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Zuletzt geändert am 22. Dezember 2022
CO2-Fußabdruck und British Petrol
Vielleicht bin ich merkwürdig. Anders als alle anderen. Die Klimabewegung sagt seit einigen Jahren, die Ölkonzerne (konkret British Petrol) hätten sich die Sache mit dem individuellen CO2-Abdruck ausgedacht, um uns von den eigentlich wichtigen Sachen abzulenken. So gibt es zum Beispiel das folgende Video von Funk (Angebot von ARD und ZDF für 14-29jährige):
Das Video ist insgesamt gut, schaut es Euch an.
Für mich macht die Argumentation, wie man sie oft findet, jedoch keinen Sinn. Alle weisen darauf hin, dass man seinen CO2-Impakt nur begrenzt reduzieren könne und dass es doch besser sei, gegen die Energiekonzerne vorzugehen, die für den Teil verantwortlich sind, den wir selbst nicht beeinflussen können.
CO2-Fußabdruck: Was sagt er uns und ist er nützlich?
Ich habe schon einige Jahre den CO2-Rechner vom Umweltbundesamt benutzt und halte ihn für ein hervorragendes Werkzeug zur Veranschaulichung der Folgen des eigenen Handelns. Dabei ist klar, dass wir bestimmte Komponenten nicht komplett kontrollieren können. Wir benutzen einen bestimmten Anteil von Infrastruktur, der vom Staat für alle Bürger*innen gestellt wird und welche Art Energie diese benutzt bzw. wie effizient Gebäude gedämmt sind, können wir nicht direkt beeinflussen. Ob wir fliegen oder Auto fahren, wie wir Urlaub machen, können wir dagegen sehr wohl beeinflussen. Auch unsere Ernährung haben wir zu einem großen Teil unter Kontrolle. Der durchschnittliche CO2-Fußabdruck in Deutschland lag 2018 bei 11,6t. Meiner bei 5,69t. Man kann also durch bewusste Entscheidungen seinen CO2-Abdruck fast halbieren.
Die Abbildung zeigt die Bereiche, die wir zum Teil selbst beeinflussen können. Wohnen & Strom, Mobilität, Ernährung, Konsum. Bei mir sieht das so aus, dass ich in einem Passivhaus wohne (Heizung bleibt aus, in Kälteperioden wird es bis zu 19°, dann Pullover), Rad und Bahn fahre, nie fliege und außer Fotokram und gelegentlich Anziehsachen praktisch nichts konsumiere.
Wenn wir den Abdruck von Deutschland mal eben halbiert hätten, wären wir schon großartig. Und wenn nur ganz schnell ein Drittel weg wäre, wäre das auch schon gut. Nicht jede/jeder kann alles, aber alle können vieles.
Ich ärgere mich schon lange über Artikel über den CO2-Fußabdruckrechner. Auslöser für diesen Post war ein Artikel im Freitag, der von Klimaakativist*innen geteilt und gutgeheißen wurde: Wer rettet das Klima: Ich oder wir? Katharina Mau fragt:
Wäre der Klimawandel wirklich gestoppt, wenn nur alle Menschen auf Plastiktüten verzichten und auf Ökostrom umsteigen würden? Wie groß ist der Spielraum des individuellen Handelns? Und wo muss der Staat ran, und die Politik, um systemische Veränderungen anzustoßen?
Katharina Mau weist darauf hin, dass den größten Teil des CO2-Ausstoßes der Energiesektor zu verantworten hat und dass unser individueller Umstieg das Problem nicht komplett löst, weil verschiedene Industriezweige auf eben jene fossile Energie zurückgreifen. Da wir entsprechende Produkte kaufen, haben wir immer noch einen Anteil an diesem Ausstoß.
Selbst dann wären Industrie, Gewerbe, Handel und Dienstleistungen immer noch für drei Viertel des Stromverbrauchs verantwortlich. Vor allem muss sich also das System ganz grundsätzlich ändern.
Sie fährt fort:
Denn was noch dazukommt: Unser Stromverbrauch wird in Zukunft steigen. Autos sollen elektrisch fahren, Wärmepumpen unsere Häuser heizen, und grüner Wasserstoff, hergestellt mit Erneuerbaren, soll als Brennstoff für die Industrie bereitstehen. Der Think-Tank Agora Energiewende prognostiziert, dass sich der Stromverbrauch bis 2045 verdoppeln wird.
