Immer wieder höre ich, wenn es um Flugverzicht geht, das Argument: „Das Flugzeug fliegt doch auch ohne mich.“ Ich habe es zum ersten Mal auf einem Elternabend gehört, bei dem es um die Abschlussfahrt in der zehnten Klasse ging. Zur Auswahl standen Neapel und Zinnowitz. Nun taucht das Argument auch in Diskussionen der Scientist4Future auf und zwar von WissenschaftlerInnen, die selbst nicht fliegen, die einen großen Teil ihrer Lebenszeit mit Aktionen gegen Flughafenausbau und Fluglärm verbringen. Irgendwas muss dran sein an diesem Argument. Ich finde, dass es nicht funktioniert und here is why:
Infrastrukturfunktion von Flügen
Aussage: Wenn wir auf Kurzstreckenflüge verzichten, bringt das nichts, weil die Zubringerflüge eine Infrastrukturfunktion haben und die Fluglinien weiter fliegen werden, schon damit ihre KundInnen nicht zur Konkurrenz gehen.
Antwort: Das ist zum Teil richtig. Ich bin auch über London nach Hongkong geflogen. Aber es gibt viel mehr Flugverkehr nach London als für die Zubringerfunktion wichtig wäre. Ich habe mit einer Konzertbesucherin über gemeinsame Musikinteressen gesprochen und sie erzählte mir begeistert von XY, die aber leider in diesem Jahr nur in London spielen würde. Sie ist deshalb zum Konzert geflogen. Genauso Paris.
Hier sind die Flüge, die British Airways nach London anbietet:
Die Flüge sind teilweise zum gleichen Zeitpunkt, zeitweise in einem Abstand von 45 Minuten. Das sind die Flüge von nur einer Airline! (Außerdem gibt es noch zwei Verbindungen von Eurowings, sieben von Easyjet und vier von Ryanair) Würden Flüge unwirtschaftlich, würden sich die Airlines zusammenschließen, so wie es ja bei der Star Alliance, Sky Team und OneWorld Allience schon geschehen ist.
Und es gibt Beispiele für die Einstellung von Fluglinien wegen Unwirtschaftlichkeit. Verbindungen von Berlin nach Hamburg gibt es nicht mehr, weil es eine sehr schnelle ICE-Verbindung gibt. Bei der Aufarbeitung meiner Flüge sind mir Tickets von 1994 untergekommen. Ich bin nach Helsinki über Hamburg geflogen. Irrsinn. Flugzeug rein, hoch, runter, bisschen gewartet, bis die Hamburger aus- und eingestiegen waren, dann weiter. Heute kann man immer noch dorthin fliegen, fliegt dann aber über Stuttgart oder Köln:
Aussage: Die Slots sind für die Fluglinien sehr wertvoll. Wenn sie eine Route einstellen würden, würden sie den Slot verlieren, weshalb sie „lieber Popcorn durch die Gegend fliegen, als den Slot aufzugeben“.
Antwort: Ja, das machen Fluglinien. AirBerlin hat es uns jahrelang vorgemacht. Ich habe einen Kollegen, der ein Ticket Berlin-Salzburg für 3 € plus Steuern gekauft hat. Seine Flüge wurden wiederholt gecancelt. Er hat dann eine Nacht im Hotel verbracht, weil sich der Flug für die Airline eben nicht gelohnt hätte. Es wäre so teuer gewesen, dass sie lieber den Passagieren eine Nacht im Hotel bezahlt haben. Letztendlich ist AirBerlin Pleite gegangen. Wegen Popcorn sozusagen.
Es ist wahr: Wenn alle Kurzstreckenflüge entfallen würden und es statt dessen in allen Slots Langstreckenflüge geben würde, dann wären wir letztendlich schlechter dran. Dazu müsste es aber ein Wachstum in den Langstreckenflügen geben. Das wird ja auch von der Luftfahrtindustrie so prognostiziert. Wenn wir auf Kurz- und Langstreckenflüge verzichten, freiwillig oder weil die mit 180€/Tonne CO2 besteuert werden, wird es aber kein Wachstum geben.
Parallele Argumentation in anderen Bereichen
Wenn diese Argumentation funktionieren würde, dann müsste ja jede Änderung im Konsumverhalten sinnlos sein. Genauso könnte man ja argumentieren: „Das Huhn im Tiefkühlregal war eh schon tot. Dann kann ich es auch essen. Sonst würde es halt jemand anders essen.“ Das Huhn wird aber aufgezogen und geschlachtet, weil es einen gewissen Bedarf in der Bevölkerung gibt. Man kann als Bauer und als Großhändler und als Einzelhändler abschätzen, wie viele Hühner man an den Mann bringen kann. Wenn keiner mehr Hühner kauft, werden auch keine mehr produziert.
