Fridays for Future vs. Letzte Generation

Gestern war ich beim Scientists Responsibility Summit und hörte einen Vortrag von Michael Brüggemann (Universität Hamburg) mit dem Titel: How can disruptive climate protests be transformative? Inferences from media debates on Fridays for Future and Last Generation in Germany (Wie kann disruptiver Klimaprotest transformativ sein? Schlüsse aus der Diskussion von Fridays for Future und der Letzten Generation in den Medien.

Alter und Zusammensetzung der Gruppen

Michael Brüggemann merkte irgendwann an, dass die deutschen Fernsehzuschauer*innen im Fernsehen Menschen in ihrer Altersgruppe bevorzugen, weshalb es von Fridays for Future gut gewesen wäre, dass sie mit den Scientist For Future zusammengegangen wären.

Nun ging es bei der Forschungsfrage auch um Wahrnehmung, aber zumindest als Forschender sollte man dann zwischen Wahrnehmung durch die Medien/Gesellschaft und Realität trennen. Brüggemann zeigte ein Bild von einer Pressekonferenz (taz, 13.03.2019), auf dem man neben Luisa Neubauer und Jakob Blasel auch Maja Göpel, Volker Quaschning und Eckart von Hirschhausen sehen konnte.

In der Diskussionsphase habe ich angemerkt, dass die Letzte Generation die diverseste Klimagruppe in Deutschland gewesen ist. Alle Altersgruppen von 16 bis 86 waren vertreten.

Ronja, 16, blockiert mit dem Aufstand der Letzten Generation eine Straße in Berlin. Das Licht in ihren Augen kommt von den Scheinwerfern des Autos vor dem sie sitzt. Danziger Straße/Prenzlauer Allee, Berlin, 21.11.2022
Polizist wendet Nervendrucktechniken gegen 16jährigen Aktivisten der Letzten Generation an. Dieser schreit vor Schmerzen. Drei andere kräftige Polizisten stehen dabei. Sie hätten ihn ohne Probleme transportieren können. Dieser Einsatz von Polizeigewalt muss wohl als Folter gewertet werden. Nach Besetzung der Frankfurter Allee, Berlin, 13.04.2024
Zivilpolizisten tragen die 86jährige Aktivistin Jutta Heusinger von der Straße. Sie war Lehrerin an einer Hauptschule und hat im Audiobereich beim Bayrischen Rundfunk gearbeitet unter dem Namen Leskien. Während der Blockade Mollstraße/Prenzlauer Allee, Berlin, 19.09.2023
Ernst Hörmann (72, 8 Enkel), Aktivist vom Aufstand der Letzten Generation, bei der erkennungsdienstlichen Behandlung nach der Blockade der A100, Berlin, 04.02.22

Es gab eine weite Streuung unter den Berufen. Vom Geigenbauer, Krankenpfleger*innen, zum Ingenieur, über Physiker, die Gasturbinen entwickelt haben, Soziolog*innen, Biolog*innen, Köche, Zerspanungsfacharbeiter, Menschen aus der Automobilindustrie in Umschulung zu Elektrofacharbeitern, Pfarrer*innen, Nachrichtensprecher*innen, Hörspielautorinnen, Kirchenmusiker*innen, Afrikanist*innen, Umweltingenieure, Qualitätsmanager, Vertriebler*innen, Künstler*innen, Elektriker*innen, Tischler*innen (auch mit Meister), Ärzt*innen, (Kinder)psycholog*innen, Druckereibesitzer*innen, Designer*innen, Ökonom*innen, Sexarbeiter*innen, Informatiker*innen, Tanzlehrer*innen, Schauspieler*innen, Schüler*innen, Lehrer*innen, Student*innen, promovierte und Professoren und sogar eine Hauptkommissarin der Polizei (Portraits von Aktivist*innen mit Altersangabe und Beruf, Menschen der LG Ü50). Menschen mit Behinderungen, die auch immer wieder an Aktionen teilgenommen haben. Neurodiverse Menschen und auch diverse nicht Neurodiverse. Queere und Transpersonen. Menschen ohne Kinder, Menschen mit vielen Kindern (ich weiß von einer Mutter mit vier Kindern und Ernst Hörmann hat 8 Enkel). Menschen aus dem Osten und dem Westen Deutschlands, Menschen aus verschiedenen Regionen.

