Twitter ist unerträglich geworden. Also noch unerträglicher. Also so, dass man es nicht mehr ertragen kann und gehen muss. Ich habe beschlossen einige der langen Threads für die Nachwelt zu erhalten. Hier der #Gottesbeweis. Hashtags lasse ich drin, die Threadzahlen habe ich entfernt. Der ursprüngliche Tweet ist vom 21.02.2023
Wow! Ich habe #Gott gesehen. Aber der Reihe nach. Ich habe dieses Bild gemacht und wurde dadurch zum Gegenstand einer polizeilichen Maßnahme. Die Polizei hat mich über 20 Minuten festgehalten und an meiner Arbeit gehindert. #Pressefreiheit So wie andere Journalisten auch.
Polizisten halten drei Journalisten und einen Aktivisten der Letzten Generation zur Personalienfeststellung fest. Ich wurde dann auch festgehalten. Das entspricht nicht der Gesetzeslage und bedeutet eine Einschränkung der Pressefreiheit. Kanzleramt, Berlin, 21.02.2023
Das Bild zeigt einen Aktivisten der #LetzteGeneration neben der am besten bewachten Wand in Deutschland: der Wand am Kanzleramt. Es ist völlig legitim, dieses Bild zu machen. Nicht nur für Menschen mit Presseausweis. Die Polizei hatte da schon mehrere Journalisten gekesselt und war gerade dabei, deren Personalien festzustellen. Das ist ein massiver Eingriff in die #Pressefreiheit und nicht zulässig. Ein Polizist schickte mich auch in den Kessel und wollte meine Personalien aufnehmen. Ich habe ihm gesagt, dass ich hier fotografieren könne und ich mit seinem Vorgesetzten sprechen möchte. Er: Ich bin der Vorgesetzte. Ich: Ich möchte mit Ihrem Vorgesetzten sprechen. Er: Ich bin mein Vorgesetzter. Die einzige Möglichkeit, wie diese Aussage wahr sein kann, ist, dass er #Gott ist. Ich habe hiermit also bewiesen, dass es Gott gibt. Ich habe ihn sogar selbst gesehen! #Gottesbeweis#Logik Und obwohl er nicht nett zu mir war, bin ich ab heute katholisch und verabschiede mich jetzt in den #Karneval.
Ein Journalist war von dpa und dpa wird wohl auch eine diesbezügliche Pressemitteilung machen. Es schockiert mich, dass die Polizist*innen nicht über die rechtliche Lage Bescheid wissen. Da ist dringend Weiterbildung nötig. Übrigens war auch eine Polizistin da, die die Lage richtig beurteilt hat. Aber sie war nicht Gott. Letztendlich war aber Jörg Reichel von #Verdi wieder mal die Rettung, und hat bei den entsprechenden Stellen angerufen, so dass das insgesamt nicht so lange gedauert hat. Danke!
Das hier ist die am zweitbesten bewachte Wand in Deutschland (die rechte vom #Kanzleramt). Hier hat es der Aktivist geschafft ein #Herzchen ans #Kanzleramt zu malen. Dauert halt ein paar Sekunden, bis man aus dem Auto raus ist. #LetzteGeneration
Julian Huber von der Letzten Generation vor den Kipppunkten sprüht direkt neben dem Polizeiauto ein Herz der Letzten Generation an die Wand des Kanzleramts. Berlin, 21.02.2023
Wenn man sich zu so gesellschaftliche relevanten Themen positioniert und glaubt einen #Gottesbeweis gefunden zu haben, dann muss man sehr, sehr vorsichtig sein. Die Materie ist nicht einfach und vielleicht gibt es irgendwo einen Denkfehler oder irgendetwas, was man übersehen hat. Ich hatte zwar in mathematischer Logik im Studium eine 1 und habe Logik auch oft unterrichtet, aber man weiß ja nie. Ich habe also bzgl. Gott noch einmal eine zweite Meinung eingeholt. Mein Bekannter meinte, der Chef des Polizisten, der sein eigener Vorgesetzter sei, wäre Scholz. (So auch @IlaiAnton in den Kommentaren). Das hat mich kurz verunsichert. Aber 1) hätte Scholz keinen weltlichen Chef, da der Bundeskanzler nicht dem Bundeskanzler unterstellt ist, und zweitens ist Gott der Chef von Scholz. Natürlich! Ich habe dann gleich noch mal nachgeguckt, wie Scholz seinen Amtseid geleistet hat, aber er hat nicht „So wahr mir Gott helfe!“ gesagt. Letztendlich ist das aber völlig irrelevant, ob Scholz an Gott glaubt oder nicht. Die Hindus, Muslime usw. glauben ja auch nicht an unseren Gott. Ich habe dann auch gleich noch einen Beitrag von meinen neuen katholischen Freunden gefunden:
Und die wissen, ohne Gottes Hilfe geht gar nichts!
Corona, Klimawandel, geht alles nur mit Gott. Mir wird jetzt einiges klar! 1) Gott hat Scholz die #FDP geschickt. Oder war es der Teufel? 2) Und ich bin heute morgen abgelenkt worden, so dass ich das Hauptmotiv verpasst habe. Wäre ich heute morgen schon katholisch gewesen, dann wäre das sicher nicht passiert. Mein Bekannter hat mir dann auch noch erzählt, dass seine Partnerin heute (!!!) aus der Kirche ausgetreten ist. Aus der katholischen. Hab ich mir nicht ausgedacht. Ich schwöre!
Kannste Dir nicht ausdenken! Nach weiterem intensiven Nachdenken habe ich eine Stelle gefunden, an der mein Gottesbeweis evtl. problematisch ist. Es könnte sein, dass die Aussage des Polizisten „Ich bin mein Vorgesetzter.“ falsch war. Das würde aber bedeuten, dass es Polizisten gibt, die nicht die Wahrheit sagen. Das ist aber ausgeschlossen, denn Polizist*innen sagen immer die Wahrheit. Sie sind verbeamtet und schwören auch, ihre Amtspflichten gewissenhaft zu erfüllen. Eventuell hat Gott, also der Beamte, aber bei seiner Verbeamtung auf Gottes Hilfe verzichtet, so dass ihm heute ein Fehler unterlaufen ist. Eine große Gefahr bei Gottesbeweisen ist übrigens, dass sie zirkulär werden. Aber meiner ist ja recht einfach.
Vielleicht könnte auch @TheTweetOfGod mal kurz bestätigen, dass er heute am Kanzleramt war. Kann Gott Deutsch? Ist #Gott auch auf #Mastodon? Hat er noch Zugang zum API? Jetzt mache ich erst mal Mittagsschlaf. Als Katholik darf ich das ja.
Mein Gott! Ich wollte gerade sagen, so schnell könnt Ihr das gar nicht lesen, wie das geliket wurde:
Tweet mit 36 likes nach 26 Sekunden.
Aber Twitter ist halt Betrug:
Die Likes stammten von Bots.
Die Katholiken oder Gott sollten noch mal darüber nachdenken, wie sie ihre Bots programmieren. Denn in diesem tweet ging es um Kirchenaustritte. Da sind Likes wohl unangebracht.
Tweet über Kirchenaustritte mit 25 Likes von Bots.
Also eigentlich ging es wohl um diese Aktion, das Herzchen war nur die Ablenkung.
Aktivisten der Letzten Generation haben vor dem Bundeskanzleramt einen Baum gefällt: Die Bundesregierung sägt den Ast ab, auf dem wir sitzen. Links Lina Schinköthe, rechts Franz Winter, Im Hintergrund sieht man das Polizeiauto, das die Wand vom Kanzleramt bewacht und klein einen weiteren Aktivisten, der die Wand zur Ablenkung besprüht hat. Berlin, 21.02.2023
Hat mich auch abgelenkt. In der Pressemitteilung der #LetzteGeneration steht dazu: „Dort, im Machtzentrum Deutschlands, fällten sie heute einen Baum mit einer Handsäge. Der tote Stumpf vor der Haustüre des Kanzlers stehen dort nun als Mahnmal für das, was eigentlich längst offenkundig ist, aber trotzdem jeden Tag wie ganz selbstverständlich geschieht: „Die Bundesregierung treibt ganz aktiv die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen weiter voran. Sie sägt an dem Ast, auf dem wir alle sitzen.”“ Hier das ganze Album: https://www.flickr.com/photos/stefan-mueller-climate/albums/72177720306165190
So: Ich trolle jetzt meine eigenen Tweets! Liebe #LetzteGeneration, es heißt Haustür und nicht Haustüre. Türe steht im Duden als „landschaftlich“. Ja, ich weiß, auch die Aufzüge in Berlin sagen „Türe“. Die kommen auch aus Landschaften ….
Also das ist ja wirklich vertrackt! Ich habe mit meinem Sohn über #Gott und meinen #Gottesbeweis gesprochen und er hat mich darauf hingewiesen, dass ich in die #Hölle komme, denn ich habe ja ein Abbild Gottes geschaffen und das ist verboten. Das Fatale an der Sache: Gott, also der Polizeibeamte, hatte Recht: Ihn abzubilden war verboten. Aber wie hätte ich das denn wissen können? Er sah halt aus wie ein normaler Polizist. Und muss man für die Höllenvorbereitung die Personalien aufnehmen? Und geht das nicht eigentlich schneller als ’ne Stunde? Und wenn ich beichte? Komme ich dann trotzdem noch in die Hölle? Mein Sohn meinte, ich solle auf alle Fälle noch was spenden. Ich bedauere es wirklich sehr, dass ich im Gegensatz zu meinen Kindern kein #Religionsunterricht hatte. Ich werde versuchen, das an der #Volkshochschule nachzuholen. Bieten die überhaupt so was an?
Und leider ist bei diesem ganzen Durcheinander ganz unter den Tisch gefallen, wer auf dem Bild bei 23 ist. Das sind Lisa Schinköthe und Franz Winter. Aber sie mögen es mir verzeihen, #Gott sieht man ja schließlich nicht jeden Tag, die #LetzteGeneration dagegen schon.
Nachgedanke: Wie ist das mit #Datenschutz? Wenn #Gott, also die Polizei, Listen mit Personen führt, die in die Hölle kommen, was passiert dann bei einem Datenleck? #Scheuer, #Dobrindt, #Wissing, #Lindner? Würde die noch jemand wählen, wenn klar ist, dass die in die #Hölle kommen?
Kommentare auf Twitter
Leider gehen der Welt auch die lustigen Kommentare verloren, wenn ich meinen Account lösche:
Nutzerkommentar zu meinem Thread: Du hast Gott nicht gesehen! Warum lügst Du?
Nachtrag
Seit dieser Zeit hat sich viel getan. Ich war nur sehr kurz katholisch, war aber viel in Kirchen unterwegs. Viele evangelische Kirchen unterstützen die Letzte Generation, in dem sie die Kirchen für Veranstaltungen zur Verfügung stellen oder sogar auch durch Beteiligung an Protestmärschen.
Diskussionsrunde mit Angehörigen der Letzten Generation in der Gethsemanekirche, Berlin, 30.04.2023
Ich bin neuerdings auch großer Papst-Fan geworden, denn mit Laudate Deum hat er ein Dokument zur Klimakrise verfasst, in dem wirklich alles drin ist. Eine Diskussion der individuellen Verantwortung und des Versagens unserer Staatengemeinschaft.
Wow. Ich habe gerade die Welt gerettet. Ich musste vor dem Bahnhof auf einen Zug warten, weil ich jemanden abholen wollte, und da war ein Mann in einem Bus, der den Motor laufen ließ. Ich saß da und dachte: „Nee, da gehe ich jetzt nicht hin. Ich setzte mich hier auf die Bank und drücke an meinem Taschentelefon rum.“ Aber ich habe es nicht ausgehalten. Der Gedanke, dass jetzt zehn Minuten oder länger der Motor läuft. Für nichts und wieder nichts. Obwohl ich ein bisschen Angst hatte – es war ein kräftiger Mann –, bin ich hingegangen. Und nach einigem Hin und Her hat er sogar den Motor ausgemacht. Wir haben uns zehn Minuten über die Klimakatastrophe unterhalten. Bis der Zug kam. Zum Schluss haben wir uns fröhlich winkend voneinander verabschiedet. Das Gespräch kann man sich nicht ausdenken, weshalb ich es hier für die Nachwelt festhalten möchte. Zu einigen Punkten habe ich korrigierende bzw. weiterführende Anmerkungen und/oder Quellenangaben. Diese sind mit „(NB)“ im Text markiert. Im folgenden bin ick icke und er ist er. Allet klar, oder?
Das Gespräch
Icke: „Könnten Sie bitte den Motor abstellen?“
Er: „Warum? Stört Sie das Geräusch?“
Icke: „Nein, aber …“
Er: „Ach, wegen dem CO2?“
Icke: „Ja.“
Er: „Das ist doch alles Quatsch! Ich mach den Motor nicht aus. Lieber fahr ich noch ein paar Runden.“
Icke: „Nein, is kein Quatsch.“
Er: „Doch das stimmt alles nich. Deswegen mach ich den Motor nich aus. Und ich will mich auch gar nicht mit Ihnen unterhalten.“
Icke: „Na gut. Aber mekren Sie sich das Gespräch und denken Sie in zehn Jahren noch mal drüber nach!“
Er: „In zehn Jahren, da bin ich ja 88!“
Icke: „Oh, da haben Sie sich aber gut gehalten!“
Er: „Nee, hab mich verrechnet, dann bin ich 78.“
Icke: „Aber wenn Sie den Motor laufen lassen, verbraucht das doch auch Benzin. Das kostet Geld!“
„Ha“, dachte ich, „jetzt hab ich ihn.“
Er: „Ich bin mehrfacher Millionär, dit is mir egal.“
Icke: „Mit dem Klimawandel das stimmt aber wirklich, ich habe gestern gerade die Daten für Brandenburg rausgesucht. Temperatur und Niederschlag, kann ich Ihnen zeigen.“ (NB) Handyrumfuchtel.
Er: „Moment mal, ich mach jetzt doch erst mal den Motor aus.“
Icke (innerlich): \ő/
Er: „Das mit den Temperaturen ist alles Quatsch, glauben Sie das? Der Lauterbach erzählt doch nur Unsinn.“
Icke: „Was hat der denn damit zu tun? Das ist doch ein Mediziner.“
Icke: „Aber meine Schwester ist Klimaforscherin. Die weiß genau Bescheid.“
Er: „Ach, dann kriegt se ihr Geld für nüscht.“
Icke: „Nee, die hat bestimmt mehr gearbeitet als Sie. Die ist promoviert, das ist harte Arbeit. 60 Stunden die Woche, ich weiß das, war bei mir auch so, bin Professor.“
Er: „Na, wenn ich nur 60 Stunden die Woche gearbeitet hätte, hätte ich schon Mittwochs Feierabend gehabt.“
Icke: „Ehm. Wie das?“
Er: „Ich war Fernfahrer. 16, 17 Stunden. Manchmal sogar 19.“
Icke: „OK, dann nehme ich alles zurück. Aber ist das nicht auch verboten, so lange zu fahren? Wegen Arbeitsschutz und so?“
Ich glaub, er fand das cool, dass ich das wusste.