Auf der Mailing-Liste der Scientists For Future Berlin/Brandenburg wunderte sich der Geograph Prof. Dr. Cristoph Schröder darüber, warum so lange nichts passiert ist, warum einige erst jetzt aufwachen und andere immer nocht schlafen:
Nicht falsch verstehen, mir sind alle recht, die sich jetzt endlich bewegen, inklusive mir selbst. Peinlich – und das gilt für mich persönlich auch, obwohl ich seit 1986 von den Gefahren des Klimawandels weiß und seit 1993 dazu forsche – ist es trotzdem. Und warum brauchen wir eine schwedische Jugendliche, um uns in die Gänge zu kriegen?
Der Neurobiologe Dr. Sébastien Bohler hat dafür eine wissenschaftliche Erklärung: Unsere Gehirne sind so gebaut: Macht, Sex, Essen, Faulheit werden belohnt:
Die riesige Großhirnrinde des Homo sapiens, die ihm immer mehr Möglichkeiten verschaffte, hat sich in den Dienst eines Zwerges gestellt, der sich an Macht, Sex, Essen, Faulheit und seinem Ego berauscht.
Jetzt wachen die Leute auf, weil wir in der Scheiße sitzen. Noch nicht drei Meter, aber bis zum Hals. Leider ist keine Straßenbahn in Sicht (Fliegen wird wahrscheinlich noch bis 2060 schlecht sein, Fleisch lässt sich nicht in dem Mengen künstlich herstellen, die vertilgt werden, die E-Mobilität steckt in den Kinderschuhen und ist ohnehin keine Lösung). Es hilft also wohl vorerst nur, die Anzahl der Pferdekutschen zu reduzieren.
Sébastien Bohler hat auch Vorschläge, wie das mit der Reduktion trotz unserer Gehirnstruktur funktionieren kann. Wir können uns selbst ändern und bewusster leben. Er erklärt die Rosinen-Übung dazu.
Auch im zwischenmenschlichen Bereich kann weniger mehr sein. Anstatt die Zahl der Freunde auf Facebook zu mehren, können wir in die Qualität dieser Beziehungen investieren. Wir lassen uns weismachen, wir bräuchten zu unserem Glück ein Auto, das mindestens so luxuriös und leistungsstark ist wie das der Nachbarn. Doch wir haben die Wahl: die Werbebotschaften für bare Münze zu nehmen und immer mehr zu konsumieren – oder uns am Fahren eines altmodischen Autos zu erfreuen und an Freundschaften, in denen es nicht darum geht, wer mehr vorzuweisen hat.
Einige der Scientists For Future sind bei climatewednesday.org aktiv und haben dort angefangen, Beispiele von Leuten zu sammeln, die alternativ reisen. Auch das kann Glücksmomente erzeugen, auch wenn es manchmal beschwerlich ist. Also: arbeiten wir an uns.
Disclaimer: Ich bin promovierter Informatiker und liebe Technik und Technologie, unser Merhfamilienhaus ist voll davon: Photovoltaik, Solarthermie, Geothermie und alles gekoppelt in einem komplizierten System.
Als eine Art Selbstbestrafung [=;-)] habe ich auf myflightradar24.com eine Liste all meiner Flüge zusammengestellt und so den CO2-Ausstoß herausgefunden, den diese Flüge verursacht haben.
Der so ermittelte CO2-Ausstoß muss mit einem bestimmten Faktor (dem Radiative Forcing Index) multipliziert werden, da der Schaden, der durch das Fliegen angerichtet wird, viel größer ist (Ausstoß der Klimagase in der Atmosphäre in großer Höhe, Wolkenbildung usw.). Der IPCC schlägt einen Faktor von 2,7 vor. CO2-Kompensations-Firmen gehen von einem Faktor zwischen 1 und 3 aus. Ich habe diese Flüge mit atmosfair.de kompensiert. Die unabhängige Stiftung Warentest testete mehrere Kompenationsfirmen und atmosfair war der Gewinner. Wenn Sie genaue Flugdaten haben, können Sie Ihre Flüge über dieses Portal kompensieren. Ich habe eine Pauschalkompensation von 86,9 Tonnen CO2 gemacht:
So weit so gut. Wer wirklich fliegen muss, sollte zumindest (mit einem entsprechenden Faktor) kompensieren. Wenn Sie nicht fliegen müssen und nur für die Freizeit reisen, sollten Sie aufhören zu fliegen. Ich habe im August 2019 beschlossen, nie mehr zu fliegen und viele andere haben es vorher getan. Kompensieren Sie? Reduzieren Sie das Fliegen? Hinterlassen Sie einen Kommentar!
