Diesen Brief habe ich an die Mitarbeiter*innen meines Instituts geschrieben, nachdem mich zwei Personen um die Genehmigung ihrer Flugreise nach Sizilien gebeten hatten.
Liebe alle,
Ich wurde von zwei Personen um die Genehmigung ihrer Dienstreise nach Sizilien gebeten. Die Reisen sind mit Flug geplant. Wie Ihr wisst, genehmige ich seit 2022 keine Reisen mit Flügen mehr (Flüge, CO2, Verantwortung und Mitschuld). Das bedeutet nicht, dass die Reisen nicht stattfinden können, denn andere Personen mit den entsprechenden Befugnissen können die Reise genehmigen. 2022 war ich stellvertretender Institutsdirektor. Ich habe damals meinen Entschluss mitgeteilt. Inzwischen habt Ihr mich zum Institutsdirektor gewählt. Ich möchte den Anlass nutzen, erneut ein paar Dinge zur Klimakatastrophe zu sagen und zu versuchen, mein Handeln zu erklären.
Die Klimakatastrophe ist da, es gibt kein CO2-Restbudget
In den Monaten von März bis Juni gab es wieder einen Hungerstreik. Mehrere Klimaaktivist*innen haben gestreikt, darunter die Mutter zweier Kinder. Wissenschaftler*innen von Scientist Rebellion haben solidarisch gefastet. Wolfgang Metzeler-Kick, Ingenieur für Technischen Umweltschutz, war insgesamt fast 100 Tage im Hungerstreik.
Wolfgang Metzler-Kick war bereit, Hungers zu sterben, damit vier Fakten in das Bewusstsein der Bevölkerungen dringen:
Der Fortbestand der menschlichen Zivilisation ist durch die Klimakatastrophe extrem gefährdet.
Der CO₂-Gehalt in der Luft ist viel zu hoch (0,42 ‰). Der Weltklimarat zeigt einen Weg (SSP1-1.9 “1,5°-Pfad”), mit dem die Menschheit die beste Überlebenschance hat.
Dieser Pfad hat einen Zielwert von 0,35 ‰ (bis zum Jahr 2150). Das bedeutet, es sind bereits jetzt hunderte Gigatonnen zu viel CO₂ in der Luft.
Wir müssen jetzt, wenn auch mit Jahren Verspätung, radikal umsteuern.
Die Hungerstreikenden waren in Kontakt mit den Scientists 4 Future und diese haben die vier Punkte der Hungerstreikenden überprüft und eine Aussage korrigiert. In ihrer Presseerklärung vom 06.05.2024 haben sie die vier Punkte, die oben aufgeführt sind, formuliert.
Die Scientists schreiben dazu:
Diese Feststellungen sind wissenschaftlich solide und vernünftig. Die Erderhitzung ist unzweifelhaft eine existenzielle Gefahr für die menschliche Gesellschaft, im Sinne nicht nur der angesprochenen „Überlebenschancen“, sondern eines menschenwürdigen Lebens und einer Lebensweise, die mit dem Erdsystem verträglich ist. Ebenso unzweifelhaft ist die Erderhitzung überwiegend die Folge des ungebremsten Verbrennens von Kohle, Gas und Öl, worauf die Energieversorgung der meisten Volkswirtschaften immer noch gründet. Letztlich tun die Regierungen der Welt zweifellos viel zu wenig, um die technisch mögliche und finanziell machbare Defossilisierung voranzutreiben.
Zur Einordnung: Scientists 4 Future ist eine Vereinigung von Wissenschaftler*innen, die zum Thema Klimawandel arbeiten und sich für eine entsprechende Politik engagieren. Es ist die Fakt-Checking-Organisation hinter Fridays for Future. Das Fachkollegium, das für die Presseerklärungen verantwortlich ist, besteht aus hoch angesehenen Professor*innen aus dem Klimabereich. Ein Gründungsmitglied ist zum Beispiel der Klimageograph und Vizepräsident für Forschung der Humboldt-Universität Prof. Dr. Christoph Schneider.
Noch mal im Detail: Was bedeuten diese vier Punkte? Der erste Punkt ist klar: Die menschliche Zivilisation ist in Gefahr. Zu dieser Zivilisation gehören Kunst und Kultur, gehören Sprachen. Sprachen, die Ihr liebt und erforscht. In Gesellschaften, die sich im Existenzkampf befinden, wird es dafür keine Ressourcen mehr geben. Der zweite Punkt ist: Wir sind bei 424 parts per million (ppm) CO2-Gehalt in der Luft. Wir müssen zu 350 ppm zurück. Ist es da schlau weiteres CO2 auszustoßen? Zumal nicht geklärt ist, wie das Rückholen von CO2 und die Speicherung von CO2 ohne mögliche Leckagen im Gigatonnen-Berich funktionieren kann.
Selbst wenn man – wie die IPCC-Szenarien – davon ausgeht, dass wir noch in einem gewissen Rahmen CO2 emittieren können, das wir dann eben zurückholen müssen, ist das Kontingent, das wir als Deutsche nach dem Pariser Abkommen für die Erreichung des 1,5°-Ziels noch hatten, seit diesem März aufgebraucht. Das zeigt der Sachverständigenrat für Umweltfragen in einer Veröffentlichung (SRU, 2024). Der Sachverständigenrat für Umweltfragen ist ein Gremium, das die Bundesregierung berät. Zu den sieben Personen in diesem Rat gehört seit 2016 Prof. Dr. Wolfgang Lucht (Physiker und Geographieprofessor der Bereiche Klimaforschung, Erdsystemanalyse und Nachhaltigkeitswissenschaft ebenfalls von der Humboldt-Uni und vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung).
Wenn aber selbst dieses Budget aufgebraucht ist und wir aber irgendwie leben müssen (essen, heizen, Kleidung, Bahn fahren, das Fahrrad reparieren), dann sollten wir wohl als Gesellschaft darüber nachdenken, was wirklich wichtig ist und was nicht.
Der letzte Brief, den ich Euch geschrieben habe, ist von 2022. Jetzt ist es inzwischen 2024. 2024 war der heißeste Sommer, der jemals gemessen wurde (afp, 06.09.2024). Der zweitheißeste war 2023. Die Scientists 4 Future kommen mit der Aktualisierung ihrer Demomaterialien gar nicht hinterher.
Dieser weitere Anstieg der Temperatur in den letzten beiden Jahren seit 2022 war verbunden mit vielerlei Katastrophen: Dürre, Hitze, Hunger, Fluten. Die Klimaveränderungen führen zum Einwandern von Arten in unsere Lebensbereiche. Zum Beispiel die Tiegermücke wird hier heimisch. Sie überträgt gefährliche Krankheiten wie das Dengue-Fieber.
Fliegen tötet
Bei einer Diskussion von Flugreisen im Jahr 2022 hatte ich auch Parncutt (2019) erwähnt, der berechnet hat, wie viele zukünftige Tote die Verbrennung von Kohlenstoff bewirkt. Seinen Abschätzungen nach führen 1000 Tonnen verbrannter Kohlenstoff zu einem vorzeitigen klimabedingten Toten (die 1000-Tonnen-Regel). 1000 Tonnen verbrannter Kohlenstoff erzeugen 3700 Tonnen CO2. Man kann also leicht ausrechnen, wie viele Menschen bei einem gewissen Flugaufkommen sterben werden. In diesem Jahr versuche ich, die taz davon abzubringen, touristische Flugreisen zu organisieren und zu bewerben (Gespräch in der taz). Bei den Gesprächen wurden die Zahlen von Parncutt in Frage gestellt. Im Zuge der Diskussion habe ich eine aktuelle Veröffentlichung von Pearce & Parncutt (2023) zum Thema gefunden, die die Argumentation ausbaut, und ich habe die Abschätzung eines Journalisten besprochen, der fand, dass Parncutts Zahlen und meine Berechnungen um Größenordnungen falsch liegen. Interessanterweise kam bei dieser Diskussion heraus, dass die Abschätzungen, auf die sich der Journalist bezog, in derselben Größenordnung liegen. Siehe Abschätzung der Tode, die wir durch unsere Treibhausgas-Emissionen verursachen. Das halte ich für eine gute Bestätigung dieser Abschätzungen. Als Ergebnis bleibt die Schlussfolgerung von Parncutt (2019):
Therefore, flying should be made more expensive (e.g. by carbon taxes) and reserved for emergencies and life-saving projects.
Sizilien liegt in Europa. Es ist mit dem Zug + Fähre erreichbar (Brouter: Berlin, München, Bologna Centrale, Siracusa, Noto, 32 Stunden mit Nachtzug von Bologna nach Siracusa). Sprachwissenschaftler*innen können in Zügen arbeiten. Es gäbe also keinen Grund zu fliegen. Wenn man es dennoch tut, kann man die Insel von oben sehen. Man kann die Katastrophe sehen, die man selbst gerade mit seinem Flug verstärkt:
In Sizilien gibt es die schlimmste Dürre seit 20 Jahren. Die Bauern schlachten ihre Tiere, weil sie nicht genug Wasser haben. Das Wasser wird für die Bevölkerung rationiert. Der Tourismus ist nicht betroffen. Die Konferenz wird in einem klimatisierten Hotel stattfinden. Es wird wunderbar. Man kann mit anderen Wissenschaftler*innen interessante Probleme besprechen. Das Essen wird sicher gut sein. Ein Salat mit Ziegenkäse vielleicht? Wenn die Konferenzteilnehmer*innen nicht rausgehen, werden sie auch nicht mit der unterversorgten Bevölkerung ringsum in Kontakt kommen. Sie werden nicht erfahren, dass die Bauern ihre Ziegen schlachten müssen und vielleicht in einigen Jahren der Ziegenkäse aus Deutschland importiert werden wird.
Wenn Ihr mit dem Flugzeug einschwebt, werdet ihr das vertrocknete Land sehen können und die leeren Wasserbecken. Achtet darauf! Ich möchte, dass Ihr Euch das für immer merkt! Dass Ihr es nie vergessen könnt.
Bin nur ich es, der das alles pervers findet?
Genehmigung von Flugreisen
Ich kann die aktuelle Situation nicht verdrängen. Ich beneide Euch darum, dass Ihr es könnt. Ich kann verdrängen, dass Ihr fliegt. Bitte erinnert mich nicht daran. Bitte treibt mich nicht in die Verzweiflung. Behaltet die Tatsache für Euch, bittet mich nicht um Genehmigungen. Macht das mit Eurem Gewissen aus. Ist es wichtig zu fliegen? Wofür? Muss ich diese Aktivität unternehmen, das schlimmste Umweltverbrechen, das man legal als Einzelperson begehen kann (Niko Paech 2019)? Und wenn Ihr die Frage mit Ja beantwortet, dann schämt Euch und sagt mir nichts davon und bittet mich nicht um Beihilfe. Ich werde nicht unterschrieben. Wenn Ihr mir dennoch schreibt, werdet Ihr eine Reaktion wie diesen Brief bekommen. Ihr werdet Daten und Fakten über Euer Reiseziel bekommen und ich werde Euch aufzeigen, wie Ihr gerade dieses Ziel mit Euren Aktivitäten zerstört. Sei es Vanuatu, seien es die Gebiete in Südamerika. Fragt mich nicht. Bitte!
Ich hoffe, dass der Tag kommen wird, an dem Ihr versteht, warum ich so handele, wie ich handele. Ich hoffe, dass er bald kommt.
Parncutt, Richard. 2019. The Human Cost of Anthropogenic Global Warming: Semi-Quantitative Prediction and the 1,000-Tonne Rule. frontiers in Psychology 10(2323). 1–17. (doi:10.3389/fpsyg.2019.02323)
Pearce, Joshua M. & Parncutt, Richard. 2023. Quantifying Global Greenhouse Gas Emissions in Human Deaths to Guide Energy Policy. Energies 16(6074). 1–20. (doi:10.3390/en16166074)
Ich habe an verschiedenen Stellen Parncutt (2019) zitiert, der die 1000-Tonnen-Regel aufgestellt hat, wonach 1000-Tonnen verbrannter Kohlenstoff einem zukünftigen Klimatoten entsprechen. In der Diskussion um die taz-Flugreisen habe ich mit vielen Menschen gesprochen oder gemailt. Es gab zwei Einwände gegen Parncutt (2019). Der erste ist ad hominem und im Prinzip als Argument unzulässig: „Richard Parncutt ist Musikologe und was hat das denn mit Klimafolgenforschung zu tun?“. Davon abgesehen, dass ad-hominem-Argumente unzulässig sind, hat Parncutt aber nicht nur Musikologie studiert, sondern Psychologie, Physik und Musik. Damit kennt er sich mit Fragen der menschlichen Wahrnehmung bestens aus und kann Modellierungen, Wahrscheinlichkeiten und mathematische Zusammenhänge verstehen. Er ist also jemand, der hervorragend für das Thema geeignet ist. In einer weiteren Publikation zu Treibhausgasemissionen und deren Folgen arbeitet er mit Joshua M. Pearce zusammen. Pearce ist Informatiker und einer der meistzitierten kanadischen Wissenschaftler (> 31.000 Zitationen, h-index: 86, google scholar-Profil).
Parncutt hat in seinem Aufsatz Berechnungen angestellt, wie viele Menschen sterben müssen, wenn eine bestimmte Menge CO2 ausgestoßen wird. Da niemand in die Zukunft schauen kann, handelt es sich bei seiner Berechnung um eine Abschätzung. Er hat als Grundlage ein 2°-Szenario angenommen. Unser Ziel als Menschheit ist, deutlich unter 2° zu bleiben (Pariser Abkommen) und sogar 1,5° anzustreben. Derzeit läuft es wohl auf 2,7° hinaus (climateactiontracker.org). Alle Berechnungen der Klimaforscher*innen sind mit Wahrscheinlichkeiten behaftet, weil sich Klimaentwicklungen nur mit Wahrscheinlichkeiten vorhersagen lassen. Wichtig ist, dass der Worst-Case überhaupt noch nicht bekannt ist und erforscht werden müsste, damit wir wissen, was im schlimmsten Fall passieren kann (Kemp, Xu, Depledge & Lenton 2022). In der Diskussion, ob die taz Flugreisen anbieten soll oder nicht, hat mich eine Mail erreicht, in der jemand Parncutts Berechnungen grundsätzlich in Zweifel gestellt hat. Er bzw. sie hat andere Abschätzungen zitiert und behauptet, dass diese in Größenordnungen auseinander liegen. Das wäre für meine Argumentation natürlich unschön gewesen, weshalb ich mir den Einwand genauer angeschaut habe.
Eine andere Abschätzung und ein Fehler?
Das war die Berechnung, die zeigen soll, dass Parncutt und ich in meinem Post Sind Fluggäste Mörder? falsch liegen:
16.482 Kilometer Luftlinie sind es von Frankfurt nach Sydney
Das sind 32.964 Kilometer hin und zurück
Wenn im Flugzeug 300 Menschen sitzen, entstehen insgesamt hin und zurück 300 x 32.964 KM = 9.889.200 Personen-Flugkilometer (PFKM)
Teilt man das globale Flugaufkommen (siehe 1.) von 3,8 Billionen PFKM durch die auf diesem einen Flug geflogenen PFKM dann kommt man auf einen Wert von 3,8 Billionen/9,8892 Mio = 384.257. Das ist das Äquivalent von Sydney-Flügen in den 2021 global geflogenen Jahres-Personenkilometern. Es ist also insgesamt weltweit pro Jahr so viel geflogen worden, wie 384.257 mal ein volles Flugzeug FRA-Sydney und zurück.
