Fridays for Future vs. Letzte Generation

Gestern war ich beim Scientists Responsibility Summit und hörte einen Vortrag von Michael Brüggemann (Universität Hamburg) mit dem Titel: How can disruptive climate protests be transformative? Inferences from media debates on Fridays for Future and Last Generation in Germany (Wie kann disruptiver Klimaprotest transformativ sein? Schlüsse aus der Diskussion von Fridays for Future und der Letzten Generation in den Medien.

Alter und Zusammensetzung der Gruppen

Michael Brüggemann merkte irgendwann an, dass die deutschen Fernsehzuschauer*innen im Fernsehen Menschen in ihrer Altersgruppe bevorzugen, weshalb es von Fridays for Future gut gewesen wäre, dass sie mit den Scientist For Future zusammengegangen wären.

Nun ging es bei der Forschungsfrage auch um Wahrnehmung, aber zumindest als Forschender sollte man dann zwischen Wahrnehmung durch die Medien/Gesellschaft und Realität trennen. Brüggemann zeigte ein Bild von einer Pressekonferenz (taz, 13.03.2019), auf dem man neben Luisa Neubauer und Jakob Blasel auch Maja Göpel, Volker Quaschning und Eckart von Hirschhausen sehen konnte.

In der Diskussionsphase habe ich angemerkt, dass die Letzte Generation die diverseste Klimagruppe in Deutschland gewesen ist. Alle Altersgruppen von 16 bis 86 waren vertreten.

Ronja, 16, blockiert mit dem Aufstand der Letzten Generation eine Straße in Berlin. Das Licht in ihren Augen kommt von den Scheinwerfern des Autos vor dem sie sitzt. Danziger Straße/Prenzlauer Allee, Berlin, 21.11.2022
Polizist wendet Nervendrucktechniken gegen 16jährigen Aktivisten der Letzten Generation an. Dieser schreit vor Schmerzen. Drei andere kräftige Polizisten stehen dabei. Sie hätten ihn ohne Probleme transportieren können. Dieser Einsatz von Polizeigewalt muss wohl als Folter gewertet werden. Nach Besetzung der Frankfurter Allee, Berlin, 13.04.2024
Zivilpolizisten tragen die 86jährige Aktivistin Jutta Heusinger von der Straße. Sie war Lehrerin an einer Hauptschule und hat im Audiobereich beim Bayrischen Rundfunk gearbeitet unter dem Namen Leskien. Während der Blockade Mollstraße/Prenzlauer Allee, Berlin, 19.09.2023
Ernst Hörmann (72, 8 Enkel), Aktivist vom Aufstand der Letzten Generation, bei der erkennungsdienstlichen Behandlung nach der Blockade der A100, Berlin, 04.02.22

Es gab eine weite Streuung unter den Berufen. Vom Geigenbauer, Krankenpfleger*innen, zum Ingenieur, über Physiker, die Gasturbinen entwickelt haben, Soziolog*innen, Biolog*innen, Köche, Zerspanungsfacharbeiter, Menschen aus der Automobilindustrie in Umschulung zu Elektrofacharbeitern, Pfarrer*innen, Nachrichtensprecher*innen, Hörspielautorinnen, Kirchenmusiker*innen, Afrikanist*innen, Umweltingenieure, Qualitätsmanager, Vertriebler*innen, Künstler*innen, Elektriker*innen, Tischler*innen (auch mit Meister), Ärzt*innen, (Kinder)psycholog*innen, Druckereibesitzer*innen, Designer*innen, Ökonom*innen, Sexarbeiter*innen, Informatiker*innen, Tanzlehrer*innen, Schauspieler*innen, Schüler*innen, Lehrer*innen, Student*innen, promovierte und Professoren und sogar eine Hauptkommissarin der Polizei (Portraits von Aktivist*innen mit Altersangabe und Beruf, Menschen der LG Ü50). Menschen mit Behinderungen, die auch immer wieder an Aktionen teilgenommen haben. Neurodiverse Menschen und auch diverse nicht Neurodiverse. Queere und Transpersonen. Menschen ohne Kinder, Menschen mit vielen Kindern (ich weiß von einer Mutter mit vier Kindern und Ernst Hörmann hat 8 Enkel). Menschen aus dem Osten und dem Westen Deutschlands, Menschen aus verschiedenen Regionen.