Der Artikel wird damit eingeleitet, dass man als Deutscher im Schnitt 11,6 Tonnen CO2 ausstößt. Ein Interkontinentalflug nach Tokio entspricht laut Autor 5,53 Tonnen CO2-Ausstoß. Mit einem entsprechendem Urlaubstrip nach Japan erzeugt mal also Emissionen, die die Hälfte das Jahresausstoßes ausmachen. Alle Bemühungen, Energie zu sparen und CO2 zu reduzieren sind also durch den zweiwöchigen Urlaub zunichte gemacht worden. So weit, so gut, so einsichtig. Niels Boeing (ok, über Namen soll man keine Witze machen, aber ist das die Werbekennzeichnung?) kommt nun aber in einer längeren Ausführung dennoch zu dem Schluss, dass das schon OK sei, wenn man mal ein bisschen fliegen würde. Einige Argumente möchte ich hier mal aufgreifen.
„Flüge machen nur einen kleinen Teil der Emissionen aus“
Gleichen wir diese Zahlen mit dem Flugverkehr ab und nehmen wir einmal an, alle Deutschen hätten sich an Silvester 2015 dazu entschlossen, ab dem darauffolgenden Neujahrsmorgen ein Jahr lang kein Flugzeug zu betreten. Hätten sich zu einem Konsumentenstreik gegen die Luftfahrt entschlossen, inklusive Frachtflügen. Wie viele deutsche Emissionen hätten sie im Jahr 2016 damit eingespart? Antwort: 3,2 Prozent. In jenem Jahr lagen die Treibhausgas-Emissionen aus der Verbrennung fossiler Energieträger – Kohle, Öl, Gas – in Deutschland bei 83,5 Prozent des gesamten CO₂-Ausstoßes. Ein Fünftel davon entfiel auf die Stromerzeugung mittels Braunkohle.
Niels Boeing, Zeit, 2019
Hier gibt es mehrere Dinge anzumerken:
Höhenwirksamkeit von CO2 und die 3%
Mit der Zahl 3,2 Prozent argumentiert auch die Flugindustrie. Es handelt sich dabei um das tatsächlich ausgestoßene CO2 bzw. die entsprechenden Treibhausgase. Leider sind diese jedoch höhenwirksam, weshalb die Effekte mit einem Ausgleichsfaktor multipliziert werden müssen. Atmosfair arbeit zum Beispiel mit dem Faktor 3.
Nullemissionen (0,0)
Das Ziel sind Nullemmissionen und zwar so schnell wie möglich. Null bedeutet Null. Nichts. Gar keine Emissionen mehr. Die KliamforscherInnen waren zu optimistisch. Sie haben mit dem Auftauen der Permafrostböden in 70 Jahren gerechnet. Sie tauen aber jetzt auf. Wie Greta Thunberg sagt: There is no time!
Ja, aber die anderen
Das Argumentationsmuster: „XY ist ja viel schlimmer als ich, soll der sich doch mal ändern, dann sehen wir weiter.“ ist sehr beliebt. Man findet es in verschiedenen Varianten: „Die Chinesen/Polen machen viel mehr Dreck und haben auch noch Braunkohle.“ „Die Afrikaner haben zu viele Kinder, so kann das nichts werden.“ usw. Eine besonders absurde Variante davon gab es kürzlich auf Twitter: Ja, es sind jetzt 34 Leute erschossen worden, aber an der Grippe sterben viel mehr. Hier der original Tweet des Astrophysikers Neil deGrasse Tyson:
Dieser Tweet allein ist schon schockierend, aber dass er 318.900 Menschen gefällt ist … ehm … bestürzend. In Deutschland findet man solche Argumentation gewöhnlich, wenn es um das Tempolimit geht. „Ach, die paar Toten.“ Der Punkt hier ist, dass man diese Amok-Toten wahrscheinlich relativ leicht vermeiden könnte, so wie auch die Toten, die durch Raserei auf Autobahnen sterben. Sicher sind die Toten, die an Grippe, psychischen Leiden, Autounfällen usw. sterben, genauso schlimm wie die, die bei Massenschießerein umkommen, aber die Schlussfolgerung muss sein, dass man alles unternimmt, um jegliche Todesfälle zu vermeiden.