Er: „Dis war noch davor. Bin überall rumgefahren.“
Icke: „Aber dann ham se doch zum Ausgleich ganz viel Urlaub gehabt?“
Er: „Nee, hab ich mir alles auszahlen lassen. Ich bin überall gewesen im Süden. Da war es schon immer warm. Das ist alles Quatsch. Ich bin da überall gefahren. Unten in Griechenland bis rüber zum Aralsee.“
Icke: „Ja, und der ist jetzt weg. Ausgetrocknet.“
Er: „Ja, aber der hatte auch damals schon wenig Wasser.“
Icke: „Ja, aber jetzt isser weg. Man kann sich ja auf so historischen Satellitenkarten angucken, wie er kleiner wurde. Wie erklären Sie denn das?“ (NB)
Er: „Ja, das weiß ich jetzt auch nicht. Irgendwo muss das Wasser ja sein.“
Icke: „Ja. Ich weiß wo.“ Fuchtel, zeig. „Da oben. Wegen der höheren Temperaturen kann die Atmosphäre mehr Feuchtigkeit aufnehmen und dann kommt es irgendwann gesammelt runter an einem Ort, wo wir es nicht brauchen.“
Icke: „Und in Sizilien waren es 48°!“
Er: „Das stimmt nicht, ich habe einen Aufsatz von einem anderen Klimaforscher gelesen und das war die Bodentemperatur, nicht die normale Temperatur. Die wird 20 cm über dem Boden gemessen, die Bodentemperatur aber nur fünf cm über dem Boden (NB) und da ist es natürlich wärmer. Wenn die Formel 1 fährt sind es auch 33°, aber der Asphalt ist 45°, oder so.“
Icke: „Ja, is klar, der ist ja auch schwarz. Aber das mit Sizilien war so, dass es erst diese Berichte von der Bodentemperatur gab und einige Tage später war die richtige Temperatur auch bei 48°.“ (NB)
Er: „Ja, aber ich war da früher überall und da war es schon immer heiß.“
Icke: „Aber jetzt: Diese Woche sind dort die Stromkabel in der Straße geschmolzen, weil es zu heiß war. Wenn es schon immer so heiß gewesen wäre, dann hätten die ja auch früher schon schmelzen müssen, aber es waren die alten Kabel, die bis jetzt gehalten haben.“
Er: „Aber glauben Sie denn denen da oben denn? Die sind ja zum Teil blöder als ich. Baerbock und so.“
Icke: „Ja, die mag ich auch nicht so.“ (NB)
In diesem Moment rief Mausi an (Name geändert). Es ging um den Zug. Ich wusste, dass der 18:12 (Zeit auch geändert. Aber am Bahnhof war ich wirklich.) ankommt, denn ich wartete ja auf denselben.
Chemtrails
Wo kamen die Chemtrails denn jetzt her? Irgendwie tauchten die mitten im Gespräch auf. Keine Ahnung wieso. Aber wahrscheinlich hätte genauso gut ich ihn nach Chemtrails fragen können. Er musste mich wohl für einen halten, der an die Klimakatastrophe glaubt und Chemtrails als Verschwörungstheorie abtut.
Er: „Und glauben Sie auch nicht an Chemtrails?“
Icke: „Nee. Ist Quark. Ich habe mir das genau angeguckt. Ich habe in der Einflugschneise von Tegel gewohnt und war da in einer Bürgerinitiative aktiv. Da haben auch welche gedacht, die Flugzeuge würden über bewohnten Gebieten vor der Landung Kerosin ablassen, aber was so aussieht an den Tragflächen ist kein Kerosin und das wäre auch ökonomisch Unsinn, denn der Treibstoff kostet ja Geld.“
Er: „Nee, das meine ich nicht. Die machen so Aluminium-Partikel in die Luft. Wegen Klimawandel.“
Icke: „Hm. Ja, Geoengeniering, hab ich von gehört, von solchen Plänen. Und die machen das? Wegen Klimawandel? Dann gibt es also doch Klimawandel?“
Er: „Nee, aber das sagen die. Als Tarnung. Sagt man. Sie müssen mal gucken, auf flight-Dings, da fliegen Flugzeuge, die sind so ganz hoch, nach Warschau oder so und dann fliegt noch ein zweites Flugzeug und das versprüht die Chemikalien. Dieses Flugzeug taucht nicht auf dem Radar auf! Der Streifen von diesem Flugzeug sieht auch ganz anders aus, viel weicher und weiter verteilt.“
Irgendwann kamen die ersten Menschen aus dem Zug. Leider kam ich deshalb nicht mehr dazu, ihn zu fragen, warum uns die Regierung denn seiner Meinung nach umbringen wolle. Ich fragte ihn aber noch, was denn passieren müsse, damit er, wenn wir uns in zehn Jahren wieder träfen, eingestehen würde, dass das mit dem Klimawandel und dem CO2 ein Problem sei. Er meinte, dass es schon sein könne, dass er das einsehen würde, aber er sei noch nicht überzeugt.
Das hörte sich gaaaanz anders an als der Beginn unseres Gesprächs.
Dann war auch Mausi da, stieg auf der anderen Seite des Busses ein und wir verabschiedeten uns lächelnd und winkten uns zu. Das war großartig!
Die nahe Zukunft
Ich habe was für seinen ökologischen Fußabdruck und für meinen Handabdruck getan. (Der Fußabdruck sind die Klimafolgen, die wir individuell zu verantworten haben. Er ist kein so gutes Maß, denn bestimmte Dinge können wir selbst nicht beeinflussen. Ich kann meinen eigenen Fußabdruck nicht mehr viel senken (kein Auto, keine Flüge, kein Fleisch, null Heizung, Solarstrom usw.). Der Handabdruck ist positiver gedacht: Dort wird bewertet, wie man andere oder gleich die gesamte Gesellschaft positiv beeinflusst. Zu Hand- und Fußabdruck siehe Sind wir individuell für die Klimakatastrophe mitverantwortlich? Ja, natürlich!)
Ansonsten denke ich, dass ich jetzt auf Tour durch die neuen Bundesländer gehen werde und mit allen, die wollen, darüber streiten werde, ob es den menschengemachten Klimawandel gibt, oder nicht. Die Grünen können in Berlin bleiben. Ich mach das schon. Der Strößenreuther kommt dann eine Woche nach mir mit dem Fleck vorbei und vertickert überall die Solarzellen und Windräder. =:-) Hey, ich hab Visionen und ich geh nicht zum Arzt!
Im Wikipedia-Artikel zum Aralsee gibt es eine Animation, die das Austrocknen zeigt. Der Aralsee war der viertgrößte See weltweit und wurde von den Einheimischen „das Meer“ genannt. Die Austrocknung ist hauptsächlich auf die jahrzehntelange Wasserentnahme für die Landwirtschaft zurückzuführen. Der Klimawandel gibt ihm jetzt den Rest. Er kann wohl nicht mehr gerettet werden. Beim SWR gibt es einen guten Radiobeitrag zum Aralsee und zu Wasser in der Region.
Annalena Baerbock
Liebe Grüne, verzeiht mir. Aber es hat ja keiner gehört.
Chemtrails
Also die Chemtrails kommen irgendwie immer im Paket mit Klimawandel-Verleugnung. Ich hatte schon vor einer Woche so was. Ein studierter Mensch. Architekt. Ich hatte dazu mal in Wikipedia nachgeguckt (Wikipedia: Chemtrails), da kann man ein bisschen dazu finden. Aber das wird natürlich nicht als Quelle anerkannt, denn die stecken ja alle unter einer Decke bzw. es ist so geheim, dass nur die eingeweihten Kreise und die Verschwörungstheoretiker*innen etwas wissen können. Der andere Verschwörer meinte übrigens, dass in der Gegend um den Flughafen in Frankfurt/Main so Quadrate mit Kondensstreifen abgedeckt würden. Die Flugzeuge würden immer hin und her fliegen, bis eine komplette Fläche abgedeckt wäre. Und sie würden nicht auf flightradar auftauchen.
Irgendwie scheint mir die Regierung ein bisschen blöd zu sein, dass sie die Chemtrails so offensichtlich für alle ausbringt. Wäre es da nicht besser, das Trinkwasser zu vergiften? Die Idee hatten ja damals schon die Hippies, die wollten LSD in die großen Seen kippen. Und die Hippies sind jetzt in der Regierung!! Die Vergiftung übers Trinkwasser würde niemand sehen können und es wäre sicher auch billiger, weil man sich das Rumfliegen sparen könnte und es wäre auch besser für die Regierung, weil die ja überlebt und das CO2, das beim Fliegen entsteht, ist ja schlecht für’s Klima und würde der Regierung schaden. Ach, Moment: Das mit dem CO2 wird ja als Argument nicht akzeptiert. Ehm, und noch ein Gedanke: Wie schützt sich eigentlich die Regierung vor den Chemtrails? Die laufen ja auch alle draußen rum. Außer Olaf Scholz natürlich. Wo ist der eigentlich?
Ab zwei ist es eine Tradition, oder? Wir waren im letzten Jahr auf Tour auf dem Mauerradweg. Die Tour war Teil des Stadtradelns und es sind Menschen von Scientist for Future mitgefahren. Die Tour ging vom S-Bahnhof Bornholmer Straße 37 km zur Bürgerablage, wo wir schön Mittag gegessen haben. Man kann draußen im Wald sitzen und es gibt einen See mit Badestelle.
Danach sind einige mit der S-Bahn ab Henningsdorf (7 km entfernt) und andere quer durch die Stadt zurückgefahren und ein Viererteam ist sogar noch bis zur Wannseefähre nach Kladow weitergefahren (insgesamt 78km).
In Kladow gibt es die Fähre über den Wannsee. Wenn man sie gerade verpasst hat, kann man in einem Cafe Eis essen oder etwas trinken. Auf der anderen Seite liegt der S-Bahnhof Wannsee, von dem aus man mit der S-Bahn zurück nach Wo-auch-immer fahren kann. Im letzten Jahr war es der heißeste Tag im Jahr und wir haben in dem Ausflugslokal auf der S-Bahn-Seite noch schön ein paar große Apfelsaftschorlen getrunken, aber in diesem Jahr fahren vielleicht einige noch weiter? Muss nicht, aber alles ist möglich.
Weil es letztes Jahr so schön war, fahren wir dieses Mal zweimal: am 11.06.2023 und am 18.06.2023. Treffpunkt 9:00 S-Bahnhof Bornholmer Straße (Nordseite). Ich werde eine Life-Karte mit unserer Position tweeten und tröten, so dass man uns auch später noch finden kann. Man kann auch am S-Bahnhof Wilhelmsruh noch dazukommen, das sind dann 5km weniger.
Das ist die Tour vom letzten Jahr. So könnt Ihr sehen, wo sie exakt langgeht und wie schnell wir gefahren sind.
Bernhard Pötter schreibt in der taz zu Klimathemen. Ich schätze Ihn sehr. Zur Letzten Generation hat er geschrieben:
Verglichen mit ihrem Pathos und ihrem Störpotenzial sind ihre Forderungen fast banal: Tempolimit, 49-Euro-Ticket, Bürgerrat, Gespräche mit der Regierung, wie am Beginn der Woche mit Verkehrsminister Volker Wissing. Alles gute Ideen – aber nichts, was uns einer echten Veränderung des fossilen Systems wirklich näher bringt. Keine Disruption.
Ich denke, dass Bernhard Pötter das Potenzial der Bürgerräte kollossal unterschätzt und habe ihm deshalb diesen Brief geschrieben:
Lieber Herr Pötter,
Vielen Dank für Ihren Beitrag zur Letzten Generation. Ich schätze Ihre Beiträge in der taz sehr! Insbesondere auch Ihren Humor. Ohne Humor wäre die gesamte Situation sehr schwer zu ertragen. So ist sie nur schwer zu ertragen.
Zu Ihrem Artikel bzgl. Letzte Generation möchte ich aber ein paar Anmerkungen machen. Ich habe mich auch oft gefragt, warum die Letzte Generation so etwas wie Tempolimit fordert und verspricht, die Proteste nach Umsetzung einzustellen. Das kann doch nicht ernst sein. Die Logik dahinter ist: Es ist klar, dass die Gegenseite (Porsche und Wissing) nicht auf dieses Angebot eingehen, obwohl ein Tempolimit nichts kosten würde und sehr einfach umzusetzen wäre. Damit kann man dann immer sagen: „Selbst zu diesen einfachsten Maßnahmen wart Ihr nicht bereit.“
Aktivisten vom Aufstand der Letzten Generation bringen Tempo-100-Schilder zum Verkehrsministerium und lassen einige durch die Luft segeln. v.l.n.r Miriam Meyer, Edmund Schultz, Mirjam Herrmann, Invalidenstraße, Berlin, 22.10.22, Bild: Stefan Müller, CC-BY
Das 9€-Ticket (nicht das Jetzt-noch-49€-Ticket) wäre schon eine Stufe höher, denn dafür müsste der Nahverkehr massiv ausgebaut werden. Deshalb wurde das von Wissing eben auch nicht umgesetzt.
Christina Puciata, 53, Nachrichtensprecherin, und Jens Vierbuchen und zwei weitere Aktivisten vom Aufstand der Letzten Generation blockieren am Schönhauser Tor eine Straße. Berlin, 28.10.22
Die dritte Forderung der Letzten Generation nennen Sie auch zu soft, dabei ist das die Hammer-Forderung schlechthin und der einzige Weg, wie wir aus der Situation kommen, in der wir sind. Fridays For Future wurde dafür gelobt, dass sie (anfänglich) eben keine konkreten Forderungen gestellt haben. Sie haben „lediglich“ die Einhaltung des Pariser Abkommens gefordert. Es ist Sache der Politik, den Prozess der Transformation zu gestalten. Sache der Gesellschaft das irgendwie auszuhandeln. Fridays for Future hat das eingefordert. Nicht viel anders ist es bei der Letzten Generation: Sie haben einige Grundforderungen, Notmaßnahmen, aber die Hauptforderung ist jetzt Klimaneutralität 2030 + Gesellschaftsrat. Das große Problem, das wir haben, ist, dass Politik immer in Legislaturperioden gedacht und gemacht wird. Lobbyist*innen beeinflussen Politiker*innen. Politiker*innen wollen wiedergewählt werden. Das führt dazu, dass nicht im Sinne langfristiger positiver Entwicklungen entschieden wird. Außerdem wählt ein Großteil der Bürger*innen überhaupt nicht mehr. Sie sind durch unser Parlament also nicht repräsentiert. Ja, ihr Wille ist nicht einmal irgendwo erfasst. Diese Probleme wären mit einem Bürgerrat gelöst, denn der würde Deutschland repräsentativ abbilden. Gelost.
