Touristische Flugreisen, Klima, Moral, Tod und die Rechthaber

Am 03.08. erschien in der taz ein Gespräch von Christian Jakob und mir über die Frage, ob die taz Flugreisen anbieten sollte. Ich denke, dass eine ökologisch orientierten Zeitung wie die taz keine Flugreisen organisieren und bewerben sollte, weil es dabei ein Glaubwürdigkeitsproblem gibt: Man kann nicht einerseits auf die Folgen des CO2-Ausstoßes hinweisen und andererseits eine Reise organisieren und dann ein Bedürfnis in potentiellen Konsument*innen wecken. Werbung für Flugreisen lässt diese als etwas Normales erscheinen, was sie nicht sind, denn wir müssen unseren CO2-Ausstoß auf Null bringen. Offiziell bis 2045, aber eigentlich eher heute als morgen, denn es ist bereist jetzt zu viel CO2 in der Luft.

Auf derselben Seite wie das Streitgespräch befindet sich ein Text von Bernhard Pötter, meinem Lieblings-taz-Autor, der viel über die Klimakrise schreibt, aber stets mit Humor. Ich schätze das sehr, denn ohne Humor wäre das alles nicht auszuhalten. Es gibt, glaube ich, bisher nur einen Text von ihm, der mir nicht gefällt, und das ist der vom 03.08. Ich werde ihn im Folgenden zerrupfen und die Einzelteile besprechen.

Los geht’s.

Ach ja, das Fliegen. Seufz. An keiner anderen Frage trennt sich heutzutage so die Spreu der Klimaschweine vom Weizen der Aufrechten. Ob jemand in ein Flugzeug steigt oder nicht, hat heute oft die Qualität einer Nagelprobe. Früher lauteten die entscheidenden Fragen: Beatles oder Stones? Katholisch oder evangelisch? Dortmund oder Bayern? Heute heißt es: Mit dem Flugzeug in den Urlaub oder nicht? Die Antwort sagt oft viel über den jeweiligen Menschen. Und leider meist nichts Gutes.

Das bagatellisiert die Geschichte irgendwie gleich im ersten Absatz. Beatles oder Stones ist egal. Beide gut. Katholisch oder evangelisch ist egal. Sich deshalb die Nase einzuhauen ist irre. Dortmund oder Bayern? Wie kann man eine Stadt mit einem Bundesland vergleichen? Mit dem Flugzeug in den Urlaub oder nicht? Tja, lieber Herr Pötter, die Realität ist die: Diese Frage wird nicht gestellt. Jedenfalls nicht von mir. Meine Prenzlauer-Berg-Freunde fliegen alle in den Urlaub. Auf einem Messaging-Kanal kamen mal Grüße aus Laos, woraufhin ich anmerkte, dass die Grüßenden, doch wenigstens so viel Umweltbewusstsein haben sollten, dass sie diese Grüße weglassen, wenn sie schon fliegen. Danach gab es einen Riesen-Shitstorm und zwar nicht gegen die Laoten, sondern gegen mich, wie ich es denn wagen könne, individuelles Verhalten zu kritisieren. Also: In meinem Umfeld fliegen alle fröhlich, als gäbe es kein Morgen und niemand stellt die Frage nach dem Fliegen. Es ist sogar klar, dass sie nicht gestellt werden darf. Würde sie gestellt, wären wir schon einen Schritt weiter.

Leider ist das aber auch überhaupt nicht das Thema des Streitgesprächs mit Christian Jakob und das Gesamtthema der Wochenend-taz, das groß auf der Titelseite angekündigt wurde, gewesen.

„Alle wissen: Fliegen schadet dem Klima. Trotzdem jetten viele weiter in den Urlaub. Auch die taz veranstaltet noch Fernreisen – und diskutiert, ob das vertretbar ist.“, Titelseite der taz vom 03.08.2024

Bernhard Pötter lenkt vom Thema ab. Die Frage war nicht, ob man privat fliegen sollte, sondern vielmehr: Darf eine Firma Flugreisen organisieren? Konkret: Darf die Firma, für die Bernhard Pötter arbeitet, nämlich die taz, Flugreisen organisieren? Darf sie dafür werben? Darf sie ein Bedürfnis nach einer Flugreise (der beworbenen taz-Reise oder qua Normalisierung irgendeiner anderen Flugreise) erzeugen?

Wir sind bei 424 ppm CO2 und müssen zurück auf 350 ppm

Weiter im Text:

Denn entweder die Flugbegeisterte blendet alle ökologischen und sozialen Probleme aus, die der massenhafte Luftverkehr mit sich bringt. Oder der Fluggegner reklamiert für sich, den einzig wahren Weg zum Ökofrieden zu kennen. Weil er am Boden bleibt und vielleicht sogar dort klebt. Es gibt da keine Grauzone, keinen Raum für Kompromisse. Für die Lösung von Problemen ist das nie gut.

Sie haben es im weiteren Artikel geschrieben: Klimaverträgliches Fliegen ist zur Zeit und bis auf Weiteres nicht möglich. Wir müssen auf Null CO2-Emissionen kommen und danach mit dem Rückholen von CO2 aus der Atmosphäre beginnen. Es sind bereits jetzt hunderte Gigatonnen CO2 zu viel in der Luft. So steht es auch im IPCC-Report (SSP1-1.9 “1,5°-Pfad”). Der Klimaaktivist Wolfgang Metzeler-Kick war bereit, dafür zu sterben, dass sich das Wissen um diese Tatsache weiter in der Gesellschaft verbreitet. Die Statements der Hungerstreikenden wurden von den Scientists for Future bestätigt (Presseerklärung vom 06.05.2024).

Ingenieur für technischen Umweltschutz Wolfgang Metzeler-Kick am 86. Tag im Hungerstreik, 8. Tag im absoluten Hungerstreik, Hungerstreikcamp, Invalidenpark, Berlin, 31.05.2024

Alles was wir jetzt weiter in die Luft pusten, müssen wir dann später zurückholen. Das Rückholen ist sehr energieaufwendig und kann sinnvoll nur mit erneuerbaren Energien erfolgen, weil man sonst sofort wieder neues CO2 emittieren würde.

Es ist ungefähr so: Wenn Sie mich zu sich nach Hause einladen würden (worüber ich mich jetzt ohne jeden Quatsch sehr freuen würde), würde ich ins Wohnzimmer gehen, wo hoffentlich ein Teppich liegt, und einfach draufpullern. Ich bin ein sehr großzügiger Mensch und würde die Reinigung auch bezahlen. Nicht nett? Unmögliches Benehmen? Aber das ist es, was wir gerade tun. Entweder wird die Pisse in den nächsten Jahren über Kompensationsprojekte entsorgt (falls die nicht Fake sind) oder wir heben uns das für später für die nächste Generation auf. Zwischendurch stinkt es halt ein bisschen. Vielleicht kacken wir auch ganz ab, wenn wir über die Kipppunkte kommen. Dann wird das Wohnzimmer komplett unbewohnbar. Aber einige von uns können dann vielleicht noch im Schlafzimmer weiterleben, das in Richtung Nordpol ausgerichtet ist.

Die Lösungen liegen auf dem Tisch (seit 2019 bzw. 2022)

Für die Lösung des Problems mit den Flugreisen gibt es inzwischen gute Vorschläge. Prof. Andreas Knie schlägt ein Kontingent von drei Flugreisenpaare pro Jahr pro Person vor. Wer weniger braucht, kann seine Anrechte verkaufen (Schier 2019). Die Kontingente werden dann mit der Zeit von drei auf zwei auf eins reduziert. Eine andere Idee habe ich bei einer Flughafenblockade von Scientist Rebellion zum ersten Mal gehört: exponentielle Besteuerung von Flugmeilen.

Scientist Rebellion blockiert das Privatflieger-Terminal des BER, Berlin, 10.11.2022

Dabei würde ich entstehende Schäden in beiden Varianten sofort einpreisen (860€2023 pro Tonne CO2, Umweltbundesamt 2024). Das Fliegen würde in jedem Fall sehr viel teurer werden. Subventionen (Kerosinsteuer, Unterstützung defizitärer Flughäfen) sollten sofort gestrichen werden.

Wir beide wissen, dass die Klimabewegung diese Sachen seit Jahren fordert. Wir wissen, dass sich bezüglich der Subventionen nichts ändert. Was soll man als Individuum tun? Was soll ich tun? Was können Sie tun? Ich wähle alle paar Jahre brav. Ich habe bei Scientist 4 Future eine Selbstverpflichtungsaktion für den Verzicht auf dienstliche Kurzstreckenflüge mitinitiiert und diese dann von Berlin/Brandenburg auch auf das Bundesgebiet ausgeweitet: #unter1000. Sie informieren, wie ja auch vorbildlich in Ihrem Beitrag, über die Schädlichkeit des Fliegens. Aber dann? Was dann? Was folgt? Wie kriegen wir die Subventionen weg? Was sollen Kompromisse? Soll ich mit meinen Prenzlauer-Berg-Freunden aushandeln, dass sie nur noch drei mal im Jahr eine Wochenendreise machen? Würde das das Problem der Flugreisen lösen? Noch mal zur Erinnerung: Wir müssen auf Null. Wie kann ein Kompromiss aussehen?

Es gibt eine Sache, die Teil der Lösung ist, die ich bisher nicht erwähnt habe: ein Werbeverbot für Fernreisen (Das habe ich schon 2019 gefordert: Verzicht und Verbote). So wie es Werbeverbote für Tabak und für Alkopops gibt, sollte es auch Werbeverbote für Flugreisen, SUVs und andere klimaschädliche und damit tödliche Produkte geben. Kann ich als Stefan Müller ein solches bundesweites oder gar europa- oder weltweites Werbeverbot irgendwo erreichen? Nein. Ich kann alle vier Jahre wählen, aber diese Zeitabstände sind viel zu groß und wer weiß, was die dann gebildete Regierung umsetzt.

Deshalb versuche ich nun, wenigstens die taz dazu zu bringen, keine Flugreisen mehr zu organisieren und diese dann eben auch nicht mehr zu bewerben.

Aber geht es hier darum, ein Problem zu lösen? Oder eher darum, recht zu haben?

Mir geht es darum, das Problem zu lösen. Ich arbeite seit 2019 an der Reduktion der Flugreisen im akademischen Bereich und gerade die Togo-Reise, wo man als Tourist die Opfer der Klimakrise besichtigen sollte, hat mich hart getriggert. Deshalb nun seit April der Kampf gegen die touristischen Reisen für Bildungsbürger*innen von der taz.

Für n bisschen Recht haben, wäre das wohl etwas viel Aufwand.

Gasheizungen und Whataboutismus

Bernhard Pötter schreibt weiter:

Vielleicht helfen ein paar Fakten: In Deutschland verursachen Flüge laut Statistischem Bundesamt und Öko-Institut pro Jahr etwa 28 Millionen Tonnen CO2– ungefähr 3 Prozent der Treibhausgase. Rechnet man alle Faktoren ein, dass Treibhausgase so weit oben in der Luft zum Beispiel noch stärker wirken als am Boden, machen diese Flüge etwa 10 Prozent des deutschen Beitrags zur Erderhitzung aus. Ganz schön happig für eine Aktivität, die zu großem Teil reiner Luxus ist: Zwei Drittel der Flugreisen in Europa und nach Übersee sind Urlaubsreisen.

Fliegen ist die klimaschädlichste Art der Fortbewegung, sie ist weltweit ein Luxus der Reichen und der wohl größte Hebel, mit dem man als Privatperson diesen Planeten ruinieren kann. Wir befinden uns mitten in einem Notstand und müssen schnell an allen möglichen Hebeln ziehen.

Aber Fliegen ist auch hochsymbolisch. Es ist zur Gretchenfrage geworden, ob es jemand ernst meint mit der Klimazukunft – oder ob er oder sie das Engagement nur heuchelt. Dabei hätten andere Themen mindestens genauso viel Aufmerksamkeit verdient.

Wer jetzt noch aus Trotz oder Unwissen die Entscheidung trifft, sich eine Gasheizung anzuschaffen, macht sein Leben sehr klimaschädlich, und das wahrscheinlich auf Jahrzehnte. Das Heizen von Räumen verursacht in Deutschland etwa 150 Millionen Tonnen Kohlendioxid jährlich. Das taugt den meisten Menschen aber anders als das Fliegen nicht für große Emotionen.

Sorry, lieber Herr Pötter, das ist Whataboutism vom Feinsten. Es tut natürlich besonders weh, wenn so etwas vom Lieblingsklimaautor kommt. Wie oft spricht man bei Partys darüber, was die Heizung so macht? Wie viele Städter können die Form ihrer Heizung überhaupt beeinflussen? Wenn sie in einem Miethaus wohnen? Die Entscheidung für eine neue Heizung fällt alle paar Jahre, die für Flugreisen vielleicht mehrfach im Jahr.

Folie zum Klimaschutzkonzept für den Stadtbezirk Pankow. Der größte Teil des CO2-Ausstoßes kommt aus den Haushalten und davon wieder der größte Teil aus der Heizung. 65% aus dem Bereich Heizung kommt von Erdgasheizungen und 21% aus dem Bereich Fernwärme, der ebenfalls nicht mit erneuerbarer Energie betrieben wird. Bürgerbeteiligung Klimaschutzkonzept Pankow, Fröbelstraße, Berlin, 08.07.2024

Und der wichtigste Punkt ist: Eine Heizung braucht man im Winter, eine Flugreise braucht man nicht. Wir haben in unserem Mehrfamilienhaus übrigens Erdwärme, Wärmepumpe und Solarthermie. Und natürlich würde ich das auch jedem und jeder erzählen, die mir von ihrer neuen Gasheizung berichtet.

Auch für mein Leben habe ich beim Reisen keine ideale Lösung. Ich hasse Fliegen. Ich finde es furchtbar, genervt mit anderen Genervten in langen Schlangen zu stehen, mich in einen unbequemen Sitz zu quetschen, schlecht zu essen und zu wissen, wenn etwas schiefgeht, hast du keine Chance. Wie vergleichsweise entspannend sind da die Nachtzüge und verspäteten ICEs mit verstopften Klos und verpassten Anschlusszügen.

Ach, ich fand’s ganz nett, als ich noch geflogen bin. 2017 bin ich sogar Business Class geflogen, weil ich sehr groß bin und die geringen Sitzabstände in der Economy Class eine Qual für mich waren. Das Essen war da ordentlich. Aber ganz im Ernst: Business Class ist noch schlimmer vom CO2-Impact und man sollte eben gar nicht mehr fliegen. Mein letzter privater Flug war 2008 und mein letzter dienstlicher Flug 2017. Zu einem eingeladenen Vortrag in Seoul. Seitdem fliege ich nicht mehr und habe das auch öffentlich gemacht: Ich fliege nicht mehr. Ich bin mehrfach mit Nachtzügen gefahren und das geht ganz gut.

Fliegen, Politik und Journalismus

Trotzdem sitze ich immer mal wieder im Flugzeug. Vor allem, wenn es zu Klimakonferenzen geht – und die hämischen Kommentare können Sie sich jetzt sparen: Jedes Champions-League-Spiel treibt mehr Menschen in ein Flugzeug als die Klimaverhandlungen der Vereinten Nationen.

Das hatte ich ja auch im Gespräch mit Christian Jakob gesagt: Journalist*innen und Politiker*innen sind die Ausnahme. Die taz hat ein gutes Netz von Auslandskorrespondent*innen und wenn jemand vor Ort ist, muss auch nicht viel geflogen werden. Fachjournalist*innen müssen zu wichtigen Ereignissen gelangen. Ob sie mit der grünen Außenministerin mitfliegen müssen, müssen sie bzw. Sie mit ihrem Gewissen ausmachen (Pötterer. 2024. Arbeiten mit Flugscham: Als ich neulich in Neuseeland war).

Und ja, selten steige ich auch privat ins Flugzeug. Um die US-Verwandtschaft mal wieder zu sehen. Um die Gastfamilien der Kinder in Lateinamerika zu besuchen. Aber viel öfter mache ich mich bei Freunden und Verwandten unbeliebt, wenn ich nicht für zwei Wochen nach Portugal oder zum Wochenende nach Mallorca mitkommen will. Und nach Stockholm, Oslo, Korsika und Toulon kommen wir auch gut mit dem Zug.

Vielleicht schauen Sie den Beitrag Sind Fluggäste Mörder? an und wägen noch einmal neu ab, ob die Interkontinentalflüge noch vertretbar sind. Es sieht so aus, als seien wir gerade auf die individuelle Ebene abgerutscht, aber das stimmt nicht, denn Sie sind als Journalist eine öffentliche Person. Sie bilden Meinung. Sie sind ein Vorbild. Sie sind die Beruhigungspille für meine Freunde aus dem Prenzlauer Berg. Wenn der Pötter als Ober-Öko das Fliegen OK findet, kann ich es auch machen.

Aktivismus, Framing und Vorbilder

Aber es geht ja ums große Ganze: oben oder unten? Und das ist schon Teil des Problems.

Denn die Idee, eine richtige Botschaft brauche ideale BotschafterInnen, ist so alt wie falsch. Das Ideal einer lebendigen Demokratie wird auch durch korrupte Politiker nicht erledigt, freie Medien bleiben ein hohes Gut, auch wenn sie Unsinn verbreiten. Yannick Seuthe, der „Bali-Flieger“, der als Mitglied der Letzten Generation einen Flug nach Thailand buchte und trotzdem Flughäfen blockiert, sagt zu Recht: „Ich muss kein perfekter Mensch sein, um für meine Grundrechte einzustehen.“

Das ist recht lustig, wenn einem der Medien-Profi erklärt, dass das eigene Verhalten im Kampf für ein Ziel keine Rolle spielt. Natürlich haben Sie im Prinzip Recht: Es geht um die Frage individuelles Verhalten und Veränderung auf gesellschaftlicher Ebene. Nur geht es andererseits auch um Glaubwürdigkeit. Die Bali-Geschichte, die ja eine Thailand-Geschichte war, war das größte PR-Desaster der Letzten Generation in der gesamten Zeit, die diese Bewegung existiert (seit 2021). Die Gegenseite wartet nur auf solche Fehler.

Ich habe 2021 eine Demonstration von Extinction Rebellion zur Wahltour der CDU fotografiert. Meine Agenturchefin rief mich extra an, um mir zu sagen, dass ich Bilder von Müll machen sollte, wenn irgendwo bei der Demo welcher liegen gelassen würde. Es gäbe Kunden, die dafür zahlen würden.

Die In von Extinction Rebellion vor dem Tempodrom währen des CDU-Wahlkampfendes mit Laschet. Meine Agenturchefin rief mich an und bat um Bilder mit Müll von Aktivist*innen, Berlin, 21.08.2021

Der CO2-Ausstoß eines Thailandfluges ist der größte und für die Gegenseite beste Müll, den man als Einzelner produzieren kann (Niko Paech, 2019), aber das sagten Sie ja oben bereits selbst. Es geht um Framing. Das sollten Sie als Profi wissen. Die Gegenseite framet die Grünen (#veggiDay usw.) und die Klimas als Menschen, die anderen etwas vorschreiben wollen, aber selbst nicht entsprechend handeln. Das entlastet all jene, die verdrängen und klimaunverträglich handeln wollen. Schlussfolgerung: Wenn man sich politisch exponiert, muss man höhere Ansprüche erfüllen, als wenn man als Privatperson unterwegs ist. Das gilt für Außenminister*innen, die mal eben ein Nachtflugverbot aushebeln, um per Kurzstreckenflug zum Fußball zu fliegen (taz 05.07.2024) genauso wie für Klimaaktivist*innen, die eben nicht nach Thailand fliegen und auch keine Mützen vom Jeep Club South Africa aufsetzen sollten. Über letztere habe ich in No Logo? Logo geschrieben.

Werbung für J*e*e*p South Africa-Club auf der Mütze eine Klimaaktivistin

Und die ganze Frage stellt sich natürlich noch einmal auf der überindividuellen Ebene: Wie glaubwürdig wäre German Zero, wenn auf ihren Webseiten Werbung für RWE geschaltet würde? Wenn German Zero einen Teil ihrer Einkünfte aus Kohlegeschäften bekommen würde? Wie glaubwürdig wäre Changing Cities, wenn ein Teil ihres Budgets aus Verkäufen und Werbung für Porsche-SUVs stammen würde? Wenn das Drogenhilfsprojekt Fixpunkt e.V. einen Teil seiner Einkünfte aus dem Verkauf von Heroin bekommen würde? Sollten sie Förderern anbieten, mal gemeinsam mit den Junkies vom Bahnhof einen Tag zu verbringen und sich selbst Heroin zu spritzen? Als ultimative Experience, damit die Förderer des Elend nachvollziehen können? Wie glaubwürdig ist eine Öko- und Bewegungszeitung, wenn sie Flugreisen organisiert und bewirbt?

Politikverdrossenheit und moralische Standards bei Politiker*innen

Und noch als Letztes zu diesem Punkt: „Das Ideal einer lebendigen Demokratie wird auch durch korrupte Politiker nicht erledigt“. Glauben Sie das ernsthaft selbst? Ja, sicher wird das Ideal nicht erledigt, aber schauen Sie sich den Osten an, schauen Sie sich Gründe für Politikverdrossenheit an. Lässt es Sie kalt, wenn Scheuer unsere Steuergelder in den Sand setzt und nicht dafür zur Verantwortung gezogen wird? Dass niemand mehr zurücktritt? Egal wie groß das Vergehen ist? Dass viele, viele Politiker*innen Betrüger*innen sind, die in ihren Dissertationen plagiert, also Ideen und Textteile gestohlen, haben? Ist das nicht höchst frustrierend? Ja. Das schadet der Demokratie.

