Gisbert Fanselow: Ein Klima-Nachruf

Gisbert war nicht nur ein exzellenter Sprachwissenschaftler, was man daran ablesen kann, dass ein Workshop zu seinen Ehren, der all seine Aufsätze vorstellt, drei Tage dauert.

Gisbert war außerdem ein begeisterter Hobby-Ornithologe und von Anfang an in der Klimabewegung aktiv. Dieser Blog-Post will Gisberts Beiträge in der Klimabewegung beleuchten, die Entwicklung der Klimabewegung in Deutschland grob nachzeichnen und die Frage diskutieren, was er wohl von der Letzten Generation vor den Kipppunkten halten würde.

Das folgende Bild zeigt ihn auf der ersten größeren Demo Ende 2018. Zu einer Zeit, zu der es Fridays for Future in Deutschland noch nicht gab.

Kohle stoppen – Klimaschutz jetzt 2018

Der Linguist*innenblock bei Kohle stoppen – Klimaschutz jetzt! Berlin, 01.12.2018, Bild: Stefan Müller, CC-BY

Scientists for Future 2019–

Gisbert war auch von Anfang an bei Scientists for Future (S4F) aktiv. S4F wurde gegründet, als Lindner in Bezug auf Fridays for Future sagte, die sollten das mal die Profis machen lassen.

Profi von morgen auf Fridays For Future Demonstration in Berlin, 15.03.2019, Bild: Stefan Müller CC-BY

Über 26.800 Wissenschaftler*innen aus dem deutschsprachigen Raum taten sich zusammen und unterzeichneten ein Schreiben, das sich hinter Fridays for Future stellte, die Dringlichkeit der Klimakrise betonte und Maßnahmen forderte.

Researchstrejk – Forschungsmittagspause 2019–2020

Doch das war Gisbert nicht genug. Gemeinsam mit anderen Wissenschaftler*innen der Berliner Unis gründete er im Mai 2019 (vor vier Jahren) Researchstrejk. Das war im Prinzip – wie die Schulstreiks von FFF – eine Aktion des zivilen Ungehorsams: Eine Stunde pro Woche wurde nicht geforscht, sondern mit Passant*innen diskutiert.

Wissenschaftlerinnen von HU, FU und der Uni-Potsdam beim Forschungsstreik bzw. der Forschungsmittagspause vor der Humboldt-Univeristät, Links Prof. Dr. Judith Meinschäfer, Prof. Dr. Heike Wiese, Katrin Neuhaus, Prof. Dr. Malte Zimmermann, Prof. Dr. Gisbert Fanselow, Berlin, 22.05.2019, Bild: Stefan Müller CC-BY

Weil einige seiner Mitstreiter*innen Bedenken hatten, wurde Researchstrejk in Forschungsmittagspause bzw. Climate Wednesday umbenannt. Die Mahnwachen fanden vor verschiedenen Berliner, Potsdamer und Leipziger Unis statt. Mitunter zusammen. Immer Mittwochs.

Forschungspause mit Wissenschaftler*innen von der HU, FU und aus Potsdam vor der FU Berlin. Gelbes Shirt: Prof. Uli Reich, kariert Dr. Hartmut Ehmler, rot Lorena Valdivia-Steel, weiß rechts Prof. Dr. Judith Meinschäfer, vorn kariert Gisbert Fanselow. 05.06.2019, Bild: Stefan Müller, CC-BY

Bei diesem Protest vor dem Bildungsforum in Potsdam kam irgendwann die Polizei.

Researchmittagspause in Potsdam vor dem Bildungsforum, kariertes Hemd Prof. Dr. Gisbert Fanselow, kariertes Hemd daneben Dr. Hartmut Ehmler, am Transparent daneben: Dr. Lorena Valdivia-Steel, 12.06.19, Bild: Stefan Müller, CC-BY

Ich dachte: „Oh, Mist! Nicht angemeldet!“ oder sonst wie Stress. Aber sie waren nur gekommen, um uns zu sagen, dass vor dem Landtag noch eine andere Klimagruppe war, die Verstärkung brauchte.