Raúl Semmler wird auf Polizeiauto festgenommen. Aktivisten der Letzten Generation fordern einen Gesellschaftsrat zu Klimafragen. Bei einem Slow-Walk-Protestmarsch. Schillingbrücke, Berlin, 19.04.23
Lobbyismus wäre stark erschwert. Wiederwahl egal. Es würden alle berücksichtigt. Man könnte dann – unter medialer Begleitung – aushandeln, was Deutschland bereit wäre zu tun, damit es 2030 oder wann auch immer klimaneutral wird. (Ein sehr schöner Film zum Thema ist When Citizens Assemble, der einen Bürgerrat in Irland dokumentiert. Es ging um Abtreibung, ein Thema, das mit anderen demokratischen Mitteln nicht entschieden werden konnte.)
Manche Ihrer Vorschläge würden vielleicht Ergebnis dieses Aushandlungsprozesses sein. Andere Dinge, die Sie aufgezählt haben, sind freiwillige Initiativen, die man einfach jetzt schon machen könnte, und der Steuerboykott ist eine Protestform, die man dann vielleicht nicht mehr bräuchte.
Ich möchte Sie bitten, sich die Bürgerräte doch noch einmal genauer anzugucken. Für mich scheint es die einzige Möglichkeit zu sein, wie wir aus dem Schlamassel rauskommen. Die Letzte Generation hat eine gute FAQ zum Gesellschaftsrat auf ihrer Webseite. Die Bürgerräte stehen auf S. 8 schon im Koalitionsvertrag. Frühere Bürgerräte in Deutschland hatten CDU-Schirmherren (Schäubele, Köhler). Das heißt, dass sie parteienübergreifend als mögliche Erweiterung unserer Demokratie gesehen werden.
Gisbert war nicht nur ein exzellenter Sprachwissenschaftler, was man daran ablesen kann, dass ein Workshop zu seinen Ehren, der all seine Aufsätze vorstellt, drei Tage dauert.
Gisbert war außerdem ein begeisterter Hobby-Ornithologe und von Anfang an in der Klimabewegung aktiv. Dieser Blog-Post will Gisberts Beiträge in der Klimabewegung beleuchten, die Entwicklung der Klimabewegung in Deutschland grob nachzeichnen und die Frage diskutieren, was er wohl von der Letzten Generation vor den Kipppunkten halten würde.
Das folgende Bild zeigt ihn auf der ersten größeren Demo Ende 2018. Zu einer Zeit, zu der es Fridays for Future in Deutschland noch nicht gab.
Kohle stoppen – Klimaschutz jetzt 2018
Der Linguist*innenblock bei Kohle stoppen – Klimaschutz jetzt! Berlin, 01.12.2018, Bild: Stefan Müller, CC-BY
Scientists for Future 2019–
Gisbert war auch von Anfang an bei Scientists for Future (S4F) aktiv. S4F wurde gegründet, als Lindner in Bezug auf Fridays for Future sagte, die sollten das mal die Profis machen lassen.
Profi von morgen auf Fridays For Future Demonstration in Berlin, 15.03.2019, Bild: Stefan Müller CC-BY
Doch das war Gisbert nicht genug. Gemeinsam mit anderen Wissenschaftler*innen der Berliner Unis gründete er im Mai 2019 (vor vier Jahren) Researchstrejk. Das war im Prinzip – wie die Schulstreiks von FFF – eine Aktion des zivilen Ungehorsams: Eine Stunde pro Woche wurde nicht geforscht, sondern mit Passant*innen diskutiert.
Wissenschaftlerinnen von HU, FU und der Uni-Potsdam beim Forschungsstreik bzw. der Forschungsmittagspause vor der Humboldt-Univeristät, Links Prof. Dr. Judith Meinschäfer, Prof. Dr. Heike Wiese, Katrin Neuhaus, Prof. Dr. Malte Zimmermann, Prof. Dr. Gisbert Fanselow, Berlin, 22.05.2019, Bild: Stefan Müller CC-BY
Weil einige seiner Mitstreiter*innen Bedenken hatten, wurde Researchstrejk in Forschungsmittagspause bzw. Climate Wednesday umbenannt. Die Mahnwachen fanden vor verschiedenen Berliner, Potsdamer und Leipziger Unis statt. Mitunter zusammen. Immer Mittwochs.
Forschungspause mit Wissenschaftler*innen von der HU, FU und aus Potsdam vor der FU Berlin. Gelbes Shirt: Prof. Uli Reich, kariert Dr. Hartmut Ehmler, rot Lorena Valdivia-Steel, weiß rechts Prof. Dr. Judith Meinschäfer, vorn kariert Gisbert Fanselow. 05.06.2019, Bild: Stefan Müller, CC-BY
Bei diesem Protest vor dem Bildungsforum in Potsdam kam irgendwann die Polizei.
Researchmittagspause in Potsdam vor dem Bildungsforum, kariertes Hemd Prof. Dr. Gisbert Fanselow, kariertes Hemd daneben Dr. Hartmut Ehmler, am Transparent daneben: Dr. Lorena Valdivia-Steel, 12.06.19, Bild: Stefan Müller, CC-BY
Ich dachte: „Oh, Mist! Nicht angemeldet!“ oder sonst wie Stress. Aber sie waren nur gekommen, um uns zu sagen, dass vor dem Landtag noch eine andere Klimagruppe war, die Verstärkung brauchte.
Proteste vor dem Potsdamer Landtag (mit Unterstützung des Researchstrejks). Links kariert Dr. Hartmut Ehmler, bei 1900 Prof. Dr. Gisbert Fanselow, 1980 Judith Meinschäfer, 2020: Dr. Lorena Valdivia-Steel, Potsdam, 12.06.2019, Bild: Stefan Müller, CC-BY
Gisberts Idee war, dass viele verschiedene Berufsgruppen solche Aktionen machen sollten: Freitags die Schüler*innen, Mittwochs die Wissenschaftler*innen. „Auch guck mal die Bahn-Mitarbeiter*innen.“ „Nein, heute ist doch Donnerstag, das sind die Sparkassenangestellten.“ Das Medieninteresse an Researchstrejk war damals 0,0000. Aber vielleicht wussten wir auch nur nicht, wem wir wie hätten Bescheid sagen müssen.
Gisbert hat an der Uni Potsdam für Klimaschutz gekämpft, er hat sich in der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), wo er für Graduiertenkollegs verantwortlich war, und in der Deutschen Gesellschaft für Sprachwissenschaft (DGfS) für Klimaschutz und eine Reduktion der Treibhausgasemissionen eingesetzt. Gemeinsam mit Prof. Dr. Dr. Martina Schäfer von der TU Berlin und mit mir hat er eine Selbstverpflichtungsaktion zum Verzicht auf Kurzstreckenflüge an den Unis in Berlin und Brandenburg gestartet. Die Unterschriften wurden dann beim globalen Klimastreik von Fridays for Future an FFF übergeben.
Verkündung der Ergebnisse der Selbstverpflichtungsaktion gegen Kurzstreckenflüge beim 3. globalen Klimastreik von Fridays for Future am Brandenburger Tor, Berlin, 20.09.2019, Bild: Melanie Quilitz CC-BY
Die Selbstverpflichtungsaktion wurde dann auf das Bundesgebiet ausgedehnt (S4F-Link), hat 4142 Unterschriften bekommen und ist wie so vieles andere in Corona untergegangen.
FFF und das Klimapäckchen 2019
Nach dem Klimastreik mit einer Beteiligung von 1,4 Millionen Menschen in Deutschland entwickelte die schwarz-rote Regierung (mit Olaf Scholz als Finanzminister) ein Klimapaket, das von der gesamten Klimabewegung als absolut unzureichend eingestuft wurde (#Klimapäckchen).
Demonstrationsteilnehmer kritisieren das Klimapaket der Großen Koalition bei der Fridays For Future-Demo #NeustartKlima. Das Transparent zeigt einen Rücksendeschein, auf dem Checkboxen angekreuzt sind: Der Artikel ist defekt oder beschädigt, zu spät geliefert, Lieferung unvollständig, Der Artikel entspricht nicht der Produktbeschreibung, Berlin, 29.11.19, Bild: Stefan Müller, CC-BY
Das Gesetz wurde im Oktober 2019 beschlossen. Nach einer Klage unter anderem von Rechtswissenschaftlern bei Scientists 4 Future wurde das Gesetz 2021 vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig eingestuft wurde. Die schwarz-rote Regierung erarbeitet in Windeseile ein neues Klimaschutzgesetz, das Treibhausgas-Neutralität bis 2045 vorsieht und Reduktionspfade für einzelne Sektoren vorgibt. Das geschah gerade noch rechtzeitig vor den Bundestagswahlen 2021.
FFF war die einflussreichste Klimagruppe in Deutschland, aber parallel entwickelte sich auch Extinction Rebellion (XR). Diese Gruppierung ist in Großbritannien viel größer als FFF, was wahrscheinlich auf die jeweiligen Einzelpersonen, die die Organisationen in den entsprechenden Ländern geprägt haben, zurückzuführen ist. XR hat im Oktober 2019 in Berlin große Blockaden gemacht. Sie forderten Klimaneutralität 2025, was ich schon damals für sehr ambitioniert hielt. Jetzt haben wir 2023 und sind immer noch seeeehr weit von der Klimaneutralität entfernt.
All diese Bewegungen und so auch Researchstrejk habe durch Corona einen erheblichen Dämpfer bekommen. Researchstrejk wurde komplett beendet, da es sinnlos gewesen wäre, vor leeren Uni-Toren zu stehen.
Das verwaiste Klimahäuschen an der Humboldt-Universität in Corona-Zeiten, 15.05.2020, Bild: Stefan Müller CC-BY
Klimamontag 2020–2022
Aber es gab einen besseren Nachfolger: Berlin for Future organisierte am Alex jahrelang den Klimamontag. Einmal im Monat um 18:00 gab es Vorträge und Musik.
Gisbert Fanselow (Scientists for Future, Researchstrejk) auf der Montagsdemo für Klimaschutz von Berlin4Future, Berlin, Alexanderplatz, 07.09.20, Bild: Stefan Müller CC-BY
Parteieingründung Klimaliste Berlin 2020
Am 09.08.2020 wurde mit Radikal Klima eine Partei gegründet, die sich noch stärker für Klimaschutz einsetzen will als die Grünen.
Gründungsparteitag radikal:klima: Parteimitglieder, In der Else, Berlin, 09.08.20
Die Partei nennt sich später in Klimaliste um. Aktivist*innen wie Kathrin Henneberger treten in die Grüne Partei ein.
FFF, XR und Hungerstreik, Letzte Generation 2021–
FFF und XR haben aber auch in der Corona-Zeit weitergemacht. Ich habe Carla Hinrichs, Henning Jeschke und Lea Bonasera im August 2021 bei einer XR-Blockade fotografiert, ohne sie zu diesem Zeitpunkt zu kennen (Album).
Henning Jeschke (hinten rufend), Lea Bonasera (vorn mit Rise-Up-Tuch) und Carla Hinrichs (mit Geste) bei der Blockade des Brandenburger Tors angeklebt an einem Tripod, Berlin, 20.08.21, Bild: Stefan Müller, CC-BY
Die drei waren dann später beim Hungerstreik (Album) aktiv und haben die Letzte Generation gegründet. Zu diesem Zeitpunkt waren die Entwürfe des sechsten IPCC-Reports geleakt worden und die Hungerstreikenden wussten bestens Bescheid.
Jacob, Ruben und Henning vom Hungerstreik der letzten Generation am 13. Tag des Hungerstreiks bei der Medienarbeit. Sie hatten damals schon den geleakten IPCC-Report. Berlin, 11.09.21
Sie waren der Meinung, dass es nicht ausreichen würde, sich ab und zu mit XR zu treffen (Frühlings- und Herbstrebellion) und ein paar Straßen zu blockieren. Ihrer Meinung nach musste der Protest auf eine ganz andere Stufe gehoben werden. Die Letzte Generation begann Widerstand gegen die unzureichenden Klimamaßnahmen zu organisieren. Die erste Aktion war eine Container-Aktion. Sie verteilten gerettete Lebensmittel im und vor dem Kaufland im Wedding (Album). Die Menschen waren dankbar.
Aktivisten vom Aufstand der Letzten Generation verschenken weggeworfene Lebensmittel im Kaufland in der Residenzstraße, Mitte Lina Eichler, rechts Henning Jeschke. Berlin, 08.01.21, Bild: Stefan Müller, CC-BY
Wenig später begannen die im Gespräch mit Scholz angekündigten Autobahnblockaden. Das war aber nicht alles. Die Letzte Generation hat ein wirklich buntes Programm an Protestaktionen entwickelt. Ich glaube, dass die Öl-Aktion vor dem Kanzleramt, bei der sechs Olaf Scholzs nach Nordseeöl gruben (Album), und auch die Weihnachtsbaum-Aktion, bei der LG vor den Augen der Polizei über 20 Minuten mit einer Hebebühne agierte, um die Spitze des Weihnachtsbaums am Brandenburger Tor abzuschneiden (Album), Gisbert gefallen hätten, denn er war für Quatsch aller Art stets zu haben. So war er auch Bestandteil des Kabinetts Müller I, das ich in meinem grenzenlosen Optimismus schon zusammengestellt hatten. Ich war ja 2021 einer der 299 Kanzlerkandidat*innen der Partei Die PARTEI. Gisbert war für den Minister für Post und Fernmeldewesen vorgesehen. Wir wollten die bestehenden Telegrafenverbindungen von der Sternwarte in Mitte zum Telegraphenberg in Potsdam zur DFG nach Köln wieder aktivieren und auch Bayern modernisieren. Leider ist aus meinen Kanzlerplänen nichts geworden, aber immerhin war ich der einzige Kanzlerkandidat, der die Forderung der Hungerstreikenden nach einem Gespräch erfüllt hat.
Aktivistinnen vom Aufstand der letzten Generation in Olaf Scholz-Kostümierung graben vor dem Bundeskanzleramt nach Öl, um auf die Unsinnigkeit der Erschließung neuen Erdöls in der Nordsee hinzuweisen. Berlin, 09.07.22, Bild: Stefan Müller, CC-BYAktivistinnen der Letzten Generation mit Hebebühne am Weihnachtsbaums vor dem Hotel Adlon, im Hintergrund zwei Mannschaftswagen der Polizei, vorn macht Edmund Schultz ein Bild. Berlin, 21.12.22, Bild: Stefan Müller, CC-BY
Aktionen wie die mit den sechs Ölafs und dem Weihnachtsbaum wurden jedoch von den Medien weitestgehend ignoriert. Das einzige, was zuverlässig für Schlagzeilen sorgte, waren Autobahnblockaden.
