Gottesbeweis

Twitter ist unerträglich geworden. Also noch unerträglicher. Also so, dass man es nicht mehr ertragen kann und gehen muss. Ich habe beschlossen einige der langen Threads für die Nachwelt zu erhalten. Hier der . Hashtags lasse ich drin, die Threadzahlen habe ich entfernt. Der ursprüngliche Tweet ist vom 21.02.2023

Wow! Ich habe #Gott gesehen. Aber der Reihe nach. Ich habe dieses Bild gemacht und wurde dadurch zum Gegenstand einer polizeilichen Maßnahme. Die Polizei hat mich über 20 Minuten festgehalten und an meiner Arbeit gehindert. #Pressefreiheit So wie andere Journalisten auch.

Polizisten halten drei Journalisten und einen Aktivisten der Letzten Generation zur Personalienfeststellung fest. Ich wurde dann auch festgehalten. Das entspricht nicht der Gesetzeslage und bedeutet eine Einschränkung der Pressefreiheit. Kanzleramt, Berlin, 21.02.2023

Das Bild zeigt einen Aktivisten der #LetzteGeneration neben der am besten bewachten Wand in Deutschland: der Wand am Kanzleramt. Es ist völlig legitim, dieses Bild zu machen. Nicht nur für Menschen mit Presseausweis. Die Polizei hatte da schon mehrere Journalisten gekesselt und war gerade dabei, deren Personalien festzustellen. Das ist ein massiver Eingriff in die #Pressefreiheit und nicht zulässig. Ein Polizist schickte mich auch in den Kessel und wollte meine Personalien aufnehmen. Ich habe ihm gesagt, dass ich hier fotografieren könne und ich mit seinem Vorgesetzten sprechen möchte. Er: Ich bin der Vorgesetzte. Ich: Ich möchte mit Ihrem Vorgesetzten sprechen. Er: Ich bin mein Vorgesetzter. Die einzige Möglichkeit, wie diese Aussage wahr sein kann, ist, dass er #Gott ist. Ich habe hiermit also bewiesen, dass es Gott gibt. Ich habe ihn sogar selbst gesehen! #Gottesbeweis #Logik Und obwohl er nicht nett zu mir war, bin ich ab heute katholisch und verabschiede mich jetzt in den #Karneval.

Ein Journalist war von dpa und dpa wird wohl auch eine diesbezügliche Pressemitteilung machen. Es schockiert mich, dass die Polizist*innen nicht über die rechtliche Lage Bescheid wissen. Da ist dringend Weiterbildung nötig. Übrigens war auch eine Polizistin da, die die Lage richtig beurteilt hat. Aber sie war nicht Gott. Letztendlich war aber Jörg Reichel von #Verdi wieder mal die Rettung, und hat bei den entsprechenden Stellen angerufen, so dass das insgesamt nicht so lange gedauert hat. Danke!

Das hier ist die am zweitbesten bewachte Wand in Deutschland (die rechte vom #Kanzleramt). Hier hat es der Aktivist geschafft ein #Herzchen ans #Kanzleramt zu malen. Dauert halt ein paar Sekunden, bis man aus dem Auto raus ist. #LetzteGeneration

Julian Huber von der Letzten Generation vor den Kipppunkten sprüht direkt neben dem Polizeiauto ein Herz der Letzten Generation an die Wand des Kanzleramts. Berlin, 21.02.2023

Wenn man sich zu so gesellschaftliche relevanten Themen positioniert und glaubt einen #Gottesbeweis gefunden zu haben, dann muss man sehr, sehr vorsichtig sein. Die Materie ist nicht einfach und vielleicht gibt es irgendwo einen Denkfehler oder irgendetwas, was man übersehen hat. Ich hatte zwar in mathematischer Logik im Studium eine 1 und habe Logik auch oft unterrichtet, aber man weiß ja nie. Ich habe also bzgl. Gott noch einmal eine zweite Meinung eingeholt. Mein Bekannter meinte, der Chef des Polizisten, der sein eigener Vorgesetzter sei, wäre Scholz. (So auch @IlaiAnton in den Kommentaren). Das hat mich kurz verunsichert. Aber 1) hätte Scholz keinen weltlichen Chef, da der Bundeskanzler nicht dem Bundeskanzler unterstellt ist, und zweitens ist Gott der Chef von Scholz. Natürlich! Ich habe dann gleich noch mal nachgeguckt, wie Scholz seinen Amtseid geleistet hat, aber er hat nicht „So wahr mir Gott helfe!“ gesagt. Letztendlich ist das aber völlig irrelevant, ob Scholz an Gott glaubt oder nicht. Die Hindus, Muslime usw. glauben ja auch nicht an unseren Gott. Ich habe dann auch gleich noch einen Beitrag von meinen neuen katholischen Freunden gefunden:

Und die wissen, ohne Gottes Hilfe geht gar nichts!

Corona, Klimawandel, geht alles nur mit Gott. Mir wird jetzt einiges klar! 1) Gott hat Scholz die #FDP geschickt. Oder war es der Teufel? 2) Und ich bin heute morgen abgelenkt worden, so dass ich das Hauptmotiv verpasst habe. Wäre ich heute morgen schon katholisch gewesen, dann wäre das sicher nicht passiert. Mein Bekannter hat mir dann auch noch erzählt, dass seine Partnerin heute (!!!) aus der Kirche ausgetreten ist. Aus der katholischen. Hab ich mir nicht ausgedacht. Ich schwöre!

Kannste Dir nicht ausdenken! Nach weiterem intensiven Nachdenken habe ich eine Stelle gefunden, an der mein Gottesbeweis evtl. problematisch ist. Es könnte sein, dass die Aussage des Polizisten „Ich bin mein Vorgesetzter.“ falsch war. Das würde aber bedeuten, dass es Polizisten gibt, die nicht die Wahrheit sagen. Das ist aber ausgeschlossen, denn Polizist*innen sagen immer die Wahrheit. Sie sind verbeamtet und schwören auch, ihre Amtspflichten gewissenhaft zu erfüllen. Eventuell hat Gott, also der Beamte, aber bei seiner Verbeamtung auf Gottes Hilfe verzichtet, so dass ihm heute ein Fehler unterlaufen ist. Eine große Gefahr bei Gottesbeweisen ist übrigens, dass sie zirkulär werden. Aber meiner ist ja recht einfach.

Vielleicht könnte auch @TheTweetOfGod mal kurz bestätigen, dass er heute am Kanzleramt war. Kann Gott Deutsch? Ist #Gott auch auf #Mastodon? Hat er noch Zugang zum API? Jetzt mache ich erst mal Mittagsschlaf. Als Katholik darf ich das ja.

Mein Gott! Ich wollte gerade sagen, so schnell könnt Ihr das gar nicht lesen, wie das geliket wurde:

Tweet mit 36 likes nach 26 Sekunden.

Aber Twitter ist halt Betrug:

Die Likes stammten von Bots.

Die Katholiken oder Gott sollten noch mal darüber nachdenken, wie sie ihre Bots programmieren. Denn in diesem tweet ging es um Kirchenaustritte. Da sind Likes wohl unangebracht.

Tweet über Kirchenaustritte mit 25 Likes von Bots.

Also eigentlich ging es wohl um diese Aktion, das Herzchen war nur die Ablenkung.

Aktivisten der Letzten Generation haben vor dem Bundeskanzleramt einen Baum gefällt: Die Bundesregierung sägt den Ast ab, auf dem wir sitzen. Links Lina Schinköthe, rechts Franz Winter, Im Hintergrund sieht man das Polizeiauto, das die Wand vom Kanzleramt bewacht und klein einen weiteren Aktivisten, der die Wand zur Ablenkung besprüht hat. Berlin, 21.02.2023

Hat mich auch abgelenkt. In der Pressemitteilung der #LetzteGeneration steht dazu: „Dort, im Machtzentrum Deutschlands, fällten sie heute einen Baum mit einer Handsäge. Der tote Stumpf vor der Haustüre des Kanzlers stehen dort nun als Mahnmal für das, was eigentlich längst offenkundig ist, aber trotzdem jeden Tag wie ganz selbstverständlich geschieht: „Die Bundesregierung treibt ganz aktiv die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen weiter voran. Sie sägt an dem Ast, auf dem wir alle sitzen.”“ Hier das ganze Album: https://www.flickr.com/photos/stefan-mueller-climate/albums/72177720306165190

So: Ich trolle jetzt meine eigenen Tweets! Liebe #LetzteGeneration, es heißt Haustür und nicht Haustüre. Türe steht im Duden als „landschaftlich“. Ja, ich weiß, auch die Aufzüge in Berlin sagen „Türe“. Die kommen auch aus Landschaften ….