Dieselbe Argumentationsweise findet sich an mehreren Stellen im Artikel von Niels Boeing. Zum Beispiel hier:
Der weltweite Flugverkehr war 2014 für zwei Prozent der gesamten Treibhausgas-Emissionen weltweit verantwortlich, wie Steven Davis von der University of California in Irvine im vergangenen Jahr mit einem 32-köpfigen Forscherteam analysiert hat. Zwei Prozent. Zum Vergleich: Die globale Zementproduktion trug im selben Jahr vier Prozent der Emissionen bei, die weitere Bauindustrie gar zehn Prozent. Haben Sie je einen Appell vernommen, den Wohnungsbau zu stoppen? Selbstverständlich nicht. Niemand würde so etwas fordern. Häuser müssen schließlich gebaut werden, und der Wohnraum ist schon knapp genug.
Niels Boeing, Zeit, 2019
Die Argumentationsweise folgt dem bekannten Muster „Aber X“. Dazu ist sie inhaltlich falsch und polemisch. Die gängige Bauweise verwendet Stahlbeton. Es ist klar, dass dieses Bauen nicht nachhaltig ist, denn entsprechende Bauten haben ein Verfallsdatum von 80 Jahren, weil der Stahlbeton einfach zerfällt. Natürlich würde niemand fordern, den Wohnungsbau einzustellen. Was allerdings gefordert wird, ist ein anderes Bauen, denn Gebäude zu bauen, um sie dann nach einigen Jahrzehnten abzureißen, ist schlicht Wahnsinn. Inzwischen gibt es wieder mehrstöckige Wohnhäuser, die in Holzbauweise gebaut werden. (Nachtrag: 15.11.2022: Architects4Future und Architekten von Scientist4Future fordern inzwischen Sanierung statt Neubau, weil Sanierung wesentlich günstiger in Bezug auf Energieverbrauch ist. Auch über Lösungen den genutzten Wohnraum zu verkleinern, wird nachgedacht. Zur Zeit müsste man für eine kleinere Wohnung mehr Miete bezahlen, weshalb viele Menschen in zu großen Wohnungen wohnen bleiben).
Zurück zum Fliegen: Durch unsere Flüge entziehen wir anderen Menschen und uns selber die Lebensgrundlage. So wie bei den Amokläufen unschuldige Menschen erschossen werden, die zufällig am Ort des Geschehens waren, so leiden Menschen unter unserem Verhalten, die selbst nie geflogen sind und nie fliegen werden. Bei einer Erwärmung um 2° wären 37% der Menschen extremen Hitzeereignissen ausgesetzt (bei 1,5° „nur“ 14%). Bei einer Erwärmung um 2° würden 411 Millionen Menschen zusätzlich extremen Dürren ausgesetzt werden (bei 1,5° „nur“ 350 Millionen). Bei 2° wären 32–80 Millionen Menschen Überflutungen ausgesetzt (bei 1,5° „nur“ 31–69 Millionen). (Quelle: New York Times, 07.10.2018) Durch die Verringerung der Luftverschmutzung könnten 110–196 Millionen vorzeitige Todesfälle bis 2100 verhindert werden (Quelle: Shindell, et. al. 2018: Quantified, localized health benefits of accelerated carbon dioxide emissions reductions , Nature Climate Change)
Wir sollten also alles tun, um die Erwärmung von 2,0° zu verhindern. Alles. Das Argument, es gäbe ja noch andere CO2-Emittenten zieht nicht, denn wir müssen klimaneutral werden.
Änderung Flugrouten
Boeing greift diverse Vorschläge der Flugindustire zur Verringerung des Klimaimpakts auf:
Die Luftfahrtindustrie könnte allerdings beide Probleme angehen. Sie könnte zum einen Flughöhen und Flugrouten ändern. Je niedriger Maschinen fliegen, desto kürzer ist die Lebenszeit der Nicht-CO₂-Emissionen und desto geringer die Bildung von Kondensstreifen und damit zusätzlichen Zirruswolken. In mittleren Breiten müssten Flugzeuge unterhalb von acht Kilometern, in den Tropen unterhalb von zwölf Kilometern fliegen. Studien des Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrums (DLR) haben zudem gezeigt, dass andere Flugrouten über den Nordatlantik die Klimawirkung der Nicht-CO₂-Emissionen deutlich abschwächen können.