Krieg, IPCC-Bericht, Letzte Generation, Extinction Rebellion und Scientists Rebellion 2022
Am 24.02.2022 begann Putin seinen Krieg gegen die Ukraine. Die Klimakatastrophe war medial abgemeldet. Eine spektakuläre Aktion der Letzten Generation mit Luftballons am BER ging in der Kriegsberichterstattung unter.
Miriam Meyer (vorn) und Lina Eichler vom Aufstand der Letzten Generation springen mit Ballons am Flughafen BER aus einem Transporter. Miriam Meyer hat vorher im Fernsehen angekündigt, die Ballons aufsteigen zu lassen. Miriam Meyer vom Aufstand der Letzten Generation informiert den Tower. Der Aufstand der Letzten Generationen blockiert Häfen und Flughäfen, um die Ausarbeitung eines Gesetzes gegen Lebensmittelverschwendung und eine Agrarwende zu erzwingen, so dass die Ernährung auch trotz Klimakrise gesichert bleibt. Berlin-Schönefeld 25.02.22
Der IPCC-Bericht wird in drei Teilen veröffentlicht. Der erste erscheint am 28.02.2022. Extinction Rebellion blockiert die Marschallbrücke.
Extinction Rebellion zündet Weltkugel an, um auf IPCC-Bericht hinzuweisen. Aktivistin mit Scholz-Maske und Benzin-Kanister, auf dem Lobby steht, gießt weiter Benzin ins Feuer. Marschallbrücke, Berlin, 28.02.2022
Die Zeitungen sind voll mit Kriegsberichterstattung. Immerhin schafft es Antonio Guterres als einziges Nicht-Kriegsthema in die 20:00-Ausgabe der Tagesschau.
Am 5.3.22 eine erneute Blockade der Marschallbrücke durch Extinction Rebellion. Diesmal mit einem raffinierten trojanischen Pferd, in dem vier Personen versteckt und vier weitere mit Lock Ons außen verbunden sind (Album).
Extinction Rebellion blockiert die Marschallbrücke, um auf den IPCC-Report und die Verfehlung des 1,5„-Ziels hinzuweisen. Vier Menschen haben sich mit Lock Ons von außen an die Konstruktion gefesselt. In der Konstruktion sind weitere Menschen miteinander verbunden. Marschallbrücke, Berlin, 05.03.22
Zwei Aktivist*innen von Extinction Rebellion verlesen eine Rede, die man für eine typische Aktivist*innen-Rede halten könnte, aber sie ist von Antonio Guterres, dem UN-Generalsekretär (Rede).
Zur selben Zeit sind Wissenschaftler*innen auf einem Platz an der Leipziger Straße aktiv. Mitten auf dem Platz besprühen sie Kittel mit dem Schriftzug Scientist Rebellion. Sie haben einen Eimer mit roter Farbe dabei und eine Schablone mit der „Aufschrift Ukraine Climate War“. Aufgrund des Krieges ist Berlin in erhöhter Alarmbereitschaft. Botschaften und andere Einrichtungen werden besonders bewacht. Die Zentrale von Gazprom ist gleich um die Ecke, zwei Zivilpolizisten mit offen getragener Pistole sind gleich auf dem Platz und zwingen alle auf den Boden. Erkennungsdienstliche Behandlung, Platzverweise.
Wissenschaftler von Scientists Rebellion wurden mit Schablone und Farbeimer in der Nähe der Gazpromvertretung in Berlin festgenommen. Auf der Schablone steht: „Ukraine Climate War“. vlnr. Daniele Artico, Physiker, Doktorand, Kyle Topfer, Umweltwissenschaftler, MSc Student, Christian Bläul, Physiker, Mike Lynch-White, Physiker. Jugendpark der WBM, Berlin, 05.03.22
Am 4.4. erscheint der dritte Teil des IPCC-Reports. Scientist Rebellion hat inzwischen genug Kittel besprüht, ist besser organisiert und Wissenschaftler*innen aus ganz Europa – darunter eine hochschwangere Biologin – blockieren die Kronprinzenbrücke (Album).
Wissenschaftler*innen von Scientist Rebellion blockieren die Kronprinzenbrücke in Berlin, um auf die dramatischen Folgen der Klimakatastrophe laut IPCC-Bericht hinzuweisen. Unter Fahrradverkehrsschild mit Pyro Prof. Dr. Nikolaus Froitzheim, Geologe aus Bonn, Kronprinzenbrücke, Berlin, 06.04.22
Klima after work 2022
Heinrich Stößenreuter, Initiator von vielen NGOs und Ereignissen (Changing Cities, German Zero, Critical Mass Berlin) hat mit Wolfgang Oels (CEO von Ecosia), Künstler*innen von Volle Halle und Berlin 4 Future die Klima after Work-Party ins Leben gerufen.
Rebel for Life: Kleines Kind mit Extinction-Rebellion-Jacke und Oma for Future beim ersten Klima after Work, Im Hintergrund mit Mütze Antonio Rohrßen von der Klimaliste Berlin, Invalidenpark vor dem Klimaministerium, Berlin, 01.07.22
Das war im Prinzip eine lowlevelige Variante des Klimamontags. Eine Art Party, die jeden Freitag 17:00–18:00 stattfand. Die Idee Wolfgang Oehls war, dass sich die Teilnehmerzahlen jede Woche verdoppel sollten und bei 10 Mio würde es dann sehr schnell echten Klimaschutz geben. Alle waren mal da, aber zu exponentiellem Wachstum kam es nicht.
Dieser Plan war aber wohl ohne die extreme Individualisierung und Überforderung durch Corona gemacht worden. Klima after Work lief bis Weihnachten 2022.
Volksbegehren / Volksentscheid 2022–2023
Die Initiative Klimaneustart hat über Jahre für ein Volksbegehren und einen Volksentscheid gekämpft. Da Berlin wegen Schlamperei Neuwahlen durchführen musste, hätte es nahe gelegen, den Volksentscheid gemeinsam mit den Wahlen durchzuführen. Die Politik in Berlin hätte dann gewusst, was das Volk in Berlin will, aber die SPD hat das bewusst hintertrieben, hat den Volksentscheid in den März verschoben, auf einen Tag, der wegen der Zeitumstellung eine Stunde kürzer war und an dem ein Halbmarathon stattfand.
Aktion von Extinction Rebellion zum Volksentscheid Berlin klimaneutral 2030 für einen gemeinsamen Termin mit der Landeswahl: Andreas Geisel, Franziska Giffey und Iris Spranger werfen zerrissene Unterschriftensammelbriefe hoch. Rotes Rathaus, Berlin, 07.11.22
Geht doch in eine/gründet doch eine Partei, startet eine Petition, geht wählen, macht einen Volksentscheid
Ich habe in den letzten Jahren viele Klimaaktionen fotografisch begleitet. Oft haben Polizist*innen mit Aktivist*innen diskutiert und versucht, sie auf den Pfad der Tugend zurück und vom zivilen Ungehorsam abzubringen.
Das Kommunikationsteam der Polizei diskutiert mit Aktivisten während der Blockade des Potsdamer Platzes durch Extinction Rebellion, Aktivist hält ein Banner mit der Aufschrift: „Wir müssen nicht das Klima retten sondern uns selbst!“ Berlin, 19.09.22
Sie hatten viele Vorschläge: Geht in eine Partei! Gründet eine Partei! Startet eine Petition, geht wählen, macht einen Volksentscheid, meldet Eure Demos an. Wie ich oben gezeigt habe, machen Aktivist*innen all das ständig. Manche auch gleichzeitig. Bis zum Burnout. Die Zeit ist knapp, denn es müssen in den nächsten Jahren die Weichen gestellt werden. Im IPCC-Report steht: „Die in diesem Jahrzehnt getroffenen Entscheidungen und durchgeführten Maßnahmen werden sich jetzt und für Tausende von Jahren auswirken.“ So, wie die Weichen jetzt stehen, zeigen sie nicht in Richtung 1,5°! Übrigens: Das 1,5°-Ziel wurde einstimmig vom Bundestag beschlossen. Es ist der Kompromiss. Man muss darüber nicht neu verhandeln. Man muss handeln.
Workshop und Berlin-Blockade 04/2023
Gisbert war ab Januar 2022 schwer krank, so dass ich ihn nicht mehr persönlich getroffen habe. Wir haben nie über die Letzte Generation vor den Kipppunkten geredet. Vom 27.–29.04.2023 fand nun der sprachwissenschaftliche Workshop zu seinen Ehren statt. Vom 24.04. an stört die Letzte Generation mit 800 Menschen den Verkehr in Berlin. Das sind Straßenblockaden mit den üblichen Klebeaktionen. Autobahnauffahrten, mit gemieteten Autos auch Autobahnen mittendrin und dann auch Kreuzungen im Innenstadtbereich. Dazu kommen so genannte Slow Walks, bei denen die Aktivist*innen einfach so die Straße langlaufen. Langsam. (Album)
Slow walk der Letzten Generation. in der Mitte Sonja Manderbach, Rotes Rathaus, Berlin, 24.03.23, Bild: Stefan Müller, CC-BY
Das erzeugt auch lange Staus. Je nach Situation sorgt die Polizei für gesperrte Straßen, indem sie Aktivist*innen kesselt. (Album)
Aktivist*innen der Letzten Generation werden am Alexanderplatz von der Polizei gekesselt. Berlin, 19.04.23, Bild: Stefan Müller, CC-BY
Ich habe an alle Workshopteilnehmer*innen geschrieben, dass sie am besten das Rad nehmen sollten, denn beim Nahverkehr gibt es viele Baustellen und die Straßen sind dicht. Am ersten Tag, als ich auf dem Weg zum Festsaal der HU war, leitete die Polizei den Verkehr durch die kleine Nebenstraße, die ich nehme, um die Kreuzung Eberswalder/Schönhauser zu vermeiden. Ich dachte mir, diesen ganzen Verkehr tue ich mir jetzt nicht an, und bin weiter den Radweg gefahren. Auf der Kreuzung saß dann auch die Letzte Generation.
Sie haben sich dann auch unbemerkt in meinen Vortrag beim Gisbert-Workshop eingeschlichen. Sie waren einfach mittendrin auf einer Folie. Ohne Sinn und Verstand! Es hat nicht gepasst. Nur gestört. Die Bildqualität des Beamers war schlecht. Es war mir peinlich.
Einen Tag später saßen sie wieder da. Andere Menschen, gleiche Stelle:
Die Letzte Generation blockiert die Kreuzung Eberswalder/Schönhauser Allee. Berlin, 28.04.23, Bild: Stefan Müller, CC-BY
Ich bin dann zum Ernst-Reuter-Platz zu einer angemeldeten Demonstration von Wissenschaftler*innen gefahren, die sich mit der Letzten Generation solidarisch erklärt haben (Album).
Wissenschaftler*innen solidarisieren sich mit der Letzten Generation. Auf dem Schild mit den Warming Stripes steht ein Zitat aus dem IPCC-Report: „Die in diesem Jahrzehnt getroffenen Entscheidungen und durchgeführten Maßnahmen werden sich jetzt und für Tausende von Jahren auswirken.“ Dr. Matthias Schmelzer spricht. Ernst-Reuter-Platz. Berlin, 28.04.23, Bild: Stefan Müller, CC-BY
Zufällig gab es dann auch drei Straßenblockaden um den Ernst-Reuter-Platz herum.
Wissenschaftler*innen solidarisieren sich mit der Letzten Generation bei einer Blockade des Ernst-Reuter-Platzes. Auf dem Transparent steht: „Die Wissenschaft steht hinter der Letzten Generation“, Berlin, 28.04.23, Bild: Stefan Müller, CC-BY
Ganz rechts im Bild steht Dr. Hartmut Ehmler, Physiker und Energiewissenschaftler. Er war einer derjenigen, die beim Researchstrejk aktiv waren. Auch Prof. Dr. Dr. Martina Schäfer hat sich bereits bei einer früheren Solidarisierungsaktion mit der Letzten Generation solidarisiert (Album):
Prof. Dr. Dr. Martina Schäfer, TU Berlin, Zentrum Technik und Gesellschaft (Wissenschaftliche Geschäftsführerin) spricht bei Veranstaltung zur Solidarisierung mit der Letzten Generation. Im Hintergrund Dr. Helen Feulner, Unter den Linden, Berlin, 17.02.23, Bild: Stefan Müller, CC-BY
Ich fand die Solidarisierungsaktion am Ernst-Reuter-Platz, die genau zeitgleich mit dem Gisbert-Workshop stattfand, interessant und habe mich wieder gefragt, ob er wohl heute hier gewesen wäre.
Als ich später die Bilder ausgesucht habe, habe ich etwas gesehen, was mir vor Ort nicht aufgefallen war:
Firmenfahrzeug der Firma Horst Fanselow passiert Blockade der Letzten Generation am Ernst-Reuter-Platz. Berlin, 28.04.23, Bild: Stefan Müller, CC-BY
Ein großer roter Transporter von Fanselow-Berlin passierte die Blockade. Fanselow ist nun nicht so ein häufiger Name. Es kann also kein Zufall sein. Gisbert hat uns ein Zeichen geschickt und meine Frage beantwortet.
Nachwort
Ellen Brandner hat beim Workshop aus einem frühen Aufsatz von Gisbert zur Bindungstheorie zitiert: „Die Lage ist hoffnungslos aber nicht ernst“ (eine Verdrehung einer Aussage eines Kollegen). So ist es auch mit dem Klimaschutz: Die Regierung von Porschepartei, Klimakanzler und LNG-Grünen ist hoffnungslos vom Kurs abgekommen und will nun sogar auch noch das Not-Klimagesetz, das Scholz selbst mitverantwortet, so aufweichen, dass die Sektoren nicht mehr einzeln verantwortlich sind und auch nicht mehr so oft die Einhaltung überprüft wird. Das alles lässt sich nur mit Humor ertragen. Wir sind also nicht ernst. Ich glaube nicht ernsthaft daran, dass Gisbert über rote Autos mit uns kommuniziert.
Und übrigens: Das ist Ernst:
Ernst Hörmann (72, 8 Enkel), Aktivist vom Aufstand der Letzten Generation, bei der erkennungsdienstlichen Behandlung nach der Blockade der A100, Berlin, 04.02.22, Bild: Stefan Müller, CC-BY
Er ist 73, hat 8 Enkel und ist bei der Letzten Generation aktiv.