Die Unterscheidung in Gut und Böse, Kompromisse und die Lösung von Problemen

Weiter im Text:

Wenn man die Flugdebatte moralisch auflädt, lauern große Gefahren: Man geht den Anti-Öko-Narrativen auf den Leim, die Krawall wollen und die Unterscheidung in Gut und Böse. Diese Identitätsdebatte lässt keinen Raum mehr für die Suche nach echten Lösungen.

Ach so. Wo sollen wir denn suchen? Ich glaube, die Lösungen stehen alle oben. Sofortige Streichung der Subventionen. Werbeverbot. Hohe Preise oder Kontingente. Andere Lösungen sehe ich nicht und diese reichen ja auch völlig aus. Sie müssen jetzt nur umgesetzt werden. Wie kommen wir da hin? Über Argumentationen für diese Lösungen? Wie können die aussehen? Wie soll man denn argumentieren, wenn Moral keine Rolle spielen darf? Warum darf man „Du sollst nicht töten!“ nicht erwähnen? Und wieso darf ich keine Maximalforderungen stellen? Natürlich darf ich das! Der Kompromiss wird mit der Gegenseite ausgehandelt und deren Standpunkt ist, dass alles so bleibt, wie es ist. Es wurde übrigens schon einmal ein Kompromiss ausgehandelt: in Paris. Die Welt hat sich auf ein Klimaziel deutlich unter 2 Grad geeinigt. Davon sind wir aber derzeit weit entfernt (climateactiontracker). Zu fordern, dass wir jetzt selbst den Kompromiss vorschlagen, damit die Anti-Ökos uns lieben, ist schräg.

Statt auf sinnvolle Regulierung zu setzen, wollen die rechten Bremser in Union und FDP alles über angeblichen technischen Fortschritt („Technologieoffenheit“) lösen – und es dem Einzelnen überlassen, was er oder sie tut. Ähnlich individualisiert ist da von der Gegenseite die Forderung nach moralisch einwandfreiem Verhalten.

Das nämlich löst kein kollektives Problem, wie wir es beim Fliegen haben. Es löst nicht den Skandal des steuerfreien Kerosins, es bringt uns nicht internationalen Abkommen zur Besteuerung von Flügen oder dem Verbot von Privatjets näher. Es liefert keinen technischen Durchbruch bei der Entwicklung und massenhaften Produktion von klima­neutralen E-Fuels.

Ja. Bzw. Nein. Nein, doch nicht. Es gibt die individuelle Ebene und dann die politische Ebene. Wenn nun aber alle Deutschen oder alle Europäer oder einfach alle einsehen würden, dass Fliegen verwerflich ist und nicht mehr fliegen würden oder zumindest bereit wären, nicht mehr zu fliegen, wenn auch die anderen nicht mehr fliegen, dann wären auch entsprechende politische Reglungen leichter umsetzbar. Es gibt Studien, die zeigen, dass individuelles Handeln auch Änderungen in der Gesellschaft bewirken. Menschen machen, was Menschen machen. Deswegen ist auch unser individuelles Verhalten wichtig. (siehe Warum individuelle Verhaltensänderungen wichtig sind von 2022)

Politik und Individuen

Das geht nur über gute, alte, langweilige Politik, also über kollektives Handeln. Und für ein gutes Verhandlungsergebnis sind andere Dinge wichtiger als eine blitzblanke Moral der VerhandlerInnen.

Ja. Aber es ist wichtig, dass es viele Individuen gibt, die im Prinzip bereit sind zu solch kollektivem Handeln und dafür ist ein Bewusstseinsbildungsprozess wichtig.

Am Ende muss aber natürlich wenig bis gar kein Fliegen herauskommen, solange das nicht annähernd klimaneutral geht, das ist auch klar. Nur sollte das eben keine moralischen Höchstleistungen der einzelnen Menschen erfordern, sondern durch die richtigen Strukturen ermöglicht werden.

Genau. Ein Anfang wäre, dass die taz nicht mehr für Flugreisen wirbt und diese als etwas Normales darstellt. Ihr Artikel legt nahe, dass Fliegen zwar schädlich ist, aber auch touristisches Fliegen irgendwie trotzdem doch manchmal gerechtfertigt ist. Damit fliegen Sie nicht nur selber, Sie reduzieren auch die Gewissensbisse anderer. Wie viel Einzelne dann fliegen, liegt in deren Ermessen. Ganz prima FDP-mäßig. Dieser Artikel geht dann leider auch von Ihrem sonst hervorragenden Handabdruck ab.

Kulturkampf, politischer Kompromiss und Übergriffigkeit oder die Arbeit in einer Rüstungsfirma

Wer sich von Öko-Seite auf einen Kulturkampf einlässt, diskreditiert den politischen Kompromiss. Dann ist der Aktivismus nicht an einer Lösung interessiert, sondern will den anderen vor allem seine Art zu denken und zu leben aufdrängen. Das ist nicht nur übergriffig, sondern geht auch schief.

Nun ja. Siehe oben. Die Fakten sehen so aus: Fliegen tötet. Es tötet Schwache. Das ist die Grundlage für jede Abwägung. Wenn man in einer Rüstungsfirma arbeitet, die Waffen für Kriege herstellt, weiß man, dass man mit dem Tod anderer Menschen Geld verdient. Wenn man in einer Firma arbeitet, die Flugreisen organisiert, weiß man, dass diese Firma mit dem Tod anderer Menschen Geld verdient. Christian Jakob und auch Thomas Hartmann, der Chef der taz-Reisen, hat diese Tode gegen andere Vorteile wie Kontakt zwischen Völkern aufgewogen. Christian Jakob in dem in der taz dokumentierten Gespräch und Thomas Hartmann in einem Telefonat mit mir. Sie sind der Meinung, dass der Nutzen der Reisen höher ist. Wie viele Leben durch taz-Reisen gerettet werden, konnte aber bisher niemand abschätzen. Wie viele Menschen durch verbrannten Kohlenstoff sterben, wurde dagegen schon abgeschätzt. Es gibt die 1000-Tonnen-Regel, die besagt, dass für 1000 Tonnen verbrannten Kohlenstoff ein Mensch in der Zukunft vorzeitig stirbt (Parncutt 2019, Pearce & Parncutt 2023). 1000 Tonnen Kohlenstoff sind 3.700 Tonnen CO2. Ich habe mit dieser 1000-Tonnen-Regel berechnet, dass die Passagiere in einem voll besetzten Flug nach Sydney gemeinsam für den Tod von 0,61 Menschen verantwortlich sind. Fliegen tötet.

Die Gefahr dabei, wie oft in linken und ökologischen Bewegungen: Wir verkämpfen uns bis aufs Blut bei Details und lassen die großen Gegner dabei ungeschoren. Fürs Rechthaben sind manche bereit, den ganzen Laden niederzubrennen, statt zu sehen, wo eigentlich der Feind steht.

Ich sehe das sehr klar. Ich möchte nichts niederbrennen. Ich habe Stand heute 30.000€ in Form potentieller Genossenschaftsanteile für meine Öko-Zeitung besorgt. Sie muss nur einfach aufhören, tödliche Produkte zu organisieren und zu bewerben, dann bekommt sie das Geld. Ich erinnere hier noch einmal gern an das World Media-Projekt, aus dem die taz ausgestiegen ist, weil die Pariser Projektkoordination darauf bestand, Werbung für Aérospatiale, eine Militärfirma, zu machen (1992, taz ohne Rüstung).

Schluss

Nicht in ein Flugzeug zu steigen, ist eine ehrenhafte Weigerung, an der Klimakrise mitzuwirken. Das allein löst aber das Problem nicht. Dafür braucht es Allianzen. Und die werden durch moralischen Rigorismus eher schwieriger als einfacher. So kompliziert ist das. Ach ja, das Fliegen. Seufz.

Meinetwegen sollen alle fliegen, wie sie wollen. Ich diskutiere mit meinen Freunden darüber nicht, denn es ist genau so, wie Sie sagen. Als Gesellschaft sollten wir aber darüber diskutieren, was unser Handeln bewirkt. Und Moral ist dabei eine wichtige Kategorie. Ich bin deshalb sehr froh, dass das Thema wieder in der taz diskutiert wird. Wenn uns allen klar ist, was Flüge bewirken, dann sollte auch klar sein, dass die taz keine Flugreisen mehr anbieten darf. Schon gar keine nach Togo mit dem Ziel, Gründe für Migration zu verstehen.

PS: Smart move, die Reise nach Togo erst mal abzusagen. Bleiben aber noch die Reisen nach Marokko, Dschidda (Saudi-Arabien), Kuba und Vietnam.

Werbung für Flugreisen in der taz: Togo, Marokko, Dschidda (Saudi-Arabien), Istanbul, 17.07.2024

Quellen

Althaus, Theresa. 2024. Klimakrise: Warum eure Doppelmoral mir auf die Nerven geht. WAZ. 03.08.2024. (https://www.waz.de/rhein-und-ruhr/article406898516/klimakrise-eure-doppelmoral-geht-mir-auf-die-nerven.html)

MR/M.S. 1992. TAZ INTERN: taz ohne Rüstung. taz. Berlin. (https://taz.de/Archiv-Suche/!1656941)

Parncutt, Richard. 2019. The Human Cost of Anthropogenic Global Warming: Semi-Quantitative Prediction and the 1,000-Tonne Rule. frontiers in Psychology 10(2323). 1–17. (doi:10.3389/fpsyg.2019.02323)

Pearce, Joshua M. & Parncutt, Richard. 2023. Quantifying Global Greenhouse Gas Emissions in Human Deaths to Guide Energy Policy. Energies 16(6074). 1–20. (doi:10.3390/en16166074)

Matthias Politycki vs. Niko Paech: Müssen wir reisen? 2019. Deutschlandfunk. (https://www.deutschlandfunk.de/matthias-politycki-vs-niko-paech-muessen-wir-reisen-100.html)

Pötter, Bernhard. 2024. Arbeiten mit Flugscham: Als ich neulich in Neuseeland war. taz 10.05.2024. Berlin. (https://taz.de/Arbeiten-mit-Flugscham/!6009490)

Schier, Mike. 2019. Grünen-Abgeordneter: „Wir müssen die Lust-Vielfliegerei eindämmen“. Merkur. (https://www.merkur.de/politik/janecek-will-flugverkehr-reduzieren-11835782.html)

Schöneberg, Kai & Schwarz, Susanne. 2024. Streitgespräch über Klimaschutz: Soll die taz noch abheben? taz 03.08.2024. Berlin. (https://taz.de/Streitgespraech-ueber-Klimaschutz/!6024962/)

Scientist for Future. 2024. Stellungnahme von Scientists For Future-Aktiven zu Klima-Forderungen der Hungerstreikenden im Regierungsviertel. (https://de.scientists4future.org/stellungnahme-s4f-klimaforderungen-hungerstreikende/)

Schwarz, Susanne. 2024. Baerbocks Kurzstreckenflug: Desas­tröse Signale. taz 05.07.2024. Berlin. (https://taz.de/Baerbocks-Kurzstreckenflug/!6019210/)

Umweltbundesamt. 2024. Gesellschaftliche Kosten von Umweltbelastungen. (https://www.umweltbundesamt.de/daten/umwelt-wirtschaft/gesellschaftliche-kosten-von-umweltbelastungen#klimakosten-von-treibhausgas-emissionen)

Wie ich die Welt rettete oder Handabdruck und Fußabdruck

Wow. Ich habe gerade die Welt gerettet. Ich musste vor dem Bahnhof auf einen Zug warten, weil ich jemanden abholen wollte, und da war ein Mann in einem Bus, der den Motor laufen ließ. Ich saß da und dachte: „Nee, da gehe ich jetzt nicht hin. Ich setzte mich hier auf die Bank und drücke an meinem Taschentelefon rum.“ Aber ich habe es nicht ausgehalten. Der Gedanke, dass jetzt zehn Minuten oder länger der Motor läuft. Für nichts und wieder nichts. Obwohl ich ein bisschen Angst hatte – es war ein kräftiger Mann –, bin ich hingegangen. Und nach einigem Hin und Her hat er sogar den Motor ausgemacht. Wir haben uns zehn Minuten über die Klimakatastrophe unterhalten. Bis der Zug kam. Zum Schluss haben wir uns fröhlich winkend voneinander verabschiedet. Das Gespräch kann man sich nicht ausdenken, weshalb ich es hier für die Nachwelt festhalten möchte. Zu einigen Punkten habe ich korrigierende bzw. weiterführende Anmerkungen und/oder Quellenangaben. Diese sind mit „(NB)“ im Text markiert. Im folgenden bin ick icke und er ist er. Allet klar, oder?

Das Gespräch

Icke: „Könnten Sie bitte den Motor abstellen?“

Er: „Warum? Stört Sie das Geräusch?“

Icke: „Nein, aber …“

Er: „Ach, wegen dem CO2?“

Icke: „Ja.“

Er: „Das ist doch alles Quatsch! Ich mach den Motor nicht aus. Lieber fahr ich noch ein paar Runden.“

Icke: „Nein, is kein Quatsch.“

Er: „Doch das stimmt alles nich. Deswegen mach ich den Motor nich aus. Und ich will mich auch gar nicht mit Ihnen unterhalten.“

Icke: „Na gut. Aber mekren Sie sich das Gespräch und denken Sie in zehn Jahren noch mal drüber nach!“

Er: „In zehn Jahren, da bin ich ja 88!“

Icke: „Oh, da haben Sie sich aber gut gehalten!“

Er: „Nee, hab mich verrechnet, dann bin ich 78.“

Icke: „Aber wenn Sie den Motor laufen lassen, verbraucht das doch auch Benzin. Das kostet Geld!“

„Ha“, dachte ich, „jetzt hab ich ihn.“

Er: „Ich bin mehrfacher Millionär, dit is mir egal.“

Icke: „Mit dem Klimawandel das stimmt aber wirklich, ich habe gestern gerade die Daten für Brandenburg rausgesucht. Temperatur und Niederschlag, kann ich Ihnen zeigen.“ (NB) Handyrumfuchtel.

Er: „Moment mal, ich mach jetzt doch erst mal den Motor aus.“

Icke (innerlich): \ő/

Er: „Das mit den Temperaturen ist alles Quatsch, glauben Sie das? Der Lauterbach erzählt doch nur Unsinn.“

Icke: „Was hat der denn damit zu tun? Das ist doch ein Mediziner.“

Icke: „Aber meine Schwester ist Klimaforscherin. Die weiß genau Bescheid.“

Er: „Ach, dann kriegt se ihr Geld für nüscht.“

Icke: „Nee, die hat bestimmt mehr gearbeitet als Sie. Die ist promoviert, das ist harte Arbeit. 60 Stunden die Woche, ich weiß das, war bei mir auch so, bin Professor.“

Er: „Na, wenn ich nur 60 Stunden die Woche gearbeitet hätte, hätte ich schon Mittwochs Feierabend gehabt.“

Icke: „Ehm. Wie das?“

Er: „Ich war Fernfahrer. 16, 17 Stunden. Manchmal sogar 19.“

Icke: „OK, dann nehme ich alles zurück. Aber ist das nicht auch verboten, so lange zu fahren? Wegen Arbeitsschutz und so?“

Ich glaub, er fand das cool, dass ich das wusste.

Er: „Dis war noch davor. Bin überall rumgefahren.“

Icke: „Aber dann ham se doch zum Ausgleich ganz viel Urlaub gehabt?“

Er: „Nee, hab ich mir alles auszahlen lassen. Ich bin überall gewesen im Süden. Da war es schon immer warm. Das ist alles Quatsch. Ich bin da überall gefahren. Unten in Griechenland bis rüber zum Aralsee.“

Icke: „Ja, und der ist jetzt weg. Ausgetrocknet.“

Er: „Ja, aber der hatte auch damals schon wenig Wasser.“

Icke: „Ja, aber jetzt isser weg. Man kann sich ja auf so historischen Satellitenkarten angucken, wie er kleiner wurde. Wie erklären Sie denn das?“ (NB)

Er: „Ja, das weiß ich jetzt auch nicht. Irgendwo muss das Wasser ja sein.“

Icke: „Ja. Ich weiß wo.“ Fuchtel, zeig. „Da oben. Wegen der höheren Temperaturen kann die Atmosphäre mehr Feuchtigkeit aufnehmen und dann kommt es irgendwann gesammelt runter an einem Ort, wo wir es nicht brauchen.“

Icke: „Und in Sizilien waren es 48°!“

Er: „Das stimmt nicht, ich habe einen Aufsatz von einem anderen Klimaforscher gelesen und das war die Bodentemperatur, nicht die normale Temperatur. Die wird 20 cm über dem Boden gemessen, die Bodentemperatur aber nur fünf cm über dem Boden (NB) und da ist es natürlich wärmer. Wenn die Formel 1 fährt sind es auch 33°, aber der Asphalt ist 45°, oder so.“

Icke: „Ja, is klar, der ist ja auch schwarz. Aber das mit Sizilien war so, dass es erst diese Berichte von der Bodentemperatur gab und einige Tage später war die richtige Temperatur auch bei 48°.“ (NB)

Er: „Ja, aber ich war da früher überall und da war es schon immer heiß.“

Icke: „Aber jetzt: Diese Woche sind dort die Stromkabel in der Straße geschmolzen, weil es zu heiß war. Wenn es schon immer so heiß gewesen wäre, dann hätten die ja auch früher schon schmelzen müssen, aber es waren die alten Kabel, die bis jetzt gehalten haben.“

Er: „Aber glauben Sie denn denen da oben denn? Die sind ja zum Teil blöder als ich. Baerbock und so.“

Icke: „Ja, die mag ich auch nicht so.“ (NB)

In diesem Moment rief Mausi an (Name geändert). Es ging um den Zug. Ich wusste, dass der 18:12 (Zeit auch geändert. Aber am Bahnhof war ich wirklich.) ankommt, denn ich wartete ja auf denselben.

Chemtrails

Wo kamen die Chemtrails denn jetzt her? Irgendwie tauchten die mitten im Gespräch auf. Keine Ahnung wieso. Aber wahrscheinlich hätte genauso gut ich ihn nach Chemtrails fragen können. Er musste mich wohl für einen halten, der an die Klimakatastrophe glaubt und Chemtrails als Verschwörungstheorie abtut.

Er: „Und glauben Sie auch nicht an Chemtrails?“

Icke: „Nee. Ist Quark. Ich habe mir das genau angeguckt. Ich habe in der Einflugschneise von Tegel gewohnt und war da in einer Bürgerinitiative aktiv. Da haben auch welche gedacht, die Flugzeuge würden über bewohnten Gebieten vor der Landung Kerosin ablassen, aber was so aussieht an den Tragflächen ist kein Kerosin und das wäre auch ökonomisch Unsinn, denn der Treibstoff kostet ja Geld.“

Er: „Nee, das meine ich nicht. Die machen so Aluminium-Partikel in die Luft. Wegen Klimawandel.“

Icke: „Hm. Ja, Geoengeniering, hab ich von gehört, von solchen Plänen. Und die machen das? Wegen Klimawandel? Dann gibt es also doch Klimawandel?“

Er: „Nee, aber das sagen die. Als Tarnung. Sagt man. Sie müssen mal gucken, auf flight-Dings, da fliegen Flugzeuge, die sind so ganz hoch, nach Warschau oder so und dann fliegt noch ein zweites Flugzeug und das versprüht die Chemikalien. Dieses Flugzeug taucht nicht auf dem Radar auf! Der Streifen von diesem Flugzeug sieht auch ganz anders aus, viel weicher und weiter verteilt.“

Irgendwann kamen die ersten Menschen aus dem Zug. Leider kam ich deshalb nicht mehr dazu, ihn zu fragen, warum uns die Regierung denn seiner Meinung nach umbringen wolle. Ich fragte ihn aber noch, was denn passieren müsse, damit er, wenn wir uns in zehn Jahren wieder träfen, eingestehen würde, dass das mit dem Klimawandel und dem CO2 ein Problem sei. Er meinte, dass es schon sein könne, dass er das einsehen würde, aber er sei noch nicht überzeugt.

Das hörte sich gaaaanz anders an als der Beginn unseres Gesprächs.

Dann war auch Mausi da, stieg auf der anderen Seite des Busses ein und wir verabschiedeten uns lächelnd und winkten uns zu. Das war großartig!

Die nahe Zukunft

Ich habe was für seinen ökologischen Fußabdruck und für meinen Handabdruck getan. (Der Fußabdruck sind die Klimafolgen, die wir individuell zu verantworten haben. Er ist kein so gutes Maß, denn bestimmte Dinge können wir selbst nicht beeinflussen. Ich kann meinen eigenen Fußabdruck nicht mehr viel senken (kein Auto, keine Flüge, kein Fleisch, null Heizung, Solarstrom usw.). Der Handabdruck ist positiver gedacht: Dort wird bewertet, wie man andere oder gleich die gesamte Gesellschaft positiv beeinflusst. Zu Hand- und Fußabdruck siehe Sind wir individuell für die Klimakatastrophe mitverantwortlich? Ja, natürlich!)

Ansonsten denke ich, dass ich jetzt auf Tour durch die neuen Bundesländer gehen werde und mit allen, die wollen, darüber streiten werde, ob es den menschengemachten Klimawandel gibt, oder nicht. Die Grünen können in Berlin bleiben. Ich mach das schon. Der Strößenreuther kommt dann eine Woche nach mir mit dem Fleck vorbei und vertickert überall die Solarzellen und Windräder. =:-) Hey, ich hab Visionen und ich geh nicht zum Arzt!