Slow walk der Letzten Generation. Penelope Frank wird von der Straße getragen. Aktivistenhände sind zu sehen, die anklagend auf die Polizisten weisen, weil diese vorher Penelope Frank den Arm verdreht und somit nicht das mildeste Mittel verwendet haben. Penelope Frank war vorher mehrfach auf die Straße zurückgelaufen. Sie ist eine Trans-Aktivistin. Rotes Rathaus, Berlin, 24.03.2023
Protestmarsch der Letzten Generation vom Brandenburger Tor zur Siegessäule, links vorn Almut Bellmann, Pfarrerin aus Berlin, in der Mitte mit Weste Sonja Manderbach, Kirchenmusikerin, zweite Reihe mit weißem Kittel Dr. Nana-Maria Grüning, Biologin von Scientist Rebellion, und Prof. Dr. Anne Bolliot, dahinter mit weißen Haaren Edmund Schultz, Berlin, 06.05.23
Rollstuhlfahrer mit Schild „Schützt die Aktionen der Letzten Generation“ bei der zweite Massenblockade der Letzten Generation und anderer Klimagruppen an der Siegessäule, im Hintergrund Christian Bläul, Berlin, 28.10.2023
Eva von der Letzten Generation verteilt im Mauerpark Info-Material. Berlin, 22.10.2023
Letzte Generation blockiert mit Mietwagen Autobahn. In der Mitte ein Rollstuhlfahrer, Messe Nord, 28.09.2023

Aus der Web-Übertragung merkte jemand an, dass die Letzte Generation nicht divers sei, weil es keine People of Color gegeben habe. Das ist nicht richtig, denn Sarah Kaden war Aktivistin der Letzten Generation. Mir sind noch zwei weitere bekannt, einer mit vietnamesischem Hintergrund.

Sarah Kaden und Anja Windl, Aktivistinnen der Letzten Generation, in Handschellen nach Blockade des Potsdamer Platzes, Berlin, 06.10.2023

Ansonsten sind zwei Dinge anzumerken: Die Letzte Generation hat anders als andere Klimagruppen immer mit offenem Gesicht und oft mit Angabe des Namens gearbeitet. (Sonst wären mir diese auch nicht bekannt.) Die Aktivist*innen haben die Repressionen in Kauf genommen und haben immer brav ihren Ausweis vorgezeigt, wenn die Polizei kam. Das ist für People of Color nicht so einfach möglich. Zweitens bedeutet die Verwendung des Komparativs nicht unbedingt, dass der Positiv gelten muss. Beispiel: Aus: Die Ameise ist größer als die Schlupfwespe. folgt nicht, dass die Ameise groß ist. Aus der Verwendung des Superlativs folgt auch nicht, dass ein mögliches Maximum erreicht wird. Beispiel: Von diesen drei Männern ist Klaus am klügsten. kann wahr sein, ohne das Klaus normalerweise als klug zu bezeichnen wäre. Also: Daraus, dass die Letzte Generation diverser als andere Bewegungen ist, folgt nicht, dass sie alle Kriterien für Diversheit erfüllt hat.

Brüggemann scheint derselbe Fehler unterlaufen zu sein, der immer wieder in den Medien zu beobachten war. Es wurde immer wieder von „jungen Menschen“ gesprochen, obwohl die Teams bei Pressekonferenzen so aussahen:

Bei der Pressekonferenz der Letzten Generation zur nächsten Protestwelle in Berlin hält Prof. Dr. Nikolaus Froitzheim (65, Strukturgeologe) ein Blatt mit den Temperaturentwicklungen der Meeresoberfläche in die Kameras. Er antwortet damit auf die Frage nach der Beliebtheit und den Protestformen der Letzten Generation. Links von ihm Rolf Meyer (56, Physiker), rechts Hauptkommissarin Chiara Malz und Pressesprecherin Clara Hinrichs, Lina Johnsen, Kanzleramt, Berlin, 08.09.2023

Über die „jungen Menschen“ habe ich auch in Unfried, Palmer und die Letzte Generation im Februar 2023 schon geschrieben.

