passieren müsste

Ich habe lange über das Kompensieren nachgedacht. Ist es OK? So wie die Themenklasse schreibt? Wenn man dreimal so viel CO2 zurückholt, wie man durch seinen Flug ausstößt? Viermal? Weil man es kann? Weil man das Geld hat und reich ist? Der Moralphilosoph Bernward Gesang hat so etwas in der taz geschrieben. Sollen wir doch irgendwo im Süden etwas finanzieren, das unsere Emission ausgleicht. Wir können dann fröhlich weiter fliegen, Fleisch essen, Kinder kriegen, wenn wir nur dafür sorgen, dass irgendwo anders CO2 eingespart wird und andere Menschen keine Kinder bekommen (taz, 18.03.2022). Doch wirklich, das hat er geschrieben.

Nach längerem Nachdenken ist mir ein Vergleich eingefallen, der deutlich macht, warum das falsch ist. Man stelle sich folgendes vor: Jemand der unbedingt ein paar Dinge loswerden will (= einen wissenschaftlichen Vortrag in Asien oder Amerika halten will) scheißt einfach in den Eingangsbereich der Humboldt-Universität. So mitten hin. Achtlose Menschen laufen durch und verteilen letztendlich alles gleichmäßig in der Eingangshalle. Man sieht es praktisch nicht mehr (so wie CO2). Eine andere hat ein kleineres Geschäft zu verrichten (einen Vortrag in Europa mit Flugreise). Das ist praktisch, denn es versickert gleich alles zwischen den Dielen. Ein Problem ist der Sommer (die Hitzeperioden, Dürren, Waldbrände, ausgetrocknete Flüsse, Missernten), denn dann ist die Kacke am Dampfen und es stinkt zum Himmel. Und deshalb beauftragt man einen Schwarzen Menschen (jemanden aus dem globalen Süden), unseren Scheiß aufzuräumen.

Soweit zum Gleichnis. Das Problem wird durch folgenden Umstand verschärft: Wenn man die Restmenge CO2, die zur Verfügung steht, um das 1,5°-Ziel zu erreichen, auf alle Menschen aufteilt, dann ergibt sich, dass für jeden Deutschen eine Restmenge von 24 Tonnen zur Verfügung steht, wenn wir das 1,5°-Ziel mit 67% Wahrscheinlichkeit (klappt, klappt, Mist) erreichen wollen (SRU, 2022). Das bedeutet, dass in drei Jahren alles aufgebraucht ist, wenn man den Durchschnittsausstoß von 11 Tonnen pro Jahr zugrundelegt. Wenn man aber nun einmal im Jahr Economy nach Seoul (4,3t), Los Angeles (5,095t) oder Sydney (10,683 t) fliegt, stößt man jeweils eine Menge CO2 aus, die ein Vielfaches der klimaverträglichen Jahresemission von 1,5t pro Person beträgt. Oder anders: Man kann in seinem Leben noch fünf Mal nach Korea fliegen. Dann ist das Budget komplett aufgebraucht und man hat noch nichts gegessen, nicht geheizt und so weiter. Das einfach nur, um die Größenordnungen der Verschmutzung aufzuzeigen, die man anrichtet.

Die Kompensation bei atmosfair läuft so, dass innerhalb von zwei Jahren der Ausgleich geschaffen wird (atmosfair, 03.10.2022). Da heißt, dass es in der Zwischenzeit stinkt! Nicht love is in the air, sondern CO2. Wir sind nah an den Kipppunkten dran und der fortwährende Ausstoß von CO2 ist ein Spiel mit dem Feuer.

Kipppunkte und in welchem Temperaturbereich das Kippen wahrscheinlich ist. Die entsprechenden Vorgänge sind irreversibel. PIK 2022.

Der Schluss kann nur sein, dass wir unseren wissenschaftlichen Vortrag nicht über das Leben von Menschen stellen dürfen, dass CO2-Kompensation nur ein Ablasshandel und eine Kompensation für uns selbst, für unser Gewissen, ist und dass wir einfach keinen Mist machen sollten, den andere dann – vielleicht zu spät – wegmachen müssen.

Vielmehr sollten wir nun endlich in den Notfallmodus schalten und das, was wir vielleicht für Kompensationsprojekte machen könnten, zum Beispiel die Wiedervernässung von Mooren, einfach so machen. Fridays For Future fordert 100 Milliarden dafür.