Nebenbemerkungen und Quellen

Temperaturen und Niederschläge in Brandenburg

Hier sind die Messergebnisse für Temperatur und Niederschläge in Brandenburg und der Vergleich zu den letzten Abschnitten von je 30 Jahren.

Boden und Lufttemperatur

Die Bodentemperatur wird im Boden gemessen. Kurz unter der Oberfläche. Das weiß ich auch erst seit heute. Wikipedia-Entrag Bodentemperatur. Die Lufttemperatur wird in zwei Meter Höhe gemessen. Wikipedia-Eintrag Lufttemperatur.

Sizilien 48°, oder doch nicht?

Bei t-online kann man in einem Beitrag vom 16.07.2023 lesen, welche „Klimaexperten“, wann was gesagt haben. Sag nur schnell mal, dass Julian Reichelt auch mit dabei war: Boden- oder Lufttemperatur? Verwirrung um 48-Grad-Hitze in Italien. Die taz hat für den 25.07. von 46° berichtet: Heißzeitfolgen auf Sizilien: Hitze trifft marode Infrastruktur. In einer AFP-Meldung wird für den 24.07. von 47,6° berichtet. Die schmelzenden Kabel werden auch im taz-Artikel besprochen.

Aralsee

Im Wikipedia-Artikel zum Aralsee gibt es eine Animation, die das Austrocknen zeigt. Der Aralsee war der viertgrößte See weltweit und wurde von den Einheimischen „das Meer“ genannt. Die Austrocknung ist hauptsächlich auf die jahrzehntelange Wasserentnahme für die Landwirtschaft zurückzuführen. Der Klimawandel gibt ihm jetzt den Rest. Er kann wohl nicht mehr gerettet werden. Beim SWR gibt es einen guten Radiobeitrag zum Aralsee und zu Wasser in der Region.

Annalena Baerbock

Liebe Grüne, verzeiht mir. Aber es hat ja keiner gehört.

Chemtrails

Also die Chemtrails kommen irgendwie immer im Paket mit Klimawandel-Verleugnung. Ich hatte schon vor einer Woche so was. Ein studierter Mensch. Architekt. Ich hatte dazu mal in Wikipedia nachgeguckt (Wikipedia: Chemtrails), da kann man ein bisschen dazu finden. Aber das wird natürlich nicht als Quelle anerkannt, denn die stecken ja alle unter einer Decke bzw. es ist so geheim, dass nur die eingeweihten Kreise und die Verschwörungstheoretiker*innen etwas wissen können. Der andere Verschwörer meinte übrigens, dass in der Gegend um den Flughafen in Frankfurt/Main so Quadrate mit Kondensstreifen abgedeckt würden. Die Flugzeuge würden immer hin und her fliegen, bis eine komplette Fläche abgedeckt wäre. Und sie würden nicht auf flightradar auftauchen.

Irgendwie scheint mir die Regierung ein bisschen blöd zu sein, dass sie die Chemtrails so offensichtlich für alle ausbringt. Wäre es da nicht besser, das Trinkwasser zu vergiften? Die Idee hatten ja damals schon die Hippies, die wollten LSD in die großen Seen kippen. Und die Hippies sind jetzt in der Regierung!! Die Vergiftung übers Trinkwasser würde niemand sehen können und es wäre sicher auch billiger, weil man sich das Rumfliegen sparen könnte und es wäre auch besser für die Regierung, weil die ja überlebt und das CO2, das beim Fliegen entsteht, ist ja schlecht für’s Klima und würde der Regierung schaden. Ach, Moment: Das mit dem CO2 wird ja als Argument nicht akzeptiert. Ehm, und noch ein Gedanke: Wie schützt sich eigentlich die Regierung vor den Chemtrails? Die laufen ja auch alle draußen rum. Außer Olaf Scholz natürlich. Wo ist der eigentlich?

Unfried, Palmer und die Letzte Generation

Heute gibt es einen Kommentar von Peter Unfried zur Letzten Generation und ein Interview von Unfried mit Boris Palmer in der taz. Ich nehme beides hier auseinander:

Kommentar von Peter Unfried zur Letzten Generation

Peter Unfried kritisiert eine Aktion der Letzten Generation vor den Kipppunkten vor dem Bundeskanzleramt, bei der diese einen Baum abgesägt haben, um auf die Zerstörung hinzuweisen.

Aktivisten der Letzten Generation haben vor dem Bundeskanzleramt einen Baum gefällt: Die Bundesregierung sägt den Ast ab, auf dem wir sitzen. Links Lina Schinköthe, rechts Franz Winter, Im Hintergrund sieht man das Polizeiauto, das die Wand vom Kanzleramt bewacht und klein einen weiteren Aktivisten, der die Wand zur Ablenkung besprüht hat. Berlin, 21.02.23

Ehrlich gesagt, finde ich diese Aktion von all denen, die ich bisher fotografiert habe (insgesamt 32) am wenigsten stimmig, aber das ist eine andere Frage. Im Folgenden sind die Zitate aus dem Kommentar blau. Also:

Unfried schreibt:

Klimaschutz-Aktivisten haben in dieser Woche in Berlin einen kleinen Baum vor dem Kanzleramt gefällt, um die „Zerstörung der Zivilisation durch Wirtschaft & Politik sichtbar“ zu machen. Putzig, danke vielmals. Da wären wir ja ohne die pädagogisch-metaphorische Belehrung der „Letzten Generation Hänschen klein“ niemals drauf gekommen. Offenbar hält diese Truppe die Deutschen, also uns, für bescheuert, gehirngewaschen durch Konsumfetischismus und so was, und deshalb apathisch und ignorant gegenüber bösen Kapitalisten und ihren liberaldemokratisch gewählten Helfershelfern, sodass man uns wachrütteln muss.

Das ist polemisch, aber OK, es ist ja ein Kommentar. Darf ich auch polemisch sein? Ein bisschen?

George Monbiot, Journalist beim Guardian, geht davon aus, dass weniger als 1% der Weltbevölkerung die Klimakatastrophe in ihrer ganzen Schönheit verstanden haben (Video von 2022). Ich bin sehr froh, jetzt von Peter Unfried gelernt zu haben, dass dieses eine Prozent deckungsgleich mit der deutschen Bevölkerung ist. Das ist toll. Dann sind wir zumindest in Deutschland der Lösung der Probleme wahrscheinlich recht nahe. Ansonsten hier noch mal die Erinnerung von Maja Göpel von 2019, die im Prinzip dasselbe wie George Monbiot sagt: Das Ausmaß der Bedrohung durch die Irreversibilität ist von den meisten Menschen noch nicht verstanden worden.

Jetzt kann man sagen: Ah, ja. Das war 2019. Inzwischen hat es auch der/die letzte geschnallt. I doubt it. Ich kann Peter Unfried (Chefreporter der taz) nur empfehlen, einfach mal das Volk zu Klimathemen zu befragen. Ich habe mit vielen Menschen geredet, als ich Unterschriften für den Volksentscheid Berlin Klimaneutral 2030 gesammelt habe. Und: Es mag schockierend sein für einen Chefreporter einer Zeitung: Aber es gibt Menschen die nicht Zeitung lesen und keine Ahnung von der Klimakatastrophe haben.

U schreibt:

Das ist eine traditionelle Widerstandserzählung, sie stimmt halt nur so nicht. Vor allem ist sie nicht produktiv zu bekommen. Was wäre denn die Alternative zu Marktwirtschaft und parlamentarischer Demokratie?

Das ist Polemik gepaart mit Unkenntnis und Unterstellung. Die Letzte Generation möchte die parlamentarischen Demokratie nicht abschaffen. Das weiß auch der Berliner Verfassungsschutz und die Zeitung, in der Peter Unfried Chef-Reporter ist, hat darüber berichtet:

Derweil sieht der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, die Letzte Generation nicht als extremistisch an. Bei einer Diskussionsveranstaltung am Mittwoch sagte Halden­wang, er erkenne nicht, „dass sich diese Gruppierung gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung richtet“. Insofern seien die Ak­ti­vis­t:in­nen kein Beobachtungsobjekt für den Verfassungsschutz.

taz, 17.11.2022, Verfassungsschutzchef zu Letzte Generation: „Klima-RAF“ ist „Nonsens“

Und weiter von U:

Linksautoritäre Staatswirtschaft ja wohl nicht, in der die Läden halbleer sind, die Staatskassen ganz leer und die Leute davonrennen, wenn man sie nicht erschießt. Ich chargiere jetzt auch mal etwas.

Ja, das funktioniert nicht, das will auch keiner und die geforderten Bürgerräte sind gedacht, genau das zu verhindern. Siehe unten. Zu den halb leeren Läden: Ich verweise auf Großbritannien, wo zum Teil durch den Brexit aber eben auch zum Teil durch Missernten bedingt, die Regale leer sind. (tagesschau, 2023)

Zu schaffen macht den Landwirten auch der Klimawandel. So litt Großbritannien im Sommer 2022 unter einer Hitzewelle, im Dezember unter langem, hartem Frost. Wegen des schlechten Wetters seien Karotten, Pastinaken, Kohl und Blumenkohl in Mitleidenschaft gezogen worden, sagte Tim O’Malley vom britischen Lebensmittelproduzenten Nationwide Produce. Er rechnet mit weiteren Preissteigerungen.

tagesschau 22.02.2023: Tomaten und Gurken werden knapp Britische Supermarktketten rationieren Gemüse

Wer regiert dort gerade? Ja, die Tories. So weit weg von linksautoritärer Staatswirtschaft, wie es nur geht.

Performance von Extinction Rebellion am Tag der Biodiversität, um auf das von Bayer mitverursachte Artensterben und die drohenden Versorgungskrisen hinzuweisen. Vor der Bayer-Zentrale Müllerstraße, Berlin, 23.05.23, Bild: Stefan Müller, CC-BY

Die Letzte Generation vor den Kipppunkten – und wie das Bild zeigt, nicht nur die – warnt vor Ernährungsengpässen durch Missernten, die kommen werden, und wenn wir Pech haben, kommen sie durch die sich gegenseitig verstärkenden Krisen früher und massiver als wir gedacht haben. Die Brotpreise sind im letzten Jahr bereits gestiegen (Ukrainekrieg + Missernten, Deutschlandfunk). Übrigens: Zu dem Zeitpunkt, ab dem die Läden hier leer sein werden, lohnt sich das Wegrennen nicht mehr, denn nebenan werden sie genauso leer sein.

Unfried schreibt:

Oder sorgen statt gewählter Parlamentarier ausgeloste Bürger dafür, dass es keine unterschiedlichen Interessen mehr gibt?

Das ist unglaublich und eine Schande für die taz. In mehrerlei Hinsicht. 1) scheint Peter Unfried nicht zu wissen, was Bürgerräte sind, wie sie funktionieren und was deren Ziel ist. Auch scheint er den Koalitionsvertrag der aktuellen Regierung nicht zu kennen. Ich zitiere aus diesem Koalitionsvertrag (S. 8):

Lebendige Demokratie
Demokratie lebt vom Vertrauen in alle staatlichen Institutionen und Verfassungsorgane. Wir werden daher das Parlament als Ort der Debatte und der Gesetzgebung stärken.
Wir wollen die Qualität der Gesetzgebung verbessern. Dazu werden wir neue Vorhaben frühzeitig und ressortübergreifend, auch in neuen Formaten, diskutieren. […]
Wir wollen die Entscheidungsfindung verbessern, indem wir neue Formen des Bürgerdialogs wie etwa Bürgerräte nutzen, ohne das Prinzip der Repräsentation aufzugeben. Wir werden Bürgerräte zu konkreten Fragestellungen durch den Bundestag einsetzen und organisieren. Dabei werden wir auf gleichberechtigte Teilhabe achten. Eine Befassung des Bundestages mit den Ergebnissen wird sichergestellt. Das Petitionsverfahren werden wir insgesamt stärken und digitalisieren und die Möglichkeit schaffen öffentliche Petitionen in Ausschüssen und im Plenum zu beraten.

Koalitionsvertrag 2021–2025, SPD, Grüne, FDP, S. 8

Die Bürgerräte sollen nicht statt der Parlamentarier*innen arbeiten, sondern diesen zuarbeiten. Herr Unfried möge dazu auch die Erklärung der Letzten Generation vor den Kipppunkten (insbesondere Punkt 21 In welchem Verhältnis steht der Gesellschaftsrat zur Regierung bzw. zu gewählten Gremien?) lesen.

Die Bürgerräte sind nicht dazu da, dass es hinterher eine Gesellschaft mit Bürger*innen gibt, die alle die gleichen Interessen haben. [Parlamentarisch gewählte Abgeordnete übrigens auch nicht.] Bürgerräte sind dazu da, Probleme zu lösen, die man mit den normalen politischen Mitteln nicht gelöst bekommt. Zum Beispiel deshalb, weil keine Partei Maßnahme XY vorschlagen oder durchsetzen kann, ohne massive Stimmenverluste zu erleiden. Oder eben weil man Mehrheiten braucht für Regierungen und dann eine FDP mit dabei hat, die um ihre Rolle weiß und alles blockiert. Ein Beispiel für ein solches Problem war die Frage der Abtreibung im katholischen Irland. Keine Partei konnte es sich leisten, sich für Abtreibung einzusetzen. Der Bürgerrat hat Vorschläge an die Regierung gemacht. Auf Grundlage dessen gab es ein Referendum und jetzt ist die Abtreibung legalisiert:

Bericht über den Bürgerrat zur Abtreibung in Irland

Es gab in Deutschland schon einige Bürgerräte zu verschiedenen Themen. Einer davon zum Klima. Dieser fand unter der Schirmherrschaft des ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler (CDU) statt. Hier kann man Bundestagspräsident Wolfgang Schäubele (CDU) zu einem anderen Bürgerrat sehen:

Wir haben also SPD, Grüne, FDP und CDU als Befürworter dieses Instruments zur Erweiterung der Demokratie. Die Letzte Generation vor den Kipppunkten kämpft für die Erhaltung der Demokratie, ja für ihre Verbesserung. Für einen Weg aus der Falle, in der wir uns – auch durch Einwirkung von Lobbygruppen – festgefahren haben.

Zu einem Wort im letzten Zitat muss noch etwas angemerkt werden: statt. Die Letzte Generation vor den Kipppunkten fordert in der Tat, dass die Ergebnisse des Gesellschaftsrats 1:1 umgesetzt werden. Der Grund hierfür ist, dass es bereits einen Klima-Bürgerrat gab, die Ergebnisse aber einfach ignoriert wurden. Auch Ergebnisse von Bürgerräten in anderen Ländern wurden nur teilweise umgesetzt (Frankreich, taz, 26.10.2020). Wie Umfragen zu den Ergebnissen des Klimabürgerrates zeigen, werden die Ergebnisse von der Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert (PHA2SE, 2021). Wenn man das noch einmal demokratisch absichern wollen würde, könnte man den Bürgerrat mit einem Volksentscheid kombinieren. Das Problem ist, dass dazu das Grundgesetz geändert werden müsste, weil dieses Volksentscheide auf Bundesebene nur zu sehr eingeschränkten Themen vorsieht (Wikipedia zu Volksentscheid). Aber: Grüne, FDP, Linke, SPD und CSU haben seit 2002 Vorschläge zur Änderung des Grundgesetzes in den Bundestag eingebracht (Zu den Details siehe auch Wikipedia). Die Einführung von Volksentscheiden liegt also im Bereich des Denkbaren.

U schreibt:

Und dann sind wir alle gute Menschen, und es kommt zu einem kollektiven moral change hin zu einem Kleinstfußabdruck-Lebensstil ganz ohne Bali-Flüge? Get a life.

Nein, sind wir nicht. Das ist genau der Punkt. Man darf die individuelle Ebene nicht mit der politischen verwechseln. Wir einigen uns gemeinsam, wie weit wir gehen wollen, was angesichts der sich verstärkenden Katastrophe nötig und möglich ist. Zum Beispiel wäre ein Tempolimit ein garantiertes Ergebnis eines Klimabürgerrates. Eine Mehrheit der Deutschen ist ohnehin dafür und der Rest muss sich dann eben der Mehrheit fügen. Flüge könnten teurer werden. Man könnte Flugreisenkontingente einführen oder stark wachsende Preise in Abhängigkeit der geflogenen Meilen pro Person. Das sind Ideen und die repräsentativ zusammengesetzten Bürgerräte können das ausdiskutieren und einen Kompromiss finden, der für die Gesellschaft tragbar ist.

2) Peter Unfried wiederholt eine Lüge, die die Bild-Zeitung in die Welt gesetzt hat, und die in der Zeitung, in der er Chefreporter ist, auf einer drittel Seite richtiggestellt wurde (taz, 02.02.2023). Die Aktivist*innen der Letzten Generation, auf die er anspielt, waren noch nie in ihrem Leben in Bali. Sie waren bzw. sind (für mehrere Monate) in Thailand.

Unfried schreibt:

Protest ist ein System und hat eine Funktion. Aber wenn die sozialökologische Transformation nach den verlorenen CDU-SPD-Jahrzehnten jetzt an Dynamik gewinnen soll (und das soll sie!), muss die Gesellschaft wissen, an welchem Punkt wir jetzt sind. Und da finde ich die These des sozialökologischen Politikers Boris Palmer (siehe Interview Seite 34) diskussionswürdig, dass wir über die Phase hinaus seien, in der es noch darum ging, politische Mehrheiten zu gewinnen und die Leute mit apokalyptischen Endzeitdrohungen zu bearbeiten. Das heißt: Wir wissen mehrheitlich, dass wir transformieren müssen, sehen die vielen Vorteile und wollen das jetzt auch tatsächlich machen.

Ach so. Werbung für das selbst geführte Interview. Na gut. Dazu später. Aber hallo? Man braucht keine Mehrheiten, man muss transformieren? Ja, wie denn? Mit der Ampel? Die Autobahnen ausbauen will? Also nicht die ganze Ampel aber die FDP. Mir fallen diverse Maßnahmen ein: Tempolimit, Abbau von Subventionen für fossile Energien: Pendlerpauschale, Dienstwagenprivileg, Kerosinsteuer. Das wären erst mal die Anreize, die in die falsche Richtung gehen und abgebaut werden müssen. Dazu kämen dann Anreize in die richtige Richtung. Wo ist das alles? Wer blockiert das? Und sollte man dagegen nicht protestieren? Oder soll man lieber doch noch drei Jahre warten und dann neu wählen? Anders? Wie denn bitte? Ich habe die FDP schließlich nicht gewählt.

Leider gehen damit die Herausforderungen erst los. Doch es sind eben andere als die, die wir bisher bearbeiteten. Und sie sind womöglich noch größer. Es braucht eine gesetzliche, digitale, unternehmerische und handwerkliche Infrastruktur des Machens. Beispiel: Wenn die entsprechende Gesetzesvorlage des grünen Wirtschafts- und Klimaministeriums durch den Bundestag ist, müssen Windräder in sehr großer Zahl produziert sein, am besten von weltmarktorientierten deutschen Firmen, und dann unverzüglich von Behörden genehmigt, von Fachkräften hingestellt und in Betrieb gebracht werden. Dito Solaranlagen, dito Wärmepumpen. Dito Ladeinfrastruktur für unsere Elektroautos. Und so weiter.

Ja, super. Energie ist ein Baustein, aber das ist nicht alles. Wir leben in zu großen Wohnungen, haben ein falsches Verkehrssystem („unsere Elektroautos“ Lieber Herr Unfried: Schon die Herstellung Ihres neuen Elektroautos verbraucht Ihr Restbudget an CO2. Siehe Car is over und Sachverständigenrat für Umweltfragen, 2022), essen zu viel Fleisch, ruinieren die Böden durch falsche Landwirtschaft. Usw. usf. Das sind alles Punkte, für die wir politische Lösungen brauchen. Diese können wir nur als Gesellschaft gemeinsam finden. Und zwar nicht durch Gleichschaltung der Interessen sondern durch Ausgleich.

Protestieren, so verständlich das in emotionaler Not sein mag, ist nicht die zentrale Aufgabe der nächsten Zeit. Es geht jetzt um eine Infrastruktur des Machens. Wir brauchen Firmen, wir brauchen Produkte, wir brauchen Installateure, wir brauchen eine funktionierende Bürokratie.

OK. Das ist neu. Statt: „Ej, hört doch mal auf die kleinen Leute auf dem Weg zur Arbeit zu ärgern! Geht lieber zu den Politikern!“, kommt jetzt, zu einer Aktion vor dem Bundeskanzleramt: „Ej, hört doch mal ganz auf zu protestieren!“ Dazu noch eine Abwertung mit „emotionaler Not“. „Ej, kriegt mal Eure Gefühle in den Griff!“

Was wir gar nicht brauchen, ist eine anachronistische Widerstandshaltung, die das Missverständnis pflegt, die postfossile Bewegung sei in der Minderheit. Ja, die FDP bremst, und andere blockieren noch. Aber wir sind die Mehrheit.

Oh, das ist ja schön. Dann ist ja alles gut. Leider kontrafaktisch. Die CDU hat gerade in Berlin einen überragenden Wahlsieg eingefahren. Und zwar mit einem Wahlkampf, in dem mit der Klimaautobahn A100 geworben wurde und die armen Autofahrer*innen als potentielle Wähler*innen direkt angesprochen wurden. Und selbst wenn alles klar wäre und wir die Mehrheit wären: Die Regierung handelt nicht. Jedenfalls nicht angemessen. Die Vorgaben aus dem Klimagesetz wurden von zwei Sektoren gerissen. Die gesetzlich vorgeschriebenen Sofortprogramme wurden im Verkehrssektor nicht geliefert. Der von der Regierung bestellte Expertenrat für Klimafragen hat die Prüfung des „Sofortprogramms“ aus dem Hause Wissing abgebrochen, weil es ein Witz ist (taz, 02.01.2023, Expertenrat Klimafragen, 2022: 81–82). Was nützte es, wenn wir die Mehrheit wären?