Was in Artikeln wie dem vom Freitag immer wieder passiert, ist, dass diverse schwarze Peter hin und hergeschoben werden. Industrie und Handel und Dienstleistungen sind für drei Viertel des Stromverbrauchs (nicht des CO2s wohlgemerkt) verantwortlich. Ja, prima! Aber der Punkt ist ja, dass wir unser Konsum reduzieren sollen. Das bedeutet, dass auch diese drei Viertel sinken. Wir brauchen mehr Strom für Autos? Nein, danke! Wir brauchen weniger Autos. Wir können unser Problem nicht lösen, indem alle, die jetzt einen Verbrenner fahren, dann ein E-Auto fahren. Das ist Wahnsinn und ineffizient. Schon der Bau dieser Autos würde für CO2-Ausstoß sorgen, den wir uns nicht mehr leisten können. Wenn weniger Autos benutzt werden, müssen auch nicht so viele hergestellt werden, weshalb „die Industrie“ auch weniger Energie und sonstiges braucht. Die Wärmepumpen brauchen zwar Energie, aber viel weniger als bei Verbrennung.
Natürlich kann und sollte auch jeder und jede Einzelne Strom sparen, indem sie das Licht aus- oder den Stand-by-Modus des Fernsehers abschalten: Laut der gemeinnützigen Beratungsgesellschaft co2online könnten wir über 15 Millionen Tonnen CO₂ einsparen, wenn alle Privathaushalte in Deutschland ihr Stromsparpotenzial voll ausschöpfen würden. Das klingt nach viel, es sind aber nur sieben Prozent von dem, was die Energiewirtschaft im Jahr 2020 verursacht hat.
Ehm. Ja? Wir müssen auf Null. Lieber heute als morgen! Was ist das für ein unglaublicher Unfug! Jeder, jede kann mit minimalem Aufwand zu Hause Energie sparen. Was soll dieser Öko-Whataboutism? Warum schreiben Öko-Redakteur*innen so etwas? Man sollte ihnen sofort ihr Gehalt um 7% kürzen. Freut den Verlag sicher und sie sollen sich nicht so haben!
Es geht weiter:
Wer also die Wahl hat, einen Nachmittag lang alle Glühbirnen durch Energiesparlampen auszutauschen oder auf die Straße zu gehen – ja, der sollte wohl lieber zu Plakat und Trillerpfeife greifen.
Was soll das? Wenn ich einmal meine Glühlampen austausche, allgemein sparsam mit Energie umgehe, sparsame Geräte kaufe, spare ich langfristig Energie ein. Zum Beispiel kann man seinen Wäschetrockner abschaffen. Der verbraucht einen Haufen Energie und ist unnütz, denn die Wäsche trocknet auch so. Tausende Generationen vor uns haben ohne Trockner gelebt. Wenn man die Lampen getauscht hat und jeweils sparsame Geräte kauft, braucht man keine weitere Zeit für ein sparsames Leben und kann Plakate malen und lostrillern.
Was hier gemacht wird, von Ökoredakteur*innen und auch von Öko-Aktivist*innen ist eine systematische Entlastung: Ej, ich geh ja zwei Mal im Jahr zu FFF demonstrieren, ich kann also super weiter SUV fahren, Energie verschwenden und tonnenweise Avocados essen (siehe unten). Nein! Kannst’e nicht! Privates ist politisch! Du bist für die Scheiße verantwortlich, die Du machst. Ja!
Flugscham. Ja, bitte! Und SUV-Scham gleich noch dazu
Womöglich markiert das Aufkommen des Begriffs „Flugscham“ jenen Moment, da die Diskussion über die Klimaschädlichkeit unserer Mobilität vollends zu einer moralischen wurde: Was, du fliegst noch?!? Oder umgekehrt: Was, ihr wollt den Leuten ihren wohlverdienten Urlaub in Mallorca madig machen?!? Hier kommt ein Vorschlag zur Versachlichung.
Der Sektor Verkehr innerhalb Deutschlands – also erst mal ohne internationale Flüge und Schiffsreisen – macht ein Fünftel der nationalen Treibhausgase aus. Etwa 60 Prozent dieser Emissionen verursachen Autos – Inlandsflüge nur 1,4 Prozent. Ja, das Flugzeug ist zwar das klimaschädlichste Verkehrsmittel überhaupt. Weil wir aber im Inland so viel Auto fahren und so wenig fliegen, fallen die Flüge kaum ins Gewicht.