Sie sagen, der Sydney-Flug verursache insgesamt 0,61 vorzeitige Todesfälle. Setzt man das ins Verhältnis zum gesamten Flugaufkommen, würde das 0,61 x 384.257 = 234.397 vorzeitige Todesfälle insgesamt durch das globale Flugaufkommen 2021 bedeuten.
Der Flugverkehr trägt mit etwa 5 Prozent zur globalen Erderhitzung bei, das hatten Sie ja auch so gesagt. Damit trägt er dann wohl auch mit etwa 5 Prozent zur Zahl der Klimawandel-bedingten vorzeitigen Todesfälle bei. Das bedeutet, es müsste 20 mal so viele vorzeitige Todesfälle durch den Klimawandel insgesamt geben als jene, die auf den Flugverkehr entfallen, also 234.397 x 20 = 4.687.942, pro Jahr.
Wenn man bspw. den Zeitraum 2000 bis 2050 betrachtet, wären das also 4.687.942 x 50 = 234,3 Millionen vorzeitige Todesfälle in 50 Jahren.
Das sieht erst mal plausibel aus und wenn das so richtig wäre, dann wäre die Abschätzung von Parncutt und meine Berechnung für den Sydney-Flug um den Faktor 16,16 falsch.
Bevor wir uns die Details angucken noch eine grundsätzliche Frage an den Kritiker und die Leser*innen: Würde es für Sie einen Unterschied machen, wenn Sie mit einer Handlung einen Menschen töten würden oder wäre es weniger schlimm, wenn der Mensch erst stirbt, wenn Sie diese Handlung 16 Mal wiederholt hätten bzw. wenn die Handlung von 16 Personen parallel ausgeführt würde? Also: Egal, wie meine Erörterung im Folgenden ausfällt, wir können bereits jetzt festhalten: Fliegen tötet! Wenn Sie fliegen, töten Sie. Ja, Sie!
Berlin vs. Frankfurt und Umstiege
Ich nenne den Kritiker bzw. die Kritikerin im Folgenden K. In meiner Abschätzung hatte ich nicht den Flug von Frankfurt/Main nach Sydney berechnet, sondern den von Berlin nach Sydney. Es gibt keine Direktflüge vom BER sondern nur Verbindungen mit Zwischenstopp. Für meine Berechnung hatte ich einen Zwischenstopp in Singapur angesetzt. Es gibt noch Flüge über London oder Paris, aber die wären vom CO2-Ausstoß noch schlimmer. Ich hatte mir bei meiner Berechnung die Flugzeugtypen genau angeschaut und bin von maximaler Auslastung ausgegangen, als dem bestmöglichen Fall für das Klima. Damit wären es 329 Plätze und nicht 300. Die Entfernung von Berlin nach Singapur und von Singapur nach Sydney sind laut luftlinie.org 16.222,34 km. 16.222,34 * 2 * 329 = 10.674.299,72 Personen-Flugkilometer (PFKM). 3,8 Billionen PFKM / 10.674.299,72 ergibt 355.995 Flüge Berlin Sydney und zurück, statt wie in 5. 384.257. Multipliziert mit 0,61 ergibt 217.157 vorzeitige Todesfälle durch das gesamte Flugaufkommen in 2021. Mal 20 ergibt die CO2-Toten insgesamt: 4.343.142. Mal 50 die CO2-Toten in 50 Jahren laut K., also 217.157.102. K. hatte 234,3 Mio vorzeitige Sterbefälle ausgerechnet. Durch meine Korrektur der Flugdistanzen und der Personen im Flugzeug habe ich die Zahl der Toten schon mal um 17,1 Mio reduziert. Das waren Fehler, die durch Änderungen der Reise und der Auslastung der Flugzeuge entstanden sind. Man darf diese Größen aber nicht ändern, denn das Ziel von K. war ja, zu zeigen, dass die Größe 0,61 falsch war und diese Bezog sich auf den Berlin–Singapur–Sydney-Flug. Es gibt aber noch weitere, gravierendere Fehler.
2021 mal 50?
Begin der Abschätzung
K geht zurück nach 2000 und berechnet dann die Zahl der Toten, indem er die Zahl der Toten, die man aufgrund des CO2-Ausstoßes von 2021 erwarten würde, mit 50 multipliziert. Die Studie vom Weltwirtschaftsforum, die K. zitiert, ist von 2024 (Bishen & Glick 2024). Der Aufsatz von Parncutt, den ich zitiere, ist von 2019. K schreibt: „Wenn man bspw. den Zeitraum 2000 bis 2050 betrachtet, wären das also 4.687.942 x 50 = 234,3 Millionen vorzeitige Todesfälle in 50 Jahren.“ Das Zurückgehen in der Zeit funktioniert nicht, weil die Effekte des CO2s kumulativ sind. Das CO2 bleibt in der Atmosphäre und dadurch, dass es dort mehr wird, verstärken sich die Effekte. Die Temperaturen steigen, Dürren nehmen zu, Fluten nehmen zu, Hitzetote nehmen zu. 2000 war unsere Welt in Bezug auf die Klimaschäden noch viel weniger schlimm als heute. Parncutt macht Vorhersagen über zukünftige Tote, d. h. über Menschen, die sterben werden, weil sie immer größer werdenden Katastrophen zum Opfer fallen werden. Es sterben schon jetzt in manchen Jahren in Europa Zehntausende an Hitze, aber das wird noch zunehmen. Die Opferzahlen in den vergangenen 25 Jahren sind winzig im Vergleich zu dem, was noch kommen wird. Ich habe hier schon eine Seite mit Katastrophenberichten gesammelt. Das ist das, was wir jetzt haben. Bei ca. 1,2° + El Niño.
Abschätzung für 25 Jahre oder für 100–200 Jahre?
Die von K zitierte Studie geht von 14,5 Mio Toten bis 2050 aus (25 Jahre). Parncutt (2019) geht von Toten bis 2120–2220 („spread over one to two centuries“) aus. Ob man jetzt die 14,5 Mio Toten vervierfachen bzw. verachtfachen sollte, vermag ich nicht zu sagen. Dazu müsste man mehr über die Studien wissen und ins Detail gehen. Die Klimawissenschaftler*innen gehen davon aus, dass die Schäden, die wir jetzt anrichten, ihre Folgen noch sehr viel später entfalten werden. Auftauende Permafrostböden können kommen, dadurch, dass der Eispanzer auf Grönland schmilzt, kommt das Eis in tiefere Regionen, wodurch es schneller schmilzt usw. Das wird alles auch noch weitergehen, nachdem wir aufgehört haben zu emittieren.
Das CO2 ist in der Luft und verschwindet dort nicht so schnell. Die Rückholmaßnahmen sind teuer und noch nicht ausreichend entwickelt. Wer weiß, vielleicht kriegen wir es in den Griff, vielleicht nicht. Es ist alles andere als klar, wie das weiter läuft.
Ein wichtiger Punkt beim Zurückholen ist, dass wir dazu erneuerbare Energie benötigen, denn CO2-Entfernung ist energieintensiv und wenn wir nicht erneuerbare Energie verwenden würden, würden wir bei der Entfernung von CO2 gleich neues produzieren.
Real emittiertes CO2 bzw. hoffentlich sinkender Ausstoß
Wir sind dabei, den CO2-Ausstoß zu reduzieren. Bis 2050 will die Welt klimaneutral sein. Das heißt, wir werden in den kommenden Jahren immer weniger CO2 ausstoßen. Das bedeutet, dass die Anzahl der verursachten Toten mit dem sinkenden Ausstoß an CO2 abnimmt. Man kann also nicht einfach die Zahlen von heute bzw. 2021 mal 50 nehmen. Hier sind ein paar Szenarien aus dem IPCC-Bericht:
Die Grafik beginnt erst 2010. In den Jahren bis 2023 ist der CO2-Ausstoß aber bis auf die Corona-Delle immer angestiegen:
2021 ist der Höchstwert in der IPCC-Abbildung, also wären nach dem IPCC-Szenario alle Jahre vor und nach 2021 niedriger als der Wert von 2021, den K mit 50 multiplizieren wollte. Leider ist der CO2-Ausstoß nach 2021 noch nicht gesunken, sondern gestiegen. Um Ks Fehler zu reparieren, muss man die Flächen unter der Kurve ansehen bzw. einfach die bereits bekannten ausgestoßenen CO2-Mengen für die Berechnung verwenden. Nach den Angaben von statistica und IEA (2024) ist die Gesamtmenge des von 2000 bis 2023 ausgestoßenen CO2s 789,430 Giga-Tonnen. Pro Jahr wären das im Schnitt 32,893 Giga-Tonnen. K hat aber den CO2-Ausstoß von 2021 mit 50 multipliziert. 2021 war der Ausstoß 36,817 Giga-Tonnen. Für den Zeitraum 2000–2023 ergäben sich 24 * 36,817 = 883,608, also 94,178 Giga-Tonnen zu viel.
Wie die CO2-Emissionen in der Zukunft aussehen werden, wissen wir leider nicht genau. Parncutt geht von einem 2° Szenario aus, d. h. die CO2-Emmisionionen müssen sinken und es wird in Zukunft weniger emittiert als jetzt. Zur Korrektur von Ks Zahlen könnte man alles durch zwei teilen (die Fläche unterhalb der Kurve).
Wenn wir also den korrigierten Wert für die Toten oben nehmen und dann annehmen, dass der Wert unter der Kurve insgesamt die Hälfte an CO2 ist und also durch zwei teilen bekommen wir 217.157.102 / 2 = 108.578.551.
Nimmt man die 14,5 Millionen aus der Studie, die K angeführt hat, mal 8 (für 200 statt 25 Jahre), kommt man auf 116 Millionen. Das ist doch wunderbar nah beieinander, oder. =:-)
Ich würde es aber insgesamt eher so ausrechnen wie Parncutt. Der hat eine Abschätzung des bisher verbrannten Kohlenstoffs/Tote einer Abschätzung der Verbrennung allen verfügbaren Kohlenstoffs gegenübergestellt.
Dennoch: Wir sind bei unserem Rumgerechne bei denselben Zahlen rausgekommen und ich bin noch nicht fertig.
Eine wichtige Anmerkung zu einem wahrscheinlichen Denkfehler von K. In 8 hatte er die Toten in 50 Jahren ausgerechnet. Es geht nicht um Menschen, die innerhalb dieser Jahre sterben, obwohl auch jetzt schon Hunderttausende vorzeitige, kimawandelbedingte Tote zu beklagen sind (taz, Spiegel zu Hitzetoten), es geht um das in dieser Zeit ausgestoßene CO2, den verbrannten Kohlenstoff und die Toten, die das in der Zukunft wahrscheinlich jetzt schon bewirkt hat. Die oben erwähnten 789,430 Giga-Tonnen CO2 aus dem Zeitraum 2000–2023 entsprechen 213,359 Giga-Tonnen Kohlenstoff = 213.359.000.000 Tonnen. Wenn 1000 Tonnen verbrannter Kohlenstoff einem zukünftigen Toten entsprechen, dann haben wir in der Zeit von 2000 bis 2023 den vorzeitigen klimawandelbedingten Tod von 213.359.000 Menschen bewirkt. Dieser zukünftige vorzeitige Tod kann in der Zeit von 2000 bis 2023 gelegen haben, es kann aber auch einer der Tode sein, die noch kommen werden. Wie oben dargelegt, rechnet Parncutt mit den Toten innerhalb von 100–200 Jahren.
Unberücksichtigte Todesursachen bei Bishen & Glick (2024)
Die Studie von Bishen & Glick (2024) berücksichtigt laut ZDF-Meldung folgende Faktoren: „Die Studienautoren betrachten sechs zentrale Klimawandel-Folgen: Überschwemmungen, Dürren, Hitzewellen, tropische Stürme, Waldbrände und einen steigenden Meeresspiegel.“
Kriege
Dabei sind keine Kriege berücksichtigt. Es wird ziemlich sicher Kriege geben. Kriege um Wasser, Kriege um Anbaugebiete, kriegsähnliche Situationen bei Migrationsversuchen, bei denen viele Menschen sterben. Eine solche Situation gab es schon in Spanien (tagesschau 29.06.2022).
Indien, Pakistan und China hängen von denselben Wasserressourcen ab (Tibet). Alle drei sind Atommächte. Das sind die am dichtesten besiedelten Regionen der Welt. Magnason (2020) hat anschaulich darüber geschrieben.
Hans-Josef Fell zitiert immer die Studie von Spratt & Dunlop (2019) aus Australien:
Die hat ein Vorwort eines Admirals. Das Militär beschäftigt sich schon sehr lange mit den drohenden Klimakriegen.
Krankheiten
Ebenfalls nicht berücksichtigt wurden in der von K zitierten Studie die Toten durch Krankheiten. Durch die Klimaverschiebung werden z.B. hier in Deutschland Tiere heimisch, die Krankheiten verbreiten. Zecken kommen weiter in den Norden und auch die Asiatische Tiegermücke wird hier heimisch.
Die Asiatische Tigermücke ist in der Partymeile der deutschen Hauptstadt angekommen. Die eingeschleppte Art hat eine schwarz-weiße Zeichnung und ist für den Menschen nicht nur nervig. Sie kann auch Erreger wie Dengue-, Zika- oder Chikungunya-Viren übertragen. Durch die Klimaverschiebungen aufgrund der Erderhitzung fühlt sie sich zunehmend auch in Europa heimisch.
Parncutt berücksichtigt die Krankheiten sehr wohl:
Many different climate impacts could directly or indirectly lead to premature death or exacerbate existing rates of premature death from hunger or avoidable disease. Vector- and rodent-borne diseases including arboviral (dengue, chikungunya, West Nile, and malaria) may change their geographic distribution with climate change (temperature, extreme weather events, and seasonality) and environmental factors (land-use, ecosystems, deforestation, hydrology, and biodiversity); rodent population density and distribution are also affected by weather conditions (Apfel, 2007, p. 4). “(H)uman illnesses due to antimicrobial-resistant infections may become a major cause of death from infectious diseases worldwide by 2050” (UN Environment, 2019, p. 12). At the same time, food demands may increase by 50% (Searchinger et al., 2018).
Zwei Grad, drei Grad oder mehr?
Parncutt geht bei seinen Abschätzungen von 2° Erwärmung aus.
My focus will instead be on a single scenario in which GMST rises to 2°C above pre-industrial temperatures.
Pearce & Parncutt (2023) schreiben dazu:
For example, the increase in mortality caused by a global mean temperature increases from 1.5° to 1.6°C relative to pre-industrial temperatures will probably be less than the increase in mortality caused by raising global temperature from 2.5° to 2.6° C. The 1000-tonne rule applies to global warming of less than 2° C, and more work is needed to model possible non-linearities at higher temperatures.
Das bedeutet, dass die Katastrophen, die am Ende auf uns warten, wahrscheinlich noch einmal viel härter werden, als das, was Parncutt in seine Berechnungen einbezogen hat. Das bedeutet auch, dass Kipppunkte erreicht werden können, die dann zu wesentlich schlimmeren Zuständen führen. Etwas zugespitzt kann es sein, dass zehn Flüge einer taz-Reise (und die 200, die im Zusammenhang mit dieser Reise auf das Konto der taz-Werbung gehen, weil Flüge als etwas Normales beworben werden) dazu geführt haben werden, dass wir über die Klippe gehen.