Und noch ein letzter Punkt: Wenn Politiker*innen oder Journalist*innen die Proteste der Letzten Generation vor den Kipppunkten kleinreden wollen, sprechen sie von „jungen Leuten“ oder gleich wie Peter Unfried von „Letzte Generation Hänschen klein“. Zum einen: Die Letzte Generation besteht aus Aktivist*innen aller Altersklassen (65 Portraits mit Name, Alter, Beruf). Zum zweiten, und das wird von den Kritiker*innen gern weggelassen: Es gibt seit April 2022, der Veröffentlichung des Sechsten Sachstandsberichts des IPCC, auch in Deutschland Scientist Rebellion.

Wissenschaftler von Scientist Rebellion blockieren die Kronprinzenbrücke in Berlin, um auf die dramatischen Folgen der Kliamkatastrophe laut IPCC-Bericht hinzuweisen. Unter Fahrradverkehrsschild mit Pyro Prof. Dr. Nikolaus Froitzheim, Geologe aus Bonn, Kronprinzenbrücke, Berlin, 06.04.22, Bild: Stefan Müller, CC-BY

Scientist Rebellion ist eine internationale Gruppe von Wissenschaftler*innen, die explizit die Letzte Generation unterstützen und mit denselben Aktionsformen und zum Teil auch in Koalition mit der Letzten Generation agieren.

Aktivistinnen der Letzten Generation blockieren gemeinsam mit Scientist Rebellion den World Health Summit 2022 in Berlin. 16.10.22, Bild: Stefan Müller, CC-BY

Vor knapp zwei Wochen gab es auch eine Solidarisierung von Wissenschaftler*innen, die überwiegend nichts mit Scientist Rebellion zu tun haben.

Lutz van der Horst von der Heute-Show blockiert mit der Letzten Generation die Unter den Linden. Rechts Lina Johnson und Carla Rochel. Im Hintergrund unterstützende Wissenschaftler. Prof. Dr. Barbara Schramkowski hält eine Rede. Berlin, 17.02.23, Bild: Stefan Müller, CC-BY

Warum machen das Wissenschaftler*innen wohl? Meine Vermutung ist, dass sie der Meinung sind, dass die Bedrohung durch die Klimakatastrophe, in der wir uns bereits befinden, immer noch nicht verstanden worden ist. Ja, auch von Peter Unfired nicht! Über diese Solidarisierung wurde übrigens in der taz nicht berichtet. Vielleicht ja dann beim nächsten Mal.

Zwischenfazit: Dieser Kommentar von Peter Unfried ist ein Skandal in einer Zeitung wie der taz.

Interview von Peter Unfried mit Boris Palmer

So, jetzt Palmer. Das Interview führte Peter Unfried.

wochentaz: Lieber Herr Palmer, sollte man Politiker fragen, welche Elemente einer ökologischen Kultur sie in ihren Lebensstil integriert haben?

Boris Palmer: Kann man schon fragen. Das bringt nur keine großen Erkenntnisse. Die Aufgabe eines Politikers ist es, von sich selber zu abstrahieren und eine Position zu finden, die für das Gemeinwohl gut ist.

Genau richtig!

taz: Der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, ihr Ministerpräsident Kretschmann, hatte in der Energiespardiskussion erwähnt, dass er auch mal zum Waschlappen greife statt zur Dusche, worauf große gespielte Empörung ausbrach.

Palmer: Die Waschlappen-Ebene, also die mediale Stilisierung von Öko-Tugenden, kann man generell vergessen. Die Leute ändern sich jetzt erst mal nicht oder nur ganz wenig.

Nun ja, nun ja. Wichtig ist die politische Ebene, aber die kann nur das machen, wozu die Menschen (mehrheitlich und mit entsprechenden politischen Mehrheiten) bereit sind. Es ist nicht wahr, dass es keine Änderungen gibt: Der Konsum an Schweinefleisch ist in den letzten Jahren gesunken (taz, 19.02.2023). Aber insgesamt ist das natürlich zu wenig und die Probleme müssen auf der politischen Ebene gelöst werden.

taz: Der Vizekanzler sagt immer, es sei bewundernswert, wie viel Gas in der Krise eingespart wurde.

Ja, weil BASF die Produktion nach China verlagert hat. Aber die Leute duschen nicht kürzer und sie machen auch die Wohnungen nicht kälter.

Diese Aussage ist falsch. Unser Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck aus der Partei, in der Palmer mal Mitglied war, hat am 27.01.2023 in einem Interview mit Peter Unfried gesagt, dass wir im vierten Quartal 2022 22% eingespart haben. Beide Aussagen können nur dann gemeinsam wahr sein, wenn BASF wirklich die Produktion verlagert hätte und vorher 22% des gesamtdeutschen Energieverbrauchs benötigt hätte. Die Pläne in Bezug auf die Abwanderung nach China betreffen aber das Jahr 2024 (tagesschau, 24.02.2023).

Demonstranten protestieren gegen den Krieg in der Ukraine mit einem Schild „Lieber kalte Heizung als heißer Krieg“. Brandenburger Tor, Berlin, 27.02.22, Bild: Stefan Müller, CC-BY

Die Chemie-Industrie ist im vergangenen Jahr „nur“ 1% gewachsen. Die Einsparungen sind wohl doch auf andere Bereiche zurückzuführen. Zum Beispiel wurden öffentliche Gebäude weniger geheizt. Bei Universitäten ging der Energieverbrauch bis zu 25% zurück. Bei der FU Berlin waren es 20% (Energiemonitor). Das Hauptgebäude der HU hängt an einem Gaskraftwerk. Die Angestellten haben nach eindringlichen Aufrufen die Heizung runtergedreht und auch ausgelassen, wenn keine Heizung benötigt wurde. Die Einsparungen wurden also durch ein Zusammenwirken der politischen und der individuellen Ebene erreicht. Ich kenne auch viele Menschen, die in ihren Wohnungen Temperaturen reduziert bzw. nicht geheizt haben. Viele einfach auch, weil sie arm sind.

taz: Jetzt haben wir Leute auf den Straßen, die Klimapolitik verlangen und Gesetzesbrüche mit einem höheren Ziel begründen. Hilft das?

Ich glaube, es hält mehr auf als sonst was.

taz: Begründung?

Ich habe noch niemanden getroffen, der sagt: Wegen der Klebe-Protestierer machen wir jetzt ein konkretes Klima-Projekt, damit es schneller vorangeht. Ich treffe aber viele Leute, die sagen: Das regt mich auf. Der Irrtum dieser Art Protest ist, dass er sich auf Waschlappen-Ebene bewegt und immer noch glaubt, den Leuten erklären zu müssen, wie wichtig Klimaschutz ist.

Das ist falsch. Der Protest richtet sich gegen das Nichthandeln der Regierung:

Caris und Solvig, zwei Mütter vom Aufstand der Letzten Generation, haben sich im Naturkundemuseum festgeklebt. Caris hat einen Sohn und Solvig vier Kinder. Berlin, 30.10.22

taz: Muss man nicht? [erklären, wie wichtig Klimaschutz ist]

Nein. Anders als vor zehn Jahren haben eigentlich alle wesentlichen Akteure begriffen, wie wichtig das ist. Das Problem ist nicht mehr der politische Wille.

Oh. Da bin ich froh. Aber nur mal kurz: Wieso gibt es dann noch kein Tempolimit, obwohl das massiv CO2 einsparen würde und nichts kosten würde?

Aktivisten vom Aufstand der Letzten Generation bringen Tempo-100-Schilder zum Verkehrsministerium und lassen einige durch die Luft segeln. v.l.n.r Miriam Meyer, Edmund Schultz, Mirjam Herrmann, Invalidenstraße, Berlin, 22.10.22, Bild: Stefan Müller, CC-BY

Wieso kriegt die Regierung nicht mal das hin? Ach so, ja die FDP. Aber es gibt noch einen Bundeskanzler, der in der SPD ist, und einen Klimaminister, der bei den Grünen ist. Die gesamte Regierung ist für ihr Handeln bzw. Nicht-Handeln verantwortlich.

taz: Sondern? [was ist das Problem?]

Wenn Habecks Kabinettsvorlage demnächst durch den Bundestag geht, ist die jahrhundertelange Vogelprüfung beendet, dann kann man Windräder gesetzlich einfach hinstellen. Das stimmt mich zuversichtlich. Das Problem ist aber, dass du sie nicht bestellen kannst, weil sie nicht lieferbar sind. Du kannst keine Trafos bestellen, weil sie nicht lieferbar sind. Du kannst keine Solar-Monteure bestellen, weil die alle ausgebucht sind. Und die Wärmepumpe kriegst du auch nicht geliefert.

taz: Das klingt etwas zugespitzt.

Ist es auch. Nach ein, zwei Jahren kommt das Zeug schon, aber mein Punkt ist: Es ist eben nicht mehr der fehlende politische Wille, es ist die fehlende Fähigkeit von Bürokratie und Wirtschaft, es auch zu tun. Wir stehen uns selber im Weg wegen gnadenloser Überregulierung und Mangel an Fachkräften. Wir haben also ein ganz anderes Problem, als die Protestierenden adressieren.

Oh. Palmer ist also einer der Technology will fix it guys. Wenn wir nur genug Wind- oder Solarenergie haben, wird alles gut. Die Energiewende ist ein wesentlicher Bestandteil der Lösung (bzw. Abmilderung) unseres Klimaproblems, aber es ist nicht alles. Und wo ist der Wille zum Umbau unserer Landwirtschaft? Wo ist der Wille zum Umbau unsere Gesellschaften, so dass nicht mehr das obere 1% rumsaut, wie es will? Verbot/Einschränkung von Privatflügen? Ernährungswende, Verkehrswende?

taz: Was machen wir da als gesellschaftsengagierte Bürger?

Wenn man das voranbringen will, muss man jetzt in andere Positionen rein, als wir das gewöhnt sind. Wenn du etwas Gutes tun willst, gründe eine Firma, die Solaranlagen installiert und überzeuge viele deiner Kumpels, dass sie sich schnell zum Solarmonteur ausbilden lassen, damit die Dinger auf die Dächer kommen

taz: Dieser Gedanke zukunftsorientierten Unternehmertums ist rhetorisch von FDP-Politikern besetzt, die damit Klima-Protest-Leute ausschimpfen.

Ja, das tut mir jetzt leid, dass die FDP auch mal was Richtiges sagt, aber wir brauchen einen Gründungsboom von Firmen, wir brauchen Leute, die in diese Branchen reingehen, um es zu machen. Was wir nicht brauchen, sind noch mehr Leute, die sich festkleben und diskutieren. Da haben wir genug.

Na, zum Glück sagt es Peter Unfried selbst, dass das FDP-Denke ist. Boris Palmer hat übrigens Angebote von der BaWü-FDP, dort einzutreten. Diese Argumentation ist unterstes Twitter-Troll-Niveau. 1) Kann nicht jede/jeder in diesen Berufen arbeiten. 2) Verlagert das wieder alles auf die individuelle Ebene, die Waschlappenebene: Wenn Du Klimaschutz willst, werde Elektromonteur oder gründe kleine geile Firmen.

Funny van Dannen, 2004: Baut kleine geile Firmen auf!

Und lustigerweise, wenn wir schon auf dieser, der individuellen Ebene sind, kann ich hier gleich noch ein Bild beisteuern. Das Bild zeigt Christoph Meiler, er ist Zerspanungsmechaniker und war bei einem deutschen Automobilzulieferer tätig, bis die ihr Werk ins Ausland verlagert haben. Er macht jetzt eine Umschulung zum Elektriker, so dass er dann im Solarbereich arbeiten kann.

Christoph Meiler, Zerspanungsmechaniker, vom Aufstand der Letzten Generation bei der Blockade der A100, Berlin, 29.06.22, Bild: Stefan Müller, CC-BY

Ich hatte lange Zeit, mich mit ihm zu unterhalten, denn bis der Kran da war und alle gelöst waren, hat es eine Weile gedauert.

Aktivistinnen vom Aufstand der Letzten Generation sind auf Verkehrsleitanlagen geklettert und werden vom Kletterteam der Polizei per Kran heruntergeholt, Berlin, 29.06.22, Bild: Stefan Müller, CC-BY

Christoph Meiler macht also auf der individuellen Ebene genau das, was Twitter-Trolls und Boris Palmer von allen Klimaaktivist*innen verlangen. Außerdem protestiert er noch gegen das ungesetzliche Nicht-Handeln der Regierung.

Diese konkrete Aktion hat sich übrigens gegen Pläne von Regierungsparteien gerichtet, in der Nordsee nach Öl zu bohren. Ej, es ist alles in Ordnung! Niemand muss protestieren, gründet lieber kleine, geile Firmen! My ass.

So. Danke, dass Ihr bis hierher gelesen habt! Wer immer Ihr seid, was immer Ihr tut, hört nicht auf zu protestieren. Kommt zum Klimastreik von Fridays for Future am 3.3.2023! Stimmt für den Volksentscheid Berlin klimaneutral 2030!

Geht los und verteidigt Euch! Geht los! (AG Geige, Der Dirigent, 1988, gibts nicht bei Youtube, aber bei Tapeattack)

Quellen

Balmer, Rudolf. 2020. Geplante SUV-Steuer in Frankreich: Dicke Daimler unverkäuflich. taz. Berlin. (https://taz.de/Geplante-SUV-Steuer-in-Frankreich/!5723394)

Bethke, Shoko. 2022. Verfassungsschutzchef zu Letzte Generation: „Klima-RAF“ ist „Nonsens“. taz. Berlin. (https://taz.de/Verfassungsschutzchef-zu-Letzte-Generation/!5895968/)

Betsch, Cornelia & Sprengholz, Philipp & Lehre, Lena. 2021. PHA2SE: Planetary Health Action Acceptance Study Erfurt: Das Klimaschutz-Monitoring für Deutschland. Erfurt: Universität Erfurt. (https://projekte.uni-erfurt.de/pha2se/summary/analysis/)

ERK. 2022. Prüfbericht zu den Sofortprogrammen 2022 für den Gebäude- und Verkehrssektor Prüfung der den Maßnahmen zugrundeliegenden Annahmen gemäß § 12 Abs. 2 Bundes-Klimaschutzgesetz. Berlin: Expertenrat für Klimafragen (ERK). (https://expertenrat-klima.de/content/uploads/2022/08/ERK2022_Pruefbericht-Sofortprogramme-Gebaeude-Verkehr.pdf)

Heynen, Malte. 2021. Akzeptanz von Klimapolitik: Im Interesse der Lobbyisten. taz. Berlin. (https://taz.de/Akzeptanz-von-Klimapolitik/!5805803/)

Krüger, Anja & Schulze, Tobias & Unfried, Peter. 2023. Robert Habeck über Klimapolitik und Krieg: „Lassen wir das Rumnölen!“. taz 27.01.2023. Berlin. (https://taz.de/Robert-Habeck-ueber-Klimapolitik-und-Krieg/!5908990)

Monbiot, George. 2022. The Tipping Point that will DESTROY the World. 2022. Double Down News. (https://www.youtube.com/watch?v=lIEu-OW9_YA)

Pfister, Sandra. 2022. Blockierte Weizenausfuhr aus der Ukraine: Was hilft gegen die drohende Ernährungskrise? Deutschlandfunk. (https://www.deutschlandfunk.de/ukraine-weizen-getreide-export-blockade-welternaehrung-100.html)

Rath, Christian. 2023. Juristische Lage beim Klimaschutz: Ist die Klimapolitik rechtswidrig? taz. 02.01.2023, Berlin. (https://taz.de/Juristische-Lage-beim-Klimaschutz/!5898660/)

Sachverständigenrat für Umweltfragen. 2022. Wie viel CO2 darf Deutschland maximal noch ausstoßen? Fragen und Antworten zum CO2-Budget. Berlin: Sachverständigenrat für Umweltfragen. (https://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/04_Stellungnahmen/2020_2024/2022_06_fragen_und_antworten_zum_co2_budget.html)

Wolff, Reinhard. 2021. Dänische Probe aufs Exempel: Der Klimabürgerrat hat geliefert. taz. Berlin. (https://taz.de/Daenische-Probe-aufs-Exempel/!5765146)

Zauner, David. 2023. Sozialpsychologe über Klimaschutz: „Wir brauchen kollektive Lösungen“. taz. Berlin. 19.02.2023 (https://taz.de/Sozialpsychologe-ueber-Klimaschutz/!5914518/)

Diese ganzen Tonnen, Fußball in Katar und Kompensation

Entwarnung (am Abend des 25.11. eingefügt): Ein Kollege hat mich darauf hingewiesen, dass die taz um Größenordnungen daneben lag. Leider habe ich die Zahl nicht selbst überprüft. Statt 3,6 Gigatonnen werden „nur“ 3,6 Megatonnen ausgestoßen: Hier ist der Originalbericht von South Pole.

Svenja Schulze, damals noch Umweltministerin, hat 2019 auf die Frage nach unserem CO2-Restbudget geantwortet: „Unter diesen ganzen Tonnen und so kann sich doch keiner was vorstellen.“ Ich habe das schon mehrfach in diesem Blog aufgegriffen (Zu unserem CO2-Restbudget: Car is over, Sind Fluggäste Mörder?, Flüge, CO2, Verantwortung und Mitschuld). Das war damals natürlich ein Ausweichmanöver, aber es ist ja in der Tat so, dass diese Zahlen schlecht mit Konkretem verbunden werden können. Man braucht dazu Vergleiche. Zum Beispiel die 1000-Tonnen-Regel (1000 Tonnen verbrannter Kohlenstoff = 1 Mensch, der an den Folgen der Klimakatastrophe vorzeitig sterben wird, Parncutt, 2019).

In der taz stand heute, dass eine Firma im Auftrag der Veranstalter (!) berechnet hat, dass der CO2-Ausstoß für die Fußball-WM in Katar 3,6 Gigatonnen beträgt (taz, 25.11.2022: 3). Die taz berichtet über die NGO Carbon Market Watch, die zu höheren Zahlen kommt, weil zum Beispiel der sehr CO2-intensive Bau der Stadien nur zu einem kleinen Teil berücksichtigt ist.

Aktivistin von Extinction Rebellion vor der Adidas-Filiale in Berlin. XR protestiert gegen das Sponsoring der WM in Katar. Kurfürstendamm, Berlin, 19.11.22 Bild: CC-BY-NC Stefan Müller

3,6 Gigatonnen? Ist das viel? Wenig? Geht so? Spaß muss sein? Wir können es mit den Zahlen vergleichen, die im IPCC-Bericht genannt wurden: Der Sachverständigenrat für Umweltfragen, der die Bundesregierung berät, hat errechnet, dass das CO2-Budget für Deutschland bei 2 Gigatonnen liegt, wenn wir das 1,5°-Ziel mit einer Wahrscheinlichkeit von 67% erreichen wollen (SRU, 2022: 7). 67% ist gezockt: Ja, ja, nein. In einem Drittel der Fälle geht es daneben, also 1,6° oder mit entsprechend abnehmender Wahrscheinlichkeit auch mehr bzw. sehr viel mehr.

Das heißt was? Das bedeutet, dass diese eine Fußball-WM das Doppelte des Restbudgets für unser ganzes Land verbraucht. „Is ja nich schlüm, wird ja kompensiert.“ Anhand dieses Ereignisses kann man eigentlich sehr schön sehen, wie absurd Kompensation ist. Wenn Kompensation ein sinnvolles Instrument in der Klimakatastrophe wäre, könnten wir auch sagen: Och, wir machen einfach nichts und kompensieren dann, dass wir zum Fenster raus heizen (= offene Stadien klimatisieren), mal eben die Tochter mit dem Flugzeug über’s Wochenende besuchen (= Shuttleflüge für außerhalb Katars untergebrachte WM-Teilnehmer*innen) usw.

Schlussfolgerung: Solche Ereignisse wie die Fußball-WM in Katar können wir uns als Menschheit nicht mehr leisten. Kompensation ist ein untaugliches Instrument, das nur dem Greenwashing und der Gewissensberuhigung dient.

Quellen

IPCC, 2021. Zusammenfassung für die politische Entscheidungsfindung. In Beitrag von Arbeitsgruppe I zum Sechsten Sachstandsbericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen [Masson-Delmotte, V., P. Zhai, A. Pirani, S.L. Connors, C. Péan, S. Berger, N. Caud, Y. Chen, L. Goldfarb, M.I. Gomis, M. Huang, K. Leitzell, E. Lonnoy, J.B.R. Matthews, T.K. Maycock, T. Waterfield, O. Yelekçi, R. Yu, and B. Zhou (eds.)] (ed.), Naturwissenschaftliche Grundlagen. https://www.de-ipcc.de/media/content/AR6-WGI-SPM_deutsch_barrierefrei.pdf.

Parncutt, Richard. 2019. The Human Cost of Anthropogenic Global Warming: Semi-Quantitative Prediction and the 1,000-Tonne Rule. Frontiers in Psychology 10(2323). 1–17. (doi:10.3389/fpsyg.2019.02323)

Sachverständigenrat für Umweltfragen. 2022. Wie viel CO2 darf Deutschland maximal noch ausstoßen? Fragen und Antworten zum CO2-Budget. Berlin: Sachverständigenrat für Umweltfragen. (https://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/04_Stellungnahmen/2020_2024/2022_06_fragen_und_antworten_zum_co2_budget.html)

Vuillemin, Clara. 2022. Das Märchen der klima-neutralen WM. taz, 25.11.2022. Berlin. https://www.taz.de/!5893932.