Slow walk der Letzten Generation. Penelope Frank wird von der Straße getragen. Aktivistenhände sind zu sehen, die anklagend auf die Polizisten weisen, weil diese vorher Penelope Frank den Arm verdreht und somit nicht das mildeste Mittel verwendet haben. Penelope Frank war vorher mehrfach auf die Straße zurückgelaufen. Sie ist eine Trans-Aktivistin. Rotes Rathaus, Berlin, 24.03.2023
Protestmarsch der Letzten Generation vom Brandenburger Tor zur Siegessäule, links vorn Almut Bellmann, Pfarrerin aus Berlin, in der Mitte mit Weste Sonja Manderbach, Kirchenmusikerin, zweite Reihe mit weißem Kittel Dr. Nana-Maria Grüning, Biologin von Scientist Rebellion, und Prof. Dr. Anne Bolliot, dahinter mit weißen Haaren Edmund Schultz, Berlin, 06.05.23
Rollstuhlfahrer mit Schild „Schützt die Aktionen der Letzten Generation“ bei der zweite Massenblockade der Letzten Generation und anderer Klimagruppen an der Siegessäule, im Hintergrund Christian Bläul, Berlin, 28.10.2023
Eva von der Letzten Generation verteilt im Mauerpark Info-Material. Berlin, 22.10.2023
Letzte Generation blockiert mit Mietwagen Autobahn. In der Mitte ein Rollstuhlfahrer, Messe Nord, 28.09.2023

Aus der Web-Übertragung merkte jemand an, dass die Letzte Generation nicht divers sei, weil es keine People of Color gegeben habe. Das ist nicht richtig, denn Sarah Kaden war Aktivistin der Letzten Generation. Mir sind noch zwei weitere bekannt, einer mit vietnamesischem Hintergrund.

Sarah Kaden und Anja Windl, Aktivistinnen der Letzten Generation, in Handschellen nach Blockade des Potsdamer Platzes, Berlin, 06.10.2023

Ansonsten sind zwei Dinge anzumerken: Die Letzte Generation hat anders als andere Klimagruppen immer mit offenem Gesicht und oft mit Angabe des Namens gearbeitet. (Sonst wären mir diese auch nicht bekannt.) Die Aktivist*innen haben die Repressionen in Kauf genommen und haben immer brav ihren Ausweis vorgezeigt, wenn die Polizei kam. Das ist für People of Color nicht so einfach möglich. Zweitens bedeutet die Verwendung des Komparativs nicht unbedingt, dass der Positiv gelten muss. Beispiel: Aus: Die Ameise ist größer als die Schlupfwespe. folgt nicht, dass die Ameise groß ist. Aus der Verwendung des Superlativs folgt auch nicht, dass ein mögliches Maximum erreicht wird. Beispiel: Von diesen drei Männern ist Klaus am klügsten. kann wahr sein, ohne das Klaus normalerweise als klug zu bezeichnen wäre. Also: Daraus, dass die Letzte Generation diverser als andere Bewegungen ist, folgt nicht, dass sie alle Kriterien für Diversheit erfüllt hat.

Brüggemann scheint derselbe Fehler unterlaufen zu sein, der immer wieder in den Medien zu beobachten war. Es wurde immer wieder von „jungen Menschen“ gesprochen, obwohl die Teams bei Pressekonferenzen so aussahen:

Bei der Pressekonferenz der Letzten Generation zur nächsten Protestwelle in Berlin hält Prof. Dr. Nikolaus Froitzheim (65, Strukturgeologe) ein Blatt mit den Temperaturentwicklungen der Meeresoberfläche in die Kameras. Er antwortet damit auf die Frage nach der Beliebtheit und den Protestformen der Letzten Generation. Links von ihm Rolf Meyer (56, Physiker), rechts Hauptkommissarin Chiara Malz und Pressesprecherin Clara Hinrichs, Lina Johnsen, Kanzleramt, Berlin, 08.09.2023

Über die „jungen Menschen“ habe ich auch in Unfried, Palmer und die Letzte Generation im Februar 2023 schon geschrieben.