Also das ist ja wirklich vertrackt! Ich habe mit meinem Sohn über #Gott und meinen #Gottesbeweis gesprochen und er hat mich darauf hingewiesen, dass ich in die #Hölle komme, denn ich habe ja ein Abbild Gottes geschaffen und das ist verboten. Das Fatale an der Sache: Gott, also der Polizeibeamte, hatte Recht: Ihn abzubilden war verboten. Aber wie hätte ich das denn wissen können? Er sah halt aus wie ein normaler Polizist. Und muss man für die Höllenvorbereitung die Personalien aufnehmen? Und geht das nicht eigentlich schneller als ’ne Stunde? Und wenn ich beichte? Komme ich dann trotzdem noch in die Hölle? Mein Sohn meinte, ich solle auf alle Fälle noch was spenden. Ich bedauere es wirklich sehr, dass ich im Gegensatz zu meinen Kindern kein #Religionsunterricht hatte. Ich werde versuchen, das an der #Volkshochschule nachzuholen. Bieten die überhaupt so was an?

Und leider ist bei diesem ganzen Durcheinander ganz unter den Tisch gefallen, wer auf dem Bild bei 23 ist. Das sind Lisa Schinköthe und Franz Winter. Aber sie mögen es mir verzeihen, #Gott sieht man ja schließlich nicht jeden Tag, die #LetzteGeneration dagegen schon.

Nachgedanke: Wie ist das mit #Datenschutz? Wenn #Gott, also die Polizei, Listen mit Personen führt, die in die Hölle kommen, was passiert dann bei einem Datenleck? #Scheuer, #Dobrindt, #Wissing, #Lindner? Würde die noch jemand wählen, wenn klar ist, dass die in die #Hölle kommen?

Kommentare auf Twitter

Leider gehen der Welt auch die lustigen Kommentare verloren, wenn ich meinen Account lösche:

Nutzerkommentar zu meinem Thread: Du hast Gott nicht gesehen! Warum lügst Du?

Nachtrag

Seit dieser Zeit hat sich viel getan. Ich war nur sehr kurz katholisch, war aber viel in Kirchen unterwegs. Viele evangelische Kirchen unterstützen die Letzte Generation, in dem sie die Kirchen für Veranstaltungen zur Verfügung stellen oder sogar auch durch Beteiligung an Protestmärschen.

Diskussionsrunde mit Angehörigen der Letzten Generation in der Gethsemanekirche, Berlin, 30.04.2023

Ich bin neuerdings auch großer Papst-Fan geworden, denn mit Laudate Deum hat er ein Dokument zur Klimakrise verfasst, in dem wirklich alles drin ist. Eine Diskussion der individuellen Verantwortung und des Versagens unserer Staatengemeinschaft.

Gerichtprozess gegen Henning Jeschke wegen versuchter Nötigung und Widerstand gegen die Staatsgewalt

Henning Jeschke vom Aufstand der Letzten Generation steht im Amtsgericht Tiergarten wegen versuchter Nötigung vor Gericht. Er hat am 24.06. eine Straße blockiert, indem er sich festgeklebt hat. Ihm ist es als einzigem gelungen, sich festzukleben, bei anderen Aktivist*innen hat das die Polizei verhindert.

Die Verhandlung

Die Verteidigerinnen Sonja Manderbach und Carla Hinrichs wurden nicht anerkannt, weil sie nicht über ein abgeschlossenes Jura-Studium verfügen.