Sind Fluggäste Mörder?

In diesem Blog-Post beschäftige ich mich mit dem CO2-Impact von Flügen. Aber er kann auch dazu dienen, eine allgemeine Vorstellung von CO2-Auswirkungen zu bekommen.

Bild: Gellinger Pixabay

Langstreckenflüge und die 1000-Tonnen-Regel

In der Semantik gibt es bestimmte Ansätze, die die Bedeutung von Wörtern in kleinere Bestandteile zerlegen und somit komplexe Bedeutungen auf einfachere Bedeutungen zurückführen. Das Standard-Beispiel ist kill `töten´. Die Bedeutung wird mit cause(x,become(not(alive(y)))) angegeben (McCawley, 1968: 73; Katz, 1970: 244; siehe Wierzbicka, 1975 für kritische Kommentare). Die Formel kann man so lesen: x bewirkt, dass y in den Zustand des Nicht-lebendig-Seins übergeht. In diesem Blogpost beschäftige ich mich mit den Auswirkungen unseres CO2-Ausstoßes am Beispiel des Fliegens. Klar ist, dass letztendlich die Energiequellen für alles, was wir tun, umgestellt werden müssen und dass wir den Energieverbrauch insgesamt reduzieren müssen. Das heißt, dass wir an den großen politischen Stellschrauben drehen müssen. Aber das Problem ist einfach zu groß für uns Menschen, um es komplett zu verstehen und die Dimension begreifen zu können (Parncutt, 2019:11). Wie die ehemalige Bundesumweltministerin Svenja Schulze 2019 auf die Frage nach dem Restbudget an CO2 ausweichend sagte: „Unter diesen ganzen Tonnen und so kann sich doch keiner was vorstellen.“ (Mihatsch, 2019; Kontraste, ARD, 30.09.2019).

Ich suche immer nach Wegen, die Zerstörung, die wir anrichten, und die Winzigkeit des verbleibenden Rest-Budgets greifbar zu machen (siehe Zu unserem CO2-Restbudget: Car is over). Ich glaube, dass das Beispiel vom Fliegen recht anschaulich ist. Auch wird man beim Fliegen die Energieträger auf lange, lange Zeit nicht auf erneuerbare Energien umstellen können. Die Luftfahrt-Industrie geht von 2050 aus.

„Am Boden beiben“ blockiert den Flughafen Tegel. Diese Frau hält das Cover von „The Illusion of Green Flying“ hoch. Berlin, 10.11.2019, Bild: Stefan Müller, CC-BY

Wie ich im Anhang zeige, erzeugt ein Flug von Berlin nach Sydney und zurück einen Ausstoß von über 2259 Tonnen CO2. 1000 Tonnen verbrannter Kohlenstoff ergeben einen vorzeitigen klimabedingten Tod (Parncutt, 2019). 1000 Tonnen verbrannter Kohlenstoff entsprechen 3700 Tonnen CO2, d.h. die Sydney-Reise ist equivalent zur Verbrennung von 610 Tonnen Kohlenstoff. Man kann also sagen, dass die 329 Passagiere zusammen 0,61Menschen töten. Zwei Flüge Berlin-Sydney und zurück bewirken den Tod von mehr als einem Mensch. Zu Langstrecken-Flügen direkt siehe auch Parncutt (2019: 12).

Tötung? Totschlag? Mord?

Flugpassagiere töten Menschen. Bewusst, unbewusst? Fahrlässig? Absichtlich? Ignorant? Im Folgenden möchte ich weiter über die Einordnung nachdenken. Ein Flug Berlin-Sydney bewirkt, dass ein Mensch stirbt. Wie? Ich habe jemanden getötet? Ich habe doch gar nichts gemacht, saß nur im Flugzeug. Selbst wenn man nicht direkt jemanden mit Händen oder Waffen tötet, kann eine Tötung oder fahrlässige Tötung vorliegen. Zum Beispiel ermittelte die Polizei wegen fahrlässiger Tötung, als ein Restaurantgast an einem verunreinigten Getränk starb (BR24, 13.02.2022).

Fahrlässige Tötung

Fahrlässige Tötung liegt vor, wenn die Sorgfaltspflicht verletzt wird (Wikipedia: Fahrlässigkeit). Hat man als Mensch die Pflicht, die Konsequenzen seines Handelns zu überdenken? Auch wenn alle etwas tun? Auch wenn man mit 329 Menschen gemeinsam etwas tut? Auch wenn morgen und übermorgen und überübermorgen das nächste Flugzeug fliegt? Wenn man Flugtickets normal im Internet und in Reisebüros kaufen kann? Und wenn man doch überhaupt nicht gewusst hat, wie schädlich das Fliegen ist? (Unter diesen ganzen Tonnen kann sich doch keiner etwas vorstellen!) Dieser Blog-Post will das ändern. Wer ihn gelesen hat und dennoch fliegt, tötet bewusst Menschen.

Totschlag

Einfaches Bewirken reicht für Totschlag nicht aus (Wikipedia: Totschlag). Die Tötung muss vorsätzlich geschehen.

Mord

Bei Mord müssen zusätzlich noch bestimmte Tatmerkmale vorliegen (Wikipedia, 2022: Mordmerkmale). Dazu gibt es drei Fallgruppen: 1) Niedrige Beweggründe: Mordlust, Befriedigung des Geschlechtstriebs, Habgier, Sonstige. 2) Verwerfliche Begehungsweise: Heimtücke, Grausamkeit, Gemeingefährliche Mittel. 3) Deliktische Zielsetzung: Ermöglichungsabsicht, Verdeckungsabsicht. Was jetzt kommt, ist nicht ganz ernst gemeint und Gerichte würden das sicher anders sehen, aber es geht darum, unser Handeln und die Gründe dafür zu reflektieren und dazu sind die folgenden Vergleiche wohl geeignet.1

Mordlust

Fliegen aus Freude am Spaß fällt wohl unter Mordlust. Ich habe zufällig einen entsprechenden Flug auf Flightradar gefunden.

Die Cessna flog von einem Flugplatz in der Pampa mal eine Runde über Berlin und dann wieder zurück. 30.03.2022: 22:24

Es war nur ein kleiner Mord im Vergleich zu einem Flug nach Sydney, aber der Flug war komplett sinnlos und diente nur zur Belustigung der Insassen.

Befriedigung des Geschlechtstriebs

Darunter fällt natürlich der Sextourismus. Zu den Reisezielen gehören Thailand, Vietnam und die Philippinen, Kuba, die Dominikanische Republik, Brasilien, Kenia, Gambia, alles Länder, die nur über Langstreckenflüge erreichbar sind.

Habgier

Das mit der Habgier ist jetzt vielleicht etwas weit hergeholt, aber darunter könnte man alle geschäftlichen Flüge zählen: Menschen, die aus beruflichen Gründen fliegen, tun das, weil Dinge sich in persönlichen Gesprächen besser besprechen lassen und das der Firma nützt oder weil sie einen Konferenzvortrag halten wollen und das der Karriere nützt. Die ganze Sache ist nicht so einfach, weil das gesamte Wissenschaftssystem so aufgebaut ist, dass internationale Kontakte, Zusammenarbeit und Projekte belohnt werden. Bis zum heutigen Tag scheint es mir für wissenschaftliche Karrieren nötig zu sein, weltweit unterwegs zu sein. Zumindest ist es von Vorteil. Diese Reisen kann man natürlich sinnvoll organisieren und auf ein Minimum begrenzen. Insgesamt müssen Flüge teurer werden und das gesamte Wissenschaftssystem muss sich ändern und wieder lokaler werden.

Heimtücke

Zu Heimtücke fällt mir nichts ein.

Grausamkeit

Es muss wohl als grausam gelten, wenn man jemanden verhungern2 lässt, wenn man jemanden in der Hitze3 4 oder Kälte5 umkommen lässt, ihn ertrinken6 7 lässt oder wenn man dafür sorgt, dass das Haus einer Person einstürzt bzw. abbrennt und diese Person ihrer Lebensgrundlagen beraubt wird. All das sind Effekte, die die menschengemachten Klimaveränderungen hervorrufen. Eine gute Übersicht und viele, viele Quellen findet sich in Parncutt, 2019. Ich habe eine Übersichtsseite mit Medienberichten zusammengestellt. Einige Videos der Tagesschau oder von reuters sind auch unten bei den Quellen verlinkt. Menschen werden an Hitze sterben (Abschätzung der Zahl der Hitzetoten: Bressler, 2021), die Hitze und Trockenheit verstärkt die Häufigkeit und Auswirkung von Waldbränden, Missernten führen zu Hungerkatastrophen, Menschen sterben in Fluten. Fluten und Brände machen Menschen obdachlos. Viele der Katastrophen passieren in weit entfernten Gegenden, so dass wir sie prima ausblenden können, aber die Dürre und die Waldbrände gibt es bereits auch in Brandenburg und die Katastrophe im Ahrtal hat gezeigt, was für verheerende Auswirkungen Starkregenereignisse hierzulande haben können.

Gemeingefährliche Mittel

Der Mord an einer Person durch einen Flug verwendet gemeingefährliche Mittel, denn die Art und Weise, wie diese Person ermordet wird, betrifft die gesamte Erde. Fliegen ist gemeingefährlich.

Ermöglichungsabsicht

Dieses Mordmerkmal liegt vor, wenn Täter*innen den Mord begehen, um dann weitere Verbrechen begehen zu können. Ein Beispiel hierfür wäre eine touristische Reise in die USA mit dem Ziel, diese dann mit einem Verbrenner-Auto zu durchfahren. (Habe ich selbst 1993 gemacht. Sorry Welt.)

Verdeckungsabsicht

Wenn man jemanden tötet, um ein Verbrechen zu verschleiern, liegt ein Mordmerkmal vor. Hierzu fällt mir auch nichts ein.

Schlussfolgerung

Es liegt natürlich kein Mord vor, aber es gibt keine Gründe für das Fliegen, die über Menschenleben gehen. Kurzstreckenflüge lassen sich meistens durch Bahn- oder Busreisen ersetzen und Langstreckenflüge sollte man einfach nicht mehr machen.

Die Moral von der Geschicht

Man tötet keine Menschen. In vielen Religionen und Wertesystemen ist das fest verankert. „Du sollst nicht töten.“ ist das fünfte Gebot der christlichen Religionen. Interessanterweise fällt bei den Katholiken auch Selbstmord unter dieses Gebot (Kathpedia: Selbstmord). Parncutt (2019: 4) schreibt zu den Opfern der Klimakatastrophe, dass „ca. 109 Reiche dabei sind, die Leben von 109 Armen vorzeitig zu beenden.“8 Die Wahrscheinlichkeit, dass die Reisenden ihren eigenen Tod bewirken, ist relativ gering, da Menschen, die Fernreisen unternehmen zu den Wohlhabenderen auch unter der Bevölkerung der wohlhabenden Länder gehören dürften. Aber selbst diese Länder sind zum Beispiel von Hitze, Waldbränden und Überflutungen mit Toten und großen materiellen Schäden betroffen, wie die jüngsten Ereignisse gezeigt haben (Überflutungen im Ahrtal9, Kanada, Australien, Brände in den USA, Kanada, Australien). Wenig bekannt ist auch der Hitzesommer in Europa im Jahre 2003, der zu 45.000–70.000 vorzeitigen Toden geführt hat. Zu den Details siehe Wikipedia: Hitzewelle in Europa 2003.

Die Schlussfolgerung, die auch Parncutt (2019: 12) zieht ist: „Deshalb sollte das Fliegen teurer gemacht werden (z.B. durch Kohlenstoffsteuern) und auf Notfälle und Lebensrettungsmaßnahmen beschränkt werden.10 An dieser Stelle muss auch noch einmal darauf hingewiesen werden, dass Deutschland das Fliegen immer noch durch das Nichterheben einer Keosinsteuer subventioniert (Wikipedia: Kerosinsteuer).

Disclaimer

Internet-Trolle freuen sich immer, wenn sie in Scoial-Media-Profilen von Aktivist*innen Bilder finden, die auf Langstreckenflüge hinweisen. Bei mir braucht niemand lange zu suchen, denn ich habe meine Flüge selbst bestens dokumentiert.

Meine Flüge auf Flightradar24.

Dienstliche und private. Siehe Ich fliege nicht mehr. Dabei habe ich 45,3 t CO2 ausgestoßen. Wegen der Höhenwirksamkeit muss man diese Menge mit einem Faktor zwischen 2 und 3 multiplizieren. Ich habe also mittels meiner Flüge ein Zehntel zur Tötung eines Menschen beigetragen. Seit 2008 fliege ich privat nicht mehr und seit 2019 auch dienstlich nicht. So wird meine Schuld hier nicht größer.

Anhang: Berechnung CO2-Impact Berlin–Sydney

Parncutt (2019: 12) hat die 1000-Tonnen-Regel auch auf Langstreckenflüge angewendet. Er schreibt dazu:

A typical passenger jet carries 300,000 l of fuel and consumes 200,000 on a long flight, creating 500 tonnes of CO2 corresponding to 135 tonnes of carbon. That is about 1/8 of 1,000 tonnes, or 1/8 of a human life, according to the 1,000-tonne rule. Aircraft also emit other GHGs, and the high altitude at which the GHGs are emitted must also be considered. If the overall warming effect is at least twice the effect of the CO2 alone (Penner et al., 1999), a future person dies for every four long flights, on average. Therefore, flying should be made more expensive (e.g. by carbon taxes) and reserved for emergencies and life-saving projects.

Parncutt, Richard. 2019. The Human Cost of Anthropogenic Global Warming: Semi-Quantitative Prediction and the 1,000-Tonne Rule. Frontiers in Psychology 10(2323). 1–17.

Im Folgenden habe ich die Berechnungen anhand von konkreten Beispielen nachvollzogen. Ich habe dafür einen Billiganbieter (Scoot) ausgesucht. Billiganbieter sind meist effizient, da ihre Maschinen voll ausgelastet werden und der Sitzplatzabstand minimal ist. Der Flug geht über Singapur und man kann diese Details bei atmosfair eingeben. Man bekommt dann für Economy-Flüge und für Business-Class-Flüge folgendes Ergebnis für die von Scoot verwendeten Flugzeuge Boeing 787-8 und 787-9.

CO2-Impact eines Economy-Fluges von Berlin nach Singapur mit Boeing 787-8
CO2-Impact eines Business-Calss-Fluges von Berlin nach Singapur mit Boeing 787-8

Scoot bestuhlt die Boeing 787-8 mit 18 Business-Class-Sitzen und 311 Economy-Sitzen (Sitzplan). Damit ergibt sich bei voll ausgelasteter Maschine ein CO2-Impact von 311 * 2,064t + 18 * 3,870t = 711,564 t für den Flug nach Singapur.

Für den Flug nach Sydney wird die größere Boeing 787-9 verwendet. Sie hat 340 Economy-Class-Sitze und 35 Business-Class-Plätze. Der CO2-Impact beträgt 1,174t bzw. 2,202t für Economy und Business-Class.

Für den gesamten Flug Singapur-Sydney sind es 340*1,174t + 35 * 2,202t = 476,23t. Die Berechnung für die gesamte Reise Berlin–Sydney ist nicht so einfach, denn in der Singapur-Sydney-Maschine sitzen auch Menschen, die nicht aus Berlin kommen, da die 787-9 ja größer ist als die 787-8.11 Rechnet man den Anteil der Berliner*innen aus, ergeben sich 417,812t. Insgesamt ergibt sich für Berlin–Sydney also ein CO2-Impact von 1129,376t. Für den Hin- und Rückflug ergeben sich 2258,752t. Diese entsprechen 610,474t Kohlenstoff.

Die 329 Menschen haben also 0,61 Menschenleben auf dem Gewissen.

Quellen

Bressler, R. Daniel. 2021. The mortality cost of carbon. nature communications 12(4467). 1–12. (doi:10.1038/s41467-021-24487-w)

dpa. 2022. Somalia steht vor einer Hungerkatastrophe. Frankfurter Allgemeine Zeitung. (https://m.faz.net/agenturmeldungen/dpa/somalia-steht-vor-einer-hungerkatastrophe-18087575.amp.html)

Katz, Jerrold J. 1970. Interpretative semantics vs. generative semantics. Foundations of Language 6(2). 220– 259.

Mihatsch, Christian. 2019. Neue Initiative German Zero: Deutschland bis 2035 klimaneutral. klimareporter°. (https://www.klimareporter.de/deutschland/germanzero-will-deutschland-klimaneutral-machen)

Parncutt, Richard. 2019. The Human Cost of Anthropogenic Global Warming: Semi-Quantitative Prediction and the 1,000-Tonne Rule. Frontiers in Psychology 10(2323). 1–17. (doi:10.3389/fpsyg.2019.02323)

reuters. 2022. Über 300 Tote nach starken Unwettern in Südafrika. (https://www.youtube.com/watch?v=UbiNdHDLM2k)

tagesschau. 31.01.2019: Rekord-Kältewelle in weiten Teilen der USA. (https://www.youtube.com/watch?v=21aPphgfBk4)

tagesschau. 01.07.2021. Hohe Temperaturen im Nordwesten: Hunderte Hitzetote in Kanada. (https://www.tagesschau.de/ausland/hitze-kanada-103.html)

tagesschau. 21.07.2021: Starkregen in China: Mindestens 12 Menschen sterben. (https://www.tagesschau.de/multimedia/video/video-893071.html)

tagesschau. 11.06.2022 20 Uhr. Somalia droht Hungerkatastrophe: Dürrekrise und Folgen des Ukraine-Krieges. (https://www.tagesschau.de/multimedia/video/video-1044713.html)

Vitense-Lukat, Nicola. 2022. Vielerorts fehlt auch Wasser: Tödliche Hitze: Fast 50 Grad in Indien. Panorama. ZDF. (Heute.) (https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/indien-hitze-klima-folgen-100.html#xtor=CS5-62)

Wierzbicka, Anna. 1975. Why “kill” does not mean “cause to die”: The semantics of action sentences. Foun­dations of Language 13(4). 491–528.

Wikipedia. 2022. Hochwasser in West- und Mitteleuropa 2021. (https://de.wikipedia.org/wiki/Hochwasser_in_West-_und_Mitteleuropa_2021)

Sind wir individuell für die Klimakatastrophe mitverantwortlich? Ja, natürlich!

CO2-Fußabdruck und British Petrol

Vielleicht bin ich merkwürdig. Anders als alle anderen. Die Klimabewegung sagt seit einigen Jahren, die Ölkonzerne (konkret British Petrol) hätten sich die Sache mit dem individuellen CO2-Abdruck ausgedacht, um uns von den eigentlich wichtigen Sachen abzulenken. So gibt es zum Beispiel das folgende Video von Funk (Angebot von ARD und ZDF für 14-29jährige):

Das Video ist insgesamt gut, schaut es Euch an.

Für mich macht die Argumentation, wie man sie oft findet, jedoch keinen Sinn. Alle weisen darauf hin, dass man seinen CO2-Impakt nur begrenzt reduzieren könne und dass es doch besser sei, gegen die Energiekonzerne vorzugehen, die für den Teil verantwortlich sind, den wir selbst nicht beeinflussen können.

CO2-Fußabdruck: Was sagt er uns und ist er nützlich?

Ich habe schon einige Jahre den CO2-Rechner vom Umweltbundesamt benutzt und halte ihn für ein hervorragendes Werkzeug zur Veranschaulichung der Folgen des eigenen Handelns. Dabei ist klar, dass wir bestimmte Komponenten nicht komplett kontrollieren können. Wir benutzen einen bestimmten Anteil von Infrastruktur, der vom Staat für alle Bürger*innen gestellt wird und welche Art Energie diese benutzt bzw. wie effizient Gebäude gedämmt sind, können wir nicht direkt beeinflussen. Ob wir fliegen oder Auto fahren, wie wir Urlaub machen, können wir dagegen sehr wohl beeinflussen. Auch unsere Ernährung haben wir zu einem großen Teil unter Kontrolle. Der durchschnittliche CO2-Fußabdruck in Deutschland lag 2018 bei 11,6t. Meiner bei 5,69t. Man kann also durch bewusste Entscheidungen seinen CO2-Abdruck fast halbieren.

Individueller CO2-Ausstoß in Deutschland nach CO2-Rechner des Bundesumweltamts, 2022

Die Abbildung zeigt die Bereiche, die wir zum Teil selbst beeinflussen können. Wohnen & Strom, Mobilität, Ernährung, Konsum. Bei mir sieht das so aus, dass ich in einem Passivhaus wohne (Heizung bleibt aus, in Kälteperioden wird es bis zu 19°, dann Pullover), Rad und Bahn fahre, nie fliege und außer Fotokram und gelegentlich Anziehsachen praktisch nichts konsumiere.

Wenn wir den Abdruck von Deutschland mal eben halbiert hätten, wären wir schon großartig. Und wenn nur ganz schnell ein Drittel weg wäre, wäre das auch schon gut. Nicht jede/jeder kann alles, aber alle können vieles.