Zusammengefasst: Wenn Medien jemanden in der Altersgruppe ihres Zielpublikums gesucht hätten, hätten sie jemanden finden können. Vom Kinderkanal bis zum Schunkeltreff auf ARD oder ZDF.

Aktionsformen und Disruption

Brüggemann zeigte genau dasselbe Unverständnis für die Aktionsformen der Letzten Generation wie die Kommentatoren in den Zeitschriften, die er untersucht hatte. So stellte er fest, dass der Auto- und Flugverkehr klimaschädlich sind und dass man deshalb entsprechende Blockaden nachvollziehen könne, aber Beschmadderung von Kunstwerken oder das Besprühen von Universitätsgebäuden sei nicht nachvollziehbar.

Besonders empört war er wegen einer Farbattacke auf Gebäude der Uni Hamburg, denn die Forscher*innen dort seien doch die Allies der Klimabewegung.

Michael Brüggemann spricht beim Scientists Responsibility Summit, Humboldt-Universität zu Berlin, 11.10.2025

Auch diese Aussagen bzgl. der Letzten Generation sind befremdlich, denn die Letzte Generation hat immer wieder in Pressemitteilungen und Interviews ihre Strategie und ihre Protestform erklärt. Die Proteste waren so ausgelegt, dass sie maximal disruptiv waren bzw. maximal Aufmerksamkeit erregten. Sie sollten die Menschen wachrütteln und auf das Problem der Klimakatastrophe hinweisen. Es ging nicht um den oder die einzelne Autofahrerin. Die Attacken auf Kunstwerke waren genau für Bildungsbürger*innen wie Michael Brüggemann (und mich) gedacht, die mit dem Fahrrad zur Uni fahren und die kilometerlange Staus auf Autobahnen nicht betreffen. In der Tat haben diese Attacken gegen Kunstwerke mich als Bildschaffenden am meisten bewegt, auch wenn schnell klar wurde, dass die Kunstwerke hinter Glas waren bzw. der Holzrahmen, an den sich Aktivist*innen angeklebt hatten, kein altes Original war.

Die auf maximale Aufmerksamkeit ausgerichteten Proteste wurde in den Medien nicht verstanden oder bewusst anders geframet. Als Protestforscher sollte man das aber wissen und von der Medienberichterstattung trennen, die man untersucht.

Allianzen

Wenn man sagt, die Fridays seien strategisch geschickter gewesen, weil sie Allianzen mit den Scientists gebildet hätten, dann ist das unzulässig, denn es gab neben der Letzten Generation auch die Scientist Rebellion.

Wissenschaftler von Scientist Rebellion blockieren die Kronprinzenbrücke in Berlin, um auf die dramatischen Folgen der Kliamkatastrophe laut IPCC-Bericht hinzuweisen. In der Mitte mit Pyro Prof. Dr. Nikolaus Froitzheim, Geologe aus Bonn, Kronprinzenbrücke, Berlin, 06.04.22

Beide sind als Schwesterorganisationen anzusehen und haben auch gemeinsame Aktionen durchgeführt.

Aktivistinnen der Letzten Generation blockieren gemeinsam mit Scientist Rebellion den World Health Summit 2022 in Berlin. 16.10.2022

Eine weitere Zusammenarbeit eines Hungerstreiks, der unabhängig von der Letzten Generation stattgefunden hat, aber von Aktivist*innen der Letzten Generation organisiert wurde, gab es ebenfalls mit Scientist Rebellion und sogar auch mit den Psychologists for Future und den Scientists for Future. Die S4F haben die vier Forderungen der Hungerstreikenden unterstützt (nachdem sie eine kleine Korrektur angeregt hatten). Die Psychologists haben sich der Unterstürzung angeschlossen.