Henning Jeschke vom Aufstand der Letzten Generation vor Gericht wegen versuchter Nötigung. An seiner Seite Carla Hinrichs, Pressesprecherin der Letzten Generation und Jurastudentin, die ihn verteidigen wollte, aber nicht als Verteidigerin zugelassen wurde, Amtsgericht Tiergarten, Berlin, 28.09.22, Bild: Stefan Müller

Henning Jeschke muss sich also selbst verteidigen. Ich habe Aussagen stichpunktartig aufgeschrieben und, was folgt, ist daraus rekonstruiert bzw. entspricht diesen Stichpunkten. Audio- oder Videoaufnahmen sind in Deutschland nicht erlaubt. Ein Rechtsanwalt meinte dazu, dass das dazu diene Show-Veranstaltungen zu verhindern.

Jeschke: Ja, habe mich angeklebt. War richtig so, würde das wieder tun, weil wir alle die #LetzteGeneration sind, die noch handeln kann.

Jeschke trägt zu seiner Biografie vor: In der Schule wöchentliche Demokratiestunde geleitet, als Wahlhelfer gearbeitet, bei Fridays For Future Reden gehalten, nur um dann zu sehen, wie die Regierung nach der Klimastreik-Demo von 1,4 Mio Menschen ein verfassungswidriges #Klimapaket verabschiedet. Da die Politik weiß, was sie tut, handelt es sich um Massenvernichtung. Politik hat versagt. Information über Lage wird unterschlagen. In Indien gab es existenzielle Probleme für Bauern (?). Menschen sind auf die Autobahnen gegangen und haben ihre Ziele erreicht. Unsere Hände werden keine Waffen tragen und unsere Herzen werden offen sein. Wegen der Kipppunkte gilt: Es gibt keinen Mittelweg. Deswegen saß ich am 24.06. auf der Straße und werde das auch weiter machen.

Die Anklage erfolgt nach §240 Strafgesetzbuch wegen Nötigung: Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Tat zu dem angestrebten Zweck verwerflich ist. Richterin spricht von ihrer 14jähringen Tochter. Sie hat sich mit der Sache beschäftigt und auch mit anderen Richter*innen gesprochen. Sie weiß, dass die #LetzteGeneration nicht irgendwelche Spinner sind, wie in manchen Medien behauptet. Sie hat auch einen Fachartikel gelesen zum Thema Straßenblockaden gelesen, hält den rechtfertigenden Notstand aber nicht für gegeben. Sie nennt den Autor des Fachartikels nicht, aber es könnte Mathis Bönte (2021) sein. Man müsse immer die Frage stellen, ob es mildere Mittel gebe? Persönlich hält sie Straßenblockaden nicht für geeignet. Sie betont, dass das ihre persönliche Meinung ist.

Jeschke stellt einen Beweisantrag zu Klimanotstand. Richterin: Keine Beweise für Klimakatastrophe nötig, das glaube ich ihnen alles.

Jeschke stellt Antrag: #Klimawandel und #Klimaschutz sollten nicht in Verhandlung und Protokollen verwendet werden, weil dieses framing von fossilen Thinktanks kommt. Statt dessen: #Klimanotstand. Die Richterin will sich nicht vorschreiben lassen, welche Wörter sie gebrauchen soll und lehnt Antrag ab.

Jeschke stellt den Antrag, den Klimaforscher (Name habe ich nicht verstanden) vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung (PIK) als Zeugen zum rechtfertigenden Notstand zu hören. Dieser halte sich unten als Zeuge bereit. Ziel der Aktionen der Letzten Generation: Abwendung der Gefahr durch Erwirkung von Aufmerksamkeit. Klimakatastrophe ist existenzielle Bedrohung. Widerstand gegen unzureichende Maßnahmen. Dadurch ist die Verwerflichkeit auszuschließen und somit die Verurteilung unmöglich.

Staatsanwalt: Der Antrag ist abzulehnen, weil es unerheblich sei, ob #Klimanotstand vorliegt.

Richterin Antrag wird abgelehnt, weil Klimafakten und #Klimakatastrophe bekannt sind.

Jeschke: Prof. Dr. Wolfgang Lucht vom PIK hat eine schriftliche Stellungname zu diesem Prozess abgegeben: Politische Kurs ist zu langsam. „Politische Ignoranz“. Jeschke will das gesamte Papier zu Protokoll geben.

Richterin: Was berücksichtigt werden soll, muss auch verlesen werden.