Niels Boeing, Zeit, 2019
Der Vorschlag ist interessant, aber man möge sich kurz vor Augen führen, was an einem normalen Tag in Europa so los ist (07.08.2019, 9:21):
Diese Flugzeuge fliegen überall in Europa über dicht besiedeltes Gebiet. Wir waren in diesem Sommer in Slowenien im Triglav-Nationalpark. Fernab von Autos im Wald. Es war sehr ruhig. Was man aber hört sind … Flugzeuge. Obwohl diese in 10.675 Metern Höhe fliegen.
Auch im Oderbruch kann man Flugzeuge in dieser Höhe deutlich hören. Man nimmt sie nur gewöhnlich nicht wahr, weil der Verkehrslärm alles überlagert. Lärm nimmt mit der Entfernung quadratisch ab. Bei einer Verlagerung des Flugverkehrs um 2000 Meter nach unten, wäre also mit einer erheblichen Zunahme des Fluglärms zu rechnen. Ich wohne in der Einflugschneise von Tegel und weiß, was Fluglärm bedeutet:
Power to liquid
Boeing schreibt, dass es in Zukunft wahrscheinlich alternative Brennstoffe geben wird. Zusammen mit anderen Flugrouten könnte das die Klimawirkung abschwächen:
Auch wenn es bei Verbrennungstriebwerken bleibt, muss der Treibstoff der Zukunft nicht Kerosin sein. Es geht auch mit Wasserstoff, der klimaneutral mit erneuerbaren Energien hergestellt werden kann. „Power-to-Liquid“ nennt sich das Konzept. Aus den Düsen der Jets käme dann nur Wasserdampf. Kein Ruß, kein Schwefel, kein CO₂. Aber würde das nicht zu noch mehr Kondensstreifen führen? Nicht zwingend. Auch hier kommen wieder andere Flugrouten ins Spiel. Lang anhaltende Kondensstreifen bilden sich dort, wo die Luft mit Eiskristallen übersättigt ist. In nicht übersättigten Luftschichten lösen sich Kondensstreifen hingegen nach etwa zwei Minuten wieder auf. Zudem würden sich hinter den Wasserstoff-Triebwerken größere Eiskristalle als bei heutigen Triebwerken bilden, was die Wirkung der Kondensstreifen ebenfalls abschwächt, wie Volker Grewe vom DLR betont, der an verschiedenen Studien zum Thema mitgearbeitet hat.
Niels Boeing, Zeit, 2019
Es stellt sich wieder die Frage nach den Flugrouten innerhalb Europas. Davon abgesehen, ist die Technologie in der Entwicklung. Es gibt ein erstes Werk zur Erzeugung des Brennstoffs, aber Motoren und Flugzeuge fehlen völlig. Es ist unklar, wann es sie geben wird. Die Industrie geht selbst von 25 Jahren aus:
Eine Studie aus dem Jahr 2016 wertete Medienberichte im Hinblick auf die dominanten Diskurse über technologische Fluginnovationen aus. Sie kommt zum Ergebnis, dass sich die Versprechungen vom grünen Fliegen als Illusionen entpuppten und die Erwartungen stets weiter in die Zukunft hinausgeschoben werden. Für grüne Flüge wären Quantensprünge notwendig, zum Beispiel komplett neue leichte Energiespeicher für eine Elektrifizierung oder die Supraleitfähigkeit von Flugzeugen. Inzwischen geht selbst die Industrie von wenigstens 25 Jahren bis zur technischen Reife von Neuerungen dieser Art aus. Da Flugzeuge eine Lebensdauer von etwa 25 Jahren haben, bleiben energieintensive Maschinen also mindestens bis in die 2060er Jahre im Einsatz – oder länger, falls sich die erhofften Quantensprünge auch weiterhin nur als Utopien erweisen. Realistischer sind die geplanten Effizienzgewinne im Kerosinverbrauch neuer Flugzeuge von jährlich 1,5 %. Doch das ist im Vergleich zur jährlichen Wachstumsrate der Luftfahrt von 4,3 % wenig. Zu wenig.