Pressekonferenz von „Hungern bis Ihr ehrlich seid“ Am 62. Tag des Hungerstreiks. vlnr: Wolfgang Metzeler-Kick, 49, Umweltingenieur, Dr. Bernhard Steinberger, Scientists 4 Future, Lea Dohm, Psychologists 4 Future, Adrian Lack, ab heute im stillen Hungerstreik, Marlen Stolze, Moderatorin, PD Dr. Susanne Koch, Scientist Rebellion und betreuende Ärztin, Michael Winter, 22. Tag im Hungerstreik, BMI von 16. Ganz rechts außen Lebenspartnerin von WMK. Links im Bild die Forderungen. Hungerstreikcamp, Invalidenpark, Berlin, 07.05.2024

Aktivitäten der Letzten Generation

Die Letzte Generation hat nicht nur disruptiv protestiert. Sie haben auch für die EU-Wahl kandidiert, mit über 100.000 Stimmen in Bremen! Sie haben Haustürgespräche geführt, sie haben in Kirchen mit Gemeinden gesprochen, sie waren in Polizeischulen unterwegs und haben dort Polizist*innen erklärt, was sie tun und warum.

Letztendlich ist das alles aber egal, weil sich die Medien bewusst oder unbewusst dafür entschieden haben, sich auf die Krawallaspekte zu konzentrieren.

Protestformen von Fridays for Future

Jemand meinte in der Kaffeepause, dass ihm FFF zu lahm sei. Dazu muss man anmerken, dass die ursprüngliche Form der Schulstreiks eine radikale Form zivilen Ungehorsams war. Die Schüler*innen haben nicht das gemacht, was sie sollten. Das ware ein enormer Aufreger.

Profi von morgen auf Fridays For Future Demonstration in Berlin, 15.03.2019

Christian Lindner, FDP, ein inzwischen in Vergessenheit geratener Politiker, fand, die Kinder sollten mal zur Schule gehen und die Angelegenheit den Profis überlassen, woraufhin sich Scientist for Future gründete und als Profis den Jugendlichen bestätigte, dass ihr Anliegen berechtigt sei.

Es gab später Überlegungen mit Extinction Rebellion (XR) gemeinsam zu protestieren, weshalb das August Rise Up auch nicht Rebellion Week genannt wurde, sondern ein neutralerer, offener Name gewählt wurde. FFF wird unter den Gruppen, die sich beteiligen auch genannt (August Rise Up! Wer wir sind, 12.10.2025) hat sich dann aber wohl gegen eine Teilnahme entschieden.

Geklebte Aktivistin von Animal Rebellion wird von Polizei gelöst, Blockade Landwirtschaftsministerium durch verschiedene Klimagruppen beim August Rise Up!, Berlin, 19.08.2021

Jedoch gab es eine gemeinsame Blockade mit XR und anderen. Nach einem Protestmarsch von FFF sind Aktivist*innen verschiedener Klimagruppen zurückgekommen und haben vor der SPD-Parteizentrale die Straße blockiert. Carla Reemtsma und Pauline Brünger haben für FFF gesprochen. Man beachte die Traktoren!

Blockade der SPD-Parteizentrale durch Klimaaktivisten und Klimaaktivistinnen von Friday For Future, Extinction Rebellion und anderen Gruppierungen, Berlin, 22.10.2021
Pauline Brünger und Carla Reemtsma von Fridays For Future sprechen auf einem Traktor bei der Blockade der SPD-Parteizentrale, Berlin, 22.10.2021

Luisa Neubauer war auch vor Ort, aber da war ich schon weg.

Ich finde es verständlich, dass FFF sich zurückgehalten hat, schließlich waren sie auch für Kinder und sehr junge Jugendliche verantwortlich.

Klimaproteste und Scientist for Future

In der Diskussion sagte Nana-Maria Grüning promovierte Biologin mit Promotion in Cambridge: Nein, die Wissenschaftler*innen seien nicht ihre Allies (Verbündeten). Sie säßen in ihren Büros und ließen ein paar Kinder den Protest machen.