Sag ich doch: Whataboutism! Das ist ja nur 1,4% (Die Zahl ist wahrscheinlich falsch, siehe unten). Dieselbe Art Argumentation findet man übrigens auch bei so Leuchten, die von der AfD beeinflusst sind: Deutschland produziert ja nur 2% des CO2. Vergessen wird dabei immer, dass wir nur 1% der Weltbevölkerung sind.
Der Punkt ist: Wir müssen auf Null. Das heißt, wir müssen uns überlegen, wie wir die 60% der Autos und die 1,4% der Inlandsflüge wegbekommen. Da man die Inlandsflüge einfach durch Bahnfahrten ersetzen kann, gibt es hier überhaupt nichts zu diskutieren. Das Flugbenzin ist übrigens staatlich subventioniert. Auch das sollte schleunigst abgeschafft werden.
Die Zahlen mit 60% scheinen mir auch falsch. Muss ich noch überprüfen.
Insgesamt kann man durch die Ernährung also einen relativ großen Einfluss auf den individuellen Klima-Fußabdruck nehmen. Aber: Ein schneller Kohleausstieg hätte eine viel größere Wirkung, als wenn einzelne Menschen sich vegan, regional und saisonal ernähren oder Bio kaufen. Die Stromerzeugung aus Kohle verursachte im Jahr 2020 123 Millionen Tonnen CO₂ – fast doppelt so viel wie die gesamte Landwirtschaft.
Wie gesagt: Extrem ärgerlich. Wir müssen auf Null. Und das so schnell wie möglich. „Jeder Bruchteil eines Grades zählt“, wie UN-Generalsekretär António Guterres sagte (Rede zur Veröffentlichung des IPCC-Reports). Und für das 1,5°-Ziel bleiben noch 3 Jahre.
Ernährung am Beispiel der Avocado
Zurück zur Avocado: 2018 wurden laut statistischem Bundesamt 94.000 Tonnen Avocados importiert. Nach Angaben des Umweltbundesamts hat ein Kilo Avocado einen CO₂-Fußabdruck von 0,6 Kilogramm Treibhausgase. Das macht etwa 0,06 Millionen Tonnen Treibhausgase für alle 94.000 Tonnen Avocados. So wenig? Ja, es handelt sich ja nur um eine kleine Einzelentscheidung. Die auch zeigt, worauf wir unsere Energie eher richten sollten, als mit dem Finger auf unsere Avocado-Toasts zu zeigen – zum Beispiel auf den Kohleausstieg.
94.000 Tonnen ergeben 56.400 Tonnen CO2? Und das CO2 ist noch nicht alles! Wasser! Der Avocado-Anbau ist extrem wasserintensiv: Für ein Kilogramm Avocados werden durchschnittlich 1000 bis 1500 Liter Wasser benötigt – etwa acht Mal so viel wie für ein Kilogramm Kartoffeln. Und das, obwohl Avocados in Chile oder Israel angebaut werden. Ich empfehle zum Thema Avocados den Artikel: Avocado: Wasserverbrauch und Umweltbilanz. In diesem Artikel wird außerdem auf die Lagerung und Reifung von Avocados und einigen anderen Wahnsinn eingegangen. Es werden Tipps zum Kauf von Avocados gegeben, wenn man denn dann überhaupt noch welche kaufen will.
Sind wir alle doof? Nee, oder?
Der Artikel endet so:
Wer seine mentale Energie mit Entscheidungen verbraucht wie „Bio in Plastikverpackung oder konventionell unverpackt?“, „Käse aus Brandenburg oder Sojaschnitzel aus Dänemark?“, darf sich ruhig mal ein Stück Sahnetorte beim Bäcker gönnen. Fünkchen auszupusten, während das Feuer daneben munter weiterbrennt, bringt uns nicht weiter. Vor allem, wenn wir darüber vergessen, den Eimer zu nehmen – und anzufangen zu löschen.
Wie ich oben gezeigt habe, kann man durch sein individuelles Verhalten den CO2-Fußabdruck um fast die Hälfte reduzieren. Ein SUV ist kein Fünkchen. Er ist klimatechnischer Wahnsinn. Lebensmittel und Blumen, die um die ganze Welt gekarrt bzw. geflogen werden, sind unsinniger Luxus. Flugreisen für ein Wochenende in Tallin sind unverantwortlich. Das Rockkonzert in London funktioniert nur wegen der Subventionen der Flugindustrie und wir müssen darum kämpfen, dass diese abgeschafft werden. Aber bis das passiert, sollten Individuen sich selbst aus Einsicht in die sich aus der katastrophalen Lage ergebende Notwendigkeit nicht mehr zum Spaß für eine Nacht nach London fliegen.
