Zuletzt geändert am 14. Dezember 2024
Entwarnung (am Abend des 25.11. eingefügt): Ein Kollege hat mich darauf hingewiesen, dass die taz um Größenordnungen daneben lag. Leider habe ich die Zahl nicht selbst überprüft. Statt 3,6 Gigatonnen werden „nur“ 3,6 Megatonnen ausgestoßen: Hier ist der Originalbericht von South Pole.
Svenja Schulze, damals noch Umweltministerin, hat 2019 auf die Frage nach unserem CO2-Restbudget geantwortet: „Unter diesen ganzen Tonnen und so kann sich doch keiner was vorstellen.“ Ich habe das schon mehrfach in diesem Blog aufgegriffen (Zu unserem CO2-Restbudget: Car is over, Sind Fluggäste Mörder?, Flüge, CO2, Verantwortung und Mitschuld). Das war damals natürlich ein Ausweichmanöver, aber es ist ja in der Tat so, dass diese Zahlen schlecht mit Konkretem verbunden werden können. Man braucht dazu Vergleiche. Zum Beispiel die 1000-Tonnen-Regel (1000 Tonnen verbrannter Kohlenstoff = 1 Mensch, der an den Folgen der Klimakatastrophe vorzeitig sterben wird, Parncutt, 2019).
In der taz stand heute, dass eine Firma im Auftrag der Veranstalter (!) berechnet hat, dass der CO2-Ausstoß für die Fußball-WM in Katar 3,6 Gigatonnen beträgt (taz, 25.11.2022: 3). Die taz berichtet über die NGO Carbon Market Watch, die zu höheren Zahlen kommt, weil zum Beispiel der sehr CO2-intensive Bau der Stadien nur zu einem kleinen Teil berücksichtigt ist.
3,6 Gigatonnen? Ist das viel? Wenig? Geht so? Spaß muss sein? Wir können es mit den Zahlen vergleichen, die im IPCC-Bericht genannt wurden: Der Sachverständigenrat für Umweltfragen, der die Bundesregierung berät, hat errechnet, dass das CO2-Budget für Deutschland bei 2 Gigatonnen liegt, wenn wir das 1,5°-Ziel mit einer Wahrscheinlichkeit von 67% erreichen wollen (SRU, 2022: 7). 67% ist gezockt: Ja, ja, nein. In einem Drittel der Fälle geht es daneben, also 1,6° oder mit entsprechend abnehmender Wahrscheinlichkeit auch mehr bzw. sehr viel mehr.
Das heißt was? Das bedeutet, dass diese eine Fußball-WM das Doppelte des Restbudgets für unser ganzes Land verbraucht. „Is ja nich schlüm, wird ja kompensiert.“ Anhand dieses Ereignisses kann man eigentlich sehr schön sehen, wie absurd Kompensation ist. Wenn Kompensation ein sinnvolles Instrument in der Klimakatastrophe wäre, könnten wir auch sagen: Och, wir machen einfach nichts und kompensieren dann, dass wir zum Fenster raus heizen (= offene Stadien klimatisieren), mal eben die Tochter mit dem Flugzeug über’s Wochenende besuchen (= Shuttleflüge für außerhalb Katars untergebrachte WM-Teilnehmer*innen) usw.
Schlussfolgerung: Solche Ereignisse wie die Fußball-WM in Katar können wir uns als Menschheit nicht mehr leisten. Kompensation ist ein untaugliches Instrument, das nur dem Greenwashing und der Gewissensberuhigung dient.
Quellen
IPCC, 2021. Zusammenfassung für die politische Entscheidungsfindung. In Beitrag von Arbeitsgruppe I zum Sechsten Sachstandsbericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen [Masson-Delmotte, V., P. Zhai, A. Pirani, S.L. Connors, C. Péan, S. Berger, N. Caud, Y. Chen, L. Goldfarb, M.I. Gomis, M. Huang, K. Leitzell, E. Lonnoy, J.B.R. Matthews, T.K. Maycock, T. Waterfield, O. Yelekçi, R. Yu, and B. Zhou (eds.)] (ed.), Naturwissenschaftliche Grundlagen. https://www.de-ipcc.de/media/content/AR6-WGI-SPM_deutsch_barrierefrei.pdf.
Parncutt, Richard. 2019. The Human Cost of Anthropogenic Global Warming: Semi-Quantitative Prediction and the 1,000-Tonne Rule. Frontiers in Psychology 10(2323). 1–17. (doi:10.3389/fpsyg.2019.02323)
Sachverständigenrat für Umweltfragen. 2022. Wie viel CO2 darf Deutschland maximal noch ausstoßen? Fragen und Antworten zum CO2-Budget. Berlin: Sachverständigenrat für Umweltfragen. (https://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/04_Stellungnahmen/2020_2024/2022_06_fragen_und_antworten_zum_co2_budget.html)
Vuillemin, Clara. 2022. Das Märchen der klima-neutralen WM. taz, 25.11.2022. Berlin. https://www.taz.de/!5893932.