Nana-Maria Grüning hat Recht, wenn sie darauf verweist, dass FFF die großen Proteste angestoßen hat. Letztendlich war es Greta Thunberg, die sich über das gemeinschaftliche Verdrängen hinweggesetzt und damit eine weltweite Bewegung ausgelöst hat. (Extinction Rebellion hat sich etwa zeitgleich aus diversen Vorläuferorganisationen entwickelt.)

Dann aber haben die Scientist for Future auch einige Zeit mit FFF gemeinsame Aktionen gemacht.

Alles gesagt: Schweigemarsch der Scientists for Future unterstützt von Fridays For Future und Students For Future am Bundeskanzlerinamt, Berlin, 15.11.2019

Auch gab es ab 2019 bis zum Beginn der Corona-Lockdowns „Streiks“, die denen von FFF ähnelten. Das lief unter Researchstrejk. Gisbert Fanselows Idee war, dass jeden Tag eine andere Berufsgruppe streiken sollte. Freitags die Schüler*innen, Mittwochs die Uni-Mitarbeiter*innen, Montags die Busfahrer*innen, Dienstags die Müll-Menschen … Diese Aktionen sind unter Climatewednesday.org dokumentiert. Sie fanden in Form von Mahnwachen und öffentlichen Lehrveranstaltungen in Berlin, Potsdam und Leipzig statt. Es waren so ca. 100 Wissenschaftler*innen beteiligt.

Researchmittagspause in Potsdam vor dem Bildungsforum, Mitte karriert Prof. Dr. Gisbert Fanselow und Dr. Hartmut Ehmler, vorn weißes T-Shirt Lorena Valdivia-Steel, Potsdam, 12.06.2019
Forschungspause mit Wissenschaftler*innen von der HU, FU und aus Potsdam vor der FU Berlin. Gelbes Shirt: Prof. Uli Reich, daneben in Rot: Dr. Bernhard Steinberger,kariert Dr. Hartmut Ehmler, rot Lorena Valdivia-Steel, weiß rechts Prof. Dr. Judith Meinschäfer, vorn kariert Gisbert Fanselow. 05.06.2019
Forschungspause am Klimahäuschen der Humboldt-Universität. Hinten Stefan Müller, vorn mit Warming Stripes Prof. Dr. Christoph Schneider, Klimageograph, der später Vizepräsident der HU wurde, Berlin, 18.09.2019

Diese Mahnwachen waren mit den Lockdowns sinnlos geworden, weil die Universitäten geschlossen waren.

Das verwaiste Klimahäuschen an der Humboldt-Universität in Corona-Zeiten, 15.05.2020

Später veranstaltet Berlin for Future die Klimamontage, ein besseres Konzept mit Vorträgen und Musik.

Der Researchstrejk fand in den Medien kein Interesse, obwohl es sogar eine unterstützende Pressemeldung von der HU-Öffentlichkeitsarbeit (Gemeinsam für mehr Klimaschutz, 02.07.2019) und eine Erwähnung in der taz gab (taz, 17.08.2019). Es gab Berichte, diese bezogen sich aber ausschließlich auf die Selbstverpflichtungsaktion zum Verzicht auf Kurzstreckenflüge. Übersicht) Wahrscheinlich wurde der Researchstrejk durch die viel interessanteren Schulstreiks überlagert.

Also: Es gab Wissenschaftler*innen von Scientists for Future, die Formen disruptiven Protests angedacht hatten. Das war allerdings eine kleine Gruppe, die auf Berlin, Potsdam und Leipzig begrenzt war. Diese Anmerkung ist also eher ein historisch interessanter Hinweis, der nichts daran ändert, dass Menschen aus der Klimabewegung, die die Klimakatastrophe mit der ihr gebührenden Dringlichkeit behandelten, Wissenschaftler*innen egal welcher Fachrichtungen nicht als ihre Verbündeten ansahen, sondern als Menschen, die es aus ihrer Passivität und Verdrängung zu reißen galt.

Zusammenfassung

Es existieren in den Medien und eventuell auch dadurch bedingt in der Forschung falsche Vorstellungen darüber, was die Ziele und Methoden bestimmter Klimagruppen sind bzw. waren. Auch gibt es immer noch Klischees bezüglich der Zusammensetzung der Gruppen.