Technology will fix it
Den Hunger haben wir im Griff. Menschen werden länger leben. Oder doch nicht?
K zieht die Argumentation grundsätzlich in Zweifel, weil unsere Lebenserwartung ja steigt:
b) Mein eigentlicher Punkt aber ist, dass es zu kurz greift, die Emissionen auf einzelne Konsum-Einheiten herunterzubrechen, wenn man in die Zukunft schauen will. Es ist ja gleichzeitig so, dass 1. viele Prozesse, die die Lebenserwartung und Gesundheit – also Summe gesunder Lebensjahre – stetig höher schrauben, weitergehen und sich beschleunigen und
Diese werden durch den Klimawandel wieder aufgehoben und entwickeln sich gerade in die andere Richtung. Ein Beispiel ist der Hunger. Es wurde behauptet, dass die Menschheit den Hunger in den nächsten Jahren in den Griff bekommen würde. Ich habe da mal nachgeschaut:
Diese Entwicklungen legen offen, dass die heutigen Ernährungssysteme nicht nachhaltig, ungerecht, nicht inklusiv und anfällig für Umweltschäden und die gefährlichen Folgen des Klimawandels sind. Auf der elementarsten Ebene sind diese Ernährungssysteme nicht in der Lage, alle Menschen mit ausreichend nahrhaften Lebensmitteln zu versorgen.
Der Kampf gegen den Hunger war in den letzten Jahren nicht mehr erfolgreich. Polykrisen machen alles kaputt. Die Katastrophe hat bereits begonnen.
Davon abgesehen, ist die Argumentation schräg: Weil wir unsere Lebenserwartungen erhöhen, können wir fliegen, denn das gleicht sich dann aus? Vielleicht würde ich gern länger leben und bin nicht bereit, meine potentielle Lebenszeit für den Urlaub weniger zu opfern? Wer entscheidet, dass ich früher sterben soll? Wer entscheidet, dass Menschen im Globalen Süden, die nie ein Flugzeug betreten haben, sterben sollen? K?
Anpassung! Wie wir uns nur zu gern einlullen lassen
K schreibt:
2. viele Prozesse weitergehen, die die Wahrscheinlichkeit, durch die Folgen der Erderhitzung vorzeitig zu sterben, verringern, u.a. durch Anpassung, wegen der bei steigender Bevölkerungszahl und schwerer werdenden Extremwetterereignissen relativ weniger Menschen zu Tode kommen als früher
Überschwemmungen
Ja, aber das ist ein Wettlauf in verschiedene Richtungen. Das Klimachaos wird immer schlimmer werden und die Frage ist, wie viel unsere Anpassungen nützen werden. Das Ahrtal ist hinüber, andere Regionen werden folgen. Große Teile der Welt sind dicht besiedelt. Wie will man die schützen? Wie will man die U-Bahn in Berlin und den chinesischen Großstädten schützen? Dort standen Menschen bis zu den Schultern im Wasser, weil alles geflutet wurde (Starkregen in China: Mindestens 12 Menschen sterben. 2021. tagesschau).
Ja, ich weiß: Schwammstadt. Wurde in Berlin gerade am Hegelplatz angefangen. Aber ansonsten dauert es mehrere Jahre eine Brücke zu sanieren und wir werden weltweit mit der Beseitigung von Schäden beschäftigt sein. Im Ahrtal sind die Schäden immer noch nicht behoben und schon gibt es die nächsten Fluten. Haben Sie mal versucht einen Handwerker zu bekommen? Bei zunehmenden Katastrophen wird das immer schwieriger werden. Und die Alterspyramide ist auch gegen uns.
Pakistan, 2022: 1700 Tote. 33 Mio Menschen betroffen. Ein Drittel des Landes unter Wasser. 30 Mrd US$ Schaden. Da is nix mit Schwammstadt. Arme Länder können sich nicht so schützen wie wir und mal ganz ehrlich: Wir können es auch nicht. Siehe oben.
Hitze: Tote Menschen
Und vor der Hitze kann sich die Menschheit nur bedingt schützen. Die Menschen in Togo zum Beispiel, die am Meer gewohnt haben. Im Beitrag Klimawandel in Togo kann man sehen, dass sie gar keine Betonhäuser mehr gebaut haben, weil sie vor dem Wasser zurückweichen. Ohne feste Häuser ist auch nichts mit Klimaanlage.
2003 kam der erste Hitzesommer in Europa mit 45.000–70.000 Toten (Wikipedia, Rahmstorf, 2022).
Gegen die Hitze kann man sich bedingt schützen, aber wir können nicht unser komplettes Leben klimatisieren. 2022 waren es 62.000–107.000 Hitzetote (Barcelona Institute for Global Health nach Reimer 2024, Rahmstorf, 2022). 2023 dann 47.690 (Reimer 2024). Es gibt Menschen, die im Freien arbeiten müssen (Polizei, Feuerwehr bei zunehmenden Waldbränden, Bäuer*innen, Forsterbeiter*innen). PD Dr. Susanne Koch von der Charité und Scientist Rebellion weist in Vorträgen immer wieder darauf hin:
Brüllaffen sind wie wir Primaten. Das sollte dem Letzten klarmachen, dass schon jetzt in einigen Regionen lebensfeindliche Bedingungen herrschen, an die die Natur sich nicht und wir nur mit technischem Aufwand anpassen können.
In Indien fallen die Vögel vom Himmel (rnd, 22.05.2022). Fische sterben massenhaft im Amazonasgebiet und in Lagunen am Mittelmeer (ZEIT online, 28.09.2023, taz, 12.08.2024). „Wassertemperaturen von 35 Grad töteten dort [in der Lagune von Orbetello am Mittelmeer] fast alles Leben.“ Wie sollen wir uns anpassen? Das Mittelmeer kühlen, das jetzt im Schnitt 28,9° warm ist (tagesschau, 16.08.2024)? Fischer*innen leben von diesem Meer. Wie sollen sie sich anpassen? Sollen sie in Bürojobs wechseln? Oder Bauarbeiter*innen werden und die Schäden der Katastrophe beheben? Sicher findet sich schon was …
Auch bei den Arten (Pflanzen und Tiere, ja, auch Bäume wandern, langsam) gibt es Wanderungen in Richtung Pole bzw. in höhere Regionen bzw. tiefer ins Meer. Aber das funktioniert nicht, weil es in der Biologie verschiedene Trigger gibt: Licht und Wärme. Wenn Futter und Beute auf andere Trigger reagieren, sterben Arten aus.
Ein Beispiel ist der Hering (Bolten 2021): Weil die Heringslarven sich im warmen Wasser früher entwickeln als das Plankton, das sie als Nahrung benötigen. Wegen dieser klimawandelbedingten Desynchronisierung brechen die Heringsbestände massiv ein:
„Damit wird klar, dass der Klimawandel bereits heute wirtschaftlich erhebliche Auswirkungen hat, nicht erst in 30 Jahren: Der Bestand ist nur noch halb so produktiv wie vor 30 Jahren“, erklärt Christopher Zimmermann, vom Thünen-Institut.
Und irgendwann können Arten auch nicht mehr höher auf den Berg oder tiefer ins Wasser, weil sie entweder ganz oben/unten angekommen oder nicht angepasst sind.
Der Biologe Dr. Mark Benecke erklärt Artensterben wie folgt: Wir machen gerade irreversibel Sachen kaputt. Die Arten sind ein Netz. Nahrungsketten. Man kann Teile eines Netzes zerschneiden. Es funktioniert dann immer noch einigermaßen. Aber wenn zu viel zerschnitten ist, crasht es irgendwann.
Die aktuelle Katastrophe und die Zukunft
Wir sind zur Zeit bei 1,2° + El Nino. Über Landmassen erwärmt sich die Erde doppelt so stark. Durch die Klimakatastrophe entstehen vermehrt so genannte Omega-Lagen, so dass Hitzeglocken länger an einem Ort stehen. Man kann sich vorstellen, was noch kommt. Auch wenn die Menschen selbst nicht sterben, so stirbt das Draußen. Und die Frage wird sein: Wollen wir so leben? Dann kommen Depressionen und Suizide (Heinz, Andreas, Andreas Meyer-Lindenberg, 2023).
Ansonsten bewundere ich Ks Optimismus. Das Wasser, das jetzt zusätzlich in der Luft ist, kommt irgendwo wieder runter. Wir hatten im Juli 2024 eine Gewitterzelle über Berlin. Die hat den Nordosten verwüstet. Es kam so viel Wasser in einem Rutsch runter, dass ich das gegenüberliegende Haus nicht mehr sehen konnte. So etwas habe ich noch nie vorher erlebt. Stefan Rahmstorf hat einen Artikel im Spiegel über Stürme geschrieben. Die Hurrikane kommen bei zunehmender Erwärmung der Meere auch nach Europa (Rahmstorf 2019).
K schreibt:
Das muss man, will man ein realistisches Bild haben, mit einkalkulieren. Menschen werden umsiedeln,
Wir werden sie erschießen oder im Meer ersaufen lassen (siehe Christian Jakob, 2024 zur Situation in Mauretanien).
K schreibt:
ihre Anbaumethoden umstellen, anders bewässern, ihre Häuser und Städte anders bauen, sich vor Hochwasser und Hitze schützen. Das wird nicht allen gelingen und man kann das alles nicht direkt gegeneinander rechnen, dafür sind die Dinge zu komplex.
Ja, es ist sehr komplex. Dafür gibt es dann Wahrscheinlichkeiten und Abschätzungen. Das hat Parncutt gemacht.
Für die Details empfehle ich die Lektüre des Artikels.
K weiter:
Aber trotzdem ist ihre Frage – „Wollen Sie, die 300 Sydney-Passagier, trotzdem fliegen, wenn Sie dazu 0,61 Menschen erschießen müssten?“ eine mir zweifelhaft scheinende Verkürzung.
Ich möchte das Grauen sichtbar machen. Das, was wir verdrängen. Selbst wenn wir nur 0,3 Menschen erschießen müssten oder nur 0,1, bleibt die Frage: Ist es das wert? Und wir kennen ja das Elend vor Ort. Man muss ja nicht mal von erschießen und sterben reden. Es reicht ja schon, das Leid zu kennen, das man (mit) verursacht. (Die Sache mit dem Erschießen habe ich als Gedankenexperiment aufgeschrieben: Fliegen tötet. Würdest Du es auch direkt tun? Ein Experiment)
Zwei Sachen noch:
1) Wir haben in der Wissenschaft noch nie über Worst-Case-Szenarien geredet. Niemand von den Klimawissenschaftler*innen will als Doomer gelten (Kemp, Xu, Depledge & Lenton 2022). Für unsere Entscheidungen sollten wir den Worst Case kennen. Das, was passieren kann, wenn wir Pech haben: den schlimmsten Fall. Wie gesagt: Alles in der Klimawissenschaft arbeitet mit Wahrscheinlichkeiten. Das ist es, worüber wir gerade reden und wie Niko Paech 2019 gesagt hat: Zu fliegen ist das größte Umweltverbrechen, das man als Einzelperson legal begehen kann.
Zusammenfassung
Zusammenfassung: Ks Zahl von 14,5 Mio liegt in der Größenordnung genau bei dem, was Parncutt sagt, nur dass die zitierte Studie viele Todesursachen nicht einbezieht. Aus Sicht der Autor*innen der Studie müsste es insgesamt also noch schlimmer sein. Eine Anpassung ist nur bedingt möglich, jedenfalls sicher nicht so, dass sich für die zukünftigen Generationen ein lebenswertes Leben ergibt. Deshalb müssen wir JETZT jeden erdenklichen CO2-Ausstoß vermeiden.
Fliegen tötet. Und zwar wahrscheinlich viel mehr Personen, als sich jede*r Fliegende eingestehen möchte.
Das Problem muss auf überindividueller Ebene gelöst werden. Das ist unter den gegebenen politischen Umständen nicht einfach, aber Firmen sollten keine Flugreisen organisieren oder bewerben, schon gar nicht, wenn das wie bei Leser*innenreisen von Zeitungen nicht zu ihrem Kerngeschäft gehört.
Heinz, Andreas, Andreas Meyer-Lindenberg & DGPPN-Task-Force „Klima und Psyche“. 2023. Klimawandel und psychische Gesundheit. Positionspapier einer Task-Force der DGPPN. Nervenarzt 94(3). 225–233. (doi:10.1007/s00115-023-01457-9)
Parncutt, Richard. 2019. The Human Cost of Anthropogenic Global Warming: Semi-Quantitative Prediction and the 1,000-Tonne Rule. frontiers in Psychology 10(2323). 1–17. (doi:10.3389/fpsyg.2019.02323)
Pearce, Joshua M. & Parncutt, Richard. 2023. Quantifying Global Greenhouse Gas Emissions in Human Deaths to Guide Energy Policy. Energies 16(6074). 1–20. (doi:10.3390/en16166074)
Spratt, David & Dunlop, Ian. 2019. Existential climate-related security risk: A scenario approach. Melbourne, Australia: Breakthrough – National Centre for Climate Restoration. (https://www.preventionweb.net/publications/view/65812) (Accessed April 4, 2021.)
Menschen fliegen. Seit 1810. Zuerst nur in die Donau, aber seit 100 Jahren recht erfolgreich längere Strecken. Das Problem ist, dass dabei CO2 ausgestoßen wird und die Schäden wegen der Höhenwirksamkeit noch um einen Faktor von 2,7 größer sind (Radiative Forcing Index). Die meisten Menschen wissen, dass ihr Handeln Schäden erzeugt, fliegen aber dennoch. Das Umweltbundesamt hat berechnet, dass die Schäden, die durch den Ausstoß einer Tonne CO2 entstehen, 860€2023 betragen (Umweltbundesamt 2024). Das bedeutet 860€ mit der Kaufkraft, die der Euro im Jahr 2023 hatte. Inflationsbedingt wäre die Euroangabe des Schadens jetzt also höher. Für beim Fliegen ausgestoßenes CO2 wäre der Preis pro Tonne wegen der Höhenwirksamkeit also 2322€2023.
Gerechte Flugpreise
Für einen Flug von Frankfurt/Main nach Tokio setzt Atmosfair 5.124kg CO2 an (schon mit RFI-Korrektur mit dem Faktor 2,7). Das bedeutet für einen Flug nach Tokio müsste man den jetzigen Kaufpreis, die Subventionen, die es nicht mehr geben darf (Kerosinsteuerbefreiung, nicht erhobene Mehrwersteuer bei Grenzüberschreitung), und die Schäden addieren, um zu einem gerechten Flugpreis zu kommen. Der Flug würde also statt 800€, 800€ + 4406,64€2023 + X kosten, wobei X die Höhe der Subventionen ist. Also ganz klar über 5000€.
Zur Zeit ist es so, dass diejenigen Menschen auf der Welt, die nicht fliegen, die Kosten für die Schäden mittragen. Diejenigen, die in Deutschland Steuern bezahlen, tragen die Kosten für die Subventionen.
Würdest Du töten, um nach Sydney zu gelangen?