Zusammengefasst: Wenn Medien jemanden in der Altersgruppe ihres Zielpublikums gesucht hätten, hätten sie jemanden finden können. Vom Kinderkanal bis zum Schunkeltreff auf ARD oder ZDF.

Aktionsformen und Disruption

Brüggemann zeigte genau dasselbe Unverständnis für die Aktionsformen der Letzten Generation wie die Kommentatoren in den Zeitschriften, die er untersucht hatte. So stellte er fest, dass der Auto- und Flugverkehr klimaschädlich sind und dass man deshalb entsprechende Blockaden nachvollziehen könne, aber Beschmadderung von Kunstwerken oder das Besprühen von Universitätsgebäuden sei nicht nachvollziehbar.

Besonders empört war er wegen einer Farbattacke auf Gebäude der Uni Hamburg, denn die Forscher*innen dort seien doch die Allies (Verbündeten) der Klimabewegung.

Michael Brüggemann spricht beim Scientists Responsibility Summit, Humboldt-Universität zu Berlin, 11.10.2025

Auch diese Aussagen bzgl. der Letzten Generation sind befremdlich, denn die Letzte Generation hat immer wieder in Pressemitteilungen und Interviews ihre Strategie und ihre Protestform erklärt. Die Proteste waren so ausgelegt, dass sie maximal disruptiv waren bzw. maximal Aufmerksamkeit erregten. Sie sollten die Menschen wachrütteln und auf das Problem der Klimakatastrophe hinweisen. Es ging nicht um den oder die einzelne Autofahrerin. Die Attacken auf Kunstwerke waren genau für Bildungsbürger*innen wie Michael Brüggemann (und mich) gedacht, die mit dem Fahrrad zur Uni fahren und die kilometerlange Staus auf Autobahnen nicht betreffen. In der Tat haben diese Attacken gegen Kunstwerke mich als Bildschaffenden am meisten bewegt, auch wenn schnell klar wurde, dass die Kunstwerke hinter Glas waren bzw. der Holzrahmen, an den sich Aktivist*innen angeklebt hatten, kein altes Original war.

Lina Eichler vom Aufstand der letzten Generation deeskaliert bei Straßenblockade am Hauptbahnhof. Sie erklärt aufgebrachten Autofahrern, warum blockiert wurde. Am Morgen desselben Tages wurde sie von einem Fahrer eines Lieferwagens mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Berlin, 22.08.2022

Die auf maximale Aufmerksamkeit ausgerichteten Proteste wurde in den Medien nicht verstanden oder bewusst anders geframet. Als Protestforscher sollte man das aber wissen und von der Medienberichterstattung trennen, die man untersucht.

Allianzen

Wenn man sagt, die Fridays seien strategisch geschickter gewesen, weil sie Allianzen mit den Scientists gebildet hätten, dann ist das unzulässig, denn es gab neben der Letzten Generation auch die Scientist Rebellion.

Wissenschaftler von Scientist Rebellion blockieren die Kronprinzenbrücke in Berlin, um auf die dramatischen Folgen der Kliamkatastrophe laut IPCC-Bericht hinzuweisen. In der Mitte mit Pyro Prof. Dr. Nikolaus Froitzheim, Geologe aus Bonn, Kronprinzenbrücke, Berlin, 06.04.22

Beide sind als Schwesterorganisationen anzusehen und haben auch gemeinsame Aktionen durchgeführt.

Aktivistinnen der Letzten Generation blockieren gemeinsam mit Scientist Rebellion den World Health Summit 2022 in Berlin. 16.10.2022

Eine weitere Zusammenarbeit eines Hungerstreiks, der unabhängig von der Letzten Generation stattgefunden hat, aber von Aktivist*innen der Letzten Generation organisiert wurde, gab es ebenfalls mit Scientist Rebellion und sogar auch mit den Psychologists for Future und den Scientists for Future. Die S4F haben die vier Forderungen der Hungerstreikenden unterstützt (nachdem sie eine kleine Korrektur angeregt hatten). Die Psychologists haben sich der Unterstürzung angeschlossen.