Gedenkminute für Gisbert Fanselow von seinen Mitstreiter*innen bei Scientist 4 Future, Researchstrejk, Climate Wednesdays. Golm, 23.11.23
Jetzt ist es passiert. Die Letzte Generation vor den Kipppunkten hat getötet. Ein Lebewesen. Einen Baum. Ich finde das nicht gut und denke darüber nach.
Aktivisten der Letzten Generation haben vor dem Bundeskanzleramt einen Baum gefällt: Die Bundesregierung sägt den Ast ab, auf dem wir sitzen. Links Lina Schinköthe, rechts Franz Winter, Berlin, 21.02.23, Bild: Stefan Müller, CC-BY
Letztendlich haben sie aber nur das gemacht, was sie schon immer gemacht haben: Sie haben Essen auf die Straße geworfen, um auf die Verschwendung hinzuweisen.
Aktivisten vom Aufstand der Letzten Generation blockieren die A100. Auf der Straße liegen Lebensmittel, die von Supermärkten weggeworfen wurden. Die Polizei fegt sie von der Straße. Ernst Hörmann (72, 8 Enkel) sitzt vorn rechts. Samuel Koch links daneben. Beide sind angeklebt. Berlin, 04.02.22, Bild: Stefan Müller, CC-BY
Das Essen war aus dem Müll, also geschenkt. Bzw. geklaut. Denn Containern ist eine Straftat!
Henning Jeschke zeigt Polizei Folge vom Browserbalett zum Containern. Der Polizist dreht sich vom Handy weg. Lager der Gorillas, Berlin, Residenzstraße, 08.01.22
(Die Container-Aktion hat sich übrigens genau so zugetragen wie im Video vom Browser-Balett, nur dass die Aktivist*innen das von der Polizei zurück in den Container gebrachte Essen noch mal geklaut haben.)
Dann haben sie Öl verschüttet, um gegen Erschließung neuer Ölvorkommen in der Nordsee zu protestieren. OK. War kein Öl, sondern nur angedickte Pampe.
Aktivistinnen vom Aufstand der letzten Generation in Olaf Scholz-Kostümierung vergießen Öl vor dem Bundeskanzleramt, um auf die Unsinnigkeit der Erschließung neuen Erdöls in der Nordsee hinzuweisen. Berlin, 09.07.22, Bild: Stefan Müller, CC-BY
Dann haben sie Bilder mit Kartoffelbrei beworfen, um darauf hinzuweisen, dass auch die Kunst verloren gehen wird, wenn unsere Gesellschaften im Chaos versinken werden. Die Bilder sind hinter Scheiben, also nichts wirklich passiert. Mich hat es aber dennoch geschockt. Ich mag Bilder. Ich glaube, diese Bilder-Aktionen waren für mich. Die Staus auf der Autobahn sind mir egal und vielleicht empfinde ich sogar ein bisschen Schadenfreude. Ich habe zwar eine LKW-Fahrerlaubnis, hatte aber noch nie ein Auto.
Nun also haben sie einen Baum abgesägt. Das ging zu weit: Sie haben ein Lebewesen umgebracht. Eine Grenze überschritten. Bin ich Spießer? Ein komischer Öko? Ein Tree-Hugger? Ja, echt. Ich hätte den Baum zum Abschied noch umarmt, wenn er nicht so dünn gewesen wäre. Na, nu isser hin.
Warum finde ich es schlimm, dass dieser Baum sterben musste? Warum finde ich es nicht viel schlimmer, dass der ganze Harz tot ist? Die Vogesen? Die Sächsische Schweiz? Der Thüringer Wald.
Schnirps, schnirps frisst sich er Borkenkäfer durch die von der Hitze geschwächten Bäume. Wir haben überlegt, wo wir in den Osterferien hinfahren. Harz oder Ostsee standen zur Diskussion. Die Bilder der Ferienunterkünfte zeigen den herrlichen Wald um Thale und Schierke. Aber: Davon ist nichts mehr übrig. Und es kommt auch so schnell nichts mehr wieder. Neue Bäume anzupflanzen ist nicht trivial, wenn das Wasser fehlt. Vielleicht wächst im Harz ein besser an die klimatischen Bedingungen angepasster Mischwald, wenn das Wasser reicht. Und in Brandenburg? Nach den Waldbränden in den Hitzesommern? Brandenburg hat zu wenig Wasser. Der Grundwasserpegel sinkt, Seen trocknen aus.
Warum nehmen wir das hin? Warum machen wir einfach so weiter? Warum fahren wir einfach nicht mehr in diese Gebiete, sondern dahin, wo die Folgen noch nicht so sehr zu sehen sind?
Ich möchte eine Vorhersage machen: Die Letzte Generation vor den Kipppunkten wird im Juni vor dem Kanzleramt eine Katze köpfen. Begründung: Katzen-Content geht immer auf Social Media und die Katzen werden auch unter der Hitze leiden, wenn wir so weitermachen. Die Polizist*innen vor dem Kanzleramt sollten also nicht nur auf Menschen mit Sägen, sondern auch auf solche mit Katzen in Rucksäcken oder auch Katzenboxen achten. Und auf Menschen mit Hunden. Besonders kleine niedliche Hunde. Hundehalter*innen sollten intensivst durchsucht werden. Auch aufpassen muss man natürlich bei Pferden, Schafen und Kühen.
OK. Das mit dem Vieh ist ernst: Durch Dürren verhungern Kühe und Schafe. Die betroffenen Menschen können nicht einfach neue zaubern. Sie sind ihrer Lebensgrundlage beraubt und es bleibt nur die Flucht.
tagesschau, 27.01.2022
Also: Zusammenfassung. Wenn Ihr nicht wollt, dass die Letzte Generation vor den Kipppunkten Katzenbabys köpft, dann macht irgendwas anderes, was die Regierung dazu bringt, das Klimaschutzgesetz einzuhalten und endlich massivst Transformationen anzukurbeln. Sie könnten ja zum Beispiel mit den Bürgerräten anfangen, die im Koalitionsvertrag auf S. 8 stehen.
Ihr wisst nicht, was Ihr tun könnt? Dann geht wenigstens zum Klimastreik von FFF. Der nächste ist am 3.3. Irgendwo auf diesem Planeten direkt vor Eurer Haustür.
PS: Ich hoffe inbrünstig, dass die Letzte Generation vor den Kipppunkten diese Vorhersagen nicht wahr werden lässt. Sonst könnte noch jemand denken, ich hätte das geplant oder mich verantwortlich machen, weil ich sie inspiriert hätte.
Kommentar von Peter Unfried zur Letzten Generation
Peter Unfried kritisiert eine Aktion der Letzten Generation vor den Kipppunkten vor dem Bundeskanzleramt, bei der diese einen Baum abgesägt haben, um auf die Zerstörung hinzuweisen.
Aktivisten der Letzten Generation haben vor dem Bundeskanzleramt einen Baum gefällt: Die Bundesregierung sägt den Ast ab, auf dem wir sitzen. Links Lina Schinköthe, rechts Franz Winter, Im Hintergrund sieht man das Polizeiauto, das die Wand vom Kanzleramt bewacht und klein einen weiteren Aktivisten, der die Wand zur Ablenkung besprüht hat. Berlin, 21.02.23
Ehrlich gesagt, finde ich diese Aktion von all denen, die ich bisher fotografiert habe (insgesamt 32) am wenigsten stimmig, aber das ist eine andere Frage. Im Folgenden sind die Zitate aus dem Kommentar blau. Also:
Unfried schreibt:
Klimaschutz-Aktivisten haben in dieser Woche in Berlin einen kleinen Baum vor dem Kanzleramt gefällt, um die „Zerstörung der Zivilisation durch Wirtschaft & Politik sichtbar“ zu machen. Putzig, danke vielmals. Da wären wir ja ohne die pädagogisch-metaphorische Belehrung der „Letzten Generation Hänschen klein“ niemals drauf gekommen. Offenbar hält diese Truppe die Deutschen, also uns, für bescheuert, gehirngewaschen durch Konsumfetischismus und so was, und deshalb apathisch und ignorant gegenüber bösen Kapitalisten und ihren liberaldemokratisch gewählten Helfershelfern, sodass man uns wachrütteln muss.
Das ist polemisch, aber OK, es ist ja ein Kommentar. Darf ich auch polemisch sein? Ein bisschen?
George Monbiot, Journalist beim Guardian, geht davon aus, dass weniger als 1% der Weltbevölkerung die Klimakatastrophe in ihrer ganzen Schönheit verstanden haben (Video von 2022). Ich bin sehr froh, jetzt von Peter Unfried gelernt zu haben, dass dieses eine Prozent deckungsgleich mit der deutschen Bevölkerung ist. Das ist toll. Dann sind wir zumindest in Deutschland der Lösung der Probleme wahrscheinlich recht nahe. Ansonsten hier noch mal die Erinnerung von Maja Göpel von 2019, die im Prinzip dasselbe wie George Monbiot sagt: Das Ausmaß der Bedrohung durch die Irreversibilität ist von den meisten Menschen noch nicht verstanden worden.
Jetzt kann man sagen: Ah, ja. Das war 2019. Inzwischen hat es auch der/die letzte geschnallt. I doubt it. Ich kann Peter Unfried (Chefreporter der taz) nur empfehlen, einfach mal das Volk zu Klimathemen zu befragen. Ich habe mit vielen Menschen geredet, als ich Unterschriften für den Volksentscheid Berlin Klimaneutral 2030 gesammelt habe. Und: Es mag schockierend sein für einen Chefreporter einer Zeitung: Aber es gibt Menschen die nicht Zeitung lesen und keine Ahnung von der Klimakatastrophe haben.
U schreibt:
Das ist eine traditionelle Widerstandserzählung, sie stimmt halt nur so nicht. Vor allem ist sie nicht produktiv zu bekommen. Was wäre denn die Alternative zu Marktwirtschaft und parlamentarischer Demokratie?
Das ist Polemik gepaart mit Unkenntnis und Unterstellung. Die Letzte Generation möchte die parlamentarischen Demokratie nicht abschaffen. Das weiß auch der Berliner Verfassungsschutz und die Zeitung, in der Peter Unfried Chef-Reporter ist, hat darüber berichtet:
Derweil sieht der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, die Letzte Generation nicht als extremistisch an. Bei einer Diskussionsveranstaltung am Mittwoch sagte Haldenwang, er erkenne nicht, „dass sich diese Gruppierung gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung richtet“. Insofern seien die Aktivist:innen kein Beobachtungsobjekt für den Verfassungsschutz.
Linksautoritäre Staatswirtschaft ja wohl nicht, in der die Läden halbleer sind, die Staatskassen ganz leer und die Leute davonrennen, wenn man sie nicht erschießt. Ich chargiere jetzt auch mal etwas.
Ja, das funktioniert nicht, das will auch keiner und die geforderten Bürgerräte sind gedacht, genau das zu verhindern. Siehe unten. Zu den halb leeren Läden: Ich verweise auf Großbritannien, wo zum Teil durch den Brexit aber eben auch zum Teil durch Missernten bedingt, die Regale leer sind. (tagesschau, 2023)
Zu schaffen macht den Landwirten auch der Klimawandel. So litt Großbritannien im Sommer 2022 unter einer Hitzewelle, im Dezember unter langem, hartem Frost. Wegen des schlechten Wetters seien Karotten, Pastinaken, Kohl und Blumenkohl in Mitleidenschaft gezogen worden, sagte Tim O’Malley vom britischen Lebensmittelproduzenten Nationwide Produce. Er rechnet mit weiteren Preissteigerungen.
Wer regiert dort gerade? Ja, die Tories. So weit weg von linksautoritärer Staatswirtschaft, wie es nur geht.
Performance von Extinction Rebellion am Tag der Biodiversität, um auf das von Bayer mitverursachte Artensterben und die drohenden Versorgungskrisen hinzuweisen. Vor der Bayer-Zentrale Müllerstraße, Berlin, 23.05.23, Bild: Stefan Müller, CC-BY
Die Letzte Generation vor den Kipppunkten – und wie das Bild zeigt, nicht nur die – warnt vor Ernährungsengpässen durch Missernten, die kommen werden, und wenn wir Pech haben, kommen sie durch die sich gegenseitig verstärkenden Krisen früher und massiver als wir gedacht haben. Die Brotpreise sind im letzten Jahr bereits gestiegen (Ukrainekrieg + Missernten, Deutschlandfunk). Übrigens: Zu dem Zeitpunkt, ab dem die Läden hier leer sein werden, lohnt sich das Wegrennen nicht mehr, denn nebenan werden sie genauso leer sein.
Unfried schreibt:
Oder sorgen statt gewählter Parlamentarier ausgeloste Bürger dafür, dass es keine unterschiedlichen Interessen mehr gibt?
Das ist unglaublich und eine Schande für die taz. In mehrerlei Hinsicht. 1) scheint Peter Unfried nicht zu wissen, was Bürgerräte sind, wie sie funktionieren und was deren Ziel ist. Auch scheint er den Koalitionsvertrag der aktuellen Regierung nicht zu kennen. Ich zitiere aus diesem Koalitionsvertrag (S. 8):
Lebendige Demokratie Demokratie lebt vom Vertrauen in alle staatlichen Institutionen und Verfassungsorgane. Wir werden daher das Parlament als Ort der Debatte und der Gesetzgebung stärken. Wir wollen die Qualität der Gesetzgebung verbessern. Dazu werden wir neue Vorhaben frühzeitig und ressortübergreifend, auch in neuen Formaten, diskutieren. […] Wir wollen die Entscheidungsfindung verbessern, indem wir neue Formen des Bürgerdialogs wie etwa Bürgerräte nutzen, ohne das Prinzip der Repräsentation aufzugeben. Wir werden Bürgerräte zu konkreten Fragestellungen durch den Bundestag einsetzen und organisieren. Dabei werden wir auf gleichberechtigte Teilhabe achten. Eine Befassung des Bundestages mit den Ergebnissen wird sichergestellt. Das Petitionsverfahren werden wir insgesamt stärken und digitalisieren und die Möglichkeit schaffen öffentliche Petitionen in Ausschüssen und im Plenum zu beraten.