Ökonom*innen berechnen Schadenssummen. Dabei werden Menschenleben in Geld umgerechnet. Für Ökonom*innen ist ein Mensch so viel wert, wie jemand anders bereit wäre, für das Weiterleben des jeweiligen Menschen zu bezahlen. Ich persönlich finde das zynisch, aber so ist die Welt. So sind Ökonom*innen. Die meisten anderen Menschen können mit Zahlen nichts anfangen. Sie können nicht verstehen, was die enormen Schäden, die sie verursachen, bedeuten. Das war der Grund für Parncutt (2019) und Parncutt & Pearce (2023) eine Abschätzung bezüglich der Anzahl von Menschen vorzunehmen, die wegen Kohlenstoffverbrennung sterben. Nach dieser Abschätzung stirbt wegen der Verbrennung von 1000 Tonnen Kohlenstoff (= 3.700 Tonnen CO2) in der Zukunft ein Mensch. Ich habe in Sind Fluggäste Mörder? ausgerechnet, dass die 329 Passagiere der Flüge, die von Berlin nach Sydney und zurück fliegen, 0,61 Menschen töten. Das ist sehr viel anschaulicher und konkreter als eine Schadenssumme. Es bleiben aber immer noch die Verdrängungsmechanismen, die Aussage, dass die anderen es doch auch machen würden usw. Vielleicht würde es helfen, die Frage nach der Bereitschaft zur Tötung explizit zu machen. Dazu könnte man eine Vorrichtung bauen, mit der alle Passagiere mit einer Strippe verbunden werden. Wenn jeder der Passagiere einen Meter zurücktritt, wird ein Schuss ausgelöst. Das wird einmal ohne Ziel geprobt. Dann wird eine echte Person als Ziel aufgestellt. Die Frage, die noch beantwortet werden muss, ist diese: Wer ist das Ziel? Ich sehe drei Möglichkeiten: 1) eine Person aus dem Abflugland, 2) eine Person aus dem Ziel-Land,1 3) einer der Reisenden. Mir erscheint 3) am fairsten und es hilft auch für die Identifikation der Tötenden mit dem Opfer.
Dieses Experiment wird wohl von keiner Ethikkommission zugelassen werden. So bleibt es ein Gedankenexperiment. Die Frage, die jede*r, die in ein Langstreckenflugzeug steigt, sich beantworten muss, ist: Würde ich jemanden direkt dafür töten, damit ich fliegen kann? Wenn die Antwort nein ist, muss sich diese Person fragen (lassen), warum sie fliegt.
Quellen
Parncutt, Richard. 2019. The Human Cost of Anthropogenic Global Warming: Semi-Quantitative Prediction and the 1,000-Tonne Rule. frontiers in Psychology 10(2323). 1–17. (doi:10.3389/fpsyg.2019.02323)
Pearce, Joshua M. & Parncutt, Richard. 2023. Quantifying Global Greenhouse Gas Emissions in Human Deaths to Guide Energy Policy. Energies 16(6074). 1–20. (doi:10.3390/en16166074)
Am 03.08. erschien in der taz ein Gespräch von Christian Jakob und mir über die Frage, ob die taz Flugreisen anbieten sollte. Ich denke, dass eine ökologisch orientierten Zeitung wie die taz keine Flugreisen organisieren und bewerben sollte, weil es dabei ein Glaubwürdigkeitsproblem gibt: Man kann nicht einerseits auf die Folgen des CO2-Ausstoßes hinweisen und andererseits eine Reise organisieren und dann ein Bedürfnis in potentiellen Konsument*innen wecken. Werbung für Flugreisen lässt diese als etwas Normales erscheinen, was sie nicht sind, denn wir müssen unseren CO2-Ausstoß auf Null bringen. Offiziell bis 2045, aber eigentlich eher heute als morgen, denn es ist bereist jetzt zu viel CO2 in der Luft.
Auf derselben Seite wie das Streitgespräch befindet sich ein Text von Bernhard Pötter, meinem Lieblings-taz-Autor, der viel über die Klimakrise schreibt, aber stets mit Humor. Ich schätze das sehr, denn ohne Humor wäre das alles nicht auszuhalten. Es gibt, glaube ich, bisher nur einen Text von ihm, der mir nicht gefällt, und das ist der vom 03.08. Ich werde ihn im Folgenden zerrupfen und die Einzelteile besprechen.
Los geht’s.
Ach ja, das Fliegen. Seufz. An keiner anderen Frage trennt sich heutzutage so die Spreu der Klimaschweine vom Weizen der Aufrechten. Ob jemand in ein Flugzeug steigt oder nicht, hat heute oft die Qualität einer Nagelprobe. Früher lauteten die entscheidenden Fragen: Beatles oder Stones? Katholisch oder evangelisch? Dortmund oder Bayern? Heute heißt es: Mit dem Flugzeug in den Urlaub oder nicht? Die Antwort sagt oft viel über den jeweiligen Menschen. Und leider meist nichts Gutes.
Das bagatellisiert die Geschichte irgendwie gleich im ersten Absatz. Beatles oder Stones ist egal. Beide gut. Katholisch oder evangelisch ist egal. Sich deshalb die Nase einzuhauen ist irre. Dortmund oder Bayern? Wie kann man eine Stadt mit einem Bundesland vergleichen? Mit dem Flugzeug in den Urlaub oder nicht? Tja, lieber Herr Pötter, die Realität ist die: Diese Frage wird nicht gestellt. Jedenfalls nicht von mir. Meine Prenzlauer-Berg-Freunde fliegen alle in den Urlaub. Auf einem Messaging-Kanal kamen mal Grüße aus Laos, woraufhin ich anmerkte, dass die Grüßenden, doch wenigstens so viel Umweltbewusstsein haben sollten, dass sie diese Grüße weglassen, wenn sie schon fliegen. Danach gab es einen Riesen-Shitstorm und zwar nicht gegen die Laoten, sondern gegen mich, wie ich es denn wagen könne, individuelles Verhalten zu kritisieren. Also: In meinem Umfeld fliegen alle fröhlich, als gäbe es kein Morgen und niemand stellt die Frage nach dem Fliegen. Es ist sogar klar, dass sie nicht gestellt werden darf. Würde sie gestellt, wären wir schon einen Schritt weiter.
Leider ist das aber auch überhaupt nicht das Thema des Streitgesprächs mit Christian Jakob und das Gesamtthema der Wochenend-taz, das groß auf der Titelseite angekündigt wurde, gewesen.
Bernhard Pötter lenkt vom Thema ab. Die Frage war nicht, ob man privat fliegen sollte, sondern vielmehr: Darf eine Firma Flugreisen organisieren? Konkret: Darf die Firma, für die Bernhard Pötter arbeitet, nämlich die taz, Flugreisen organisieren? Darf sie dafür werben? Darf sie ein Bedürfnis nach einer Flugreise (der beworbenen taz-Reise oder qua Normalisierung irgendeiner anderen Flugreise) erzeugen?
Wir sind bei 424 ppm CO2 und müssen zurück auf 350 ppm
Weiter im Text:
Denn entweder die Flugbegeisterte blendet alle ökologischen und sozialen Probleme aus, die der massenhafte Luftverkehr mit sich bringt. Oder der Fluggegner reklamiert für sich, den einzig wahren Weg zum Ökofrieden zu kennen. Weil er am Boden bleibt und vielleicht sogar dort klebt. Es gibt da keine Grauzone, keinen Raum für Kompromisse. Für die Lösung von Problemen ist das nie gut.
Sie haben es im weiteren Artikel geschrieben: Klimaverträgliches Fliegen ist zur Zeit und bis auf Weiteres nicht möglich. Wir müssen auf Null CO2-Emissionen kommen und danach mit dem Rückholen von CO2 aus der Atmosphäre beginnen. Es sind bereits jetzt hunderte Gigatonnen CO2 zu viel in der Luft. So steht es auch im IPCC-Report (SSP1-1.9 “1,5°-Pfad”). Der Klimaaktivist Wolfgang Metzeler-Kick war bereit, dafür zu sterben, dass sich das Wissen um diese Tatsache weiter in der Gesellschaft verbreitet. Die Statements der Hungerstreikenden wurden von den Scientists for Future bestätigt (Presseerklärung vom 06.05.2024).
Alles was wir jetzt weiter in die Luft pusten, müssen wir dann später zurückholen. Das Rückholen ist sehr energieaufwendig und kann sinnvoll nur mit erneuerbaren Energien erfolgen, weil man sonst sofort wieder neues CO2 emittieren würde.
Es ist ungefähr so: Wenn Sie mich zu sich nach Hause einladen würden (worüber ich mich jetzt ohne jeden Quatsch sehr freuen würde), würde ich ins Wohnzimmer gehen, wo hoffentlich ein Teppich liegt, und einfach draufpullern. Ich bin ein sehr großzügiger Mensch und würde die Reinigung auch bezahlen. Nicht nett? Unmögliches Benehmen? Aber das ist es, was wir gerade tun. Entweder wird die Pisse in den nächsten Jahren über Kompensationsprojekte entsorgt (falls die nicht Fake sind) oder wir heben uns das für später für die nächste Generation auf. Zwischendurch stinkt es halt ein bisschen. Vielleicht kacken wir auch ganz ab, wenn wir über die Kipppunkte kommen. Dann wird das Wohnzimmer komplett unbewohnbar. Aber einige von uns können dann vielleicht noch im Schlafzimmer weiterleben, das in Richtung Nordpol ausgerichtet ist.
Die Lösungen liegen auf dem Tisch (seit 2019 bzw. 2022)
Für die Lösung des Problems mit den Flugreisen gibt es inzwischen gute Vorschläge. Prof. Andreas Knie schlägt ein Kontingent von drei Flugreisenpaare pro Jahr pro Person vor. Wer weniger braucht, kann seine Anrechte verkaufen (Schier 2019). Die Kontingente werden dann mit der Zeit von drei auf zwei auf eins reduziert. Eine andere Idee habe ich bei einer Flughafenblockade von Scientist Rebellion zum ersten Mal gehört: exponentielle Besteuerung von Flugmeilen.
Dabei würde ich entstehende Schäden in beiden Varianten sofort einpreisen (860€2023 pro Tonne CO2, Umweltbundesamt 2024). Das Fliegen würde in jedem Fall sehr viel teurer werden. Subventionen (Kerosinsteuer, Unterstützung defizitärer Flughäfen) sollten sofort gestrichen werden.
Wir beide wissen, dass die Klimabewegung diese Sachen seit Jahren fordert. Wir wissen, dass sich bezüglich der Subventionen nichts ändert. Was soll man als Individuum tun? Was soll ich tun? Was können Sie tun? Ich wähle alle paar Jahre brav. Ich habe bei Scientist 4 Future eine Selbstverpflichtungsaktion für den Verzicht auf dienstliche Kurzstreckenflüge mitinitiiert und diese dann von Berlin/Brandenburg auch auf das Bundesgebiet ausgeweitet: #unter1000. Sie informieren, wie ja auch vorbildlich in Ihrem Beitrag, über die Schädlichkeit des Fliegens. Aber dann? Was dann? Was folgt? Wie kriegen wir die Subventionen weg? Was sollen Kompromisse? Soll ich mit meinen Prenzlauer-Berg-Freunden aushandeln, dass sie nur noch drei mal im Jahr eine Wochenendreise machen? Würde das das Problem der Flugreisen lösen? Noch mal zur Erinnerung: Wir müssen auf Null. Wie kann ein Kompromiss aussehen?
Es gibt eine Sache, die Teil der Lösung ist, die ich bisher nicht erwähnt habe: ein Werbeverbot für Fernreisen (Das habe ich schon 2019 gefordert: Verzicht und Verbote). So wie es Werbeverbote für Tabak und für Alkopops gibt, sollte es auch Werbeverbote für Flugreisen, SUVs und andere klimaschädliche und damit tödliche Produkte geben. Kann ich als Stefan Müller ein solches bundesweites oder gar europa- oder weltweites Werbeverbot irgendwo erreichen? Nein. Ich kann alle vier Jahre wählen, aber diese Zeitabstände sind viel zu groß und wer weiß, was die dann gebildete Regierung umsetzt.
Deshalb versuche ich nun, wenigstens die taz dazu zu bringen, keine Flugreisen mehr zu organisieren und diese dann eben auch nicht mehr zu bewerben.
Aber geht es hier darum, ein Problem zu lösen? Oder eher darum, recht zu haben?
Mir geht es darum, das Problem zu lösen. Ich arbeite seit 2019 an der Reduktion der Flugreisen im akademischen Bereich und gerade die Togo-Reise, wo man als Tourist die Opfer der Klimakrise besichtigen sollte, hat mich hart getriggert. Deshalb nun seit April der Kampf gegen die touristischen Reisen für Bildungsbürger*innen von der taz.
Für n bisschen Recht haben, wäre das wohl etwas viel Aufwand.
Gasheizungen und Whataboutismus
Bernhard Pötter schreibt weiter:
Vielleicht helfen ein paar Fakten: In Deutschland verursachen Flüge laut Statistischem Bundesamt und Öko-Institut pro Jahr etwa 28 Millionen Tonnen CO2– ungefähr 3 Prozent der Treibhausgase. Rechnet man alle Faktoren ein, dass Treibhausgase so weit oben in der Luft zum Beispiel noch stärker wirken als am Boden, machen diese Flüge etwa 10 Prozent des deutschen Beitrags zur Erderhitzung aus. Ganz schön happig für eine Aktivität, die zu großem Teil reiner Luxus ist: Zwei Drittel der Flugreisen in Europa und nach Übersee sind Urlaubsreisen.
Fliegen ist die klimaschädlichste Art der Fortbewegung, sie ist weltweit ein Luxus der Reichen und der wohl größte Hebel, mit dem man als Privatperson diesen Planeten ruinieren kann. Wir befinden uns mitten in einem Notstand und müssen schnell an allen möglichen Hebeln ziehen.
Aber Fliegen ist auch hochsymbolisch. Es ist zur Gretchenfrage geworden, ob es jemand ernst meint mit der Klimazukunft – oder ob er oder sie das Engagement nur heuchelt. Dabei hätten andere Themen mindestens genauso viel Aufmerksamkeit verdient.
Wer jetzt noch aus Trotz oder Unwissen die Entscheidung trifft, sich eine Gasheizung anzuschaffen, macht sein Leben sehr klimaschädlich, und das wahrscheinlich auf Jahrzehnte. Das Heizen von Räumen verursacht in Deutschland etwa 150 Millionen Tonnen Kohlendioxid jährlich. Das taugt den meisten Menschen aber anders als das Fliegen nicht für große Emotionen.
Sorry, lieber Herr Pötter, das ist Whataboutism vom Feinsten. Es tut natürlich besonders weh, wenn so etwas vom Lieblingsklimaautor kommt. Wie oft spricht man bei Partys darüber, was die Heizung so macht? Wie viele Städter können die Form ihrer Heizung überhaupt beeinflussen? Wenn sie in einem Miethaus wohnen? Die Entscheidung für eine neue Heizung fällt alle paar Jahre, die für Flugreisen vielleicht mehrfach im Jahr.
Und der wichtigste Punkt ist: Eine Heizung braucht man im Winter, eine Flugreise braucht man nicht. Wir haben in unserem Mehrfamilienhaus übrigens Erdwärme, Wärmepumpe und Solarthermie. Und natürlich würde ich das auch jedem und jeder erzählen, die mir von ihrer neuen Gasheizung berichtet.
Auch für mein Leben habe ich beim Reisen keine ideale Lösung. Ich hasse Fliegen. Ich finde es furchtbar, genervt mit anderen Genervten in langen Schlangen zu stehen, mich in einen unbequemen Sitz zu quetschen, schlecht zu essen und zu wissen, wenn etwas schiefgeht, hast du keine Chance. Wie vergleichsweise entspannend sind da die Nachtzüge und verspäteten ICEs mit verstopften Klos und verpassten Anschlusszügen.