Pressekonferenz von „Hungern bis Ihr ehrlich seid“ Am 62. Tag des Hungerstreiks. vlnr: Wolfgang Metzeler-Kick, 49, Umweltingenieur, Dr. Bernhard Steinberger, Scientists 4 Future, Lea Dohm, Psychologists 4 Future, Adrian Lack, ab heute im stillen Hungerstreik, Marlen Stolze, Moderatorin, PD Dr. Susanne Koch, Scientist Rebellion und betreuende Ärztin, Michael Winter, 22. Tag im Hungerstreik, BMI von 16. Ganz rechts außen Lebenspartnerin von WMK. Links im Bild die Forderungen. Hungerstreikcamp, Invalidenpark, Berlin, 07.05.2024

Aktivitäten der Letzten Generation

Die Letzte Generation hat nicht nur disruptiv protestiert. Sie haben auch für die EU-Wahl kandidiert, mit über 100.000 Stimmen in Bremen! Sie haben Haustürgespräche geführt, sie haben in Kirchen mit Gemeinden gesprochen, sie waren in Polizeischulen unterwegs und haben dort Polizist*innen erklärt, was sie tun und warum.

Letztendlich ist das alles aber egal, weil sich die Medien bewusst oder unbewusst dafür entschieden haben, sich auf die Krawallaspekte zu konzentrieren.

Protestformen von Fridays for Future

Jemand meinte in der Kaffeepause, dass ihm FFF zu lahm sei. Dazu muss man anmerken, dass die ursprüngliche Form der Schulstreiks eine radikale Form zivilen Ungehorsams war. Die Schüler*innen haben nicht das gemacht, was sie sollten. Das ware ein enormer Aufreger.

Profi von morgen auf Fridays For Future Demonstration in Berlin, 15.03.2019

Christian Lindner, FDP, ein inzwischen in Vergessenheit geratener Politiker, fand, die Kinder sollten mal zur Schule gehen und die Angelegenheit den Profis überlassen, woraufhin sich Scientist for Future gründete und als Profis den Jugendlichen bestätigte, dass ihr Anliegen berechtigt sei.

Es gab später Überlegungen mit Extinction Rebellion (XR) gemeinsam zu protestieren, weshalb das August Rise Up auch nicht Rebellion Week genannt wurde, sondern ein neutralerer, offener Name gewählt wurde. Verschiedene Ortsgruppen von FFF werden unter den Gruppen, die sich beteiligen auch genannt (August Rise Up! Wer wir sind, 12.10.2025). Insgesamt hat sich FFF dann aber wohl gegen eine Teilnahme entschieden.

Geklebte Aktivistin von Animal Rebellion wird von Polizei gelöst, Blockade Landwirtschaftsministerium durch verschiedene Klimagruppen beim August Rise Up!, Berlin, 19.08.2021
Breites Bündnis an Klimagruppen unterstützte das August Rise Up! Direkt vor der Bundestagswahl im Jahr 2021. Die Letzte Generation entwickelte sich aus dem Hungerstreik, der direkt nach dem August Rise Up! begann. Quelle: August Rise Up! Wer wir sind, 12.10.2025

Jedoch gab es eineige Monate später eine gemeinsame Blockade mit XR und anderen. Nach einem Protestmarsch von FFF sind Aktivist*innen verschiedener Klimagruppen zurückgekommen und haben vor der SPD-Parteizentrale die Straße blockiert. Carla Reemtsma und Pauline Brünger haben für FFF gesprochen. Man beachte die Traktoren!

Blockade der SPD-Parteizentrale durch Klimaaktivisten und Klimaaktivistinnen von Friday For Future, Extinction Rebellion und anderen Gruppierungen, Berlin, 22.10.2021
Pauline Brünger und Carla Reemtsma von Fridays For Future sprechen auf einem Traktor bei der Blockade der SPD-Parteizentrale, Berlin, 22.10.2021

Luisa Neubauer war auch vor Ort, aber da war ich schon weg.

Ich finde es verständlich, dass FFF sich zurückgehalten hat, schließlich waren und sind sie auch für Kinder und sehr junge Jugendliche verantwortlich.