Koalitionsvertrag 2021–2025, SPD, Grüne, FDP, S. 8
Die Bürgerräte sind nicht dazu da, dass es hinterher eine Gesellschaft mit Bürger*innen gibt, die alle die gleichen Interessen haben. [Parlamentarisch gewählte Abgeordnete übrigens auch nicht.] Bürgerräte sind dazu da, Probleme zu lösen, die man mit den normalen politischen Mitteln nicht gelöst bekommt. Zum Beispiel deshalb, weil keine Partei Maßnahme XY vorschlagen oder durchsetzen kann, ohne massive Stimmenverluste zu erleiden. Oder eben weil man Mehrheiten braucht für Regierungen und dann eine FDP mit dabei hat, die um ihre Rolle weiß und alles blockiert. Ein Beispiel für ein solches Problem war die Frage der Abtreibung im katholischen Irland. Keine Partei konnte es sich leisten, sich für Abtreibung einzusetzen. Der Bürgerrat hat Vorschläge an die Regierung gemacht. Auf Grundlage dessen gab es ein Referendum und jetzt ist die Abtreibung legalisiert:
Bericht über den Bürgerrat zur Abtreibung in Irland
Es gab in Deutschland schon einige Bürgerräte zu verschiedenen Themen. Einer davon zum Klima. Dieser fand unter der Schirmherrschaft des ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler (CDU) statt. Hier kann man Bundestagspräsident Wolfgang Schäubele (CDU) zu einem anderen Bürgerrat sehen:
Wir haben also SPD, Grüne, FDP und CDU als Befürworter dieses Instruments zur Erweiterung der Demokratie. Die Letzte Generation vor den Kipppunkten kämpft für die Erhaltung der Demokratie, ja für ihre Verbesserung. Für einen Weg aus der Falle, in der wir uns – auch durch Einwirkung von Lobbygruppen – festgefahren haben.
Zu einem Wort im letzten Zitat muss noch etwas angemerkt werden: statt. Die Letzte Generation vor den Kipppunkten fordert in der Tat, dass die Ergebnisse des Gesellschaftsrats 1:1 umgesetzt werden. Der Grund hierfür ist, dass es bereits einen Klima-Bürgerrat gab, die Ergebnisse aber einfach ignoriert wurden. Auch Ergebnisse von Bürgerräten in anderen Ländern wurden nur teilweise umgesetzt (Frankreich, taz, 26.10.2020). Wie Umfragen zu den Ergebnissen des Klimabürgerrates zeigen, werden die Ergebnisse von der Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert (PHA2SE, 2021). Wenn man das noch einmal demokratisch absichern wollen würde, könnte man den Bürgerrat mit einem Volksentscheid kombinieren. Das Problem ist, dass dazu das Grundgesetz geändert werden müsste, weil dieses Volksentscheide auf Bundesebene nur zu sehr eingeschränkten Themen vorsieht (Wikipedia zu Volksentscheid). Aber: Grüne, FDP, Linke, SPD und CSU haben seit 2002 Vorschläge zur Änderung des Grundgesetzes in den Bundestag eingebracht (Zu den Details siehe auch Wikipedia). Die Einführung von Volksentscheiden liegt also im Bereich des Denkbaren.
U schreibt:
Und dann sind wir alle gute Menschen, und es kommt zu einem kollektiven moral change hin zu einem Kleinstfußabdruck-Lebensstil ganz ohne Bali-Flüge? Get a life.
Nein, sind wir nicht. Das ist genau der Punkt. Man darf die individuelle Ebene nicht mit der politischen verwechseln. Wir einigen uns gemeinsam, wie weit wir gehen wollen, was angesichts der sich verstärkenden Katastrophe nötig und möglich ist. Zum Beispiel wäre ein Tempolimit ein garantiertes Ergebnis eines Klimabürgerrates. Eine Mehrheit der Deutschen ist ohnehin dafür und der Rest muss sich dann eben der Mehrheit fügen. Flüge könnten teurer werden. Man könnte Flugreisenkontingente einführen oder stark wachsende Preise in Abhängigkeit der geflogenen Meilen pro Person. Das sind Ideen und die repräsentativ zusammengesetzten Bürgerräte können das ausdiskutieren und einen Kompromiss finden, der für die Gesellschaft tragbar ist.
2) Peter Unfried wiederholt eine Lüge, die die Bild-Zeitung in die Welt gesetzt hat, und die in der Zeitung, in der er Chefreporter ist, auf einer drittel Seite richtiggestellt wurde (taz, 02.02.2023). Die Aktivist*innen der Letzten Generation, auf die er anspielt, waren noch nie in ihrem Leben in Bali. Sie waren bzw. sind (für mehrere Monate) in Thailand.
Unfried schreibt:
Protest ist ein System und hat eine Funktion. Aber wenn die sozialökologische Transformation nach den verlorenen CDU-SPD-Jahrzehnten jetzt an Dynamik gewinnen soll (und das soll sie!), muss die Gesellschaft wissen, an welchem Punkt wir jetzt sind. Und da finde ich die These des sozialökologischen Politikers Boris Palmer (siehe Interview Seite 34) diskussionswürdig, dass wir über die Phase hinaus seien, in der es noch darum ging, politische Mehrheiten zu gewinnen und die Leute mit apokalyptischen Endzeitdrohungen zu bearbeiten. Das heißt: Wir wissen mehrheitlich, dass wir transformieren müssen, sehen die vielen Vorteile und wollen das jetzt auch tatsächlich machen.
Ach so. Werbung für das selbst geführte Interview. Na gut. Dazu später. Aber hallo? Man braucht keine Mehrheiten, man muss transformieren? Ja, wie denn? Mit der Ampel? Die Autobahnen ausbauen will? Also nicht die ganze Ampel aber die FDP. Mir fallen diverse Maßnahmen ein: Tempolimit, Abbau von Subventionen für fossile Energien: Pendlerpauschale, Dienstwagenprivileg, Kerosinsteuer. Das wären erst mal die Anreize, die in die falsche Richtung gehen und abgebaut werden müssen. Dazu kämen dann Anreize in die richtige Richtung. Wo ist das alles? Wer blockiert das? Und sollte man dagegen nicht protestieren? Oder soll man lieber doch noch drei Jahre warten und dann neu wählen? Anders? Wie denn bitte? Ich habe die FDP schließlich nicht gewählt.
Leider gehen damit die Herausforderungen erst los. Doch es sind eben andere als die, die wir bisher bearbeiteten. Und sie sind womöglich noch größer. Es braucht eine gesetzliche, digitale, unternehmerische und handwerkliche Infrastruktur des Machens. Beispiel: Wenn die entsprechende Gesetzesvorlage des grünen Wirtschafts- und Klimaministeriums durch den Bundestag ist, müssen Windräder in sehr großer Zahl produziert sein, am besten von weltmarktorientierten deutschen Firmen, und dann unverzüglich von Behörden genehmigt, von Fachkräften hingestellt und in Betrieb gebracht werden. Dito Solaranlagen, dito Wärmepumpen. Dito Ladeinfrastruktur für unsere Elektroautos. Und so weiter.
Ja, super. Energie ist ein Baustein, aber das ist nicht alles. Wir leben in zu großen Wohnungen, haben ein falsches Verkehrssystem („unsere Elektroautos“ Lieber Herr Unfried: Schon die Herstellung Ihres neuen Elektroautos verbraucht Ihr Restbudget an CO2. Siehe Car is over und Sachverständigenrat für Umweltfragen, 2022), essen zu viel Fleisch, ruinieren die Böden durch falsche Landwirtschaft. Usw. usf. Das sind alles Punkte, für die wir politische Lösungen brauchen. Diese können wir nur als Gesellschaft gemeinsam finden. Und zwar nicht durch Gleichschaltung der Interessen sondern durch Ausgleich.
Protestieren, so verständlich das in emotionaler Not sein mag, ist nicht die zentrale Aufgabe der nächsten Zeit. Es geht jetzt um eine Infrastruktur des Machens. Wir brauchen Firmen, wir brauchen Produkte, wir brauchen Installateure, wir brauchen eine funktionierende Bürokratie.
OK. Das ist neu. Statt: „Ej, hört doch mal auf die kleinen Leute auf dem Weg zur Arbeit zu ärgern! Geht lieber zu den Politikern!“, kommt jetzt, zu einer Aktion vor dem Bundeskanzleramt: „Ej, hört doch mal ganz auf zu protestieren!“ Dazu noch eine Abwertung mit „emotionaler Not“. „Ej, kriegt mal Eure Gefühle in den Griff!“
Was wir gar nicht brauchen, ist eine anachronistische Widerstandshaltung, die das Missverständnis pflegt, die postfossile Bewegung sei in der Minderheit. Ja, die FDP bremst, und andere blockieren noch. Aber wir sind die Mehrheit.
Oh, das ist ja schön. Dann ist ja alles gut. Leider kontrafaktisch. Die CDU hat gerade in Berlin einen überragenden Wahlsieg eingefahren. Und zwar mit einem Wahlkampf, in dem mit der Klimaautobahn A100 geworben wurde und die armen Autofahrer*innen als potentielle Wähler*innen direkt angesprochen wurden. Und selbst wenn alles klar wäre und wir die Mehrheit wären: Die Regierung handelt nicht. Jedenfalls nicht angemessen. Die Vorgaben aus dem Klimagesetz wurden von zwei Sektoren gerissen. Die gesetzlich vorgeschriebenen Sofortprogramme wurden im Verkehrssektor nicht geliefert. Der von der Regierung bestellte Expertenrat für Klimafragen hat die Prüfung des „Sofortprogramms“ aus dem Hause Wissing abgebrochen, weil es ein Witz ist (taz, 02.01.2023, Expertenrat Klimafragen, 2022: 81–82). Was nützte es, wenn wir die Mehrheit wären?
Und noch ein letzter Punkt: Wenn Politiker*innen oder Journalist*innen die Proteste der Letzten Generation vor den Kipppunkten kleinreden wollen, sprechen sie von „jungen Leuten“ oder gleich wie Peter Unfried von „Letzte Generation Hänschen klein“. Zum einen: Die Letzte Generation besteht aus Aktivist*innen aller Altersklassen (65 Portraits mit Name, Alter, Beruf). Zum zweiten, und das wird von den Kritiker*innen gern weggelassen: Es gibt seit April 2022, der Veröffentlichung des Sechsten Sachstandsberichts des IPCC, auch in Deutschland Scientist Rebellion.
Wissenschaftler von Scientist Rebellion blockieren die Kronprinzenbrücke in Berlin, um auf die dramatischen Folgen der Kliamkatastrophe laut IPCC-Bericht hinzuweisen. Unter Fahrradverkehrsschild mit Pyro Prof. Dr. Nikolaus Froitzheim, Geologe aus Bonn, Kronprinzenbrücke, Berlin, 06.04.22, Bild: Stefan Müller, CC-BY
Scientist Rebellion ist eine internationale Gruppe von Wissenschaftler*innen, die explizit die Letzte Generation unterstützen und mit denselben Aktionsformen und zum Teil auch in Koalition mit der Letzten Generation agieren.
Aktivistinnen der Letzten Generation blockieren gemeinsam mit Scientist Rebellion den World Health Summit 2022 in Berlin. 16.10.22, Bild: Stefan Müller, CC-BY
Vor knapp zwei Wochen gab es auch eine Solidarisierung von Wissenschaftler*innen, die überwiegend nichts mit Scientist Rebellion zu tun haben.
Lutz van der Horst von der Heute-Show blockiert mit der Letzten Generation die Unter den Linden. Rechts Lina Johnson und Carla Rochel. Im Hintergrund unterstützende Wissenschaftler. Prof. Dr. Barbara Schramkowski hält eine Rede. Berlin, 17.02.23, Bild: Stefan Müller, CC-BY
Warum machen das Wissenschaftler*innen wohl? Meine Vermutung ist, dass sie der Meinung sind, dass die Bedrohung durch die Klimakatastrophe, in der wir uns bereits befinden, immer noch nicht verstanden worden ist. Ja, auch von Peter Unfired nicht! Über diese Solidarisierung wurde übrigens in der taz nicht berichtet. Vielleicht ja dann beim nächsten Mal.
Zwischenfazit: Dieser Kommentar von Peter Unfried ist ein Skandal in einer Zeitung wie der taz.
Interview von Peter Unfried mit Boris Palmer
So, jetzt Palmer. Das Interview führte Peter Unfried.
wochentaz: Lieber Herr Palmer, sollte man Politiker fragen, welche Elemente einer ökologischen Kultur sie in ihren Lebensstil integriert haben?
Boris Palmer: Kann man schon fragen. Das bringt nur keine großen Erkenntnisse. Die Aufgabe eines Politikers ist es, von sich selber zu abstrahieren und eine Position zu finden, die für das Gemeinwohl gut ist.
Genau richtig!
taz: Der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, ihr Ministerpräsident Kretschmann, hatte in der Energiespardiskussion erwähnt, dass er auch mal zum Waschlappen greife statt zur Dusche, worauf große gespielte Empörung ausbrach.
Palmer: Die Waschlappen-Ebene, also die mediale Stilisierung von Öko-Tugenden, kann man generell vergessen. Die Leute ändern sich jetzt erst mal nicht oder nur ganz wenig.
Nun ja, nun ja. Wichtig ist die politische Ebene, aber die kann nur das machen, wozu die Menschen (mehrheitlich und mit entsprechenden politischen Mehrheiten) bereit sind. Es ist nicht wahr, dass es keine Änderungen gibt: Der Konsum an Schweinefleisch ist in den letzten Jahren gesunken (taz, 19.02.2023). Aber insgesamt ist das natürlich zu wenig und die Probleme müssen auf der politischen Ebene gelöst werden.
taz: Der Vizekanzler sagt immer, es sei bewundernswert, wie viel Gas in der Krise eingespart wurde.
Ja, weil BASF die Produktion nach China verlagert hat. Aber die Leute duschen nicht kürzer und sie machen auch die Wohnungen nicht kälter.
Diese Aussage ist falsch. Unser Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck aus der Partei, in der Palmer mal Mitglied war, hat am 27.01.2023 in einem Interview mit Peter Unfried gesagt, dass wir im vierten Quartal 2022 22% eingespart haben. Beide Aussagen können nur dann gemeinsam wahr sein, wenn BASF wirklich die Produktion verlagert hätte und vorher 22% des gesamtdeutschen Energieverbrauchs benötigt hätte. Die Pläne in Bezug auf die Abwanderung nach China betreffen aber das Jahr 2024 (tagesschau, 24.02.2023).
Demonstranten protestieren gegen den Krieg in der Ukraine mit einem Schild „Lieber kalte Heizung als heißer Krieg“. Brandenburger Tor, Berlin, 27.02.22, Bild: Stefan Müller, CC-BY
Die Chemie-Industrie ist im vergangenen Jahr „nur“ 1% gewachsen. Die Einsparungen sind wohl doch auf andere Bereiche zurückzuführen. Zum Beispiel wurden öffentliche Gebäude weniger geheizt. Bei Universitäten ging der Energieverbrauch bis zu 25% zurück. Bei der FU Berlin waren es 20% (Energiemonitor). Das Hauptgebäude der HU hängt an einem Gaskraftwerk. Die Angestellten haben nach eindringlichen Aufrufen die Heizung runtergedreht und auch ausgelassen, wenn keine Heizung benötigt wurde. Die Einsparungen wurden also durch ein Zusammenwirken der politischen und der individuellen Ebene erreicht. Ich kenne auch viele Menschen, die in ihren Wohnungen Temperaturen reduziert bzw. nicht geheizt haben. Viele einfach auch, weil sie arm sind.
taz: Jetzt haben wir Leute auf den Straßen, die Klimapolitik verlangen und Gesetzesbrüche mit einem höheren Ziel begründen. Hilft das?