Ach, ich fand’s ganz nett, als ich noch geflogen bin. 2017 bin ich sogar Business Class geflogen, weil ich sehr groß bin und die geringen Sitzabstände in der Economy Class eine Qual für mich waren. Das Essen war da ordentlich. Aber ganz im Ernst: Business Class ist noch schlimmer vom CO2-Impact und man sollte eben gar nicht mehr fliegen. Mein letzter privater Flug war 2008 und mein letzter dienstlicher Flug 2017. Zu einem eingeladenen Vortrag in Seoul. Seitdem fliege ich nicht mehr und habe das auch öffentlich gemacht: Ich fliege nicht mehr. Ich bin mehrfach mit Nachtzügen gefahren und das geht ganz gut.
Fliegen, Politik und Journalismus
Trotzdem sitze ich immer mal wieder im Flugzeug. Vor allem, wenn es zu Klimakonferenzen geht – und die hämischen Kommentare können Sie sich jetzt sparen: Jedes Champions-League-Spiel treibt mehr Menschen in ein Flugzeug als die Klimaverhandlungen der Vereinten Nationen.
Das hatte ich ja auch im Gespräch mit Christian Jakob gesagt: Journalist*innen und Politiker*innen sind die Ausnahme. Die taz hat ein gutes Netz von Auslandskorrespondent*innen und wenn jemand vor Ort ist, muss auch nicht viel geflogen werden. Fachjournalist*innen müssen zu wichtigen Ereignissen gelangen. Ob sie mit der grünen Außenministerin mitfliegen müssen, müssen sie bzw. Sie mit ihrem Gewissen ausmachen (Pötterer. 2024. Arbeiten mit Flugscham: Als ich neulich in Neuseeland war).
Und ja, selten steige ich auch privat ins Flugzeug. Um die US-Verwandtschaft mal wieder zu sehen. Um die Gastfamilien der Kinder in Lateinamerika zu besuchen. Aber viel öfter mache ich mich bei Freunden und Verwandten unbeliebt, wenn ich nicht für zwei Wochen nach Portugal oder zum Wochenende nach Mallorca mitkommen will. Und nach Stockholm, Oslo, Korsika und Toulon kommen wir auch gut mit dem Zug.
Vielleicht schauen Sie den Beitrag Sind Fluggäste Mörder? an und wägen noch einmal neu ab, ob die Interkontinentalflüge noch vertretbar sind. Es sieht so aus, als seien wir gerade auf die individuelle Ebene abgerutscht, aber das stimmt nicht, denn Sie sind als Journalist eine öffentliche Person. Sie bilden Meinung. Sie sind ein Vorbild. Sie sind die Beruhigungspille für meine Freunde aus dem Prenzlauer Berg. Wenn der Pötter als Ober-Öko das Fliegen OK findet, kann ich es auch machen.
Aktivismus, Framing und Vorbilder
Aber es geht ja ums große Ganze: oben oder unten? Und das ist schon Teil des Problems.
Denn die Idee, eine richtige Botschaft brauche ideale BotschafterInnen, ist so alt wie falsch. Das Ideal einer lebendigen Demokratie wird auch durch korrupte Politiker nicht erledigt, freie Medien bleiben ein hohes Gut, auch wenn sie Unsinn verbreiten. Yannick Seuthe, der „Bali-Flieger“, der als Mitglied der Letzten Generation einen Flug nach Thailand buchte und trotzdem Flughäfen blockiert, sagt zu Recht: „Ich muss kein perfekter Mensch sein, um für meine Grundrechte einzustehen.“
Das ist recht lustig, wenn einem der Medien-Profi erklärt, dass das eigene Verhalten im Kampf für ein Ziel keine Rolle spielt. Natürlich haben Sie im Prinzip Recht: Es geht um die Frage individuelles Verhalten und Veränderung auf gesellschaftlicher Ebene. Nur geht es andererseits auch um Glaubwürdigkeit. Die Bali-Geschichte, die ja eine Thailand-Geschichte war, war das größte PR-Desaster der Letzten Generation in der gesamten Zeit, die diese Bewegung existiert (seit 2021). Die Gegenseite wartet nur auf solche Fehler.
Ich habe 2021 eine Demonstration von Extinction Rebellion zur Wahltour der CDU fotografiert. Meine Agenturchefin rief mich extra an, um mir zu sagen, dass ich Bilder von Müll machen sollte, wenn irgendwo bei der Demo welcher liegen gelassen würde. Es gäbe Kunden, die dafür zahlen würden.
Der CO2-Ausstoß eines Thailandfluges ist der größte und für die Gegenseite beste Müll, den man als Einzelner produzieren kann (Niko Paech, 2019), aber das sagten Sie ja oben bereits selbst. Es geht um Framing. Das sollten Sie als Profi wissen. Die Gegenseite framet die Grünen (#veggiDay usw.) und die Klimas als Menschen, die anderen etwas vorschreiben wollen, aber selbst nicht entsprechend handeln. Das entlastet all jene, die verdrängen und klimaunverträglich handeln wollen. Schlussfolgerung: Wenn man sich politisch exponiert, muss man höhere Ansprüche erfüllen, als wenn man als Privatperson unterwegs ist. Das gilt für Außenminister*innen, die mal eben ein Nachtflugverbot aushebeln, um per Kurzstreckenflug zum Fußball zu fliegen (taz 05.07.2024) genauso wie für Klimaaktivist*innen, die eben nicht nach Thailand fliegen und auch keine Mützen vom Jeep Club South Africa aufsetzen sollten. Über letztere habe ich in No Logo? Logo geschrieben.
Und die ganze Frage stellt sich natürlich noch einmal auf der überindividuellen Ebene: Wie glaubwürdig wäre German Zero, wenn auf ihren Webseiten Werbung für RWE geschaltet würde? Wenn German Zero einen Teil ihrer Einkünfte aus Kohlegeschäften bekommen würde? Wie glaubwürdig wäre Changing Cities, wenn ein Teil ihres Budgets aus Verkäufen und Werbung für Porsche-SUVs stammen würde? Wenn das Drogenhilfsprojekt Fixpunkt e.V. einen Teil seiner Einkünfte aus dem Verkauf von Heroin bekommen würde? Sollten sie Förderern anbieten, mal gemeinsam mit den Junkies vom Bahnhof einen Tag zu verbringen und sich selbst Heroin zu spritzen? Als ultimative Experience, damit die Förderer des Elend nachvollziehen können? Wie glaubwürdig ist eine Öko- und Bewegungszeitung, wenn sie Flugreisen organisiert und bewirbt?
Politikverdrossenheit und moralische Standards bei Politiker*innen
Und noch als Letztes zu diesem Punkt: „Das Ideal einer lebendigen Demokratie wird auch durch korrupte Politiker nicht erledigt“. Glauben Sie das ernsthaft selbst? Ja, sicher wird das Ideal nicht erledigt, aber schauen Sie sich den Osten an, schauen Sie sich Gründe für Politikverdrossenheit an. Lässt es Sie kalt, wenn Scheuer unsere Steuergelder in den Sand setzt und nicht dafür zur Verantwortung gezogen wird? Dass niemand mehr zurücktritt? Egal wie groß das Vergehen ist? Dass viele, viele Politiker*innen Betrüger*innen sind, die in ihren Dissertationen plagiert, also Ideen und Textteile gestohlen, haben? Ist das nicht höchst frustrierend? Ja. Das schadet der Demokratie.
Die Unterscheidung in Gut und Böse, Kompromisse und die Lösung von Problemen
Weiter im Text:
Wenn man die Flugdebatte moralisch auflädt, lauern große Gefahren: Man geht den Anti-Öko-Narrativen auf den Leim, die Krawall wollen und die Unterscheidung in Gut und Böse. Diese Identitätsdebatte lässt keinen Raum mehr für die Suche nach echten Lösungen.
Ach so. Wo sollen wir denn suchen? Ich glaube, die Lösungen stehen alle oben. Sofortige Streichung der Subventionen. Werbeverbot. Hohe Preise oder Kontingente. Andere Lösungen sehe ich nicht und diese reichen ja auch völlig aus. Sie müssen jetzt nur umgesetzt werden. Wie kommen wir da hin? Über Argumentationen für diese Lösungen? Wie können die aussehen? Wie soll man denn argumentieren, wenn Moral keine Rolle spielen darf? Warum darf man „Du sollst nicht töten!“ nicht erwähnen? Und wieso darf ich keine Maximalforderungen stellen? Natürlich darf ich das! Der Kompromiss wird mit der Gegenseite ausgehandelt und deren Standpunkt ist, dass alles so bleibt, wie es ist. Es wurde übrigens schon einmal ein Kompromiss ausgehandelt: in Paris. Die Welt hat sich auf ein Klimaziel deutlich unter 2 Grad geeinigt. Davon sind wir aber derzeit weit entfernt (climateactiontracker). Zu fordern, dass wir jetzt selbst den Kompromiss vorschlagen, damit die Anti-Ökos uns lieben, ist schräg.
Statt auf sinnvolle Regulierung zu setzen, wollen die rechten Bremser in Union und FDP alles über angeblichen technischen Fortschritt („Technologieoffenheit“) lösen – und es dem Einzelnen überlassen, was er oder sie tut. Ähnlich individualisiert ist da von der Gegenseite die Forderung nach moralisch einwandfreiem Verhalten.
Das nämlich löst kein kollektives Problem, wie wir es beim Fliegen haben. Es löst nicht den Skandal des steuerfreien Kerosins, es bringt uns nicht internationalen Abkommen zur Besteuerung von Flügen oder dem Verbot von Privatjets näher. Es liefert keinen technischen Durchbruch bei der Entwicklung und massenhaften Produktion von klimaneutralen E-Fuels.
Ja. Bzw. Nein. Nein, doch nicht. Es gibt die individuelle Ebene und dann die politische Ebene. Wenn nun aber alle Deutschen oder alle Europäer oder einfach alle einsehen würden, dass Fliegen verwerflich ist und nicht mehr fliegen würden oder zumindest bereit wären, nicht mehr zu fliegen, wenn auch die anderen nicht mehr fliegen, dann wären auch entsprechende politische Reglungen leichter umsetzbar. Es gibt Studien, die zeigen, dass individuelles Handeln auch Änderungen in der Gesellschaft bewirken. Menschen machen, was Menschen machen. Deswegen ist auch unser individuelles Verhalten wichtig. (siehe Warum individuelle Verhaltensänderungen wichtig sind von 2022)
Politik und Individuen
Das geht nur über gute, alte, langweilige Politik, also über kollektives Handeln. Und für ein gutes Verhandlungsergebnis sind andere Dinge wichtiger als eine blitzblanke Moral der VerhandlerInnen.
Ja. Aber es ist wichtig, dass es viele Individuen gibt, die im Prinzip bereit sind zu solch kollektivem Handeln und dafür ist ein Bewusstseinsbildungsprozess wichtig.
Am Ende muss aber natürlich wenig bis gar kein Fliegen herauskommen, solange das nicht annähernd klimaneutral geht, das ist auch klar. Nur sollte das eben keine moralischen Höchstleistungen der einzelnen Menschen erfordern, sondern durch die richtigen Strukturen ermöglicht werden.
Genau. Ein Anfang wäre, dass die taz nicht mehr für Flugreisen wirbt und diese als etwas Normales darstellt. Ihr Artikel legt nahe, dass Fliegen zwar schädlich ist, aber auch touristisches Fliegen irgendwie trotzdem doch manchmal gerechtfertigt ist. Damit fliegen Sie nicht nur selber, Sie reduzieren auch die Gewissensbisse anderer. Wie viel Einzelne dann fliegen, liegt in deren Ermessen. Ganz prima FDP-mäßig. Dieser Artikel geht dann leider auch von Ihrem sonst hervorragenden Handabdruck ab.
Kulturkampf, politischer Kompromiss und Übergriffigkeit oder die Arbeit in einer Rüstungsfirma
Wer sich von Öko-Seite auf einen Kulturkampf einlässt, diskreditiert den politischen Kompromiss. Dann ist der Aktivismus nicht an einer Lösung interessiert, sondern will den anderen vor allem seine Art zu denken und zu leben aufdrängen. Das ist nicht nur übergriffig, sondern geht auch schief.
Nun ja. Siehe oben. Die Fakten sehen so aus: Fliegen tötet. Es tötet Schwache. Das ist die Grundlage für jede Abwägung. Wenn man in einer Rüstungsfirma arbeitet, die Waffen für Kriege herstellt, weiß man, dass man mit dem Tod anderer Menschen Geld verdient. Wenn man in einer Firma arbeitet, die Flugreisen organisiert, weiß man, dass diese Firma mit dem Tod anderer Menschen Geld verdient. Christian Jakob und auch Thomas Hartmann, der Chef der taz-Reisen, hat diese Tode gegen andere Vorteile wie Kontakt zwischen Völkern aufgewogen. Christian Jakob in dem in der taz dokumentierten Gespräch und Thomas Hartmann in einem Telefonat mit mir. Sie sind der Meinung, dass der Nutzen der Reisen höher ist. Wie viele Leben durch taz-Reisen gerettet werden, konnte aber bisher niemand abschätzen. Wie viele Menschen durch verbrannten Kohlenstoff sterben, wurde dagegen schon abgeschätzt. Es gibt die 1000-Tonnen-Regel, die besagt, dass für 1000 Tonnen verbrannten Kohlenstoff ein Mensch in der Zukunft vorzeitig stirbt (Parncutt 2019, Pearce & Parncutt 2023). 1000 Tonnen Kohlenstoff sind 3.700 Tonnen CO2. Ich habe mit dieser 1000-Tonnen-Regel berechnet, dass die Passagiere in einem voll besetzten Flug nach Sydney gemeinsam für den Tod von 0,61 Menschen verantwortlich sind. Fliegen tötet.
Die Gefahr dabei, wie oft in linken und ökologischen Bewegungen: Wir verkämpfen uns bis aufs Blut bei Details und lassen die großen Gegner dabei ungeschoren. Fürs Rechthaben sind manche bereit, den ganzen Laden niederzubrennen, statt zu sehen, wo eigentlich der Feind steht.
Ich sehe das sehr klar. Ich möchte nichts niederbrennen. Ich habe Stand heute 30.000€ in Form potentieller Genossenschaftsanteile für meine Öko-Zeitung besorgt. Sie muss nur einfach aufhören, tödliche Produkte zu organisieren und zu bewerben, dann bekommt sie das Geld. Ich erinnere hier noch einmal gern an das World Media-Projekt, aus dem die taz ausgestiegen ist, weil die Pariser Projektkoordination darauf bestand, Werbung für Aérospatiale, eine Militärfirma, zu machen (1992, taz ohne Rüstung).
Schluss
Nicht in ein Flugzeug zu steigen, ist eine ehrenhafte Weigerung, an der Klimakrise mitzuwirken. Das allein löst aber das Problem nicht. Dafür braucht es Allianzen. Und die werden durch moralischen Rigorismus eher schwieriger als einfacher. So kompliziert ist das. Ach ja, das Fliegen. Seufz.
Meinetwegen sollen alle fliegen, wie sie wollen. Ich diskutiere mit meinen Freunden darüber nicht, denn es ist genau so, wie Sie sagen. Als Gesellschaft sollten wir aber darüber diskutieren, was unser Handeln bewirkt. Und Moral ist dabei eine wichtige Kategorie. Ich bin deshalb sehr froh, dass das Thema wieder in der taz diskutiert wird. Wenn uns allen klar ist, was Flüge bewirken, dann sollte auch klar sein, dass die taz keine Flugreisen mehr anbieten darf. Schon gar keine nach Togo mit dem Ziel, Gründe für Migration zu verstehen.