Ich ärgere mich schon lange über Artikel über den CO2-Fußabdruckrechner. Auslöser für diesen Post war ein Artikel im Freitag, der von Klimaakativist*innen geteilt und gutgeheißen wurde: Wer rettet das Klima: Ich oder wir? Katharina Mau fragt:

Wäre der Klimawandel wirklich gestoppt, wenn nur alle Menschen auf Plastiktüten verzichten und auf Ökostrom umsteigen würden? Wie groß ist der Spielraum des individuellen Handelns? Und wo muss der Staat ran, und die Politik, um systemische Veränderungen anzustoßen?

Katharina Mau weist darauf hin, dass den größten Teil des CO2-Ausstoßes der Energiesektor zu verantworten hat und dass unser individueller Umstieg das Problem nicht komplett löst, weil verschiedene Industriezweige auf eben jene fossile Energie zurückgreifen. Da wir entsprechende Produkte kaufen, haben wir immer noch einen Anteil an diesem Ausstoß.

Selbst dann wären Industrie, Gewerbe, Handel und Dienstleistungen immer noch für drei Viertel des Stromverbrauchs verantwortlich. Vor allem muss sich also das System ganz grundsätzlich ändern.

Sie fährt fort:

Denn was noch dazukommt: Unser Stromverbrauch wird in Zukunft steigen. Autos sollen elektrisch fahren, Wärmepumpen unsere Häuser heizen, und grüner Wasserstoff, hergestellt mit Erneuerbaren, soll als Brennstoff für die Industrie bereitstehen. Der Think-Tank Agora Energiewende prognostiziert, dass sich der Stromverbrauch bis 2045 verdoppeln wird.

Was in Artikeln wie dem vom Freitag immer wieder passiert, ist, dass diverse schwarze Peter hin und hergeschoben werden. Industrie und Handel und Dienstleistungen sind für drei Viertel des Stromverbrauchs (nicht des CO2s wohlgemerkt) verantwortlich. Ja, prima! Aber der Punkt ist ja, dass wir unser Konsum reduzieren sollen. Das bedeutet, dass auch diese drei Viertel sinken. Wir brauchen mehr Strom für Autos? Nein, danke! Wir brauchen weniger Autos. Wir können unser Problem nicht lösen, indem alle, die jetzt einen Verbrenner fahren, dann ein E-Auto fahren. Das ist Wahnsinn und ineffizient. Schon der Bau dieser Autos würde für CO2-Ausstoß sorgen, den wir uns nicht mehr leisten können. Wenn weniger Autos benutzt werden, müssen auch nicht so viele hergestellt werden, weshalb „die Industrie“ auch weniger Energie und sonstiges braucht. Die Wärmepumpen brauchen zwar Energie, aber viel weniger als bei Verbrennung.

Natürlich kann und sollte auch jeder und jede Einzelne Strom sparen, indem sie das Licht aus- oder den Stand-by-Modus des Fernsehers abschalten: Laut der gemeinnützigen Beratungsgesellschaft co2online könnten wir über 15 Millionen Tonnen CO₂ einsparen, wenn alle Privathaushalte in Deutschland ihr Stromsparpotenzial voll ausschöpfen würden. Das klingt nach viel, es sind aber nur sieben Prozent von dem, was die Energiewirtschaft im Jahr 2020 verursacht hat.

Ehm. Ja? Wir müssen auf Null. Lieber heute als morgen! Was ist das für ein unglaublicher Unfug! Jeder, jede kann mit minimalem Aufwand zu Hause Energie sparen. Was soll dieser Öko-Whataboutism? Warum schreiben Öko-Redakteur*innen so etwas? Man sollte ihnen sofort ihr Gehalt um 7% kürzen. Freut den Verlag sicher und sie sollen sich nicht so haben!

Es geht weiter:

Wer also die Wahl hat, einen Nachmittag lang alle Glühbirnen durch Energiesparlampen auszutauschen oder auf die Straße zu gehen – ja, der sollte wohl lieber zu Plakat und Trillerpfeife greifen.

Was soll das? Wenn ich einmal meine Glühlampen austausche, allgemein sparsam mit Energie umgehe, sparsame Geräte kaufe, spare ich langfristig Energie ein. Zum Beispiel kann man seinen Wäschetrockner abschaffen. Der verbraucht einen Haufen Energie und ist unnütz, denn die Wäsche trocknet auch so. Tausende Generationen vor uns haben ohne Trockner gelebt. Wenn man die Lampen getauscht hat und jeweils sparsame Geräte kauft, braucht man keine weitere Zeit für ein sparsames Leben und kann Plakate malen und lostrillern.

Was hier gemacht wird, von Ökoredakteur*innen und auch von Öko-Aktivist*innen ist eine systematische Entlastung: Ej, ich geh ja zwei Mal im Jahr zu FFF demonstrieren, ich kann also super weiter SUV fahren, Energie verschwenden und tonnenweise Avocados essen (siehe unten). Nein! Kannst’e nicht! Privates ist politisch! Du bist für die Scheiße verantwortlich, die Du machst. Ja!

Essen ist politisch. Teilnehmer*innen der Demo „Wir haben es satt!“, Brandenburger Tor, Berlin, 19.01.2019, Bild: Stefan Müller, CC-BY

Flugscham. Ja, bitte! Und SUV-Scham gleich noch dazu

Womöglich markiert das Aufkommen des Begriffs „Flugscham“ jenen Moment, da die Diskussion über die Klimaschädlichkeit unserer Mobilität vollends zu einer moralischen wurde: Was, du fliegst noch?!? Oder umgekehrt: Was, ihr wollt den Leuten ihren wohlverdienten Urlaub in Mallorca madig machen?!? Hier kommt ein Vorschlag zur Versachlichung.

Der Sektor Verkehr innerhalb Deutschlands – also erst mal ohne internationale Flüge und Schiffsreisen – macht ein Fünftel der nationalen Treibhausgase aus. Etwa 60 Prozent dieser Emissionen verursachen Autos – Inlandsflüge nur 1,4 Prozent. Ja, das Flugzeug ist zwar das klimaschädlichste Verkehrsmittel überhaupt. Weil wir aber im Inland so viel Auto fahren und so wenig fliegen, fallen die Flüge kaum ins Gewicht.

Sag ich doch: Whataboutism! Das ist ja nur 1,4% (Die Zahl ist wahrscheinlich falsch, siehe unten). Dieselbe Art Argumentation findet man übrigens auch bei so Leuchten, die von der AfD beeinflusst sind: Deutschland produziert ja nur 2% des CO2. Vergessen wird dabei immer, dass wir nur 1% der Weltbevölkerung sind.

Der Punkt ist: Wir müssen auf Null. Das heißt, wir müssen uns überlegen, wie wir die 60% der Autos und die 1,4% der Inlandsflüge wegbekommen. Da man die Inlandsflüge einfach durch Bahnfahrten ersetzen kann, gibt es hier überhaupt nichts zu diskutieren. Das Flugbenzin ist übrigens staatlich subventioniert. Auch das sollte schleunigst abgeschafft werden.

Die Zahlen mit 60% scheinen mir auch falsch. Muss ich noch überprüfen.

Insgesamt kann man durch die Ernährung also einen relativ großen Einfluss auf den individuellen Klima-Fußabdruck nehmen. Aber: Ein schneller Kohleausstieg hätte eine viel größere Wirkung, als wenn einzelne Menschen sich vegan, regional und saisonal ernähren oder Bio kaufen. Die Stromerzeugung aus Kohle verursachte im Jahr 2020 123 Millionen Tonnen CO₂ – fast doppelt so viel wie die gesamte Landwirtschaft.

Wie gesagt: Extrem ärgerlich. Wir müssen auf Null. Und das so schnell wie möglich. „Jeder Bruchteil eines Grades zählt“, wie UN-Generalsekretär António Guterres sagte (Rede zur Veröffentlichung des IPCC-Reports). Und für das 1,5°-Ziel bleiben noch 3 Jahre.

Ernährung am Beispiel der Avocado

Zurück zur Avocado: 2018 wurden laut statistischem Bundesamt 94.000 Tonnen Avocados importiert. Nach Angaben des Umweltbundesamts hat ein Kilo Avocado einen CO₂-Fußabdruck von 0,6 Kilogramm Treibhausgase. Das macht etwa 0,06 Millionen Tonnen Treibhausgase für alle 94.000 Tonnen Avocados. So wenig? Ja, es handelt sich ja nur um eine kleine Einzelentscheidung. Die auch zeigt, worauf wir unsere Energie eher richten sollten, als mit dem Finger auf unsere Avocado-Toasts zu zeigen – zum Beispiel auf den Kohleausstieg.

94.000 Tonnen ergeben 56.400 Tonnen CO2? Und das CO2 ist noch nicht alles! Wasser! Der Avocado-Anbau ist extrem wasserintensiv: Für ein Kilogramm Avocados werden durchschnittlich 1000 bis 1500 Liter Wasser benötigt – etwa acht Mal so viel wie für ein Kilogramm Kartoffeln. Und das, obwohl Avocados in Chile oder Israel angebaut werden. Ich empfehle zum Thema Avocados den Artikel: Avocado: Wasserverbrauch und Umweltbilanz. In diesem Artikel wird außerdem auf die Lagerung und Reifung von Avocados und einigen anderen Wahnsinn eingegangen. Es werden Tipps zum Kauf von Avocados gegeben, wenn man denn dann überhaupt noch welche kaufen will.

Sind wir alle doof? Nee, oder?

Der Artikel endet so:

Wer seine mentale Energie mit Entscheidungen verbraucht wie „Bio in Plastikverpackung oder konventionell unverpackt?“, „Käse aus Brandenburg oder Sojaschnitzel aus Dänemark?“, darf sich ruhig mal ein Stück Sahnetorte beim Bäcker gönnen. Fünkchen auszupusten, während das Feuer daneben munter weiterbrennt, bringt uns nicht weiter. Vor allem, wenn wir darüber vergessen, den Eimer zu nehmen – und anzufangen zu löschen.

Wie ich oben gezeigt habe, kann man durch sein individuelles Verhalten den CO2-Fußabdruck um fast die Hälfte reduzieren. Ein SUV ist kein Fünkchen. Er ist klimatechnischer Wahnsinn. Lebensmittel und Blumen, die um die ganze Welt gekarrt bzw. geflogen werden, sind unsinniger Luxus. Flugreisen für ein Wochenende in Tallin sind unverantwortlich. Das Rockkonzert in London funktioniert nur wegen der Subventionen der Flugindustrie und wir müssen darum kämpfen, dass diese abgeschafft werden. Aber bis das passiert, sollten Individuen sich selbst aus Einsicht in die sich aus der katastrophalen Lage ergebende Notwendigkeit nicht mehr zum Spaß für eine Nacht nach London fliegen.

Menschen, die so etwas tun, obwohl wir noch ein CO2-Budget für drei Jahre haben, wenn wir das 1,5°-Ziel halten wollen, sind unverantwortlich und sollen sich wenigstens schlecht dabei fühlen. Davon ausnehmen kann man vielleicht Aktivist*innen, weil die hoffentlich in der Tat etwas bewirken. Was man aber immer bedenken sollte, wenn man solche Artikel verfasst, liest und preist: Es waren 1,4 Mio Menschen mit Fridays For Future auf der Straße. Vielleicht kann man 3 Mio Menschen zu denen zählen, die jemals irgendetwas für das Klima getan haben, politisch aktiv wurden. Die restlichen 80 Mio werden solche Artikel einfach als Rechtfertigung für ein Weiterso benutzen. Whataboutism.

Auch empfinde ich es als Beleidigung, wenn die Autorin davon ausgeht, dass wir intellektuell damit überfordert wären, uns dafür zu entscheiden saisonale, regionale, vegetarische oder besser noch vegane Produkte zu kaufen. Welche Früchte und welches Gemüse gerade lokal verfügbar ist, lernt man in der Schule oder der Domäne Dahlem, wo es herkommt und steht auf der Verpackung. Handelt man nach der Devise LeiderGeil, dann ist man eben Egoist. Da gibt es kein Vertun. Das ist dann so, als würde man im Krieg während eines Luftangriffs und Verdunklungsanordnung mit seinen Kumpels eine Party bei offenem Fenster und Festbeleuchtung feiern. Macht Spaß, aber nicht lange und auch für die anderen im Wohnblock nicht.

Ein Gerücht

So, ich setze jetzt mein erstes Gerücht in die Welt: Die These, dass der Fußabdruck schlimm sei und von BP benutzt wurde, um uns von der Energiewirtschaft abzulenken, wird massiv von einem Thinktank gepuscht, dessen Ziel es ist, uns alle zu beruhigen. Wir sollen glauben, dass das sowieso nur über die großen Stellschrauben gelöst werden kann, dass wir vielleicht mal richtig wählen müssten und ansonsten könnten wir einfach fröhlich weiter konsumieren, als gäbe es kein heißes Morgen.

Das habe ich mir komplett ausgedacht, aber wenn ich in einem solchen Thinktank arbeiten würde, würde ich mir das auch ausdenken. So. Gerücht. Verbreite Dich!

Handabdruck

Gestern habe ich vom Handabdruck als positiver Alternative zum Fußabdruck gelernt. Letztendlich ist das Ergebnis dasselbe: weniger Fleisch, nicht fliegen, weniger und kleinere Autos, wenn möglich, Auto stehen lassen und Rad fahren (geht auch auf dem Dorf), zum Bäcker laufen usw. Um reflektiertes Handeln kommen wir nicht herum.

Entschuldigung

Ich möchte mich bei Katharina Mau entschuldigen, denn dieser Blog-Post zerpflückt hauptsächlich ihren Artikel und wir sind ja eigentlich im selben Team. Ich habe Ihr Twitter-Profil gefunden und gesehen, dass sie sich mit Klimakrise und Psychologie beschäftigt. Ich habe von Psychologie keine Ahnung und wahrscheinlich ist genau das das mein Problem. Ich kann verstehen, dass es darum geht, Massen zu aktivieren und diese nicht durch Verbote abzuschrecken. Das ändert aber nichts daran, dass es Verhaltensänderungen in allen Lebensbereichen geben muss und zwar sehr schnell. Die Artikel, über die ich mich immer ärgere, sind falsch geschrieben. Vielleicht nur in Nuancen, aber so, wie sie jetzt sind, sind sie Entlastungen und für solche weitgreifenden Entlastungen haben wir nicht mehr genug CO2-Restbudget. Wie oben geschrieben: Wir sind im Krieg, die Flugzeuge sind in der Luft, wir müssen die Fenster schließen!

Disclaimer

Ej, ich bin auch nicht perfekt. Ich esse tierische Produkte wie Butter, Käse, Eier und Joghurt. Milch trinke ich praktisch keine mehr. Hafermilch geht für’s Müsli. Butter esse ich viel (ich weiß, die hat einen hohen CO2-Abdruck), die anderen Lebensmittel weniger. Schokolade und Käse kaufe ich nicht, esse ich aber gern. Der Punkt ist: Mir ist das klar und ich arbeite daran.

Zu unserem CO2-Restbudget: Car is over

(Update 25.03.2024 Update vom Sachverständigenrat für Umweltfragen: CO2-Budget ist aufgebraucht (SRU 2024). Es gibt eine schöne Visualisierung vom klimadashboard.

Update 26.06.2022 Inzwischen hat der Sachverständigenrat für Umweltfragen, der die Bundesregierung berät, eine Berechnung des Restbudgets veröffentlicht (SRU, 2022). Die Wissenschaftler*innen haben ein noch kleineres Budget als ich berechnet. Es verbleiben 2Gt für das 1,5°-Ziel bei 67% (S. 7). Ich hatte 2,3Gt bei 83%. Sie haben also weniger und die Wahrscheinlichkeit, dass das 1,5°-Ziel erreicht wird, ist auch noch geringer. Das liegt daran, dass der SRU die Verteilung auf die Bevölkerung ab 2016, dem Zeitpunkt des Pariser Abkommens, gerechnet hat, wohingegen ich von einer gleichmäßigen Verteilung Pro-Kopf ab jetzt ausgegangen bin.)

Neulich war ich mit jemand (TM) im Tiergarten spazieren. Wir haben uns über Klimafragen unterhalten. Ein Punkt war der neue IPCC-Bericht und das verbleibende CO2-Budget für das Erreichen des 1,5°-Ziels. Der IPCC-Bericht wird von führenden Wissenschaftler*innen als Zusammenfassung von Fachartikeln zusammengestellt. Das geschah mit Fachartikeln von 2020 im Jahre 2021. Der Bericht wurde 2022 übersetzt und dann im März und April der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Fast alle politischen Parteien waren sich vor der Wahl einig, dass sie das 1,5°-Ziel anstreben. Die folgende Tabelle zeigt, welches Rest-Budget an CO2-Ausstoß wir 2020 hatten, wenn wir bestimmte Temperatursteigerungen mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit erreichen wollen. Die erste Zeile zeigt das 1,5°-Ziel mit Wahrscheinlichkeit von 17%, 33%, 50%, 67%, 83%.

Tabelle mit den verbleibenden CO2-Mengen und den entsprechenden Temperatursteigerungen und Wahrscheinlichkeiten. Quelle: IPCC, 2021. 6. IPCC-Sachstandsbericht. S. 32

Klimaentwicklungen sind komplex. Mit dem Klima ist es wie mit dem Wetter. Je nach Wetterlage kann man nicht voraussagen, ob es morgen regnet oder nicht. Aber man kann es mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit vorhersagen. So ist das mit den Klimaentwicklungen auch. Wenn wir von 2020 ausgehend 650 Gt CO2 ausstoßen, erreichen wir das 1,5°-Ziel mit 33% Wahrscheinlichkeit. Das bedeutet, dass in einem von drei Fällen das von uns Erwartete eintritt. Wir haben das alle in der Schule mit Würfeln gelernt. Also: klappt, Mist, Mist, klappt, Mist, Mist. Bei 50% wäre es klappt, Mist, klappt, Mist und bei 67% dann klappt, klappt, Mist, klappt, klappt, Mist. Jemand hat das auf einer Veranstaltung mal mit abstürzenden Flugzeugen verglichen. Eins von dreien stürzt ab. Das ist nicht ganz korrekt, denn über 1,5° kann alles Mögliche sein. 1,52° ist auch ein Verfehlen des 1,5°-Ziels. Was in dem restlichen Drittel passiert, ist wieder mit Wahrscheinlichkeiten behaftet. Die Details kenne ich nicht, weil ich kein Fachwissenschaflter bin, aber mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit werden wir in einer 2°-Welt landen, mit einer anderen Wahrscheinlichkeit in einer 3°-Welt und so weiter. Alle diese Wahrscheinlichkeiten zusammen für den Bereich über 1,5° ergeben 33%. Klar ist: Dort wollen wir nicht hin. Es ist jetzt schon schlimm genug (zu einer Sammlung von Katastrophenberichten aus den Medien). Also müssen wir die Wahrscheinlichkeit, dass wir dorthin gelangen, so tief wie möglich drücken. Die Tabelle zeigt uns noch den Fall für ein Erreichen des 1,5°-Ziels mit 83% Wahrscheinlichkeit. Das wäre: klappt, klappt, klappt, klappt, Mist. Geht schon, oder? Jedenfalls besser als 1 von 3 (67%), denn auch die Wahrscheinlichkeiten im Mist-Bereich verschieben sich ja zu unseren Gunsten, wenn wir weniger CO2 ausstoßen. Wenn wir 83% Sicherheit wollen, müssen wir mit 300Gt verbleibendem CO2-Ausstoß 2020 rechnen. Inzwischen hat die Menschheit aber leider weiter CO2 ausgestoßen. 2020 waren das 34.807 Mio Tonnen (Quelle: Statista). 2021 haben wir wieder annähernd das Niveau von 2019 erreicht (Quelle: Deutschlandfunk) also 36.702 Mio Tonnen. Zusammen sind das für 2020 und 2021 also ca. 70 Gt. Das heißt, dass uns für das Erreichen des 1,5°-Ziels mit 83% Wahrscheinlichkeit noch 300–70 = 230 Gt bleiben. Für die gesamte Menschheit. Wir können jetzt überlegen, wie wir dieses Restbudget aufteilen. Man könnte einfach gucken, wer seit Beginn der Industrialisierung wie viel ausgestoßen hat und die Mengen gerecht aufteilen. Wenn wir das machen, … Oh. Geht nicht, denn dann haben wir nichts mehr übrig.

Länder dargestellt nach CO2-Ausstoß anstatt ihrer wirklichen Größe. Quelle: The Carbon Map, 13.05.2022.

Update: 26.06.2022: Nun könnte man sagen, dass wir ja nichts dafür können, denn zu Beginn der Industrialisierung konnte niemand ahnen, was für katastrophale Folgen das Verwenden von Dampfmaschinen, Stahl und Zement haben würde. Aber selbst das kann uns nicht entlasten, denn wenn wir den Ausstoß ab der Veröffentlichung des ersten Sachstandsberichts des IPCC 1990 zugrundelegen, wäre unser Budget für 1,5° bereits aufgebraucht. Das 2°-Budget bei 50%iger Wahrscheinlichkeit der Zielerreichung voraussichtlich Anfang 2023. (SRU, 2022: 10)

Dann versuchen wir mal das Zweitbeste: Wir nehmen das, was noch übrig ist, und teilen das durch die Anzahl der Menschen, die auf dieser Welt leben. Da die Deutschen 1% der Weltbevölkerung sind, haben wir 1% von 230 Gt = 2,3 Gt. Eine frühere Umweltministerin hat mal gesagt: „Unter den ganzen Tonnen kann sich doch niemand etwas vorstellen.“ Drum brechen wir das noch weiter runter. In diesem Land leben 83 Mio Menschen (Quelle: Wikipedia). 2,3 t * 10^9 / 83 * 10^6 = 27,7 t pro Person.9

An dieser Stelle sollten wir jetzt nachdenklich werden. Extinction Rebellion hat in Berlin die Brücke vor dem ARD-Hauptstadtstudio besetzt und das so zusammengefasst:

Brückendekoration während einer Blockade von Extinction Rebellion: We are fucked, Berlin, 05.03.2022, Bild: Stefan Müller, CC-BY

Der durchschnittliche Jahresausstoß einer Person in Deutschland beträgt 10,78t. Das heißt, wir haben in drei Jahren alles aufgebraucht.12 Alles alle! Oh.