Da wir aber jetzt handeln müssen und die Emissionen jetzt herunterfahren müssen, ist der Verweis auf zukünftig vielleicht verfügbare Technologien nicht hilfreich. Vielleicht doch: Er kann helfen, die Selbstverpflichtung jetzt zu unterschreiben, weil man dann später vielleicht wieder fliegen kann, wenn die CO2-Probleme gelöst sind. Ich habe mich übrigens nicht nur zum Verzicht auf Kurzstreckenfliege bis 1000km entschlossen, sondern habe beschlossen gar nicht mehr zu fliegen.
Am 5. August 2019 habe ich beschlossen, nicht mehr zu fliegen. Überhaupt nicht. Keine Privatflüge, keine Business-Flüge. Bis es möglich ist, CO2-neutral zu fliegen.
2008 habe ich aufgehört, privat zu fliegen, weil immer deutlicher wurde, welchen Schaden Flüge der Umwelt zufügen. Seit dem bin ich auch dienstlich wenig geflogen, der letzte Transatlantikflug war 2016 nach Seoul. Es war ein eingeladener Vortrag bei einer großen Konferenz, was eine ziemliche Ehre für einen Akademiker ist und etwas, das man in seinem Lebenslauf braucht (wir arbeiten daran, dies zu ändern). Mein letzter Flug war 2017 nach Oslo, wo ich für die Forskningrédet (die Organisation, die die Verteilung der norwegischen Forschungsgelder verwaltet) gearbeitet habe. Dies ist wichtig für die Selbstorganisation der Wissenschaft und auch eine Art Ehre, da das Panel aus vier Ausländern bestand, die über die Zukunft der norwegischen Linguistik entscheiden (ein bisschen übertreiben). Es gibt eine Liste meiner Konferenzvorträge auf meiner Webseite.
Die Entscheidung, nicht zu fliegen, war nicht einfach. Ich liebe es, im Ausland zu sein und fremde Kulturen kennenzulernen. Europa ist heutzutage ziemlich langweilig, da die Länder immer ähnlicher werden: das gleiche Zeug in Supermärkten, der gleiche touristische Nepp überall. Ich war oft im Ausland. Wenn man von Einschränkung der Urlaubsreisen spricht, kommt oft: „Ja, für Euch Akademiker ist es einfach, keine Privatflüge zu machen, da ihr sowieso unterwegs seid.“ Tja, ist was dran. Also: Keine Flüge? Überhaupt nicht? Ich war nie in Australien. Der Bereich der Linguistik, in dem ich arbeite, ist in Australien nicht vertreten (Dort wird LFG gemacht, nicht HPSG) und daher gab es dort nie eine Konferenz, an der ich wirklich teilnehmen wollte. Die Selbstverpflichtung bedeutet also, dass ich nie dorthin kommen werde. Afrika? Ich arbeite an germanischen Sprachen. Afrikaans, gesprochen in Südafrika, ist eine von ihnen. Man braucht für Afrika kein Flugzeug, prinzipiell könnte man auch über Land dorthin gelangen. Isländisch, auch eine germanische Sprache. Es gibt eine Fähre. China? Ich habe zwei Arbeiten über Mandarin-Chinesisch veröffentlicht und habe andere berufliche Verbindungen nach China: Mein Grammatiktheorie-Lehrbuch wird gerade ins Chinesische übersetzt. Korea? Ich habe Verbindungen nach Seoul. Dort für einige Zeit zu arbeiten, wäre toll. Ich könnte mit dem Zug dorthin fahren, aber es braucht Zeit. Hm.
Ich habe mit Kollegen und Freunden gesprochen und es stellt sich heraus, dass es eine ganze Reihe von sehr erfolgreichen gibt, die überhaupt nicht fliegen (Prof. Dr. Gisbert Fanselow, Prof. Dr. Shravan Vasishth und Prof. Dr. Isabell Wartenburger). Einige von ihnen PsycholinguistInnen und die wichtigsten Psycholinguistik-Konferenzen finden in den USA statt.
Also, Frage: Ist meine Forschung so wichtig, dass ich bereit bin, anderen Menschen Schaden zuzufügen? Unsere CO2-Emissionen tragen zur globalen Erwärmung bei, was zu schweren Dürren und anderen Katastrophen führt. Millionen von Menschen sind betroffen und werden sterben. Ist die Linguistik wichtiger? Wohl nicht. Ganz sicher nicht.
Wenn Reisen unvermeidbar sind, werde ich den Zug benutzen und ich habe bereits begonnen, auch längere Reisen mit dem Zug zu machen. In diesem Jahr bin ich zum Beispiel nach Bukarest zur HPSG-Konferenz gefahren.