PS: Smart move, die Reise nach Togo erst mal abzusagen. Bleiben aber noch die Reisen nach Marokko, Dschidda (Saudi-Arabien), Kuba und Vietnam.
Parncutt, Richard. 2019. The Human Cost of Anthropogenic Global Warming: Semi-Quantitative Prediction and the 1,000-Tonne Rule. frontiers in Psychology 10(2323). 1–17. (doi:10.3389/fpsyg.2019.02323)
Pearce, Joshua M. & Parncutt, Richard. 2023. Quantifying Global Greenhouse Gas Emissions in Human Deaths to Guide Energy Policy. Energies 16(6074). 1–20. (doi:10.3390/en16166074)
Es hat doch als Antwort auf meinen Blog-Post zu Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit und Polizeigewalt tatsächlich jemand gefragt, wie die Polizei ohne Folter ihre Polizeiarbeit machen soll! Also so ganz ohne gebrochene Handgelenke, vor Schmerzen schreienden Aktivist*innen und Druck auf Druckpunkte hinter dem Ohr?
Bei Turbodemokrat handelt es sich sicher um einen Troll, obwohl die auf Mastodon recht selten sind. Ich möchte hier ein paar Möglichkeiten aufführen, wie man Menschen ohne Gewalt von der Straße bekommt. Darunter sind einige, die auch Polizist*innen „mit Rücken“ einsetzen können. Das scheinen immerhin 98% der Berliner Polizisten zu sein, wenn man ihren Ansagen vor dem Einsatz von Schmerzgriffen glauben schenken kann (sarkastische Übertreibung).
Also: Es gibt mindestens fünf Möglichkeiten, Aktivist*innen von der Straße zu bekommen:
Warten, bis sie wieder gehen
Wegtragen als Päckchen,
Wegrollern mit floor-board,
Wegrollern mit Euro-Palette,
Wegschleifen mit Trage.
Alle sind in Berlin schon zum Einsatz gekommen und ich habe sie auch selbst fotografiert. Es folgen die Möglichkeiten.
Warten
In anderen Städten werden bei Klima-Protesten die Straßen gesperrt, die Aktivist*innen demonstrieren und gehen irgendwann selbst nach Hause. Das folgende Bild zeigt Aktivist*innen verschiedener Klimagruppen auf der Straße des 17. Juli.
Die Polizei ließ die Aktivist*innen gewähren, es gab keine Gewalt. Reden wurden gehalten, Lieder gesungen, nach einigen Stunden gingen alle friedlich nach Hause bzw. essen zur Küche für alle (Küfa).
Diese Strategie wurde auch bei Bauernprotesten mehrfach erfolgreich angewendet.
Päckchen
Wenn eine Straße nach Verlegung des Veranstaltungsortes und drei Durchsagen schnell geräumt werden muss, ist das mildeste Mittel das Wegtragen. Aktivist*innen setzen sich meist mit angezogenen Knien und untergeschlagenen Armen hin, so dass sie die Polizist*innen wegtragen können. Aktivist*innen und Polizist*innen üben ihre Parts vorher. Natürlich nicht gemeinsam.
Manche Polizist*innen sind so stark, dass sie eine Aktivist*in allein tragen können.
Davon ist aber aus Arbeitsschutzgründen abzuraten, da das eventuell zu Rückenproblemen führen kann.
Floor board
Aktivist*innen, die ein Päckchen machen, kann man auf ein floor board setzen. Man kann sie dann bequem wegrollern. Das können auch Polizist*innen, die eigentlich in der Rücken-Reha sein müssten.
Mit floor boards kann man sogar zwei mit einem Rohr verbundene Aktivist*innen transportieren.
Euro-Paletten
Euro-Paletten bieten noch mehr Platz. Hier werden zwei verklebte Aktivist*innen transportiert. Ein dritter darf zusätzlich mitfahren.
Ein massives Problem und seine Lösung: Krankentrage
Bei der ungehorsamen Versammlung der Letzten Generation am 25.05.2024 hatte die Polizei ein massives Problem: Der Koch der Letzten Generation hatte sich einfach auf die Straße gelegt und war nicht dazu zu bewegen, diese wieder zu verlassen. Ein Polizist fragte ihn, ob er denn die Straße freiwillig wieder verlassen würde und der Aktivist meinte: „Ja.“ Der Polizist fragte weiter, wann er denn zu gehen gedenke und die Antwort war 17:00. Es war da etwa 14:00 Uhr, die Blockade hatte um 12:00 begonnen.
Die Polizei musste ihn also selbst bewegen. Das folgende Bild zeigt, dass in den Mannschaftswagen der Polizei auch floor boards transportiert werden. Das sind wahre Schatztruhen: Maschinenpistolen, Besen zum Straßefegen und floor boards sind immer mit dabei. Oder immer öfter.
Der Koch war aber zu groß für das floor board und die Mannschaftswagen sind wohl zu klein für Euro-Paletten und das entsprechende Palettentransportgerät. Jedenfalls gab es noch eine andere Lösung: die Krankentrage.
Fünf Polizisten fixierten den Aktivisten auf der Krankentrage, wie man auf dem nächsten Bild sehen kann, auch mit Handschellen.
Dann wurde er von der Straße geschleift.
Varianten: An den Füßen schleifen
Eine besondere Variante kam mir am 20.10.2023 unter. Ich weiß nicht, ob das so in der Polizeiausbildung gelehrt wird. Prinzipiell scheint es sich um eine Variante der im vorigen Abschnitt vorgestellten Transportart mit Trage zu handeln. Nur ohne Trage halt.
Bei dieser Transportform geht die Jacke kaputt, aber zumindest werden keine Handgelenke gebrochen oder Schmerzpunkte am Kiefer bzw. hinter den Ohren gedrückt.
Schlussfolgerung
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Aktivist*innen, die zivilen Ungehorsam leisten, von der Straße zu bekommen. Die erste und einfachste, die ich bisher kennengelernt habe, besteht darin, abzuwarten, bis sie von selbst gehen. Ansonsten kann man sie von der Straße tragen. In Berlin ist vieles kaputt, aber ich hoffe, dass nicht alle Polizistenrücken kaputt sind, von denen das behauptet wird. Sollte das doch der Fall sein, dann können floor boards oder Euro-Paletten benutzt werden. Oder Tragen.
Es gibt keinen Grund für Schmerzgriffe oder Folter. Menschen über körperliche Züchtigungen vom Demonstrieren abzuhalten ist nicht die Aufgabe der Polizei. Es ist die Aufgabe von niemandem in diesem Land.
In den vergangenen Jahren sind wir (Radelnde der HU, mit S4F und anderen Ökos) den Mauerradweg gefahren. Ab 2024 wollen wir auch eine Runde auf dem Fläming-Skate drehen. oder zwei oder drei oder eine halbe. Der Fläming-Skate ist ein nahezu unterbrechungsfreies Streckennetz aus breiten Wegen, die sich hervorragend zum Radfahren und Skaten eignen.
Das ist der Plan für Sonntag den 09.06.
Abfahrt 9:05 Hauptbahnhof RE4 / 9:08 Potsdamer Platz / 9:14 Südkreuz / 9:19 Berlin Lichterfelde-Ost
Ankunft 9:43 Jüterbog
Route RK4 bis Landgasthof Jüterbog für Radfahrer*innen mit mittlerer Kondition. Rundtour ist insgesamt 43,1 km. Habe für untrainierte 2:30 Fahrzeit bei Komoot bekommen. Bis zum Landgasthof sind es 33 km. Laut Komoot 2:00. Mittag 13:00.
Ab Mittag mehrere Möglichkeiten: 1) Rückkehr nach Jüterbog 10km 2) Fahrt nach Luckenwalde 54,7km.
RK4 = 43,1 km
In der ersten Variante können Fahrer*innen nach Jüterbog zurückkehren. Das sind dann nur noch 10km. Tour auf Komoot. Züge nach Berlin ca. alle 30 Minuten.
Die Rennrad-Gang kann sich vor Ort schnell was planen. =:-)
Packzettel
Packliste:
viel zu trinken
Essen (Stullen, Brötchen, Riegel)
Sonnenschutz
Ersatzschlauch
geladenes Telefon
Powerbank
Monatskarte/FahrCard/Deutschlandticket/Ausweis
wenn Ihr lange fahren wollt: Fahrradbeleuchtung
Schmierzettel
Ich hatte noch verschiedene Touren nach Osten zum RE8 angeschaut, aber der fährt nur alle zwei Stunden. Geht nur für Profis, die wissen, wie lange sie brauchen: 2) Fahrt nach Drahnsdorf 3) Fahrt nach Klasdorf.
RK4 = 43,1 km
In der ersten Variante können Fahrer*innen nach Jüterbog zurückkehren. Das sind dann nur noch 10km. Tour auf Komoot.
Tour nach Drahnsdorf 70 km
Die Teiltour vom Landgasthof nach Drahnsdorf. Verbindung RE 8 alle zwei Stunden. Zum Beispiel 14:00 Abfahrt Landgasthof, 16:49 Abfahrt Drahnsdorf = 4:45h für 40,9km. Alternativ 15:04. Der Zug ist aber nur 30 min vor dem anderen da. Da würde ich die Zeit lieber im Wald verbringen.
Sehr geehrte Innenministerin von Berlin, sehr geehrte Frau Spranger,
Ich wende mich in diesem öffentlichen Brief direkt an Sie, weil ich in großer Sorge bin. Ich bin nebenberuflich Pressefotograf und arbeite seit 2019 an einer Dokumentation der Klimabewegung ich habe Fridays for Future seit dem dritten Streiktag fotografiert und dann auch andere Klimagruppen wie die sie wissenschaftlich beratenden Scientists For Future, wissenschaftliche Vorträge zu Klimathemen an Universitäten, die Parents for Future, Extinction Rebellion und den 2021 nach einem Hungerstreik aus Extinction Rebellion hervorgegangenen Aufstand der Letzten Generation. In den letzten Jahren war die Letzte Generation die mit Abstand aktivste Gruppe der Klimagerechtigkeitsbewegung, weshalb ich viele, viele Polizeieinsätze als Fotograf miterlebt habe. In der letzten Zeit habe ich Veränderungen festgestellt und am 13.04.2024 wurde eine neue Qualität erreicht, weshalb ich jetzt an sie schreibe: Es gab einen Bruch des Versammlungsrechts, massive Einschränkungen der Pressefreiheit und Gewalt von Seiten der Polizei, die man wohl als Folter bezeichnen muss.
Der Osten und die Stasi
Die erste Straßenblockade der Letzten Generation, die ich fotografiert habe, fand im Januar 2022 an der Prenzlauer Promenade in Pankow statt.
Am Straßenrand stand ein Anwohner, der sich den Prozess der Lösung der angeklebten Aktivist*innen ansah und anmerkte: „Damals beim Honecker hätten se die einfach von der Straße gefetzt.“ Ich habe nicht darauf geantwortet und mir gedacht, dass es doch ganz gut ist, dass „der Honecker“ nichts mehr zu sagen hat. Und der Mielke auch nicht. Ich war am 08.10.1989 und am 09.10.1989 in der Gethsemanekirche und nach den Protestversammlungen in der Kirche auf der Straße. Ich habe die Gruppen von Stasi-Leuten gesehen, die diskutierende Menschen umringt haben, die Diskussionen unterbunden oder die Menschen mitgenommen haben. Später kamen Berichte, dass Oppositionelle festgenommen wurden, über die Straße geschleift an den Haaren. Gewalt. Ich bin sehr froh, dass diese Zeit vorbei ist und dass die Bürgerbewegung gewaltfrei dieses System besiegt hat. Es war knapp, hätte auch blutig enden können, aber es hat geklappt.
An diese Begebenheit bei der ersten Blockade der LG musste ich denken, als ich die Bilder von der so genannten „Ungehorsamen Versammlung“ am 13.04.2024 bearbeitet habe. Die Bilder lassen mich nicht mehr los. Sie lassen mich nicht schlafen. Ich möchte Sie Ihnen zeigen und beschreiben, was passiert ist, und ich hoffe, dass die Bilder auch Sie berühren.
Versammlungsrecht
Am 13.04.2024 betraten Aktivist*innen der Letzten Generation im Bereich der Kreuzung Möllendorfstraße und Frankfurter Allee die Fahrbahn und setzten sich auf die Straße. Die Polizei schleifte oder trug die Aktivist*innen sofort von der Straße. Die Polizei stellte es anders dar:
Die Einsatzkräfte hätten die Blockade durch „Wegschieben und Wegdrücken“ verhindert, sagte eine Polizeisprecherin.
Da ich schon viele Aktionen der Klimagerechtigkeitsbewegung miterlebt habe, weiß ich, dass es ein Recht auf Demonstrationen gibt. Die Polizei versucht normalerweise, einen Versammlungsleiter zu finden, und verlegt die Versammlung an einen Ort, an dem sie weniger störend ist. Den Aktivist*innen auf der Straße wird mitgeteilt, dass sie die Straße zu verlassen haben, und wenn sie den entsprechenden Aufforderungen nicht nachkommen, werden entsprechende Maßnahmen eingeleitet, d.h. sie werden von der Straße getragen. Bevor Maßnahmen ergriffen werden, gibt es drei Durchsagen. Das war weder am 13.04. noch bei der vorausgehenden so genannten „Ungehorsamen Versammlung“ der Fall.
Die Berliner Polizei hat das Versammlungsrecht bewusst gebrochen.
Pressefreiheit
Ich habe den Einsatz von 11:45 bis 16:16 miterlebt und es gab in der gesamten Zeit eine massive Einschränkung der Pressearbeit. Wie auch schon am 16.03.2024 wurden Pressevertreter*innen geschubst. Abgesperrte Bereiche wurden willkürlich vergrößert, ohne dass das irgendwie dem sonst Üblichen entsprochen hätte. Das folgende Bild zeigt den von der Polizei abgesperrten Bereich:
Zur Straßenseite standen Mannschaftswagen. Die rot markierten Bereiche auf dem Fußweg waren durch die Polizei mit Flatterband abgesperrt. Das folgende Bild zeigt den östlichen Bereich der Frankfurter Alle mit einigen der behinderten Pressefotograf*innen:
Das folgende Bild zeigt den westlichen Bereich um 12:45. Bis zum Fahrstuhl war alles abgesperrt. Fotografen beschwerten sich bei der Polizei. Aus diesem Bereich und auch dem Bereich links wurden Fotografen weggeschickt.
Die Video-Journalistin Saskia Meyer filmt Wolfgang Metzeler-Kick in einer komplett statischen Situation und dann wird ihr einfach willkürlich und ohne Begründung das Filmen verboten (Stelle in ihrem Video).
Die folgenden beiden Bilder zeigen, wie ein Polizist den Regisseur eines Kino-Filmteams zurückdrängt:
Zusammenfassend kann man sagen, dass das Fotografieren und Berichten von den polizeilichen Maßnahmen massiv behindert wurde. Ich habe den Vergleich zu vielen vorherigen Aktionen. So etwas gab es bisher noch nie. Alle Pressefotograf*innen haben sich mehrfach beim Einsatzleiter beschwert.