Menschen, die so etwas tun, obwohl wir noch ein CO2-Budget für drei Jahre haben, wenn wir das 1,5°-Ziel halten wollen, sind unverantwortlich und sollen sich wenigstens schlecht dabei fühlen. Davon ausnehmen kann man vielleicht Aktivist*innen, weil die hoffentlich in der Tat etwas bewirken. Was man aber immer bedenken sollte, wenn man solche Artikel verfasst, liest und preist: Es waren 1,4 Mio Menschen mit Fridays For Future auf der Straße. Vielleicht kann man 3 Mio Menschen zu denen zählen, die jemals irgendetwas für das Klima getan haben, politisch aktiv wurden. Die restlichen 80 Mio werden solche Artikel einfach als Rechtfertigung für ein Weiterso benutzen. Whataboutism.
Auch empfinde ich es als Beleidigung, wenn die Autorin davon ausgeht, dass wir intellektuell damit überfordert wären, uns dafür zu entscheiden saisonale, regionale, vegetarische oder besser noch vegane Produkte zu kaufen. Welche Früchte und welches Gemüse gerade lokal verfügbar ist, lernt man in der Schule oder der Domäne Dahlem, wo es herkommt und steht auf der Verpackung. Handelt man nach der Devise LeiderGeil, dann ist man eben Egoist. Da gibt es kein Vertun. Das ist dann so, als würde man im Krieg während eines Luftangriffs und Verdunklungsanordnung mit seinen Kumpels eine Party bei offenem Fenster und Festbeleuchtung feiern. Macht Spaß, aber nicht lange und auch für die anderen im Wohnblock nicht.
Ein Gerücht
So, ich setze jetzt mein erstes Gerücht in die Welt: Die These, dass der Fußabdruck schlimm sei und von BP benutzt wurde, um uns von der Energiewirtschaft abzulenken, wird massiv von einem Thinktank gepuscht, dessen Ziel es ist, uns alle zu beruhigen. Wir sollen glauben, dass das sowieso nur über die großen Stellschrauben gelöst werden kann, dass wir vielleicht mal richtig wählen müssten und ansonsten könnten wir einfach fröhlich weiter konsumieren, als gäbe es kein heißes Morgen.
Das habe ich mir komplett ausgedacht, aber wenn ich in einem solchen Thinktank arbeiten würde, würde ich mir das auch ausdenken. So. Gerücht. Verbreite Dich!
Handabdruck
Gestern habe ich vom Handabdruck als positiver Alternative zum Fußabdruck gelernt. Letztendlich ist das Ergebnis dasselbe: weniger Fleisch, nicht fliegen, weniger und kleinere Autos, wenn möglich, Auto stehen lassen und Rad fahren (geht auch auf dem Dorf), zum Bäcker laufen usw. Um reflektiertes Handeln kommen wir nicht herum.
Entschuldigung
Ich möchte mich bei Katharina Mau entschuldigen, denn dieser Blog-Post zerpflückt hauptsächlich ihren Artikel und wir sind ja eigentlich im selben Team. Ich habe Ihr Twitter-Profil gefunden und gesehen, dass sie sich mit Klimakrise und Psychologie beschäftigt. Ich habe von Psychologie keine Ahnung und wahrscheinlich ist genau das das mein Problem. Ich kann verstehen, dass es darum geht, Massen zu aktivieren und diese nicht durch Verbote abzuschrecken. Das ändert aber nichts daran, dass es Verhaltensänderungen in allen Lebensbereichen geben muss und zwar sehr schnell. Die Artikel, über die ich mich immer ärgere, sind falsch geschrieben. Vielleicht nur in Nuancen, aber so, wie sie jetzt sind, sind sie Entlastungen und für solche weitgreifenden Entlastungen haben wir nicht mehr genug CO2-Restbudget. Wie oben geschrieben: Wir sind im Krieg, die Flugzeuge sind in der Luft, wir müssen die Fenster schließen!
Disclaimer
Ej, ich bin auch nicht perfekt. Ich esse tierische Produkte wie Butter, Käse, Eier und Joghurt. Milch trinke ich praktisch keine mehr. Hafermilch geht für’s Müsli. Butter esse ich viel (ich weiß, die hat einen hohen CO2-Abdruck), die anderen Lebensmittel weniger. Schokolade und Käse kaufe ich nicht, esse ich aber gern. Der Punkt ist: Mir ist das klar und ich arbeite daran.