Fronttransparent von Fridays For Future beim 11. globalen Klimastreik: 100 Milliarden für Klima statt Krise, Berlin, 23.09.22, Bild: Stefan Müller

Also, lasst uns aufhören mit dem Scheiß und lasst uns uns selbst retten.

Extinction Rebellion blockiert Potsdamer Platz mit Bohrturm: „Wir müssen nicht das Klima retten, sondern uns selbst“, Berlin, 19.09.22, Bild: Stefan Müller

Quellen

Appiah-Nuamah, Maame & Berner, Richard & Gipp, Antonia & Hohmann, Theresa & Nöfer, Johannes & Pätzke, Franka & Prawitz, Hannah et al. 2021. Wissenschaftliches Reisen: THESys Humboldt-Stipendium Themenklasse Nachhaltigkeit und Globale Gerechtigkeit 2020/2021. Humboldt-Universität zu Berlin. (doi: 10.18452/23298)

Asmuth, Gereon. 2022. Hitzetote in Deutschland: Hitzewelle mit dunklem Schatten. taz 22.08.2022. Berlin. (https://taz.de/Hitzetote-in-Deutschland/!5873299)

Gesang, Bernward. 2022. Gebärstreik als Klimaschutz-Maßnahme: Kinderlos fürs Klima? taz 18.03.2022. Berlin. (https://taz.de/Gebaerstreik-als-Klimaschutz-Massnahme/!5838466/)

Herrmann, Ulrike. 2022. Kapitalismus und Klimaschutz: Schrumpfen statt Wachsen. taz 17.09.2022. Berlin. (https://taz.de/Kapitalismus-und-Klimaschutz/!5879301/)

Parncutt, Richard. 2019. The Human Cost of Anthropogenic Global Warming: Semi-Quantitative Prediction and the 1,000-Tonne Rule. frontiers in Psychology 10(2323). 1–17. (doi:10.3389/fpsyg.2019.02323)

Sachverständigenrat für Umweltfragen. 2022. Wie viel CO2 darf Deutschland maximal noch ausstoßen? Fragen und Antworten zum CO2-Budget. Berlin: Sachverständigenrat für Umweltfragen. (https://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/04_Stellungnahmen/2020_2024/2022_06_fragen_und_antworten_zum_co2_budget.html)

Schwarz, Susanne. 2022. Proteste der „Letzten Generation“: Zeit für Notwehr? taz 17.02.2022. Berlin. (https://taz.de/Proteste-der-Letzten-Generation/!5831060/)

CO2-Kompensation für Flüge

Als eine Art Selbstbestrafung [=;-)] habe ich auf myflightradar24.com eine Liste all meiner Flüge zusammengestellt und so den CO2-Ausstoß herausgefunden, den diese Flüge verursacht haben.

Der so ermittelte CO2-Ausstoß muss mit einem bestimmten Faktor (dem Radiative Forcing Index) multipliziert werden, da der Schaden, der durch das Fliegen angerichtet wird, viel größer ist (Ausstoß der Klimagase in der Atmosphäre in großer Höhe, Wolkenbildung usw.). Der IPCC schlägt einen Faktor von 2,7 vor. CO2-Kompensations-Firmen gehen von einem Faktor zwischen 1 und 3 aus. Ich habe diese Flüge mit atmosfair.de kompensiert. Die unabhängige Stiftung Warentest testete mehrere Kompenationsfirmen und atmosfair war der Gewinner. Wenn Sie genaue Flugdaten haben, können Sie Ihre Flüge über dieses Portal kompensieren. Ich habe eine Pauschalkompensation von 86,9 Tonnen CO2 gemacht:

Kompensationszertifikat von atmosfair: Ich habe mich entschieden, Projekte in Nigeria, Indien und Kenia zu unterstützen

So weit so gut. Wer wirklich fliegen muss, sollte zumindest (mit einem entsprechenden Faktor) kompensieren. Wenn Sie nicht fliegen müssen und nur für die Freizeit reisen, sollten Sie aufhören zu fliegen. Ich habe im August 2019 beschlossen, nie mehr zu fliegen und viele andere haben es vorher getan. Kompensieren Sie? Reduzieren Sie das Fliegen? Hinterlassen Sie einen Kommentar!