Übrigens war die Letzte Generation ab einem gewissen Zeitpunkt auch bei den internationalen Klimastreiks von Fridays for Future dabei. 2023 stellte die Letzte Generation sogar den größten Demoblock.

Aktivist*innen der Letzten Genration beim 13. globalen Klimastreik von Fridays for Future, Berlin, 15.09.2023

Klimaproteste und Scientist for Future

In der Diskussion sagte Nana-Maria Grüning promovierte Biologin mit Promotion in Cambridge: Nein, die Wissenschaftler*innen seien nicht ihre Allies (Verbündeten). Sie säßen in ihren Büros und ließen ein paar Kinder den Protest machen.

Nana-Maria Grüning hat Recht, wenn sie darauf verweist, dass FFF die großen Proteste angestoßen hat. Letztendlich war es Greta Thunberg, die sich über das gemeinschaftliche Verdrängen hinweggesetzt und damit eine weltweite Bewegung ausgelöst hat. (Extinction Rebellion hat sich etwa zeitgleich aus diversen Vorläuferorganisationen entwickelt.)

Dann aber haben die Scientist for Future auch einige Zeit mit FFF gemeinsame Aktionen gemacht.

Alles gesagt: Schweigemarsch der Scientists for Future unterstützt von Fridays For Future und Students For Future am Bundeskanzlerinamt, Berlin, 15.11.2019

Auch gab es ab 2019 bis zum Beginn der Corona-Lockdowns „Streiks“, die denen von FFF ähnelten. Das lief unter Researchstrejk. Gisbert Fanselows Idee war, dass jeden Tag eine andere Berufsgruppe streiken sollte. Freitags die Schüler*innen, Mittwochs die Uni-Mitarbeiter*innen, Montags die Busfahrer*innen, Dienstags die Müll-Menschen … Diese Aktionen sind unter Climatewednesday.org dokumentiert. Sie fanden in Form von Mahnwachen und öffentlichen Lehrveranstaltungen in Berlin, Potsdam und Leipzig statt. Es waren so ca. 100 Wissenschaftler*innen beteiligt.

Researchmittagspause in Potsdam vor dem Bildungsforum, Mitte karriert Prof. Dr. Gisbert Fanselow und Dr. Hartmut Ehmler, vorn weißes T-Shirt Lorena Valdivia-Steel, Potsdam, 12.06.2019
Forschungspause mit Wissenschaftler*innen von der HU, FU und aus Potsdam vor der FU Berlin. Gelbes Shirt: Prof. Uli Reich, daneben in Rot: Dr. Bernhard Steinberger,kariert Dr. Hartmut Ehmler, rot Lorena Valdivia-Steel, weiß rechts Prof. Dr. Judith Meinschäfer, vorn kariert Gisbert Fanselow. 05.06.2019
Forschungspause am Klimahäuschen der Humboldt-Universität. Hinten Stefan Müller, vorn mit Warming Stripes Prof. Dr. Christoph Schneider, Klimageograph, der später Vizepräsident der HU wurde, Berlin, 18.09.2019

Diese Mahnwachen waren mit den Lockdowns sinnlos geworden, weil die Universitäten geschlossen waren.

Das verwaiste Klimahäuschen an der Humboldt-Universität in Corona-Zeiten, 15.05.2020

Später veranstaltet Berlin for Future die Klimamontage, ein besseres Konzept mit Vorträgen und Musik.

Der Researchstrejk fand in den Medien kein Interesse, obwohl es sogar eine unterstützende Pressemeldung von der HU-Öffentlichkeitsarbeit (Gemeinsam für mehr Klimaschutz, 02.07.2019) und eine Erwähnung in der taz gab (taz, 17.08.2019). Es gab Berichte, diese bezogen sich aber ausschließlich auf die Selbstverpflichtungsaktion zum Verzicht auf Kurzstreckenflüge. Übersicht) Wahrscheinlich wurde der Researchstrejk durch die viel interessanteren Schulstreiks überlagert.