Jeschke verliest aus Luchts Stellungnahme: Es bleibt wenig Zeit für Reaktion. Für 1,5° müsste Deutschland rascher klimaneutral werden. Bundesregierung muss ein CO2-Budget vorlegen. Das hat die Bundesregierung bis heute nicht getan. Wahrscheinlich wird Deutschland die aktuell gültigen Klimaziele verfehlen, obwohl die ohnehin oberhalb von dem liegen, was für die Erreichung des 1,5°-Ziels nötig wäre.

Jeschke: Die Straßenblockade hat zu großem Medienecho geführt und war angemessen. Allein 41 Artikel zum 24.06. Eine gewöhnliche Demo erzeugt weniger Aufmerksamkeit. Sitzblockade ist ein mildes und geeignetes Mittel. Widerspricht Aussage der Richterin, dass Blockade nicht geeignet ist.

Jeschke: Antrag auf Kenntnisnahme der Artikel und des Medienechos.

Richterin: Abgelehnt.

Jeschke: Antrag: Bilder von Demo ansehen.

Richterin: Das wollte ich sowieso machen, das war mein Masterplan.

Jeschke: Die Polizei hat nicht beachtet, dass es sich um politische Versammlung handelt. Sie habe diese nicht verlegt oder aufgelöst, sondern Aktivisten sofort geräumt.

Richterin: Verfahren wird auf Nötigung beschränkt. Wenn mehrere Paragrafen verletzt sind, dann kann man nur eine Sache weiter verfolgen. (Ich glaube, das andere war Widerstand §115, bin aber unsicher.)

Richterin erwähnt Prozess in Lübeck (taz, 2022).

Journalistinnen bemerken Frau (nicht von LG), die mit professionellem Equipment Audioaufnahmen macht. Richterin holt Polizist, der Aufnahmegerät beschlagnahmt. [NB: Audioaufnahmen wären schon praktisch, weil so schnell alles mitzuschreiben, nicht einfach ist. =:-)]

Jeschke: Es wird alles so weitergehen im Oktober. Er zitiert Jürgen Trittin zum Erfolg der Aktionen. Trittin soll als Zeuge geladen werden: Der durch friedliche Straßenblockaden erzeugte Druck führe zu Handlungen. Der Druck von der Straße habe schon Wirkung gezeigt. Dehalb war die Nötigung nicht verwerflich, denn die Blockaden bewirken Maßnahmen zum Klimaschutz. Deshalb plädiert Jeschke auf Freispruch, denn die Tat sei somit nicht rechtswidrig gewesen.

Richterin verlässt mit weiterer Zuschauerin wegen evtl. Audioaufnahmen auf deren Handy den Gerichtssaal.

Der Antrag zur Ladung Jürgen Trittins wird abgelehnt, weil die Wirkung der Blockade so allgemein nicht überprüfbar sei.

Richterin: „Sind wir am Ende?“ Jeschke: „Ja, die gesamte Zivilisation und hier auch.“

Staatsanwalt: Die Anklage wegen Widerstand ist eingestellt. Aber der Vorwurf der versuchten Nötigung bleibt. Der Klimanotstand ist eine Krise, die uns alle betrifft. Ziel der Tat war zu erreichen, dass der Planet bewohnbar bleibt. Das steht aber nicht vor Gericht, sondern die Tat. Dafür sieht das Gesetz eine Haftstrafe oder eine Geldstrafe vor. Wegen fehlender Vorstrafe kommt nur eine Geldstrafe in Betracht. Das Notwehrrecht greift nur, wenn eine gegenwärtige Gefahr abgewendet werden kann. Personen werden Geisel der Überzeugung des Angeklagten. Wie das Blockieren das Erreichen des Gradziels bewirken soll, erschließt sich dem Staatsanwalt nicht. (Einschub StMü: Er sollte sich mit zivilem Ungehorsam beschäftigen, aber das passt wohl nicht zur Rolle des Staatsanwalts.) Angeklagte sollte andere Mittel verwenden: Wahlen, Demonstrationen, Kunstfreiheit. (Einschub StMü: Fallen Aktionen mit trojanischen Pferden unter Kunstfreiheit? In dem Pferd waren vier Personen drin.) Die Tat sei unzulässig und verwerflich. Da der Angeklagte nicht vorbestraft ist, schlägt die Staatsanwaltschaft 20 Tagessätze a 10€ = 200€ + Kosten des Verfahrens als Strafe vor. Die Sekundenklebertuben werden als Tatmittel eingezogen.