Vielleicht kann meine Dokumentation mit inzwischen mehr als 15.000 Bildern zur Klimabewegung ab 2018 dazu beitragen, Vorstellungen mit der Realität abzugleichen.

Quellen

Telschow, Fabian. 2005. Sind koordinierte Lehrplanboykotte von Wissenschaftler:innen als Dringlichkeitssignal zur Klimakrise irgendwann notwendig? (doi:10.5281/zenodo.15331596)

Am Boden bleiben, Berlin, 2019-11-10

Symbolische Blockade des Flughafens Berlin Tegel (TXL) durch Am Boden bleiben (stay grounded). Die BlockiererInnen hatten angekündigt, dass sie so blockieren wollen, dass niemand seinen Flug verpasst, und haben die Blockade auch so durchgeführt. Die Polizeit hat aber am Tunnel zu Tegel Flugtickets kontrolliert und so einen enormen Stau verursacht. Busse endeten mehrere hundert Meter vor dem Flughafen, so dass Passagiere laufen mussten.

Der Gewaltbegriff von Extinction Rebellion: eine Antwort in Bildern

In seinem Artikel Agressiv friedlich in der taz schreibt Simon Sales Pedro, dass Extinction Rebellion keine Bewegung für alle sein kann, weil dies schon am von XR angenommenen Gewaltbegriff scheitern müsse. Er hält das Prinzip der Gewaltfreiheit für eine Illusion.

Lieber Herr Sales Pedro, Sie schreiben:

Man sei ein gewaltfreies Netzwerk, heißt es online unter Punkt neun auf der Liste der Prinzipien und Werte. Auf der Straße sieht das dann so aus: Als am Montag die Polizei in London eine Blockade auflöste, sangen die Demonstrierenden „Polizei, wir lieben euch, wir tun das auch für eure Kinder“. Und nachdem die Berliner Behörde am Dienstag den besetzten Potsdamer Platz räumte, applaudierten die Aktivist*innen und bedankten sich – bei der Polizei. Das muss wohl dieser zivile Ungehorsam sein.

Ja, das ist der zivile Ungehorsam. Ich habe mich gestern hier in London lange mit einem Mann über Gewalt unterhalten. Ich habe ihn gefragt, wieso es die Protestierenden schaffen, am Trafalgar Square Dutzende Zelte aufzustellen.

Zelte am Trafalgar Square, London, 08.10.2019

Er meinte, dass die Polizei nicht hinterherkäme. Er hat mir gesagt, dass in London zur Zeit nur Londoner Polizei eingesetzt wird. Ich habe ihm von den „Mai-Revolutionen“ in Berlin erzählt und dass da Tausende PolizistInnen im Einsatz waren. Er meinte, dass sich das sofort ändern würde, wenn XR gewalttätig wäre. Der Trafalgar Square ist besetzt. Brücken waren besetzt, die Zufahrten zur Westminsterbrücke ist immer noch besetzt. Das ist gewaltfreier ziviler Ungehorsam.

Wenn Extinction Rebellion dazu aufruft, sich von der Polizei festnehmen und wegtragen zu lassen, dann schließt man dadurch alle Menschen aus, die das nicht tun können – wegen ihrer Hautfarbe, wegen ihres Arbeitsverhältnisses oder ihres Aufenthaltsstatus.

Das ist richtig. Ich bin Beamter und kann mich deshalb nicht verhaften lassen. Bin ich deshalb traurig, weil ich nicht mitmachen darf? Bin ich benachteiligt? Nein, denn es gibt ganz viele verschiedene Möglichkeiten, sich zu beteiligen, sich einzubringen. KollegInnen von mir beherbergen RebellInnen, die nach Berlin kommen. Andere helfen, indem sie Comics zur Wissenschaftsillustration zeichnen. Und selbst wenn man auf die Straße gehen will, heißt das nicht, dass man sich verhaften lassen muss. Am 07.10.2019 hat die religiöse Rebellion die Lambeth-Brücke in London blockiert. Das folgende Bild zeigt einen Muslim und eine Muslima, die zu den anderen gesprochen haben. Ob sie sich verhaften lassen haben, weiß ich nicht, es war jedenfalls nicht notwendig.