Die Ergebnisse des Sachverständigenrates für Umweltfragen sind noch viel schlimmer, denn, da sie von 2016 an rechnen, kommen sie auf 2Gt bei nur 67% Wahrscheinlichkeit des Erreichens des 1,5°-Ziels. Das wären dann 24 t pro Person.

Durchschnittlicher deutscher CO2-Ausstoß laut Umweltbundesamt, 2022

Mein Gesprächspartner hat nun auf eine interessante Tatsache hingewiesen: Wenn man heute ein Auto mit Verbrennungsmotor kauft, dann wird dieses in der Zeit, in der Autos in Deutschland zugelassen sind (10,1 Jahre; Kraftfahrt-Bundesamt, 2022: 7), so viel CO2 ausstoßen, dass das Restbudget der jeweiligen Person aufgebraucht ist. Laut Atmosfair stößt ein Mittelklassewagen, der 12.000km im Jahr fährt, 2t aus. SUVs haben einen entsprechend größeren Ausstoß. Es folgt, dass eigentlich kein einziges Verbrenner-Auto mehr zugelassen werden dürfte. Ich höre Euch sagen: „Tja, ok, überzeugt. Ich kaufe mir ein Elektroauto und fahre nur noch mit Ökostrom.“ Aber nee. Pustekuchen. Ein 100% elektrischer Kleinwagen braucht nur für die Herstellung bereits bis 11t CO2 unseres Restbudgets (Der Verbrenner hat natürlich auch einen CO2-Impact in der Herstellung! Das hatten ich bisher der Pointe wegen ignoriert. Bei Verbrennern sind es: Kleinwagen: bis 4 Tonnen CO2, Mittelklassewagen: bis 8 Tonnen CO2, Mittelklassewagen Hybrid: bis 12 Tonnen, CO2 Luxus-SUV: bis 25 Tonnen CO2. Quelle: Carbon connect, 2020)

Die Gesamtschlussfolgerung ist, dass Autos keine Lösung für den Individualverkehr sind. Zur Zeit mag es auf dem Land ohne Auto schwierig sein, aber dieses Problem muss schnellstmöglich politisch gelöst werden. Ein Weiter-so ist schlicht unmöglich, wenn wir weiter leben wollen. Car is over!

Familie bei Fridays For Future Demonstration am Brandenburger Tor in Berlin, 20.09.2019, Bild: Stefan Müller CC-BY

Zusammenfassung

Runtergebrochen auf eine Person verbleiben noch 27,7t CO2. Das sind laut atmosfair weniger als 14 Jahre Auto fahren, wenn 12.000 km pro Jahr mit einem Mittelklasse-Verbrenner gefahren werden (ohne Herstellung des Autos). Oder weniger als 6 Flüge nach LA und zurück (je 5,095t) bzw. weniger als drei Flüge nach Sydney Economy Class (10,683 t). Business Class (20t) oder First Class (26,7t) könnt Ihr nur einmal machen. Bei vielen anderen Arten des Konsums spielt der Energiemix eine Rolle. Das ist bei Verbrenner-Auto und Flugzeug nicht der Fall, weil da klar ist, dass fossile Brennstoffe verbrannt werden. Deshalb sind wirklich individuelle Entscheidungen hier maßgeblich. Vielleicht sollte man sich diese Dinge dann einfach verkneifen. Wenigsten ab und zu. Bitte!

Nachtrag

Ich danke Hartmut Ehler, der mich auf folgenden Rede von Greta Thunberg hingewiesen hat:

Rede von Greta Thunberg vor der Französischen Nationalversammlung 23.07.2019

Dort hat sie gesagt:

Once you realize how painfully small the size of our remaining carbon dioxide budget is, once you realize how fast it is disappearing, once you realize that basically nothing is being done about it and once you realize that almost no one is even aware of the fact that carbon dioxide budgets even exists, then tell me what exactly do you do? And how do we do it without sounding alarmist? That is the question we must ask ourselves, and the people in power.

Das war vor drei Jahren und das Gesamtbudget ist noch viel kleiner geworden seitdem. Ich hoffe, dass inzwischen mehr Menschen wissen, dass es diese Budgets gibt und dass ich mit meinem Beitrag verständlich machen konnte, wie klein es inzwischen ist und was das für jede/jeden Einzelnen bedeutet.

Danksagungen

Ich danke Dr. Cornelia Huth von Scientist Rebellion für Denkanstöße und Hilfe mit den Zahlen und Quellen und Jemand (TM) für die Sache mit dem persönlichen Restbudget und dem CO2-Ausstoß von Autos.

Quellen

carbon-connect AG. 2020. Der CO2-Fussabdruck eines neuen Autos: Elektro versus Verbrennungsmotor: die nicht ganz einfache Klimabilanz. Volketswil. https://www.carbon-connect.ch/de/co2-emissionen-autoproduktion/.

IPCC, 2021. Zusammenfassung für die politische Entscheidungsfindung. In Beitrag von Arbeitsgruppe I zum Sechsten Sachstandsbericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen [Masson-Delmotte, V., P. Zhai, A. Pirani, S.L. Connors, C. Péan, S. Berger, N. Caud, Y. Chen, L. Goldfarb, M.I. Gomis, M. Huang, K. Leitzell, E. Lonnoy, J.B.R. Matthews, T.K. Maycock, T. Waterfield, O. Yelekçi, R. Yu, and B. Zhou (eds.)] (ed.), Naturwissenschaftliche Grundlagen. https://www.de-ipcc.de/media/content/AR6-WGI-SPM_deutsch_barrierefrei.pdf.

Kraftfahrt-Bundesamt. 2022. Fahrzeugzulassungen (FZ) Bestand an Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern nach Fahrzeugalter 1. Januar 2022. Flensburg: Kraftfahrzeugbundesamt. https://www.kba.de/SharedDocs/Downloads/DE/Statistik/Fahrzeuge/FZ15/fz15_2022.pdf?__blob=publicationFile&v=5.

Sachverständigenrat für Umweltfragen. 2020. Für eine entschlossene Umweltpolitik in Deutschland und Europa (Umweltgutachten). (https://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/01_Umweltgutachten/2016_2020/2020_Umweltgutachten_Entschlossene_Umweltpolitik.html)

Sachverständigenrat für Umweltfragen. 2022. Wie viel CO2 darf Deutschland maximal noch ausstoßen? Fragen und Antworten zum CO2-Budget. Berlin: Sachverständigenrat für Umweltfragen. (https://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/04_Stellungnahmen/2020_2024/2022_06_fragen_und_antworten_zum_co2_budget.html)

Sachverständigenrat für Umweltfragen. 2024. Wo stehen wir beim CO2-Budget? Eine Aktualisierung. Berlin: Sachverständigenrat für Umweltfragen. (https://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/04_Stellungnahmen/2020_2024/2024_03_CO2_Budget.pdf?__blob=publicationFile&v=8)

Schwarz, Susanne. 2022. Budget für Deutschland: Nur noch wenige Gigatonnen CO2. taz. 15.06.2022 Berlin: Sachverständigenrat für Umweltfragen. (https://taz.de/Budget-fuer-Deutschland/!5858119/)

Die Klimabewegung: Menschen, Bürger*innen, Aktivist*innen (im Entstehen)

Auf Demos und im Netz hört man/liest man mitunter merkwürdige Kommentare wie „Geht doch mal arbeiten! Habt Ihr sonst nichts zu tun?“ Ich möchte an dieser Stelle einfach mal zeigen, was für Menschen protestieren, wie vielfältig die Klimabewegung ist – gerade auch die mit zivilem Ungehorsam – und was für Biographien dahinter stehen. Ich habe Bilder aus Aktionen, die ich photographiert habe, zusammengestellt und wenn ich Portraits habe, auch ein Portraitbild dazugetan. Zu jedem Bild gibt es ein kleines Zitat der abgebildeten Person und Verweise auf Zeitungsberichte. Begonnen, mit dem zivilen Ungehorsam, haben die Schüler*innen von Fridays for Future, indem sie nicht zur Schule gegangen sind. Ich fange hier aber mit den Ältesten an.

Ernst Hörmann (geb. 1950, 72 Jahre, X Kinder, 8 Enkel)

Ernst Hörmann, 72 Jahre alt und 8 Enkel ist Teil des Aufstands der Letzten Generation. Er blockiert Straßen und Flughäfen.

Ernst Hörmann (72, 8 Enkel), Aktivist vom Aufstand der Letzten Generation, bei der erkennungsdienstlichen Behandlung nach der Blockade der A100, Berlin, 04.02.22
Ernst Hörmann, Aktivist vom Aufstand der Letzten Generation, blockiert die A100. Auf der Straße liegen Lebensmittel, die von Supermärkten weggeworfen wurden, Berlin, 04.02.22

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Quellen: Süddeutsche Zeitung, Februar 2022

Lothar Hermstädt (geb. 1953, 69 Jahre)

Lothar Hermstädt ist Maschinenbauingenieur, hat bei BMW gearbeitet und jetzt bei Scientist Rebellion.

Lothar Hermstädt, Maschinenbauingenieur, bei der Paper-Pasting-Aktion von Scientist Rebellion am Bundesverkehrsministerium, Berlin, 08.04.22

Bilder auf Flickr

Prof. Dr. Nikolaus Froitzheim (

Nikolaus Froitzheim ist Professor für Strukturgeologie in Bonn. Er ist schon seit 2021 bei Extinction Rebellion dabei und engagiert sich jetzt auch bei Scientist Rebellion.

Prof. Dr. Nikolaus Froitzheim, Professor für Strukturgeologie in Bonn, während einer Blockade einer Brücke durch Scientist Rebellion, Kronprinzenbrüce, Berlin, 06.04.22
Prof. Dr. Nikolaus Froitzheim, Geologe an der Uni Bonn, im Lock On am Lautsprecherwagen von Extinction Rebellion bei der Blockade des Brandeburger Tors. Berlin, 20.08.21

Motivation: Youtube 06.04.22

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Quelle: Generalanzeiger Bonn: Wer ist der Bonner Professor, der sich fürs Klima auf die Straße setzte? 17.05.2021

Manon Gerhardt (50 Jahre, geb. 1972, X Kinder)

Manon Gerhardt ist Bratschistin an der Deutschen Oper Berlin. Sie ist bei Extinction Rebellion aktiv.

Manon Gerhardt spielt Bratsche Rebellion wave: Tag1, Die In auf der Marschallbrücke während der Demonstration von Extinction Rebellion „Trauerzug der Toten Bäume“, Berlin, 05.10.2020

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Quelle: Klimareporter: Für den Schutz der Lebenswelt, 2020

Edmund Schultz

Edmund Schultz aus Braunschweig ist Projektmanager im Klimabereich. Er ist Mitglied vom Aufstand der Letzten Generation.

Edmund Schultz, vorn mit grauen Haaren, blockiert mit 100 anderen vom Aufstand der Letzten Generation die Straße vor dem Brandenburger Tor am 100sten Tag, an dem die Bundesregierung im Amt ist. Berlin, 18.03.2022

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Dr. Tadzio Müller (1976)

Tadzio Müller hat in Heidelberg, Boston, und Sussex Politikwissenschaft und Globale politische Ökonomie studiert und hat dann in Sussex in Internationalen Beziehungen und Politik promoviert. Er hat an der Universität Kassel und bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung gearbeitet. Er war und ist an verschiedenen stellen in der Klimabewegung aktiv. Unter anderem hat er Ende Gelände mitgegründet.

Klimakativist Tadzio Müller hält ruft am Brandenburger Tor bei der Klimademo #AlleFürsKlima vor 270.000 Menschen zu Ungehorsam für alle auf. Berlin, 20.09.19

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Quelle: Wikipedia

Christian Bläul (2 Kinder)

Christian Bläul aus Dresden ist ausgebildeter Physiker und arbeitet jetzt als Softwareentwickler. Er hat seine Arbeitszeit reduziert, damit er sich für den Klimaschutz einsetzen kann. Er ist beim Aufstand der Letzten Generation und bei Scientist Rebellion.

Christian Bläul vom Aufstand der Letzten Generation hat sich bei der Besetzung der A100 an die Straße geklebt. Westend, Berlin, 10.02.22

Motivation: Youtube

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Dr. Cornelia Huth

Dr. Cornelia Huth ist Ernährungswissenschaftlerin und Epidemologin (Ökotrophologin), war 20 Jahre in der Wissenschaft, dann in einer Bundesbehörde und ist jetzt in der Industrie. Sie hat zwei Kinder und ist bei Scientist Rebellion.

Dr. Cornelia Huth, Ökotrophologin, blockiert mit Scientist Rebellion die Kronprinzenbrücke, Berlin, 06.04.22

Motivation: Youtube

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Dr. Nana-Maria Grüning

Dr. Nana-Maria Grüning ist Biologin und bei Scientist Rebellion aktiv.

Dr. Nana-Maria Grüning, Biochemikerin, blockiert mit Scientist Rebellion in Berlin eine Brücke, um auf die Klimakrise aufmerksam zu machen, Kronprinzenbrücke, Berlin, 06.04.22

Motivation: Youtube

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Anja Freiwald (1 Kind)

Anja Freiwald ist Biotechnologin (M. Sc.) und bei Scientist Rebellion aktiv.

Anja Freiwald, Biotechnologin, blockiert in Berlin gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern von Scientists Rebellion eine Brücke, um auf die Klimakrise aufmerksam zu machen. Sie haben sich mit Ketten aneinandergekettet, Kronprinzenbrücke, Berlin, 06.04.22

Motivation: Youtube

Dr. Michael Hofmann

Dr. Michael Hofmann ist theoretischer Physiker und bei Scientist Rebellion aktiv.

Michael Hofmann, theoretischer Physiker, blockiert in Berlin gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern von Scientists Rebellion eine Brücke, um auf die Klimakrise aufmerksam zu machen. Sie haben sich mit Ketten aneinandergekettet, Kronprinzenbrücke, Berlin, 06.04.22

Motivation: Youtube

Daniele Artico

Daniele Artico ist Physiker und Doktorand.

Daniele Artico, Physiker, blockiert mit Scientist Rebellion in Berlin eine Brücke, um auf die Klimakrise aufmerksam zu machen, Kronprinzenbrücke, Berlin, 06.04.22

Florian Zander (1992)

Geowissenschaftler und Doktorand der TU Delft (Niederlande)

Florian Zander, Geowissenschaftler und Doktorand der TU Delft, blockiert mit Scientist Rebellion in Berlin eine Brücke, um auf die Klimakrise aufmerksam zu machen, Berlin, 06.04.22

Motivation: Youtube

Bilder auf Flickr.

Wolfgang Metzeler-Kick

Wolfgang Metzeler-Kick ist Ingenieur für technischen Umweltschutz und bei Scientist Rebellion und dem AUfstand der Letzten Aktion aktiv.

Wolfgang Metzeler-Kick, Ingenieur für technischen Umweltschutz, von den Scientist Rebellion bei der Blockade des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz, Berlin, 08.04.22

Motivation: Youtube

Dr. Stephanie Rach

Stephanie Rach ist Tierärztin und Dr. der Veterinärmedizin. Sie ist bei Scientist Rebellion aktiv.

Dr. Stephanie Rach, Tierärztin und Dr. der Veterinärmedizin, blockiert mit Scientist Rebellion die Kronprinzenbrücke, Berlin, 06.04.22

Motivation: Youtube

Andreas Zilker

Andreas Zilker hat einen B.Sc in Geographie, Freizeit und Umwelt an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt und einen M.Sc nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit an der TU Kaiserslautern. Er ist bei Scientist Rebellion aktiv.

Andreas Zilker während der Blockade der Kronprinzenbrücke durch Scientist Rebellion. Er hat einen B.Sc in Geographie, Freizeit und Umwelt an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt und einen M.Sc nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit an der TU Kaiserslautern. Berlin, 06.04.22

Motivation: Youtube

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Amelie Meyer

Amelie Meyer, Wirtschaftsmathematikerin, ist bei Scientist Rebellion aktiv.

Amelie Meyer, Wirtschaftsmathematikerin, spricht bei Paper-Pasting-Aktion von Scientist Rebellion, Bundesverkehrsministerium, Berlin, 08.04.22

Friedrich Gräber

Friedrich Gräber, B. Sc. Biochemie, unterbricht sein Studium der Neurowissenschaften im Master, um sich für Klimaschutz zu engagieren. Er ist bei Scientist Rebellion aktiv.

Friedrich Gräber, B.Sc. Biochemie, unterbricht sein Studium der Neurowissenschaften im Master und blockiert in Berlin mit anderen Wissenschaftlern von Scientist Rebellion eine Brücke, um auf die Klimakrise aufmerksam zu machen. Sie haben sich mit Ketten aneinandergekettet. Kronprinzenbrücke, Berlin, 06.04.22

Motivation: Youtube

Kyle Topfer

Kyle Topfer ist Umweltwissenschaftler (B. Sc.). Er kommt aus Australien und ist bei Scientist Rebellion aktiv.

Kyle Topfer von Scientist Rebellion nach der Blockade des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz, Berlin, 07.04.22

Motivation: Youtube.

Dr. Valeria Scagliotti

Valeria Scagliotti ist promovierte Biologin und bei Scientist Rebellion.

Dr. Valeria Scagliotti, Biologin, blockiert hochschwanger mit Scientist Rebellion in Berlin eine Brücke, um auf die Klimakrise aufmerksam zu machen. Kronprinzenbrücke, Berlin, 06.04.22

Amelie Meyer

Amelie Meyer ist Wirtschaftsmathematikerin und bei Scientist Rebellion aktiv.

Amelie Meyer, Wirtschaftsmathematikerin, spricht bei Paper-Pasting-Aktion von Scientist Rebellion, Bundesverkehrsministerium, Berlin, 08.04.22

Lars Werner (30)

Lars Werner aus Göttingen ist Kinderpsychologe. Er arbeitet jetzt nur noch in Teilzeit und engagiert sich in der restlichen Zeit für den Aufstand der Letzten Generation. Im Mai 2022 hat er Erdölpipelines zugedreht.

Lars Werner vom Aufstand der letzten Generation nach dem Gespräch der Hungerstreikenden mit Olaf Scholz, im Hintergrund Carla Hinrichs, Berlin, Friedrich-Ebert-Stiftung, 12.11.21

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Rumen Grabow

Rumen Garbow aus Greifswald ist Bäcker. Er war am Hungerstreik der Letzten Generation beteiligt.

Rumen Grabow, Hungerstreikender der letzten Generation, am 23. Tag des Hungerstreiks, Berlin, Spreebogen, 21.09.21

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Henning Jeschke

Henning Jeschke aus Greifswald hat sein Studium unterbrochen, um sich dem Kampf gegen die Klimakatastrophe zu widmen. Er war bei Extinction Rebellion, danach am Hungerstreik der Letzten Generation beteiligt (27 Tage und dann im trockenen Hungerstreik) und ist nun beim Aufstand der Letzten Generation aktiv.

Henning Jeschke vom Hungerstreik der letzten Generation am 16. Tag des Hungerstreiks, Berlin, 14.09.21
Henning Jeschke wird mit Schmerzgriff nach der Blutaktion von Extinction Rebellion an der CDU-Zentrale abgeführt, Berlin, 17.08.21

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Carla Hinrichs (25, 1997)

Carla Hinrichs (25) aus Bremen hat ihr Jura-Studium unterbrochen, um sich dem Kampf gegen die Klimakatastrophe zu widmen. Sie war als Unterstützern beim Hungerstreik der Letzten Generation dabei und ist jetzt Sprecherin der Letzten Generation.

Carla Hinrichs, Sprecherin vom Aufstand der Letzten Generation, Berlin, 12.02.22
Carla Hinrichs wird von der Polizei von der Straße getragen nach der Blockade der A100 durch den Aufstand der Letzten generation. Westend, Berlin, 10.02.22

Motivation: Youtube

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Quelle: t-online: „Olaf Scholz versteht die Fakten einfach nicht“, 20.02.2022

Luisa Neubauer (1996)

Luisa Neubauer hat Fridays for Future Deutschland mit gegründet. FFF waren die ersten, die zivilen Ungehorsam geleistet haben, denn sie sind nicht in die Schule gegangen.

Luisa Neubauer beim Klimastreik von Friday for Future, Brandenburger Tor, Berlin, 25.03.2022

Wikipediaeintrag

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Lea Bonasera (25? Jahre, 1997?)

Lea Bonasera hat Internationale Beziehungen in Amsterdam und Oxford studiert und promoviert am Wissenschaftszentrum Berlin zu zivilem Ungehorsam. Sie war bei Extinction Rebellion aktiv und dann anfänglich als Sprecherin und gegen Ende selbst als Hungerstreikende beim Hungerstreik der Letzten Generation aktiv. Jetzt ist sie beim Aufstand der Letzten Generation.