Der Einsatzleiter war durchaus kooperativ, er bot mir an, mich in den Bereich unter der S-Bahn-Brücke zu begleiten, damit ich einige Bilder machen könne. Ihm scheint die Rolle der Medien nicht klar zu sein. Die Medien sind die vierte Macht im Staat. Für uns Pressefotografen ist eine Straßenblockade oder eine Demonstration kein Rockkonzert, bei dem der Star festlegt, dass man die ersten drei Lieder ohne Blitz fotografieren darf und je nach Vertrag die Bilder vor Veröffentlichung vorzeigen muss. Unsere Rolle ist es auch, die Polizei kritisch zu begleiten, und die Polizei hat dies zuzulassen. Das ist sehr anders, als das vor 1989 war. Damals haben nur sehr ausgewählte Fotograf*innen von ADN bei offiziellen politischen Ereignissen fotografiert und Aktionen der Oppositionellen waren ein Fall für die Stasi. Wer dort als freier Fotograf fotografiert hat, geriet schnell selbst ins Visier der Stasi.
Polizeigewalt
Polizeigewalt von 2022–2023
In all den Jahren, die ich jetzt die Letzte Generation fotografiert habe, gab es immer wieder Fälle von Polizeigewalt. Zum Beispiel am 14.10.2023, als die LG nach einem langsamen, genehmigten Marsch zum Rosenthaler Platz diesen blockierte.
Bei diesen Formen der Gewalt wurde Gewalt im Zusammenhang mit dem Transport von Aktivist*innen angewendet. Bei einer Aktion wurde eine Aktivistin an der Kapuze über die Straße gezogen, so dass sie röchelnd ohnmächtig wurde. Bei diesem Vorfall war ich nicht selbst dabei, aber es gibt Berichte darüber und Videos davon.
Am Rosenthaler Platz war ich dabei. Das ASOG Bln §11 schreibt vor, dass das mildeste zur Erreichung der Ziele zur Verfügung stehende Mittel genutzt werden muss. Ich habe die Anweisung eines Polizisten, der wahrscheinlich der Einsatzleiter war, gehört: „Nicht wegtragen. Bis an die Schmerzgrenze.“ Das klingt nicht nach dem Auftrag, das mildeste zur Verfügung stehende Mittel anzuwenden. Es gab ein wahrscheinlich gebrochenes Handgelenk und ein Aktivist wurde mit Schmerzgriffen unter den Kiefer transportiert.
Aktivist der Letzten Generation zeigt sein Handgelenk. Er wurde mit Anwendung von Schmerzgriffen von der Straße gezerrt. Sein Handgelenk ist überdehnt oder gebrochen. Er hat stark gezittert. Die Wunde stammt von einer früheren Blockade, wurde aber bei diesem Einsatz noch vergrößert. Rosenthaler Platz, Berlin, 14.10.2023Polizisten schleifen Aktivisten der Letzten Generation mit Handgelenkhebel und Schmerzgriff unter den Kiefer am Kopf von der Straße. Der Aktivist hat einen Schuh verloren. Der Befehl lautete: „Nicht wegtragen. Bis an die Schmerzgrenze.“ Rosenthaler Platz, Berlin, 14.10.2023
Bei all dem kann man sich einreden, dass die Polizist*innen halt inkompetent waren und die Beugehebel nicht richtig dosieren konnten. Die Griffe unter den Kiefer kann man vielleicht als Einzelfall abtun. (Bei einigen Aktionen waren auch in der Tat nur einzelne Polizisten gewalttätig. Zum Beispiel bei der Massenblockade der Straße des 17. Juni am 28.10.2023 und bei einer Farbaktion am Kanzleramt am 02.03.2024 (Bundespolizei).)
Bauernproteste
Dass es irgendwie verschiedene Standards in der Polizeiarbeit geben muss, wurde mir beim Nachdenken über die Behandlung der protestierenden Bauern klar. Ich kenne keinen einzigen Bericht über Polizeigewalt gegenüber gewaltfrei agierenden Bauern oder Bäuer*innen. Im Gegenteil: Symbole der Landvolkbewegung, einer Vorgängerorganisation der NSDAP, waren trotz Diskussion in der Presse (taz, 09.01.2024) über Tage an den Traktoren zu sehen. Bauern fuhren hupend durch Berlin. Tag und Nacht. Die Bauern blieben von der Polizei unbehelligt.
Traktor mit Fahne der Landvolkbewegung, einer Vorläufer-Organisation der NSDAP bei den Bauernprotesten am Brandenburger Tor. Dieses Transparent ist auch am dritten Tag der Proteste nach Kritik an der Unterwanderung der Proteste durch Rechtsextreme noch zu sehen. Berlin, 10.01.2024
Daraus folgt, dass die Berliner Polizei und auch die Polizei bundesweit bzw. die Politiker*innen, die für die Polizeien der Länder verantwortlich sind, mit zweierlei Maß messen.
2024
Alles bisher Erlebte wurde noch übertroffen vom 13.04.2024, an dem ich Zeuge massiver Polizeigewalt geworden bin. Ich kann die Bilder nicht vergessen. Es sind meine eigenen Bilder. Ich kann die Schreie der gequälten Aktivist*innen nicht vergessen. Sie verfolgen mich.
Ich konzentriere mich im Folgenden auf die krassesten Fälle. Beugehebel zum Transport, die bis zu gebrochenen Handgelenken führen, sind für die Berliner Polizei normal. Das folgende Bild zeigt Regina S. (22, Medizinstudentin), die so an den Armen getragen wird, dass Ihr gesamtes Körpergewicht auf den Schultergelenken ruht. Sie schreit vor Schmerzen, sie ist hochrot im Gesicht. Ihre Hände sind durch Handschellen gefesselt.
Regina S. von der Letzten Generation wird von Polizisten unter Zufügung von Schmerzen zur Personalienaufnahme getragen. Ihre Arme sind hinter dem Körper mit Handschellen gefesselt. Ihr gesamtes Körpergewicht lastet auf den nach hinten gedrehten Schultergelenken. Sie schreit vor Schmerzen. Nach versuchter Blockade der Frankfurter Allee, Berlin, 13.04.2024Regina S. von der Letzten Generation wird von Polizisten unter Zufügung von Schmerzen zur Personalienaufnahme getragen. Ihre Arme sind hinter dem Körper mit Handschellen gefesselt. Ihr gesamtes Körpergewicht lastet auf den nach hinten gedrehten Schultergelenken. Sie schreit vor Schmerzen. Nach versuchter Blockade der Frankfurter Allee, Berlin, 13.04.2024Regine S. von der Letzten Generation wird von anderen Aktivist*innen nach Polizeigewalt getröstet. Sie weint und ihr Gesicht ist sehr rot. Berlin, 13.04.2024
Die Frage, die man stellen muss: Ist das Handeln der Polizei angemessen, wenn das Ziel der Transport von A nach B ist? Bestraft die Polizei Regina S.? Wofür? Dafür, dass sie auf der Straße gesessen hat oder sich auf die Straße setzen wollte? Regina S. mag eine Straftäterin sein. Sie wurde gerade für das Ansprühen des Brandenburger Tors zu 8 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Ob das Urteil Bestand haben wird, wird sich noch zeigen. In jedem Fall ist es nicht die Aufgabe der Polizei, Aktivist*innen zu bestrafen. Ihre Aufgabe ist es, Straftaten zu verhindern und mutmaßliche Straftäter*innen festzusetzen, so dass ihre Personalien aufgenommen werden können und sie vor Gericht gestellt werden können. Die Polizei ist nicht die Instanz, die die Bestrafung durchführt. Und wenn sie es wäre: Schultern verrenken, Handgelenke brechen, Schmerzgriffe an Schmerzpunkten im Gesicht gehören nicht zu den Strafen, die in Deutschland verhängt werden.
Das zweite Beispiel ist der Umgang mit Wolfgang Metzeler-Kick. Dieser Mann befand sich am 13.04. am 38. Tag im Hungerstreik. Er hatte in den Wochen davor bereits 14kg Gewicht verloren und war entsprechend stark geschwächt. Das wurde der Polizei mitgeteilt. WMK wurde mit Beugehebel und Griff unter den Kiefer abtransportiert.
Wolfgang Metzeler-Kick, am 38. Tag im Hungerstreik, wird unter Einsatz von Schmerzgriffen aus dem Polizeikessel gebracht. Berlin, 13.04.2024
Dann wurden ihm vom selben Polizist Nase und Mund zugehalten.
Wolfgang Metzeler-Kick, 49, Ingenieur für technischen Umweltschutz am Tag 38 seines Hungerstreiks, wird aus dem Polizeikessel gebracht. Polizist setzt Schmerzgriff gegen Nase ein. Nach versuchter Blockade der Frankfurter Allee, 13.04.2024
So, dass WMK ohnmächtig wurde:
Im Hintergrund ist immer ein Kino-Filmteam zu sehen, das an der Arbeit gehindert wird:
Wolfgang Metzeler-Kick, Ingenieur für technischen Umweltschutz, am 38. Tag im Hungerstreik, ohnmächtig in polizeilicher Maßnahme. Nach versuchter Besetzung der Frankfurter Allee durch Letzte Generation. Im Hintergrund diskutiert Filmteam mit Polizei, die an diesem Tag die Pressefreiheit massiv eingeschränkt hat. Berlin, 13.04.2024
Bitte sehen Sie sich die Nase von WMK an. Der Druck auf seine Nase war so groß, dass das Fett aus den Poren kam:
Wolfgang Metzeler-Kick, am 38. Tag im Hungerstreik, wurde unter Einsatz von Schmerzgriffen aus dem Polizeikessel gebracht. Auf seiner Nase kann das Fett sehen, das ein Polizist bei der Anwendung von Schmerzgriffen aus den Poren herausgedrückt hat. Nach versuchter Blockade der Frankfurter Allee mit der Letzten Generation, Berlin, 13.04.2024
Polizist*innen hätten WMK leicht tragen können. Er wiegt nicht mehr viel.
Beim dritten Fall vom 13.04.2024 geht es um Gewalt gegen einen 16jährigen Jugendlichen. Die Polizei stellte ab 12:00 die Personalien der Aktivist*innen nach und nach fest und brachte sie dann in die U-Bahn oder auf den Heimweg. Die meisten Aktivist*innen hatten den Ort des Geschehens verlassen. Gegen 16:00 kamen einige zurück, aber die Polizei konnte die Straße sehr schnell räumen. Da nur wenige Aktivist*innen vor Ort waren (vielleicht 6–8), war das Kräfteverhältnis von Polizist*innen zu Aktivist*innen vielleicht 10:1.
Massives Polizeiaufgebot für weniger als 10 Aktivist*innen nach versuchter Blockade der Möllendorfstraße/Frankfurter Allee durch die Letzte Generation, Berlin, 13.04.2024
Unter der S-Bahn-Brücke wurden die Aktivist*innen zusammengeführt. In dem noch von den ersten Maßnahmen abgesperrten Bereich. Ich wurde Zeuge der Anwendung von Schmerzgriffen. Gemeinsam begangen von vier Polizisten. Auf dem ersten Bild sieht man den Aktivisten schreien:
Vier Polizisten umringen Daniel, einen 16jährigen Aktivisten der Letzten Generation. Man sieht noch ein Stück seines Gesichts, man sieht ihn schreien. Nach kurzzeitiger Blockade der Frankfurter Allee, Berlin, 13.04.2024
Auf dem zweiten Bild sieht man die Schmerztechnik, die angewendet wurde:
Polizist wendet Drucktechniken gegen 16jährigen Aktivisten der Letzten Generation an. Dieser schreit vor Schmerzen. Vier kräftige Polizisten stehen dabei. Sie hätten ihn ohne Probleme transportieren können. Nach kurzzeitiger Besetzung der Frankfurter Allee, Berlin, 13.04.2024
Dem sehr jungen Aktivisten wurden an den Druckpunkten am Ohr gezielt Schmerzen zugefügt. Vier Polizisten umringen ihn. Zwei von ihnen hätten ihn leicht wegtragen können. Die gesamte Situation war entspannt. Es war ein massives Polizeiaufgebot vor Ort. Es gab keinen Grund dafür, Gewalt anzuwenden, nicht mal für Beugehebel. Was Sie hier sehen sind keine Beugehebel. Das ist das gezielte, absichtliche Zufügen von Schmerzen mit dem Ziel einen Menschen zu brechen, mit dem Ziel, ihn ein und für alle Mal davon abzubringen, sich irgendwo auf die Straße zu setzen. Das ist in unserem Gesellschaftssystem unzulässig. Ich habe mit dem Aktivisten gesprochen. Er heißt Daniel und er ist 16 Jahre alt.
Am 02.03.2024 hat er am Kanzleramt mit anderen jungen Aktivist*innen um Hilfe gerufen:
Jugendliche Aktivist*innen der Letzten Generation haben mit orangener Farbe „Hilfe! Eure Kinder“ an das Bundeskanzleramt geschrieben und sitzen jetzt in Handschellen davor. Berlin, 02.03.2024
Er steht rechts außen auf dem Bild. An seiner Hand ist Farbe. Wahrscheinlich stammen ein paar der Abdrücke am Kanzleramt von seiner Hand. Wahrscheinlich ist er ein Straftäter. Seine Personalien wurden am 02.03. aufgenommen und es wird ein Strafverfahren geben. Das berechtigt aber niemanden, ihn zu quälen. Auch nichts anderes würde jemanden dazu berechtigen. Die Situation an der Frankfurter Allee war unter Kontrolle. Die Polizisten hätten ihn zu viert oder zu zweit wegtragen können. Er wiegt noch weniger als der hungernde Wolfgang Metzeler-Kick.
Daniel wurde auch früher schon Opfer von Polizeigewalt. Er wurde bei einer Massenblockade von zwei Polizisten mit Beugehebeln weggeführt.
Polizisten schleifen 16jährigen Aktivisten mit Schmerzgriffen von der Straße. Bei Blockade der Elsenbrücke durch verschiedene Klimagruppen, Berlin, 09.12.2023
Ab irgendeinem Punkt half ein Kollege und trug die Beine. Die vorn laufenden Beamten verwendeten Beugehebel so stark, dass Daniel schrie. Der Polizist rief dazu: „Sie haben Beine, Sie können laufen! Benutzen Sie Ihre Beine!“. Der Aktivist muss sich verhöhnt gefühlt haben.
Polizeigewalt mit Beugehebeln, obwohl Aktivist getragen wird und komplett in der Luft ist. Bei Blockade der Elsenbrücke durch verschiedene Klimagruppen, Berlin, 09.12.2023
Sehr geehrte Frau Spranger, Sie sind Mitglied der SPD. Ich habe bei der Bundestagswahl Klaus Mindrup von der SPD als meinen Direktkandidaten gewählt. Ich habe diese Wahl bei der Nachwahl bestätigt. Mein Großvater war in der SPD, der Großvater meiner Frau war in der SPD. Mein Großonkel war in der SAJ, der Jugendorganisation der SPD. Mein Großonkel hat 1934 Flugblätter für eine Einheitsfront gegen die Nazis verteilt. Er wurde erwischt und zu einem Jahr und neun Monaten Zuchthaus verurteilt. Die Richter begründeten die „Milde“ des Urteils damit, dass er zum Tatzeitpunkt noch sehr jung war. Man Großonkel kam ins KZ Lichtenburg. Die Häftlinge in Lichtenburg wurden geschlagen und gefoltert. Bitte sorgen sie dafür, dass in dieser Stadt niemand andere Personen quält. Nie wieder!