Muslim und Muslima sprechen bei Brückenblockade in London, Lambeth-Bridge, 07.10.2019

Extinction Rebellion müsse die komplexen Realitäten aller von der Klimakrise Betroffenen berücksichtigen, statt sich ihre Kämpfe anzueignen. Die mangelnde Sensibilität hierfür könnte daher rühren, dass Extinction Rebellion wie so viele Klimabewegungen vor allem eines ist: weiß.

Ich frage mich ernsthaft, wie man sich als Bewegung hier richtig verhalten sollte. Die Aufgaben, die vor uns liegen, sind so gewaltig, wie kann man da jemandem vorwerfen, er wolle einem Arbeit wegnehmen, zumal wenn er dazu aufruft, die Arbeit gemeinsam zu erledigen.

Eine Klimabewegung, die sich selbst ernst nimmt, muss intersektional denken. Sie muss Rassismus und Sexismus ablehnen, sie muss den Kapitalismus kritisieren.

Der Witz an XR ist, dass diese Bewegung niemandem vorschreibt, was er oder sie muss – abgesehen von einigen Grundregeln wie zum Beispiel Gewaltfreiheit. Wenn man lange genug über die Lage nachdenkt, kommt man von allein drauf, dass unsere Regierungen in dem Rahmen, in dem sie agieren, gefangen sind. Das Klimapäckchen der deutschen Regierung ist das beste Beispiel dafür, wie eine Regierung versucht, alles, was irgendwie wehtun könnte auf nach den Wahlen zu verschieben. Das ist der demokratische Ansatzpunkt von XR: Bürger*innenversammlungen aus zufällig repräsentativ ausgewählten Bürger*innen können helfen, das Problem zu lösen. Sie können der Regierung Vorschläge unterbreiten, die diese dann umsetzen können, ohne sich vor ihren Wähler*innen dafür rechtfertigen zu müssen, denn die Legitimation hätten sie direkt vom Volk bekommen. Diese Bürger*innenversammlungen (damals noch Bürgerversammlungen) gab es übrigens schon damals in Griechenland.

Ob man bei den anstehenden Veränderungen gleich noch den Kapitalismus abschafft, abschaffen kann, ist eine interessante Frage. Mir persönlich würde schon reichen, wenn man das Überleben der Menschheit sichern könnte. Die anstehenden Transformationen werden ohnehin so gewaltig sein, dass wir unsere Gesellschaften dann nicht mehr wiedererkennen werden. So oder so.

Statt sich gut gelaunt von Polizisten festnehmen zu lassen, müsste man anprangern, dass vor allem Schwarze Menschen von Polizeigewalt betroffen sind.

Den dass-Satz möchte ich als Meta-Whataboutism bezeichnen. Wieso soll XR Gewalt gegen Schwarze Menschen anprangern? Bei XR geht es um die Klimakatastrophe, Gewalt gegen Schwarze ist ein Problem, das gelöst werden muss, aber nicht noch zusätzlich auch noch von XR. (Die Bewegung der schwarzen Amerikaner*innen ist übrigens ein Vorbild von XR)

Ansonsten denke ich, dass Sie sich für diesen Satz bei allen an XR Beteiligten entschuldigen sollten. Ich zeige Ihnen ein paar Bilder von zwei Tagen in London. Das erste Bild zeigt eine hochbetagte Frau, die sich hat festnehmen lassen (07.10. Trafalgar Square). Sie wirkte auf mich sehr zerbrechlich, von guter Laune keine Spur.

Hochbetagte Frau mit Stock wird am Trafalgar Square festgenommen. Der Polizist trägt ihren Rucksack. Rechts der Mann ist Leagle Observer. Die Umstehenden klatschen Beifall für sie und rufen „We love you“. Auf dem T-Shirt in Rot steht: „Labor Party says no to … Fascism Racism Antisemitism Islamophobia“

Die Männer und Frauen im und am Auto haben sich mit Schlössern am Auto angeschlossen oder miteinander verbunden.