Also: Es gab Wissenschaftler*innen von Scientists for Future, die Formen disruptiven Protests angedacht hatten. Das war allerdings eine kleine Gruppe, die auf Berlin, Potsdam und Leipzig begrenzt war. Diese Anmerkung ist also eher ein historisch interessanter Hinweis, der nichts daran ändert, dass Menschen aus der Klimabewegung, die die Klimakatastrophe mit der ihr gebührenden Dringlichkeit behandelten, Wissenschaftler*innen egal welcher Fachrichtungen nicht als ihre Verbündeten ansahen, sondern als Menschen, die es aus ihrer Passivität und Verdrängung zu reißen galt.

Zusammenfassung

Es existieren in den Medien und eventuell auch dadurch bedingt in der Forschung falsche Vorstellungen darüber, was die Ziele und Methoden bestimmter Klimagruppen sind bzw. waren. Auch gibt es immer noch Klischees bezüglich der Zusammensetzung der Gruppen.

Vielleicht kann meine Dokumentation mit inzwischen mehr als 15.000 Bildern zur Klimabewegung ab 2018 dazu beitragen, Vorstellungen mit der Realität abzugleichen.

Quellen

Telschow, Fabian. 2005. Sind koordinierte Lehrplanboykotte von Wissenschaftler:innen als Dringlichkeitssignal zur Klimakrise irgendwann notwendig? (doi:10.5281/zenodo.15331596)

Aber die Übernachtung!

Bei der Diskussion der Selbstverpflichtungsaktion von Scientists4Future zum Verzicht auf Kurzstreckenflüge kommt mitunter das Argument, dass bei der Benutzung der Bahn unter Umständen ein oder sogar zwei Hotelaufenthalte nötig werden. Da das aber auch CO2 verursacht, wäre am Ende nichts gewonnen. Dieses Argument ist falsch. Ich möchte das am Beispiel Stuttgart–Hamburg mal durchrechnen.

Das Hotel

Ich selbst fahre immer mal wieder nach Bonn. Mit dem Flugzeug wäre es möglich, früh hin und abends zurückzufliegen. Da ich Bahn fahre, würde ich den Sitzungsbeginn verpassen, weshalb ich einen Tag vorher anreise. Es fällt also eine Übernachtung an. Da die Sitzung meistens bis 16:00 oder 17:00 dauert, schaffe ich noch einen Zug zurück. Für Hamburg–Stuttgart würde das je nach Sitzung eventuell nicht klappen, so dass zwei zusätzliche Übernachtungen nötig würden. Frage: Wie sieht dann die Klimabilanz aus?

Antwort: Es ist schwierig. Wie die Klimabilanz eines Hotels aussieht, hängt von sehr vielen Faktoren ab: Hat das Hotel Öko-Strom? Gibt es eine Sauna? Swimmingpool? Wie oft wird die Wäsche gewechselt? Wie arbeitet die Wäscherei? Wie gut ist das Gebäude isoliert? Wie wird geheizt? Wie hoch ist die Auslastung des Hotels? Wie groß ist die Zimmergröße? Wie lang sind die Anfahrtswege der Hotelangestellten?

Für die Berechnung der CO2-Emissionen von Geschäftsreisen gibt es einen Standard vom Verband deutsches Reisemanagement e.V. Die Formeln für den Jahresausstoß eines Hotels und den Ausstoß pro Übernachtung zeigt die folgende Abbildung.

CO2-Ausstoß eines Hotels pro Jahr nach VDR-Standard
Variablen für die Berechnung des CO2-Ausstoßes nach VDR-Standard

Ich habe lange gebraucht, im Web Durchschnittswerte zu finden, und bin dann auf die folgenden Angaben von 2014 gestoßen.

KategorieCO2-Emmission
0–2 Sterne24,7 kg
3 Sterne16,9 kg
4 Sterne21,0 kg
5 Sterne47,6 kg
CO2-Emission nach Hotlklasse DEHOGA Energiekampagne, Erhebungen der DEHOGA Landesverbände, Umwelterklärungen, Stand: 2014

Da sich inzwischen energiesparende Beleuchtung durchgesetzt haben dürfte, Geräte effizienter geworden sind und auch der Ökostrom-Anteil am allgemeinen deutschen Strommix größer geworden ist, kann man davon ausgehen, dass der CO2-Impakt von Hotels in Wirklichkeit (im Schnitt) kleiner ist. Sollte jemand aktuellere Zahlen haben, wäre ich für einen Hinweis dankbar.