Ich glaube, es hält mehr auf als sonst was.
taz: Begründung?
Ich habe noch niemanden getroffen, der sagt: Wegen der Klebe-Protestierer machen wir jetzt ein konkretes Klima-Projekt, damit es schneller vorangeht. Ich treffe aber viele Leute, die sagen: Das regt mich auf. Der Irrtum dieser Art Protest ist, dass er sich auf Waschlappen-Ebene bewegt und immer noch glaubt, den Leuten erklären zu müssen, wie wichtig Klimaschutz ist.
Das ist falsch. Der Protest richtet sich gegen das Nichthandeln der Regierung:
Caris und Solvig, zwei Mütter vom Aufstand der Letzten Generation, haben sich im Naturkundemuseum festgeklebt. Caris hat einen Sohn und Solvig vier Kinder. Berlin, 30.10.22
taz: Muss man nicht? [erklären, wie wichtig Klimaschutz ist]
Nein. Anders als vor zehn Jahren haben eigentlich alle wesentlichen Akteure begriffen, wie wichtig das ist. Das Problem ist nicht mehr der politische Wille.
Oh. Da bin ich froh. Aber nur mal kurz: Wieso gibt es dann noch kein Tempolimit, obwohl das massiv CO2 einsparen würde und nichts kosten würde?
Aktivisten vom Aufstand der Letzten Generation bringen Tempo-100-Schilder zum Verkehrsministerium und lassen einige durch die Luft segeln. v.l.n.r Miriam Meyer, Edmund Schultz, Mirjam Herrmann, Invalidenstraße, Berlin, 22.10.22, Bild: Stefan Müller, CC-BY
Wieso kriegt die Regierung nicht mal das hin? Ach so, ja die FDP. Aber es gibt noch einen Bundeskanzler, der in der SPD ist, und einen Klimaminister, der bei den Grünen ist. Die gesamte Regierung ist für ihr Handeln bzw. Nicht-Handeln verantwortlich.
taz: Sondern? [was ist das Problem?]
Wenn Habecks Kabinettsvorlage demnächst durch den Bundestag geht, ist die jahrhundertelange Vogelprüfung beendet, dann kann man Windräder gesetzlich einfach hinstellen. Das stimmt mich zuversichtlich. Das Problem ist aber, dass du sie nicht bestellen kannst, weil sie nicht lieferbar sind. Du kannst keine Trafos bestellen, weil sie nicht lieferbar sind. Du kannst keine Solar-Monteure bestellen, weil die alle ausgebucht sind. Und die Wärmepumpe kriegst du auch nicht geliefert.
taz: Das klingt etwas zugespitzt.
Ist es auch. Nach ein, zwei Jahren kommt das Zeug schon, aber mein Punkt ist: Es ist eben nicht mehr der fehlende politische Wille, es ist die fehlende Fähigkeit von Bürokratie und Wirtschaft, es auch zu tun. Wir stehen uns selber im Weg wegen gnadenloser Überregulierung und Mangel an Fachkräften. Wir haben also ein ganz anderes Problem, als die Protestierenden adressieren.
Oh. Palmer ist also einer der Technology will fix it guys. Wenn wir nur genug Wind- oder Solarenergie haben, wird alles gut. Die Energiewende ist ein wesentlicher Bestandteil der Lösung (bzw. Abmilderung) unseres Klimaproblems, aber es ist nicht alles. Und wo ist der Wille zum Umbau unserer Landwirtschaft? Wo ist der Wille zum Umbau unsere Gesellschaften, so dass nicht mehr das obere 1% rumsaut, wie es will? Verbot/Einschränkung von Privatflügen? Ernährungswende, Verkehrswende?
taz: Was machen wir da als gesellschaftsengagierte Bürger?
Wenn man das voranbringen will, muss man jetzt in andere Positionen rein, als wir das gewöhnt sind. Wenn du etwas Gutes tun willst, gründe eine Firma, die Solaranlagen installiert und überzeuge viele deiner Kumpels, dass sie sich schnell zum Solarmonteur ausbilden lassen, damit die Dinger auf die Dächer kommen
taz: Dieser Gedanke zukunftsorientierten Unternehmertums ist rhetorisch von FDP-Politikern besetzt, die damit Klima-Protest-Leute ausschimpfen.
Ja, das tut mir jetzt leid, dass die FDP auch mal was Richtiges sagt, aber wir brauchen einen Gründungsboom von Firmen, wir brauchen Leute, die in diese Branchen reingehen, um es zu machen. Was wir nicht brauchen, sind noch mehr Leute, die sich festkleben und diskutieren. Da haben wir genug.
Na, zum Glück sagt es Peter Unfried selbst, dass das FDP-Denke ist. Boris Palmer hat übrigens Angebote von der BaWü-FDP, dort einzutreten. Diese Argumentation ist unterstes Twitter-Troll-Niveau. 1) Kann nicht jede/jeder in diesen Berufen arbeiten. 2) Verlagert das wieder alles auf die individuelle Ebene, die Waschlappenebene: Wenn Du Klimaschutz willst, werde Elektromonteur oder gründe kleine geile Firmen.
Funny van Dannen, 2004: Baut kleine geile Firmen auf!
Und lustigerweise, wenn wir schon auf dieser, der individuellen Ebene sind, kann ich hier gleich noch ein Bild beisteuern. Das Bild zeigt Christoph Meiler, er ist Zerspanungsmechaniker und war bei einem deutschen Automobilzulieferer tätig, bis die ihr Werk ins Ausland verlagert haben. Er macht jetzt eine Umschulung zum Elektriker, so dass er dann im Solarbereich arbeiten kann.
Christoph Meiler, Zerspanungsmechaniker, vom Aufstand der Letzten Generation bei der Blockade der A100, Berlin, 29.06.22, Bild: Stefan Müller, CC-BY
Ich hatte lange Zeit, mich mit ihm zu unterhalten, denn bis der Kran da war und alle gelöst waren, hat es eine Weile gedauert.
Aktivistinnen vom Aufstand der Letzten Generation sind auf Verkehrsleitanlagen geklettert und werden vom Kletterteam der Polizei per Kran heruntergeholt, Berlin, 29.06.22, Bild: Stefan Müller, CC-BY
Christoph Meiler macht also auf der individuellen Ebene genau das, was Twitter-Trolls und Boris Palmer von allen Klimaaktivist*innen verlangen. Außerdem protestiert er noch gegen das ungesetzliche Nicht-Handeln der Regierung.
Diese konkrete Aktion hat sich übrigens gegen Pläne von Regierungsparteien gerichtet, in der Nordsee nach Öl zu bohren. Ej, es ist alles in Ordnung! Niemand muss protestieren, gründet lieber kleine, geile Firmen! My ass.
So. Danke, dass Ihr bis hierher gelesen habt! Wer immer Ihr seid, was immer Ihr tut, hört nicht auf zu protestieren. Kommt zum Klimastreik von Fridays for Future am 3.3.2023! Stimmt für den Volksentscheid Berlin klimaneutral 2030!
Geht los und verteidigt Euch! Geht los! (AG Geige, Der Dirigent, 1988, gibts nicht bei Youtube, aber bei Tapeattack)
Betsch, Cornelia & Sprengholz, Philipp & Lehre, Lena. 2021. PHA2SE: Planetary Health Action Acceptance Study Erfurt: Das Klimaschutz-Monitoring für Deutschland. Erfurt: Universität Erfurt. (https://projekte.uni-erfurt.de/pha2se/summary/analysis/)
Es wird ja immer behauptet, dass die Aktionsformen der LetztenGeneration von den inhaltlichen Fragen ablenken. Interessanterweise gibt es jetzt sogar schon in der BILD-Zeitung in Artikeln über Klimakleber Karten zu den Folgen des Klimawandels (BILD, 29.11.2022):
Irreführende Karte in der BILD Berlin mit angeblichen ökologischen Bedrohungen vom Institute for Economics & Peace (IEP).
Komplett ohne Einordnung. Ich Frage mich auch was sie uns damit sagen wollen. Wir, die Mega-Verschmutzer (USA, Australien, Europa), sind safe? Alles gut? Ich habe mal ein bisschen recherchiert, wo die Karte her ist. Ich dachte erst so was wie EIKE, aber die Karten gibt es in der Tat beim Institute for Economics & Peace, nur dass sie dort aktuell sind und ganz anders aussehen: vision of humanity. Fast die ganze Welt ist von hohen ökologischen Bedrohungen betroffen.
Interaktive Karte vom Institute for Economics & Peace, bei der man sich verschiedene Arten von Bedrohungen anzeigen lassen kann. Stand 2022
Es gibt verschiedene Indikatoren, die man sich einzeln anzeigen lassen kann. BILD hat sich eventuell den softesten rausgesucht, die Ernährungsunsicherheit. Leider finde ich genau diese Karte nicht, wahrscheinlich weil der Bericht inzwischen aktualisiert wurde.
2022 haben wir gesehen, wie stark Missernten auch in Europa ausfallen können. Die Po-Ebene hatte praktisch kein Wasser mehr. Genauso ist der Osten Deutschlands von Dürren betroffen. Die Versorgungssicherheit ist wahrscheinlich deshalb gewährleistet, weil wir reich genug sind, auf dem Weltmarkt Nahrungsmittel zu kaufen.
Ansonsten steht auf der Seite:
On the other hand, 80% of the countries with the worst ETR scores are also among the world’s least resilient. This indicates that these nations may not be able to mitigate the impacts of their rapidly changing environment. The 30 countries facing the highest level of ecological threat are home to 1.26 billion people.
Highlighting the gravity of the situation, 90% of the 20 least peaceful countries face at least one catastrophic ecological threat, while 80% have low societal resilience. Ten of the twelve countries with the highest ecological threat rating, in all four domains, currently suffer from conflict deaths, while 11 of these countries have moderate to high ratings for the intensity of the internal conflict.
Auf Deutsch: Viele Länder werden sich nicht anpassen können und unter den 20 am wenigsten friedlichen Ländern sind fast alle von mindestens einer ökologischen Bedrohung betroffen.
Zusammengefasst: Die BILD-Grafik hat mit den gesamten ETR-Scores nichts zu tun und ist eine extreme Falschdarstellung. Die Lage ist ernst.
Entwarnung (am Abend des 25.11. eingefügt): Ein Kollege hat mich darauf hingewiesen, dass die taz um Größenordnungen daneben lag. Leider habe ich die Zahl nicht selbst überprüft. Statt 3,6 Gigatonnen werden „nur“ 3,6 Megatonnen ausgestoßen: Hier ist der Originalbericht von South Pole.
Svenja Schulze, damals noch Umweltministerin, hat 2019 auf die Frage nach unserem CO2-Restbudget geantwortet: „Unter diesen ganzen Tonnen und so kann sich doch keiner was vorstellen.“ Ich habe das schon mehrfach in diesem Blog aufgegriffen (Zu unserem CO2-Restbudget: Car is over, Sind Fluggäste Mörder?, Flüge, CO2, Verantwortung und Mitschuld). Das war damals natürlich ein Ausweichmanöver, aber es ist ja in der Tat so, dass diese Zahlen schlecht mit Konkretem verbunden werden können. Man braucht dazu Vergleiche. Zum Beispiel die 1000-Tonnen-Regel (1000 Tonnen verbrannter Kohlenstoff = 1 Mensch, der an den Folgen der Klimakatastrophe vorzeitig sterben wird, Parncutt, 2019).
In der taz stand heute, dass eine Firma im Auftrag der Veranstalter (!) berechnet hat, dass der CO2-Ausstoß für die Fußball-WM in Katar 3,6 Gigatonnen beträgt (taz, 25.11.2022: 3). Die taz berichtet über die NGO Carbon Market Watch, die zu höheren Zahlen kommt, weil zum Beispiel der sehr CO2-intensive Bau der Stadien nur zu einem kleinen Teil berücksichtigt ist.
Aktivistin von Extinction Rebellion vor der Adidas-Filiale in Berlin. XR protestiert gegen das Sponsoring der WM in Katar. Kurfürstendamm, Berlin, 19.11.22 Bild: CC-BY-NC Stefan Müller
3,6 Gigatonnen? Ist das viel? Wenig? Geht so? Spaß muss sein? Wir können es mit den Zahlen vergleichen, die im IPCC-Bericht genannt wurden: Der Sachverständigenrat für Umweltfragen, der die Bundesregierung berät, hat errechnet, dass das CO2-Budget für Deutschland bei 2 Gigatonnen liegt, wenn wir das 1,5°-Ziel mit einer Wahrscheinlichkeit von 67% erreichen wollen (SRU, 2022: 7). 67% ist gezockt: Ja, ja, nein. In einem Drittel der Fälle geht es daneben, also 1,6° oder mit entsprechend abnehmender Wahrscheinlichkeit auch mehr bzw. sehr viel mehr.
Das heißt was? Das bedeutet, dass diese eine Fußball-WM das Doppelte des Restbudgets für unser ganzes Land verbraucht. „Is ja nich schlüm, wird ja kompensiert.“ Anhand dieses Ereignisses kann man eigentlich sehr schön sehen, wie absurd Kompensation ist. Wenn Kompensation ein sinnvolles Instrument in der Klimakatastrophe wäre, könnten wir auch sagen: Och, wir machen einfach nichts und kompensieren dann, dass wir zum Fenster raus heizen (= offene Stadien klimatisieren), mal eben die Tochter mit dem Flugzeug über’s Wochenende besuchen (= Shuttleflüge für außerhalb Katars untergebrachte WM-Teilnehmer*innen) usw.
Schlussfolgerung: Solche Ereignisse wie die Fußball-WM in Katar können wir uns als Menschheit nicht mehr leisten. Kompensation ist ein untaugliches Instrument, das nur dem Greenwashing und der Gewissensberuhigung dient.
Quellen
IPCC, 2021. Zusammenfassung für die politische Entscheidungsfindung. In Beitrag von Arbeitsgruppe I zum Sechsten Sachstandsbericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen [Masson-Delmotte, V., P. Zhai, A. Pirani, S.L. Connors, C. Péan, S. Berger, N. Caud, Y. Chen, L. Goldfarb, M.I. Gomis, M. Huang, K. Leitzell, E. Lonnoy, J.B.R. Matthews, T.K. Maycock, T. Waterfield, O. Yelekçi, R. Yu, and B. Zhou (eds.)] (ed.), Naturwissenschaftliche Grundlagen. https://www.de-ipcc.de/media/content/AR6-WGI-SPM_deutsch_barrierefrei.pdf.