Sie sitzen jetzt bereits über zwei Tage in diesem Auto oder liegen daneben bzw. darunter. Es hat teilweise stark geregnet. Der Mann außerhalb des Autos ist wahrscheinlich unterkühlt. Keiner von ihnen konnte sich in dieser Zeit richtig bewegen. (Toilette!?!) Einfach schon so lange in einer Körperhaltung zu liegen oder zu sitzen ist eine enorme Leistung.

Die zwei Frauen auf dem folgenden Bild haben sich mit Fahrradschlössern am Kopf zusammengeschlossen.

Zwei Frauen haben sich mit Fahrradschlössern am Kopf zusammengeschlossen.

Um sie zu trennen, hat die Polizei ihre Köpfe mit feuerfestem Tuch abgedeckt, ihnen Schutzbrillen aufgesetzt und die Schlösser dann mit einem Trennschleifer aufgesägt. Die Polizistin hat die eine Rebellin gefragt, ob sie gehen möchte, ansonsten würde sie verhaftet. Die Rebellin hat erklärt, dass sie verhaftet werden möchte.

„Sie können gehen, wenn Sie wollen.“ „Nein, bitte verhaften Sie mich.“

Ihre Mitstreiterin war beim Abtransport ohnmächtig oder wirkte zumindest so.

Eine gut gelaunte Festnahme sieht anders aus.

Aber jenseits der Festnahmen gab es durchaus gute Laune. Das folgende Bild zeigt einen Sänger, der auch in Faslane beim Peace-Camp gegen die dort stationierten Atom-U-Boote dabei war. Er spricht über die Polizist*innen, die auch nur ihren Job tun und ansonsten vielleicht sogar auf ihrer Seite wären. Als Beispiel erzählt er von Faslane, wo es ein sehr gutes Verhältnis zur Polizei gab und die Polizist*innen am Tag vor der Festnahme der Aktivist*innen angerufen haben, um nachzufragen, wer vegetarisches und wer veganes Essen bevorzuge.

Sänger berichtet von der Polizei in Faslane, die vor den Festnahmen angerufen hat, um sich zu erkundigen, welche AktivistInnen welches Essen bevorzugen.

Ich kann solche Polizei-Erlebnisse aus Faslane persönlich bestätigen. Ich war 1993 zum Valentinstag dort und die Polizist*innen halfen uns, Plakate am Zaun zu befestigen, denn das Gewebe des Zauns war so engmaschig, dass man keinen Faden hindurch und wieder zurück bekam. Sie halfen uns von der anderen Seite. Auch gestern bei der Losschneideaktion kam mir ein Polizist entgegen und hat sich nach Absprache extra so hingestellt, dass ich photogoraphieren konnte. Ziel von XR ist es, London/Berlin/whatever möglichst lange besetzt zu halten. Möglichst viele und gute Bilder zu bekommen und damit in die Medien zu kommen. Die Polizei spielt dabei ihren Rolle. Diese kann sie so oder so ausgestalten. Sie ist nicht notwendigerweise der Gegner der Rebellion.

Statt zu sagen man sei „offen für alle“, müsste man sich fragen, weshalb trotzdem nicht alle repräsentiert werden – und Barrieren abbauen, die das verhindern. Statt sich von Kämpfen abzukapseln, die Marginalisierte längst führen, müsste man sich mit ihnen solidarisieren und sie schützen. Statt für andere zu sprechen, könnte man sie zu Wort kommen lassen.

Genau das passiert in London und wahrscheinlich auch in Berlin. Macht einfach alle mit. Dann seid Ihr die Bewegung, bestimmt, was gemacht wird und wer sichtbar ist.

Besetzung der Lambeth-Brücke durch die Religiöse Rebellion, London, 07.09.2019

Nachtrag: Hier sind alle Bilder aus London mit People of Color: https://www.flickr.com/search/?user_id=184802432%40N05&sort=date-taken-desc&text=People%20of%20Color&view_all=1