Lea Bonasera vom Aufstand der Letzten Generation bei der Blockade der A100. Sie hat sich an die Straße geklebt. Berlin, Westend, 10.02.2022

Motivation: Youtube

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Quellen: Augsburger Allgemeine: Klimaaktivistin Lea Bonasera: „Die Grünen stehen nicht an unserer Seite“, 26.11.2021

nd: „Im Zweifel auch ins Gefängnis gehen“, 13.12.2021

Mephisto (

Mephisto war bei Extinction Rebellion aktiv, hat den Landtag in NRW besetzt und war dafür schon im Gefängnis. Nach dem August Rise Up von Extinction Rebellion nahm sie am Hungerstreik der Letzten Generation und danach an diversen weiteren Aktionen von Extinction Rebellion teil.

Lina Eichler und Mephisto von den Hungerstreikenden der letzten Generation bei der Pressekonferenz am 17. Tag des Hungerstreiks. Spreebogen, Berlin, 15.09.21

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Isabell Bungart

Isabell Bungart studiert an der FU Berlin Physik. Sie war bei diversen Fridays For Future-Demos, als Unterstützerin beim Hungerstreik der Letzten Generation, im zivilen Ungehorsam bei Extinction Rebellion und beim Aufstand der Letzten Generation.

Isabell Bungart im Klimacamp des Hungerstreiks der Letzten Generation, Berlin, Spreebogen, 21.09.2021
Isabell Bungart während der Räumung der Blockade von Extinction Rebellion durch die Polizei. Rebellen von Extinction Rebellion haben die Marschallbrücke blockiert, um auf den IPCC-Report hinzuweisen. Berlin, 05.03.22

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Carla Reemtsma (23 Jahre, 1998)

Carla Reemtsma studiert in Münster Politik- und Wirtschaftswissenschaften. Sie ist bei Fridays for Future aktiv und hat mit Extinction Rebellion im Oktober 2021 die SPD-Zentrale blockiert.

Carla Reemtsma von Fridays For Future spricht beim Klimastreik, Berlin, Brandenburger Tor, 22.10.2021
Pauline Brünger und Carla Reemtsma von Fridays For Future sprechen auf einem Traktor bei der Blockade der SPD-Parteizentrale bei einer gemeinsamen Aktion von Fridays For Future und Extinction Rebellion „Gerechtigkeit jetzt“, Berlin, 22.10.2021

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Quellen: Wikipedia

Greta Thunberg (2003)

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Quellen: Wikipedia

Lina Eichler (19 Jahre)

Lina Eichler (19), Schülerin aus Essen, hat ihr Abitur abgebrochen, um sich dem Kampf gegen die Klimakatastrophe zu widmen.

Lina Eichler nach Beendigung des Hungerstreiks, Berlin, Spreebogen, 21.09.21
Lina Eichler klebt sich bei der Blockade des BER durch den Aufstand der Letzten Generation auf der Straße an. Ein Polizist versucht das zu verhindern, ist aber zu langsam. Berlin-Schönefeld, 23.02.2022

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Quellen: Süddeutsche Zeitung, Februar 2022

Prof. Dr. habil. Stefan Müller (1968, 2 Kinder)

Normalerweise benutze ich meine Titel nicht, aber hier muss es wohl sein. Ich habe Informatik studiert (4 Jahre an der Humboldt-Uni, inklusive Auslandsjahr in Edinburgh), in Saarbrücken in Informatik promoviert und dann in Computerlinguistik habilitiert. Dann Professuren in Bremen (Theoretische Linguistik und Computerlinguistik), an der FU Berlin (Allgemeine Sprachwissenschaft und Deutsche Grammatik) und jetzt an der HU (Sprachwissenschaft des Deutschen/Syntax). Ich war gewählter Vertreter im Fachkollegium Sprachwissenschaft der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Die Fachvertreter werden alle vier Jahre von allen promovierten Wissenschaftler*innen eines Faches gewählt und entscheiden dann über die Annahme oder Ablehnung von Forschungsanträgen und die Bewilligung entsprechender Gelder. Ich bin seit 2014 Mitglied der Academia Europaea, Section Linguistic Studies.

Stefan Müller, Professor für deutsche Syntax an der Humboldt-Universität zu Berlin und Direktkandidat der Partei Die PARTEI für den Wahlkreis 242 Erlangen für die Bundestagswahl 2021, 14.08.2021, Bild: CC-BY Arne Reinhardt

Ich bin professioneller Musikphotograph (mit angemeldeter Nebentätigkeit). Veröffentlichungen in Spiegel, Zeit, Stern, taz und Berliner Lokalzeitungen. Große Sachen wie Metallica, Deichkind, Lindenberg, Westernhagen, Helge Schneider, Billy Idol und Abseitiges wie The Fall, COR, Deez Nuts, Exploited, DDR-Untergrund wie Herbst in Peking, Die Art, Sandow und die Firma. Seit dem dritten Streiktag von Fridays for Future fotografiere ich systematisch die Klimabewegung. Siehe hierzu die Alben auf Flickr.

Ich bin immer artig, mache, was die Polizei möchte, und leiste keinen Widerstand. Zivilen Ungehorsam oder so was Ähnliches habe ich aber doch betrieben. Mit meinen Kolleg*innen Prof. Dr. Dr. Martina Schäfer, Prof. Dr. Gisbert Fanselow und Hartmut Ehler haben wir Researchstrejk gegründet. Wir haben von Mai 2019 bis 2020 jeweils Mittwochs eine Stunde gestreikt. Es gab Streiks an allen Berliner Unis, in Potsdam und in Leipzig. Bilder von allen Standorten auf der Seite climatewednesday.org und meine Bilder auf Flickr. Die Idee war, dass die Kids Freitags streiken, die Wissenschaftler*innen Mittwochs, die Sparkassenangestellten Montags usw. Weil das mit dem Streiken natürlich überhaupt nicht geht, schließlich sind wir ja Beamte, wurde das Ganze in Forschungsmittagspause umbenannt. Die Klimamittwoche endeten mit Corona. Es gab aber eine viel, viel bessere Fortführung von anderen: die Klimamontage (Bilder auf Flickr). Das war einmal im Monat und 18:00.

Weil Stefan Müller von der CSU seit 2002 das Direktmandat in Erlangen gewinnt, hatte Fridays for Future Erlangen die Idee, den Erlanger*innen einen alternativen Stefan Müller zu bieten. Die Partei Die PARTEI, Erlangen hat dann ein Stefan-MüllerX-Casting veranstaltet, das ich gewonnen habe. Da die SPD Anfang 2021 bei 12% lag, hat Martin Sonneborn erklärt, dass, wenn Kleinstparteien wie die SPD Kanzlerkandidat*innen stellen können, die Partei das auch könne. Er hat kurzerhand alle Direktkandidat*innen zu Kanzlerkandidaten gemacht.

Plakatierung für den Direktkandidaten der Partei Die PARTEI in Erlangen und Erlangen-Höchstadt: Stefan Müller, Erlangen, 27.08.21, CC-BY Marius Beyer

So kam es, dass ich letztendlich der einzige Kanzlerkandiat war, der auf die Forderung der Hungerstreikenden nach einem Gespräch vor der Wahl eingegangen ist. Und zwar schon am Tag sechs von 27 des Hungerstreiks (Bilder auf Flickr). Ich habe im Wahlkampf weder Kosten noch Mühen gescheut, weshalb ich auch die Etappe der Deutschlandtour von Ilmenau nach Erlangen gewonnen habe. Das ist ein Profi-Radrennen, der Wiesenbote berichtete. Letztendlich bin ich aber froh, dass ich nicht Bundeskanzler geworden bin. Mit dem Klima wäre ich fertig geworden (Meine Regierung hatte ich schon entsprechend zusammengetellt.), aber mit dem Krieg hätte ich als Pazifist so meine Probleme gehabt. Ich hatte zwar schon detaillierte Pläne, wie ich mit Putin verfahren wollte, aber die sind – wie ich nun einsehen muss – wenig realistisch und vielleicht nicht mal lustig.

Von all den Organisationen und Gruppierungen, die ich photographiert habe, bin ich nur in einer: Scientist for Future. Das ist die Organisation, die Fridays for Future wissenschaftlich berät und wissenschaftliche Vorträge hält. Ich habe da die bundesweite Campagne zum Verzicht auf Kurzstreckenflüge #unter1000 mitorgansiert. Zivilen Ungehorsam machen sie nicht. Bei den Großveranstaltungen von Fridays for Future bin ich im Photographenteam.

Fotograf*innen von Fridays for Future beim 10. Globalen Klimastreik, Invalidenpark, Berlin, 25.03.22

Das ist immer recht aufwendig organisiert, Routenplanung, Podeste. Die machen das sehr gut, ich bin nur ab und zu mal bei Sitzungen dabei gewesen.

Warum mache ich das alles? Warum photographiere ich mit großem Aufwand all diese Menschen? Ich weiß nicht, ob das, was sie tun und wie sie es tun, richtig ist. Ich weiß nicht, ob sie Erfolg haben werden, aber ich weiß, dass es sehr wichtig ist, etwas zu tun. Nichts unversucht zu lassen. Ich habe als Zwanzigjähriger den Hyperion von Hölderlin gelesen. Darin schreibt er:

Ihr entwürdiget, ihr zerreißt, wo sie euch duldet, die geduldige Natur, doch lebt sie fort, in unendlicher Jugend, und ihren Herbst und ihren Frühling könnt ihr nicht vertreiben, ihren Aether, den verderbt ihr nicht.

Hölderlin, 1797, Hyperion, Projekt Gutenberg

Er hat sich geirrt. Sehr. Bereits damals, als ich den Hyperion gelesen habe, war das Problem mit Treibhausgasen bekannt. Die Zeitung vermeldete einmal in der Woche neue Wetterrekorde. Diese Zeilen aus dem Hyperion haben sich mir deshalb eingeprägt.

Meine Schwester ist Meterologin. Sie hat am Südpol in der Forschungsstation überwintert (14 Monate), hat Eisborkerne angefertigt, mit denen man langfristige Entwicklungen im Klima nachweisen kann. Ich bin kein Fachmann auf dem Gebiet Klima oder angrenzenden Gebieten, aber ich bin Wissenschaftler, habe über all die Jahre viel gelesen und ich weiß und verstehe, dass wir mehr tun müssen, viel mehr als auch die jetzige Regierung tut. Ich habe Angst.

Quellen: Wikipedia, Erlanger Nachrichten, 12.09.2021

100 Tage Ampel: Gut oder nicht?

Malte Kreutzfeldt und Stefan Reinecke haben eine gute Schilderung der Regierungstätigkeiten in den ersten 100 Tagen verfasst. Wenn man sie liest, könnte man geneigt sein, zu glauben, es sei alles OK. Alle reden miteinander, Olaf Scholz sorgt für Ausgleich, die Koalitionspartner gehen aufeinander zu.

Man könnte sich fragen, was diese komischen Klima-Chaoten denn noch wollen, die Grünen regieren ja schon mit und es geht in die richtige Richtung.

Aber nach 100 Tagen #Ampel ist der CO2-Ausstoß noch weiter gestiegen. CDU und SPD mussten sich vom Bundesverfassungsgericht sagen lassen, dass ihre Politik verfassungswidrig war. Dann gab es blitzschnell noch vor den Wahlen ein Klimagesetz. Nun werden die gesetzten Klimaziele verfehlt. Im Bereich Energie und Heizung (klar geht nicht in 100 Tagen) und im Bereich Verkehr. D.h. dass die neue Regierung hier auch nicht verfassungskonform handelt.

148 Millionen Tonnen Kohlendioxid haben Deutschlands fossil betriebene Autos, Lkws und Loks verursacht, ein leichter Anstieg gegenüber dem Vorjahr. Das sind 3 Millionen Tonnen mehr, als das Klimaschutzgesetz dem Verkehrswesen für 2021 zugesteht.

Susanne Schwarz: Daten des Umweltbundesamts: CO2-Emissionen wieder gestiegen, taz, 15.03.2022

Es ist klar, dass eine ganz einfache Sache, nämlich das Tempolimit, an der FDP liegt. Und hier sieht man recht deutlich die Grenzen unseres Demokratischen Systems. Die FDP wurde wegen ihrer verkorksten Haltung gewählt (Freiheit und so). Sie kann davon nicht ohne Schaden abrücken. Das kann man nur reparieren, indem man die Demokratie erweitert und verbessert, nämlich durch Bürgerräte. Diese finden CDU (Wolfgang Schäuble, Horst Köhler), SPD, Grüne und FDP toll und sie stehen sogar im Koalitionsvertrag. Wenn einem wirklich an der Lösung der Klimaprobleme gelegen wäre, dann müsste man diese Bürger*innenräte als erstes angehen. Damit könnte man Maßnahmen eines Klimabürgerrates umsetzen, die auf 80% Zustimmung in der Bevölkerung stoßen. Es hat bereits ein solcher stattgefunden und die vorgeschlagenen Maßnahmen wurden evaluiert. Sollte die jetzige Regierung das irgendwie anzweifeln, könnte sie die nötigen Schritte wiederholen.

Die Bürger*innenräte einzuführen, bedeutet Macht abzugeben. Es bedeutet aber auch Macht zu gewinnen, nämlich handlungsfähig zu werden angesichts einer globalen Katastrophe, in die wir gerade hineinsteuern.

So lange diese Räte nicht eingerichtet werden, werden die nötigen Schritte nicht erfolgen und deshalb haben Bewegungen wie Extinction Rebellion, Scientist Rebellion und der Aufstand der Letzten Generation, die allesamt solche Bürger*innenräte fordern, ihre Berechtigung und werden auch nicht aufhören zu nerven.

Aufs Land mit dem ÖPNV?

In der taz gab es vor kurzem einen Artikel, in dem die Autorin Friederike Gräff beschrieben hat, wie sie mit ÖPNV von Hamburg-Eimsbüttel nach Vierden kommt (taz, 11.10.2021). Sie braucht dazu 3 Stunden und 40 Minuten mit fünf Mal umsteigen. Ziel ihrer Reise ist ein Wochenendgrundstück, also Erholung. Sie hat sich zum Erreichen des Ziels ein Auto gekauft. Mit dem Auto kann sie die 50 km in 45 min zurücklegen. Der Artikel ist interessant, weil er den Istzustand der Verkehrsanbindung auf dem Land beschreibt. Daran gilt es vieles zu verbessern, so dass auch Menschen auf dem Land auf das Auto verzichten können. Vielleicht vorerst nicht komplett, aber es ist ja schon etwas gewonnen, wenn einzelne Fahrten unterbleiben können.

ÖPNV + Rad

Ansonsten ist die Frage, ob man mit einer Kombination aus Rad und Bahn die Strecke nicht besser bewältigen könnte. Zuerst gibt es natürlich die Möglichkeit, die ganze Strecke zu fahren. Da die Entfernung nur 50 km beträgt, kann man die Strecke bequem in drei Stunden zurücklegen, ist also noch schneller und billiger als mit der Bahn dort (und billiger als mit dem Auto). Wenn es darum geht, sich zu erholen, dann ist eine Radfahrt Teil der aktiven Erholung. Kinder kommen in den Hänger oder fahren ab einem gewissem Alter selbst. Weniger fitte Menschen können ein E-Fahrrad benutzen.

Alternativ kann man von der Station Emilienstraße Tostedt mit einem Mal Umsteigen in 50–55 Minuten erreichen. (fährt alle 30 Minuten von früh bis spät auch am Wochenende)

Von dort sind es nur noch 23,7km oder 1h 20min mit dem Rad.

Kosten

Friederike Gäff schreibt, dass sie nicht viel Geld hat. Autos sind teuer. Abgesehen von der Anschaffung und von Wartungskosten gibt es einen Wertverfall und man bezahlt Steuern, Versicherung und Sprit. Für dieses Geld kann man genauso E-Räder oder (E-)Lastenräder anschaffen. Dafür fallen keine Steuern an und die Wartungskosten sind vergleichsweise gering. Hier habe ich die Kfz-Kosten mal zusammengestellt.

Alles sofort und schnell

Friederike Gräff beschreibt die wirklich recht abenteuerliche Tour mit mehreren Bussen und kommt zum Schluss, dass man nur als nicht arbeitender Mensch mit dem öffentlichen Nahverkehr zurecht (bzw. nach Vierden) kommt:

Die Busfahrerin von Bus 865 wünscht uns noch einen schönen Tag, als sie uns vor der Mühle absetzt. Nach 3 Stunden 40 Minuten sind wir am Ziel. Es ist möglich, mit öffentlichen Verkehrsmitteln in die Mühle zu kommen. Man muss nur in der Lage sein, sein Leben darauf einzustellen und eine Existenz als Privatier führen. Wir setzen uns auf die Wiese und betrachten die Bäume, die sich zueinander neigen. Aber nur kurz: Man darf nicht länger als zwei Stunden bleiben, wenn man noch am selben Tag zurück nach Hause kommen will, der letzte Bus fährt um 16.09 Uhr.

Friederike Gräff, Verkehrswende auf dem Land: Man muss auch warten können, taz, 11.10.2021

Dieser kurze Textauszug zeigt meiner Meinung nach aber schon recht klar das Problem: Wieso muss man denn mal einen Tag schnell nach Vierden und abends wieder zurück? Ist das nicht derselbe Wahnsinn, wie mal eben schnell nach Barcelona zum Einkaufen zu fliegen oder zu einem Konzert nach London? Ist Goethe mal schnell nach Rom und wieder zurück? Nein, er blieb dort vier Monate, fuhr dann nach Neapel, blieb dort fünf Wochen, dann Sizilien und dann noch mal ein Jahr Rom. Für die Wochenenderholung könnte man also Freitag Abend mit Rad und Bahn nach Vierden fahren und dann am Sonntag wieder zurück.

Lebenswerte Städte

Aber eigentlich liegt das Problem noch viel tiefer, wie die folgenden Zitate zeigen:

Ich bin dort, um auf der Wiese auf der Bank zu sitzen und auf die Baumreihe gegenüber zu schauen, wo sich drei Bäume zueinander neigen, als seien sie müde und trostbedürftig. Ich bin dort, weil ich hier nicht jedes Mal, wenn die Kinder kreischend hintereinander herlaufen, fürchte, dass die Nachbarn hochkommen, um sich zu beschweren. Ich nutze das Land als Pause, als Kulisse meiner Pause.

Letztlich haben wir ein Auto gekauft, einen uralten Benziner. Autobesitzerin zu sein, fühlt sich an wie eine Kapitulation. „You are not stuck in traffic. You are traffic“ steht auf einem Transparent an einem Haus, an dem vorbei ich zur Arbeit radle, und jedes Mal, wenn wir auf dem Weg zur Mühle im Stau stehen, denke ich daran.

Friederike Gräff, Verkehrswende auf dem Land: Man muss auch warten können, taz, 11.10.2021

Das Auto wurde also nur angeschafft, um den Kindern eine Möglichkeit zu geben, sich auszutoben. Ansonsten steht es in der Stadt rum. Wenn es benutzt wird, erzeugt es Stau.

In meiner Kindheit war es so, dass die Straßen frei waren, weil es viel weniger Autos gab. Man konnte auf der Straße mit dem Ball spielen und diesen an der Bordsteinkante abprallen lassen, weil dort keine Autos standen. Das Ziel müsste also eigentlich sein, lebenswerte Städte mit viel mehr Grün und Spielflächen zu haben, so dass diese Fahrten überhaupt nicht nötig sind. Natürlich gibt es Gründe für diese Fahrten in der anderen Richtung vom Land in die Stadt, weshalb die Fahrten natürlich prinzipiell möglich sein sollten und entsprechende Angebote gemacht werden sollten.

Mentalitätswandel

Friederike Gäff verlinkt einen früheren Artikel ihres Hamburger Kollegen Gernot Knödler und der bringt es auf den Punkt! Erstens brauchen wir die Fortbewegungsart Rad+ÖPNV auch in den Planungstools. (Für mich war es ohne Ortskenntnis ein Abenteuer die nächstgelegene Bahnstation in der Umgebung von Vierden zu finden) und zweitens müssen wir selbst uns alle umstellen:

Wenn es darum geht, Verkehrsmittel miteinander zu verknüpfen, werden elektronische Systeme eine wichtige Rolle spielen, mit denen sich Angebote finden und buchen lassen. Sie müssen möglichst einheitlich und einfach zu bedienen sein. Für alle, die sich mit dem Smartphone oder Computer schwer tun, müsse zudem eine analoge Buchung, etwa per Telefon, möglich sein, fordert das „Bündnis sozialverträgliche Mobilitätswende“.

Das Bündnis, zu dem Umwelt- und Sozialverbände ebenso wie Gewerkschaften gehören, weist auch darauf hin, dass die Verkehrswende ohne einen Mentalitätswandel nicht zu schaffen sein wird. Dazu gehöre „ein kritisches Hinterfragen von Konsumgewohnheiten, die das Verkehrsaufkommen erhöhen“, Beteiligung und Mobilitätsbildung für alle Altersklassen.

„Es muss“, so das Fazit, „an vielen Schrauben gedreht werden.“

Gernot Knödler, Wie Klimaschutz im Verkehr funktioniert: Ein Leben ohne Auto, taz, 13.08.2021

Mir ist es zu einfach, wenn immer wieder betont wird, dass das Individuum nicht für irgendetwas verantwortlich gemacht werden könne. Ja, es ist schwierig, wenn man alle mitnehmen will, aber irgendwann und irgendwer muss anfangen. Jetzt!

Nachtrag: Veganer gegen Vegetarier

Mir ist klar, dass dieser Blog-Post ein bisschen komisch ist. So wie die Diskussion von Veganern mit Vegetariern. Wir sollten uns wohl lieber mit Rindfleischgrillmeister*innen und SUV-Fahrer*innen streiten, aber manche Punkte kommen mir einfach bei solchen Leider-Leider-Artikeln hoch.