Verbotene Losungen und Polizei in demokratischen Gesellschaften
In einem kleineren Teil der Klimabewegung findet man manchmal die verbotene Losung ACAB oder 1312 bzw. die nicht verbotene Variante davon ACAT, die ich noch schlimmer finde. In sozialen Medien kommentiere ich regelmäßig dagegen. Ich habe auch schon sehr junge Aktivist*innen „Abolish the police“ rufen hören. Dieser Wunsch nach Abschaffung der Polizei ignoriert die Tatsache, dass Demonstrationen für mehr Klimaschutz nicht ohne Polizeischutz stattfinden können. Prominente wie Luisa Neubauer oder Greta Thunberg werden von der Polizei geschützt, die Polizei sperrt Straßen und regelt den Verkehr. Außerdem gibt es auch positive Erfahrungen. Bei der besagten Blockade am 13.04.2024 schützte mich ein Polizist vor einer außenstehenden Passantin, die mich daran hindern wollte, eins der obigen Bilder von Regina S. zu machen. Es gibt Bilder wie das folgende, die menschlichen Kontakt zu Aktivist*innen zeigen.
Marlen Stolze, Aktivistin der Letzten Generation, nach Räumung von der Frankfurter Allee im Gespräch mit einem Polizisten. Im Hintergrund zerrt die Polizei andere Aktivist*innen von der Straße. Rechts hält jemand die Verfassung von Berlin und das Grundgesetz hoch. Berlin, 13.04.2024
Das folgende Bild zeigt die Räumung einer 86jährigen Aktivistin der Letzten Generation. Ein Polizist sagt zu ihr: „Wir werden ihnen nicht weh tun.“, worauf die Aktivistin ihn berührt und sagt: „Ich weiß, dass sie mir nicht wehtun werden.“
Zivilpolizisten im Gespräch mit der 86jährigen Aktivistin Jutta Heusinger. Polizist: „Wir werden Ihnen nicht wehtun.“ Jutta Heusinger: „Ich weiß, dass sie mir nicht wehtun werden.“ Während der Blockade Mollstraße/Prenzlauer Allee, Berlin, 19.09.2023
Die Polizisten haben sie dann zu zweit weggetragen. Das war nicht schwer.
Polizisten tragen die 86jährige Aktivistin Jutta Heusinger von der Straße. Während der Blockade Mollstraße/Prenzlauer Allee, Berlin, 19.09.2023
Diese Szene zeigt, dass alte Menschen ein Grundvertrauen in die staatlichen Organe haben können. Ich möchte in einem Land leben, in dem alle dieses Grundvertrauen haben. Ich möchte eine Polizei, die die Diebe fängt, die mir die Modelleisenbahn aus dem Keller geklaut haben, die die Diebe fängt, die unsere Fahrräder geklaut haben, die die Straßen absperren, wenn Jung und Alt demonstrieren. Eine Polizei, die für uns da ist.
„Da für Dich“. Ernst Hörmann, 72 Jahre, wird nach der Blockade der Autobahn A100 mit dem Aufstand der Letzten Generation abgeführt. Berlin, 29.06.22
Medien – die vierte Macht im Staat
Die Massenmedien sind die vierte Macht oder auch die vierte Gewalt im Staat. Ihre Aufgabe ist es, über die drei Staatsgewalten Legislative, Exekutive und Judikative zu berichten, und so Machtmissbrauch zu verhindern. Die Exekutive hat am 13.04. die Freiheit der Presse und anderer Medien massiv eingeschränkt und die Massenmedien haben nicht ausreichend berichtet. Ich bin Teil der Presse und habe meine Bilder zur Verfügung gestellt. Sie sind in der Bilddatenbank Picturemaxx verfügbar, aus der sich die Presse und auch das Fernsehen bedient, und werden auch über dpa-Kanäle vertrieben. Das Thema wurde nicht aufgegriffen, selbst die taz hat nur die Pressemitteilungen der Polizei zitiert. Drum tue ich in diesem offenen Brief etwas, was normalerweise nicht gemacht wird: Ich schreibe zu meinen Bildern. Normalerweise sind Text und Bild verschiedene Verantwortungsbereiche. Ich sehe es jedoch als meine Pflicht an, als meine Pflicht als Bürger dieses Landes und dieser Stadt, diesen Brief zu schreiben.
In was für einem Land wollen wir leben?
Ich kann in diesem Land nicht schlafen. Ich möchte in solch einem (Bundes-)Land nicht leben. Frau Spranger, ich bitte Sie inständig, als Fotograf, als besorgter Bürger, als potentieller Wähler, als Mitglied der Intelligenz dieses Landes: Es liegt in Ihrer Macht. Sie können beeinflussen, wie die Polizei handelt. Bitte geben Sie entsprechende Anweisungen und beenden Sie die Folter.
Heute ist Karfreitag. Aber seid nicht traurig. Zwei Tage später war dann alles wieder gut. Jedenfalls anders. Besser. Besser als am Freitag.
Ansonsten weiß ich nicht, wie das gesehen wird, ob der Himmel besser ist als das Leben auf der Erde. Ich hatte ja in der Schule kein Religionsunterricht und kenne mich da nicht so aus. Ich könnte mal meine Kinder fragen, die hatten das ja jahrelang. Obwohl: Während der Corona-Zeit hatten sie keinen. Das lag daran, dass der vom Land Berlin bezahlte Religionslehrer fand, die Kinder hätten es schon schwer genug, da müsse man mit diesem Online-Kram nicht auch noch anfangen. Also hat er einfach keinen Religionsunterricht gemacht. Der kommt garantiert in die Hölle.
Man müsste mal die Klimawissenschaftler*innen und die Meterolog*innen fragen, wie das Wetter im Himmel werden wird, vielleicht wird es in Zukunft dort auch nicht mehr schön sein. Bei der Hölle bin ich mir relativ sicher, dass es da einigermaßen erträglich sein wird. OK. Es wird warm sein, das wussten wir ja schon immer, aber es wird besser als an den meisten Stellen auf der Erde sein. Das kann ich indirekt erschließen, weil die Verantwortlichen von Exxon, Shell, Total Energies, Wintershall DEA, usw. alle in die Hölle kommen werden und die hatten in den 70er Jahren gute Forschungsabteilungen, die das alles bestens erforscht haben.
„We were excellent scientists“, „Yes, you were. So they knew! .“
Wenn es in der Hölle schlimmer wäre als auf Erden, würden sie nicht so handeln, wie sie handeln. Ich vermute also, dass es in der Hölle ungefähr so heiß sein wird, wie in den Hitzesommern zur Zeit in Berlin. Nicht angenehm, aber ganz ok, wenn man den Rest der Welt im Jahre 2050 zum Vergleich nimmt.
Wie das mit dem Himmel wird, ist mir nicht ganz klar. Ich konnte bei einer Kurzrecherche im Netz nichts dazu finden. Hier gibt es scheinbar noch Forschungsbedarf. Es ist jedoch jetzt schon absehbar, dass auch der Himmel nicht mehr das sein wird, was er mal war. Denn unsere Erde liefert schon jetzt nicht immer einen schönen Anblick. Wer möchte denn schon zurückblicken und dieses Jammertal sehen, das man doch immer hinter sich lassen wollte.
Bild aus dem All von Alexander Gerst. Dürre im Raum Köln. Tweet 06.08.2018
Oder wird es bestimmte Zonen im Himmel geben? VIP-Lounges, Bereiche für Privilegierte, wo immer Wolken den Blick nach unten verhindern? Oder advanced, so eine Art Content-Warning. Wenn man gut drauf ist, kann man die Wolken beiseite schieben und sich unten die Dürre angucken, aber man ist eben nicht gezwungen, das Leiden anzusehen.
Also wie nun? Was im Himmel kommt, weiß man nicht. Man weiß nicht mal, ob es da noch etwas gibt (obwohl ich ja zumindest einen Gottesbeweis erbracht habe). Vielleicht sollten wir uns also doch alle bemühen, es hier auf der Erde erträglich zu halten. Bewahrung der Schöpfung und so. Aber wenn es dann einen Himmel gibt und wir von dort nach hier gucken können, dann wäre es doch auch sehr schlau, vorsorglich schon mal dafür zu sorgen, dass der Blick nach unten nice wird.
Sag’s mit Musik
Du kennst Dir nich mehr aus mit den janzen Jewimmel? Kiek nach oben! The Sky is der Himmel.
Ich habe am Sonnabend eine Farbattacke von Jugendlichen der Letzten Generation auf das Bundeskanzleramt fotografiert. Dabei bin ich in eine Farbpfütze getreten und hatte dann einen Schuh komplett mit Farbe voll.
Farbe am Schuh nach Tritt in eine Farbpfütze bei Dokumentation einer Farbattacke der Letzten Generation ging leicht ab. Berlin, 02.03.2024
Zuhause habe ich den Schuh mittels eine Bürste in einer Minute gereinigt.
Gereinigter Schuh nach Tritt in eine Farbpfütze bei Dokumentation einer Farbattacke der Letzten Generation. Berlin, 02.03.2024
Er war sicher weniger porös als das Brandenburger Tor.
Auf dem Weg zur Massenblockade am Nachmittag stellte ich fest, dass auch der andere Schuh einige wenige Farbspritzer abbekommen hatte. Und guckt mal, das ist doch das Firmenlogo von Nike. Ein Zufall?
Schuh mit einem Farbspritzer, der dem Firmenlogo von Nike gleicht. Berlin, 02.03.2024
Wer in Zeiten an Zufälle glaubt, in denen nach Demonstrationen von Millionen Menschen gegen Rechtsextremismus, plötzlich eine RAF-Rentnerin auftaucht, die schon jahrelang Bilder von sich auf Facebook postet und wo dann nach der dritten Durchsuchung ihrer Wohnung plötzlich eine Kalaschnikow, eine Pistole und eine Panzerfaust gefunden wird, der ist naiv. Wo hätten diese Gegenstände denn versteckt worden sein sollen? Die Eierhandgranate passt nicht in den Eierbecher, die Panzerfaust nicht in den Schirmständer und Spülkästen, in denen man die Pistole hätte verstecken können, gibt es nicht mehr. Das alles ist so unplausibel, das kann kein Zufall sein!
Aber was dann? Ein Zeichen? Von wem? Von Gott? Und was sollte es bedeuten? Just Do It? Und für wen war es? Für mich, für die Aktivist*innen? War ich mitgemeint? War es ein Fehler? Hatte sich Gott vertan? Wollte er eigentlich den Aktivist*innen einen Nachricht schicken und hatte meinen linken Schuh erwischt? Aber Gott fehlt nie, oder? Oder doch? Die Weltkriege? Die Konzentrationslager, die aktuellen Kriege in Israel und Gaza, Putins Krieg? Ach, was weiß ich, ich kenn‘ mich da nicht so aus. (Mit fehlen meinte ich Fehler machen, nicht blau machen. Ach, egal, im Endeffekt läuft das wohl auch auf Dasselbe hinaus.)
Ich hatte ja im letzten Jahr einen Gottesbeweis geführt. Und ich hatte nicht nur die Existenz Gottes bewiesen, ich hatte ihn sogar gesehen! Ich will Euch hier nicht mit den Details langweilen, das müsst Ihr im Blog-Post selbst noch mal nachlesen.
Polizisten halten drei Journalisten und einen Aktivisten der Letzten Generation zur Personalienfeststellung fest. Ich wurde dann auch festgehalten. Das entspricht nicht der Gesetzeslage und bedeutet eine Einschränkung der Pressefreiheit. Kanzleramt, Berlin, 21.02.2023
Also, dass Gott da irgendwo am Kanzleramt abhängt, war klar. Aber ich hatte ihn an der anderen, der linken Seite, gesehen. Vielleicht war hier – bei der Farbaktion, an der rechten Seite – gar nicht Gott am Werke sondern sein Gegenspieler: der Teufel.
Dafür spricht leider so Einiges: Einer der Polizisten kniete auf den Hälsen oder Köpfen all derjenigen, die er fesselte. Diese jammerten und schrien und weinten, wie man auch auf Videos sehen kann.
Polizei fesselt Aktivist*innen der Letzten Generation nach Farbattacke auf das Bundeskanzleramt mit Handschellen. Polizist kniet auf dem Kopf der Aktivistin. Im Vordergrund Die In. Berlin, 02.03.2024Polizist kniet bei Fesselung einer Aktivistin der Letzten Generation mit Handschellen auf deren Gesicht. Nach Farbattacke auf das Bundeskanzleramt. Berlin, 02.03.2024Polizist kniet auf Hals einer Aktivistin der Letzten Generation. Sie schreit und weint vor Schmerzen. Fesselung nach Farbattacke auf das Bundeskanzleramt mit Handschellen. Auf dem Schild des dahinterliegenden Jugendlichen steht: „You are killing us“. Berlin, 02.03.2024Aktivistin der Letzten Generation mit Träne im Gesicht, weil Polizist auf ihrem Gesicht gekniet hatte. Polizist prüft, ob sie noch bei Bewusstsein ist. Nach Farbattacke auf Bundeskanzleramt, Berlin, 02.03.2024Polizei fesselt Aktivist*innen der Letzten Generation nach Farbattacke auf das Bundeskanzleramt mit Handschellen. Im Hintergrund eine Frau, die vorher auch vom rechten Polizisten mit dem Knie auf dem Hals und Gesicht am Boden fixiert worden war. Berlin, 02.03.2024
So wie Gott damals versuchte auch er, die Pressefreiheit einzuschränken, aber sein Vorgesetzter wies ihn in die Schranken. Moment, jetzt wird es unübersichtlich, der Vorgesetzte vom Teufel? Wie geht das denn? Ach so: Bei Gott gibt es niemanden, der über ihm steht, aber der Teufel ist ganz unten, so dass alle über ihm stehen. Die Frage, wie das mit dem Gehorsam ist, lasse ich hier offen. Irgendwie war das mit dem Gottesbeweis damals einfacher. Beim Teufel ist es schwierig. Der Teufel steckt im Detail.
Vielleicht war es aber auch nicht der Teufel selbst sondern sein Auszubildender. Irgendwann fragte einer der umstehenden Polizisten, warum die denn alle gefesselt werden müssten. Das fragte ich mich auch. Die Antwort war: Um sie von weiteren Straftaten abzuhalten. (Die Wand war da schon überall mit Farbe bemalt und die Wand ist ohnehin nach der 573ten Farbattacke abwaschbar. Man hätte die Jugendlichen also ruhig noch ein bisschen machen lassen können.) Später fragte ich den Polizisten, der gefragt hatte, ob über 50 Polizist*innen zzgl. Zivilkräfte nicht ein bisschen viel für 16 Aktivist*innen seien und er meinte, dass das sein erster Einsatz sei und er das auch nicht wüsste. Also, vielleicht war es ja auch nicht der Teufel sondern er, der für die Verteilung der Zeychen verantwortlich war.
Zeychen & Wunder
„Wir lebten in Tagen von Zeychen & Wundern. Wo sind sie hin? Keiner sah sie gehn. […] Trotz alldem verbleiben noch 1 … 2 Sekunden. In denen wird vielleicht noch so ein Wunder geschehn.“ AG Geige: Zeychen und Wunder, 1988.
Wir konnten damals lesen. Sogar zwischen den Zeilen. Heute braucht man den Platz zwischen den Zeilen nicht mehr, denn es gibt genug Papier. Aber es liest niemand mehr.