Jeschke: Ich bin schockiert. Wozu haben wir denn ein Grundgesetz? Grundgesetz heißt doch, dass wir bestimmte Sachen nicht verhandeln müssen. Ökosysteme kollabieren, nach Kipppunkten gibt es kein Zurück mehr, Zwangsmarsch ins Verderben, Verzicht auf Führung ist kriminell. Und das ist nicht von mir, damit zitiere ich den UN-Generalsekretär. Ein Alien, das von außen auf die Erde blickt, würde nicht verstehen, was wir hier machen.“ (Seine Stimme versagt.) Das Frauen-Wahlrecht, Rechte für Schwarze, das freie Wochenende wurden mit zivilem Ungehorsam erkämpft. Wir erleben, wenn Justiz nicht stark genug ist, wie eine Aushöhlung geschieht, wie Menschen sich Wahrheit konstruieren. Bei 4° wird es vielleicht noch 1 Mrd. Menschen geben vielleicht 1/2 Mrd. d.h. 7 Mrd Menschen werden verschwunden sein. Vielleicht sind wir auch schon im Atomkrieg untergegangen. (NB StMü Gletscher speisen Flüsse in Indien, Pakistan, China. China kontrolliert Tibet und damit das Wasser. Alle drei sind Atommächte. Quelle: Wasser und Zeit) 1,5° sind vorbei. Kipppunkte fallen in den nächsten Jahren. Es bleiben wenige Jahre, das Ruder herumzureißen. Regierung begegnet dem mit Ignoranz. Eine mutige Entscheidung hier kann eine Debatte auslösen, die Welt zu ändern. Damit könnte man Veränderungen im Justizapparat anschieben, wenn nicht, machen Sie sich zur Komplizin der Vernichtung der nächsten Generation. Auf Ihre Gräber werden unsere Kinder später spucken. (NB: Henning Jeschke spricht von „unseren Kindern“, vielleicht kann das Missverständnis, sie würden irgendwie behaupten, sie seien die letzten Menschen jetzt mal aufhören.) Für mich ist es gleich, was Sie machen, ich werde wieder das Gleiche tun. Sagen Sie, auf welcher Seite der Geschichte Sie stehen. Ich wollte niemanden emotional unter Druck setzen, oder vielleicht doch.

Das Urteil

Richterin verkündet Urteil: 20 Tagessätze à 10 Euro + Kosten des Verfahrens. (NB: Also das Strafmaß, dass auch die Staatsanwaltschaft gefordert hat. Allerdings ist das eine geringe Strafe.)
Richterin zum Urteil: Der Angeklagte hat sich an der Seestraße als Einziger festgeklebt, eine Spur blockiert. Dazu gilt die Zweitereiherechtssprechung vom Bundesgerichtshof. Richterin findet diese merkwürdig, aber das ist nun mal gültiges Recht. (NB: Beruhigt mich ja irgendwie, denn ich hatte von zweite Reihe in der Zeitung gelesen und fand das auch absurd.) Autofahrer fördern Klimakrise, aber das geht zu weit, weil das machen wir ja alle. (NB: Die Autofahrer*innen sind nicht das Ziel der Aktionen. Das Ziel ist maximale Disruption und die sich daraus ergebende Aufmerksamkeit für den Klimanotstand.) Es ergab sich eine Beeinträchtigung der Fortbewegungsfreiheit. Menschen auf dem Weg zur Arbeit, haben das Recht dorthinzukommen. Es ist fraglich, ob Blockaden ein geeignetes Mittel sind. Das zu sagen, fällt mir nicht leicht, habe ich schon gesagt. Schwierig auf den politischen Prozess zu verweisen, neben der Straße zu demonstrieren funktioniert auch nicht. Moralische Erwägungen gehören aber nicht in die juristische Diskussion.

Das war das Ende. Die Aktivist*innen im Gerichtsaal waren traurig, es gab Tränen aber auch Support.