Auf klimabewußte KundInnen ausgelegte Hotels können den Ausstoß nach Biohotels.de sogar auf 10kg/Nacht reduzieren.

Flug und Zug

Laut atmosfair beträgt die CO2-Belastung für die Strecke Stuttgart–Hamburg bei Hin- und Rückflug 211kg CO2 (Für Germanwings geben sie 347kg und eine durchschnittliche Airline 272kg an). Ich habe dabei angenommen, dass auf dieser Strecke ein Airbus A320 unterwegs ist (zur Zeit fliegt nur Eurowings und laut Eurowings: Technik & Flotte ist der A320 das Flugzeug, das sie am häufigsten einsetzen).

Laut CO2-online beträgt der CO2-Ausstoß für die Hin- und Rückreise mit dem ICE 39kg. Dabei hat CO2-online den durchschnittlichen deutschen Strommix unter Berücksichtigung des Ökostromanteils, den die Deutsche Bahn verwendet, angesetzt. Die Deutsche Bahn verwendet für ihr gesamtes Angebot zu 60% Ökostrom und gibt aber an, dass sie im Fernverkehr ausschließlich Ökostrom benutzt. Damit wäre die CO2-Emission für die reine Fahrleistung Null.

Nimmt man den Ökostrom, den die Bahn im Fernverkehr verwendet, ist der CO2-Ausstoß für ICEs unschalgbar gering. Selbst wenn man den Strommix, den die Bahn verwendet (60% Ökostrom), zugrundelegt, liegt die Bahn weit unterhalb von Flugzeugen und Pkws.

Je nach dem, wie man das nun sehen will, hat die Bahn auf der Strecke Stuttgart–Hamburg also einen Ausstoß von Null oder eben 39kg. Setzt man Null an, liegt der CO2-Ausstoß von Bahn-Reise + zwei Übernachtungen bei einem Sechstel (16%) des minimalen CO2-Ausstoßes für den Flug. Setzt man 39kg an, so ist die Bahnreise + zwei Übernachtungen immer noch bei einem Drittel (35%) des Fluges. Das zeigt die folgende Tabelle im Überblick.

Bahn kg CO2Flug kg CO2Bahn in %
Öko02110
Öko+1172118
Öko+23421116
Mix3921118
Mix+15621127
Mix+27321135
Öko03470
Öko+1173475
Öko+2343479
Mix3934711
Mix+15634716
Mix+27334721
Vergleich des CO2-Ausstoßes für Bahnreise vs. Flug bei Annahme von 100% Ökostrom bzw. Strommix mit 60% Ökostrom und jeweils keiner, einer oder zwei zusätzlichen Übernachtungen in einem 3-Sterne-Hotel

Rechnet man das Ganze mit den 374 kg, die bei atmosfair als Wert für germanwings angegeben wurden, sieht alles noch verheerender aus: Selbst mit zwei Übernachtungen und Berechnung des Strommixes liegt die Bahn bei einem Fünftel des Flugzeugs.

Schlussfolgerung

Da das Bundesreisekostengesetz dahingehend geändert wird, dass Klimaaspekte bei Reisen zu berücksichtigen sind und da auch teurere Bahnfahrten und Tagegeld erstattet werden, gibt es je nach Strecke nur noch einen Grund zu fliegen: Es ist bei sehr langen Strecken schneller und man ist eher wieder zu hause (ein Reisezeitvergleich Bahn vs. Flugzeug zeigt, dass das bei den meisten Kurzstreckenflügen nicht der Fall ist). Bei WissenschaftlerInnen mit Familie kann die kürzere Reisezeit ein wichtiger Faktor sein, aber man sollte sich auch bei allen organisatorischen Problemen überlegen, ob man das zukünftige Wohl der Kinder dafür opfern möchte, dass man mit ihnen zwei bis vier Abende/Morgende gemeinsam verbringen kann.