Parncutt, Richard. 2019. The Human Cost of Anthropogenic Global Warming: Semi-Quantitative Prediction and the 1,000-Tonne Rule. Frontiers in Psychology 10(2323). 1–17. (doi:10.3389/fpsyg.2019.02323)
Zur Zeit bin ich stellvertretender Institutsleiter. Bisher war die Arbeitsverteilung so, dass ich Dienstreiseanträge, die die Institutsleiterin oder ihre Arbeitsgruppe stellt, unterschrieben habe. Vor Kurzem hat mich die Institutsleiterin gebeten, alle Dienstreiseanträge zu unterschreiben, weil sie mit der Leitung genug zu tun hat und weil die Aufgabenverteilung auch früher schon so war. Nun sehe ich plötzlich alle Reiseanträge, auch die Flugreisen. Ich habe lange über die Situation nachgedacht, konkret über die Genehmigung von Flugreisen seit Juni. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ich keine Flugreisen mehr genehmigen werde.
Konkret bedeutet das nur, dass die Institutsleiterin die Flugreisen genehmigen muss. Es ist keine totale Blockade von Flugreisen. Einziges Problem sind die Reisen der Institutsleiterin selber bzw. ihrer Arbeitsgruppe. Diese Reisen kann dann wahrscheinlich jemand, der hierarchisch über uns beiden steht, genehmigen. Also jemand aus dem Dekanat.
Laut Verfassung der Humboldt-Universität kann die Institutsleitung mit einer 2/3-Mehrheit im Institutsrat über alle Statusgruppen hinweg abgewählt werden. Das könnte in einer der nächsten Sitzungen passieren.
Nachtrag 14.06.2022: 1) Der Dekan hat mit mir gesprochen und versteht das. Ich bin nicht zurückgetreten oder abgewählt worden. 2) Die Kommission zu Flugreisen, die wir schon im Juni eingerichtet haben, hat getagt und ich bin optimistisch, dass wir für das Institut eine Lösung finden, die über die uniweiten Regelungen zu Flugreisen hinausgeht.
Details
Wir sind bei einer Erderhitzung von 1,2° gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter. Alle Gebiete auf der Erde sind bereits jetzt von unglaublichen Katastrophen betroffen. 180 Tote im Ahrtal, Schäden in Milliardenhöhe. 1300 Tote in Pakistan, ein Drittel des Landes überflutet, 33 Millionen Menschen mussten ihre Wohnungen verlassen (Wikipedia: Überschwemmungskatastrophe in Pakistan 2022). In China stehen Menschen nach Starkregen bis zum Hals eingeschlossen in U-Bahnen. Auch in New York flutet der Starkregen die U-Bahnen. Sturmschäden in Florida, Flüsse trocknen aus, Kraftwerke können mangels Kühlwasser nicht mehr betrieben werden, Ernteausfälle. Hungersnöte. In diesem Sommer sind 10.000 Menschen allein in Deutschland den Hitzetod gestorben, wie man anhand von Übersterblichkeitsstatistiken, die mit Hitzetagen korrelieren, nachweisen kann (taz, 22.08.2022). In Europa waren es 24.000 (taz, 07.10.2022) (Zu einer Übersicht über Katastrophen siehe Katastrophen. Im Quellenverzeichnis der Seite findet man Links zu Fernsehberichten.) Das ist das, was wir jetzt haben. Bei 1,2°. Die Wissenschaft geht davon aus, dass das 1,5°-Ziel nicht zu halten ist. Derzeit steuern wir auf 2,7° zu (Klimaforscher Prof. Lucht in der taz, 17.02.2022). Ganze Bereiche der Erde werden unbewohnbar werden, woraus sich Migrationsbewegungen und Ressourcenkriege ergeben werden.
Die Themenklasse Nachhaltigkeit der Humboldt-Universität hat sich mit den Reisen des wissenschaftlichen Personals der HU beschäftigt. Sie haben Vorschläge gemacht, wie mit Flugreisen umgegangen werden sollte. Keine Inlandsflüge, ein Flug pro Jahr pro Person (Appiah-Nuamah et al. 2021). Die Veröffentlichung ist von 2021. Inzwischen ist es 2022 und wir sind einen IPCC-Sachstandsbericht weiter. Was in diesem Bericht steht, ist erschreckend. 2020 blieben nur noch 400 Gt CO2-Ausstoß, wenn man das 1,5°-Ziel mit einer Wahrscheinlichkeit von 67% erreichen will. Bei 83% waren es nur noch 300 Gt.
Tabelle mit den verbleibenden CO2-Mengen und den entsprechenden Temperatursteigerungen und Wahrscheinlichkeiten. Quelle: IPCC, 2021. 6. IPCC-Sachstandsbericht. S. 32
Seitdem haben wir aber weitere 70 Gt verbraucht, d.h. es bleiben 230 Gt, wenn wir das 1,5°-Ziel mit 83%iger Wahrscheinlichkeit erreichen wollen (siehe Zu unserem CO2-Restbudget bzw. Sachverständigenrat Umweltfragen, 2022).
Svenja Schulze hat 2019, als sie noch Umweltministerin war, einmal gesagt, als sie auf die Restmenge CO2 angesprochen wurde: „Unter diesen ganzen Tonnen und so kann sich doch keiner was vorstellen.“ (Kontraste, ARD, 30.09.2019). Um zu zeigen, was diese ganzen Tonnen bedeuten, kann man die Restmenge unter allen Menschen aufteilen. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen, ein Gremium aus Professor*innen, das die Bundesregierung berät, hat das gemacht und kommt auf 24t pro Person bei einer Wahrscheinlichkeit für 1,5° von nur 67%. (Es gibt mehrere Berechnungsmöglichkeiten. Das ist hier schon eine der günstigeren. Historisch gesehen, haben wir schon alles verbraucht. Zu den Details siehe Zu unserem CO2-Restbudget bzw. Sachverständigenrat Umweltfragen, 2022). Da wir als Deutsche einen durchschnittlichen Ausstoß von 11t pro Jahr haben, heißt das, dass in weniger als drei Jahren unser Restbudget aufgebraucht sein wird.
Vor diesem Hintergrund muss man nun das Fliegen betrachten. Unser CO2-Restbudget ist praktisch aufgebraucht und für Interkontinentalflüge ist kein Budget mehr vorhanden. Zur Kompensation habe ich in Dienstliche Flüge und CO2-Kompensation u.a. Folgendes geschrieben: Wir stehen kurz vor dem Erreichen von Kipppunkten, so dass es nicht angeht, das CO2 auszustoßen mit dem Versprechen, es in ein paar Jahren durch Projekte wieder einzusparen (atmosfair verspricht Projektumsetzung innerhalb von zwei Jahren). Wir müssen als Gesellschaften jetzt radikal umsteuern und dazu gehört eben auch, nicht mehr oder sehr viel weniger zu fliegen.
Parncutt (2019) hat in seinem Aufsatz in frontiers in Psychology die 1000-Tonnen-Regel aufgestellt, nach der 1000 Tonnen verbrannter Kohlenstoff einen Klimatoten bedeuten. Das heißt, dass wegen einem Flug von Berlin nach Sydney 0,61 Menschen sterben. Bei zwei solchen Reisen (oder mehreren kleineren Reisen) sind die 329 Passagiere also gemeinschaftlich für den Tod eines Menschen verantwortlich.
Vor drei Jahren haben Monika Schäfer, Gisbert Fanselow und ich eine Selbstverpflichtungskampagne für den Verzicht auf Kurzstreckenflüge gestartet und an der HU haben sich 21,4% der wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen verpflichtet, Strecken, die unter 12h mit der Bahn zu bewältigen sind, nicht mehr zu fliegen. Seit dem hat sich einiges getan. Die HU hat zwei Klimamanager*innen, es gibt eine Klimasteuerungsgruppe, es gibt die Empfehlungen der Nachhaltigkeitsklasse, aber es gibt leider immer noch keine Änderung der Reisebestimmungen der HU. Diese sind nach dem Bundesreisekostengesetz gestaltet, so dass sich an dieser Stelle wahrscheinlich erst etwas ändern wird, wenn das Bundesreisekostengesetz angepasst wird.
Moral und Weigerung
Nachdem ich meinen Kolleg*innen mitgeteilt habe, dass ich keine Flüge mehr genehmigen werde, bekam ich von einer eine Antwort, in der stand, dass das gar nicht ginge, denn rechtlich könne ich nur solche Reisen nicht genehmigen, die gegen dienstliche Interessen verstoßen würden.
Der Punkt hier ist kein rechtlicher, es ist ein moralischer. Ich kann es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, dass durch mein Handeln Menschen zu Tode kommen. Mein letzter privater Flug war 2008. Mein letzter Interkontinentalflug war 2016 nach Seoul, mein letzter innereuropäischer Flug 2017. In Seoul war ich eingeladener Sprecher auf einer Computerlinguistikkonferenz und habe zwei Vorlesungen gehalten. Es war eine schöne Reise und wichtig für den Lebenslauf. 2017 bin ich nach Oslo geflogen, um dort zwei Tage lang Anträge für Forschungesgelder zu besprechen und zu bewilligen. Eine verantwortungsvolle Tätigkeit und ebenfalls wichtig für den Lebenslauf. (Und die Lebensläufe vieler Sprachwissenschaftler*innen in Norwegen.) Im August 2019 habe ich nun beschlossen, überhaupt nicht mehr zu fliegen. Weder privat noch dienstlich (siehe Ich fliege nicht mehr). Die Abwägung der Vorteile (für mich) und Nachteile (für andere) hat ergeben, dass Flüge nicht zu rechtfertigen sind. Ein Vortrag über eine tolle Theorie vs. eine hungernde Familie, ein weggerissenes Haus, ein Mensch, der bis zum Hals im Wasser in einer gefluteten U-Bahn steht?
Durch die neue Konstellation im Institut bin ich jetzt in die Lage gekommen, dass ich, obwohl ich nicht selbst fliege, dafür verantwortlich bin, dass andere fliegen. Diese Verantwortung lehne ich ab. Ich bin nicht bereit, sie zu übernehmen. Wenn ich damit gegen Gesetze verstoße, dann ist das so. Ich kann nicht anders handeln.
Einige Beispiele dazu, die in ihrer Dimension und teilweise den Auswirkungen für die Betroffenen verschieden sind, aber verdeutlichen, wie Menschen in großen Apparaten handeln oder nicht handeln oder entgegen allgemeinen Erwartungen handeln.
Menschen, die nicht tun, was sie sollen / die tun, was sie nicht sollen
Todd Smith ist Pilot, d.h. er war Pilot. In Großbritannien. Dort muss man die Piloten-Ausbildung selbst bezahlen und er hat sein gesamtes Gehalt, das er in fünf Jahren verdient hat, und das Geld, das seine Großmutter durch den Verkauf ihres Hauses bekommen hat, in die Ausbildung zum kommerziellen Piloten gesteckt. Die Großmutter ist bei ihnen eingezogen. Wegen einer Magenentzündung konnte er nicht fliegen und sein Arzt hat ihn dazu überredet, auf Fleisch zu verzichten. Er hat sich dann mit Veganismus beschäftigt und von da war es nicht weit zu den Klimafakten. Das Ergebnis war, dass er seinen Beruf an den Nagel gehängt hat und Klimaaktivist geworden ist. Hier, in einem Bericht der Deutschen Welle, kann man die Details nachlesen.
He still loves flying and misses being up in the skies. But he won’t return until the industry takes its obligations seriously. In the meantime, he plans to continue honoring his own.
„As pilots, we’re trained to think, free from bias, to mitigate risks, to preserve life. I’m simply following my training and trying all that I can to get the industry to mitigate its risks. After all, safety is our No. 1 priority.“
In Frankreich gab es Polizisten, die Jüd*innen vor Razzien der Deutschen gewarnt haben, obwohl sie den Befehl der Regierung hatten, den Deutschen zuzuarbeiten und die Deportationen in Konzentrationslager zur Ermordung zu unterstützen. Sie haben unter Einsatz ihres eigenen Lebens viele Menschen vor den Gaskammern gerettet. Dennoch tat sich die Polizei lange schwer damit, Polizisten zu ehren, die eigenmächtig gehandelt und gegen Befehle verstoßen haben. Heute dienen sie als Beispiele für die Gewissensbildung der Polizei (taz, 18.07.2022).
Ich bin Pazifist. Ich war bei der Armee, weil im Osten Verweigerung Gefängnis und den Ausschluss vom Studium bedeutet hätte, aber ich hätte niemanden erschossen. Nur mich selbst. In meiner Anverwandtschaft gab es einen Mann, der im zweiten Weltkrieg in Norwegen war. Er sollte norwegische Partisan*innen erschießen und hat sich geweigert. Daraufhin wurde er selbst erschossen. Seine Familie hat in der Nachkriegszeit in Westdeutschland nie darüber gesprochen, weil sie es für eine Schande hielten, dass ihr Sohn, Bruder, Onkel den Befehl verweigert hat. Ich denke, die meisten Menschen sehen das heute anders.
Schlussfolgerung
Alle, die die Klimakatastrophe in ihrem gesamten Ausmaß verstehen (George Monbiot (2022) spricht von weniger als 1% der Weltbevölkerung), werden verstehen, dass ganz anders gehandelt werden muss. Aus diversen Gründen handelt die Menschheit aber nicht adäquat. Wie Parncutt bereits 2019 schrieb, sollte nur noch in Notfällen geflogen werden (S. 12). Ich habe mich deshalb entschlossen, keine Flüge zu genehmigen. Wenn das Institut einfach weiter machen möchte, wie bisher, muss es mich abwählen oder die Anträge anderweitig genehmigen lassen.
Quellen
Appiah-Nuamah, Maame & Berner, Richard & Gipp, Antonia & Hohmann, Theresa & Nöfer, Johannes & Pätzke, Franka & Prawitz, Hannah et al. 2021. Wissenschaftliches Reisen: THESys Humboldt-Stipendium Themenklasse Nachhaltigkeit und Globale Gerechtigkeit 2020/2021. Humboldt-Universität zu Berlin. (doi: 10.18452/23298)
IPCC, 2021. Zusammenfassung für die politische Entscheidungsfindung. In Beitrag von Arbeitsgruppe I zum Sechsten Sachstandsbericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen [Masson-Delmotte, V., P. Zhai, A. Pirani, S.L. Connors, C. Péan, S. Berger, N. Caud, Y. Chen, L. Goldfarb, M.I. Gomis, M. Huang, K. Leitzell, E. Lonnoy, J.B.R. Matthews, T.K. Maycock, T. Waterfield, O. Yelekçi, R. Yu, and B. Zhou (eds.)] (ed.), Naturwissenschaftliche Grundlagen. https://www.de-ipcc.de/media/content/AR6-WGI-SPM_deutsch_barrierefrei.pdf.