Lina Eichler und Henning Jeschke vom Aufstand der Letzten Generation nach der Verurteilung von Henning Jeschke wegen versuchter Nötigung, Amtsgericht Tiergarten, Berlin, 28.09.22, Bild: Stefan Müller

Das war erst das erste in einer Reihe weiterer Verfahren, aber im Oktober geht die Letzte Generation wieder auf die Straße. Von einer Journalistin befragt, ob das denn erfolgreich sei, antwortete Henning Jeschke: Ja, am Anfang waren wir 30. Jetzt sind wir 500 in Deutschland und es gibt die Letzte Generation in 10 Ländern.

Sonja Manderbach, Henning Jeschke und Carla Hinrichs (vlnr) vom Aufstand der Letzten Generation nach der Verurteilung Henning Jeschkes wegen versuchter Nötigung mittels Straßenblockade. Carla Hinrichs und Sonja Manderbach wurden als Verteidigerinnen nicht zugelassen. Im Hintergrund Unterstützer. Eine mit einem Beutel mit der Aufschrift „Froh, dabei zu sein“, Amtsgericht Tiergarten, Berlin, 28.09.22, Bild: Stefan Müller

Nachgedanken

Dinge, die ich heute gelernt habe: Das Amtsgericht Tiergarten hat drei Standorte und ohne Aktenzeichen ist man verloren. Deshalb kein Bild vom Prozessauftakt.

Es gab auch einen Bericht in der taz von Gareth Joswig. Er schreibt: „Unsere Kinder werden auf unsere Gräber spucken, wenn wir nicht handeln.“ Ich habe mir notiert: „Auf Ihre Gräber werden unsere Kinder später spucken.“ Es ging um den Justizapparat. Die taz-Formulierung scheint mir nicht sinnvoll, denn Henning Jeschke handelt ja. Sein Ansatz mag falsch sein und vielleicht nicht funktionieren, aber es wird niemand sagen können, er habe nichts getan. Für solche Details wären Audioaufzeichnungen gut. An der einen oder anderen Stelle in der Verhandlung hätte ich auch gern Bilder gemacht. Es waren schon sehr interessante Gesichtsausdrücke. Aber ich verstehe auch, dass es so ist, wie es ist.

In der Nacht fiel mir noch diese Vorlesung von der Klimavorlesung an der TU Berlin ein.

Petra Vandrey erklärt dort, dass die nicht endenden Aktionen Politiker*innen im Tagesgeschäft immer wieder daran erinnern, dass es da ja noch ein Problem gab.

Ich habe über die Richterin nachgedacht. Wie verläuft ihr Alltag? Erzählt sie zu hause am Abendbrotstisch von ihren Verfahren? Am Tag davor? Spricht sie mit ihrer 14jährigen Tochter? „Aber, was er gemacht hat, war doch richtig. Hast Du doch selber gesagt.“ „Ja, aber juristisch war es falsch.“ „Ja, aber, sind dann nicht die Gesetze falsch?“ „Nun ja, …“ „Kann man die ändern?“ „Ja, aber ist nicht einfach.“ „Kannst Du sagen: Ich will das nicht entscheiden?“ „Nun ja, … ist nicht einfach.“ Ich habe die Richterin gefragt, wie es weitergeht und ob sie noch mehr solche Verfahren bekommt. Sie meinte, es gäbe ein Rotationsprinzip und ohnehin seien eigentlich Verkehrsrichter*innen für die Blockaden verantwortlich. Da jetzt aber so viele Verfahren anstehen, bekommt sie vielleicht ja noch eine zweite Chance.

Offene Fragen

Wenn es nur versuchte Nötigung war, weil die Straße nicht komplett blockiert war, dann müssten ja auch alle anderen Prozesse nur wegen versuchter Nötigung geführt werden, weil es immer eine Rettungsgasse gibt, über die der gestaute Verkehr abfließen kann. Die Blockade ist dennoch wirksam, weil die Polizei dann oft die ganze Autobahn für mehrere Stunden sperrt.

Die Letzte Generation besetzt Signalleitanalage und blockiert die A100, Berlin, 29.06.2022, Bild: Stefan Müller

Quellen

Bönte, Mathis. 2021. Ziviler Ungehorsam im Klimanotstand. HRRS  Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht 22. (https://www.hrr-strafrecht.de/hrr/archiv/21-04/index.php?sz=6)