Proteste vor dem Potsdamer Landtag (mit Unterstützung des Researchstrejks). Links kariert Dr. Hartmut Ehmler, bei 1900 Prof. Dr. Gisbert Fanselow, 1980 Judith Meinschäfer, 2020: Dr. Lorena Valdivia-Steel, Potsdam, 12.06.2019, Bild: Stefan Müller, CC-BY

Gisberts Idee war, dass viele verschiedene Berufsgruppen solche Aktionen machen sollten: Freitags die Schüler*innen, Mittwochs die Wissenschaftler*innen. „Auch guck mal die Bahn-Mitarbeiter*innen.“ „Nein, heute ist doch Donnerstag, das sind die Sparkassenangestellten.“ Das Medieninteresse an Researchstrejk war damals 0,0000. Aber vielleicht wussten wir auch nur nicht, wem wir wie hätten Bescheid sagen müssen.

Academia, DFG, DGfS, Selbstverpflichtung 2019–2020

Gisbert hat an der Uni Potsdam für Klimaschutz gekämpft, er hat sich in der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), wo er für Graduiertenkollegs verantwortlich war, und in der Deutschen Gesellschaft für Sprachwissenschaft (DGfS) für Klimaschutz und eine Reduktion der Treibhausgasemissionen eingesetzt. Gemeinsam mit Prof. Dr. Dr. Martina Schäfer von der TU Berlin und mit mir hat er eine Selbstverpflichtungsaktion zum Verzicht auf Kurzstreckenflüge an den Unis in Berlin und Brandenburg gestartet. Die Unterschriften wurden dann beim globalen Klimastreik von Fridays for Future an FFF übergeben.

Verkündung der Ergebnisse der Selbstverpflichtungsaktion gegen Kurzstreckenflüge beim 3. globalen Klimastreik von Fridays for Future am Brandenburger Tor, Berlin, 20.09.2019, Bild: Melanie Quilitz CC-BY

Die Selbstverpflichtungsaktion wurde dann auf das Bundesgebiet ausgedehnt (S4F-Link), hat 4142 Unterschriften bekommen und ist wie so vieles andere in Corona untergegangen.

FFF und das Klimapäckchen 2019

Nach dem Klimastreik mit einer Beteiligung von 1,4 Millionen Menschen in Deutschland entwickelte die schwarz-rote Regierung (mit Olaf Scholz als Finanzminister) ein Klimapaket, das von der gesamten Klimabewegung als absolut unzureichend eingestuft wurde (#Klimapäckchen).

Demonstrationsteilnehmer kritisieren das Klimapaket der Großen Koalition bei der Fridays For Future-Demo . Das Transparent zeigt einen Rücksendeschein, auf dem Checkboxen angekreuzt sind: Der Artikel ist defekt oder beschädigt, zu spät geliefert, Lieferung unvollständig, Der Artikel entspricht nicht der Produktbeschreibung, Berlin, 29.11.19, Bild: Stefan Müller, CC-BY

Das Gesetz wurde im Oktober 2019 beschlossen. Nach einer Klage unter anderem von Rechtswissenschaftlern bei Scientists 4 Future wurde das Gesetz 2021 vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig eingestuft wurde. Die schwarz-rote Regierung erarbeitet in Windeseile ein neues Klimaschutzgesetz, das Treibhausgas-Neutralität bis 2045 vorsieht und Reduktionspfade für einzelne Sektoren vorgibt. Das geschah gerade noch rechtzeitig vor den Bundestagswahlen 2021.

FFF war die einflussreichste Klimagruppe in Deutschland, aber parallel entwickelte sich auch Extinction Rebellion (XR). Diese Gruppierung ist in Großbritannien viel größer als FFF, was wahrscheinlich auf die jeweiligen Einzelpersonen, die die Organisationen in den entsprechenden Ländern geprägt haben, zurückzuführen ist. XR hat im Oktober 2019 in Berlin große Blockaden gemacht. Sie forderten Klimaneutralität 2025, was ich schon damals für sehr ambitioniert hielt. Jetzt haben wir 2023 und sind immer noch seeeehr weit von der Klimaneutralität entfernt.

All diese Bewegungen und so auch Researchstrejk habe durch Corona einen erheblichen Dämpfer bekommen. Researchstrejk wurde komplett beendet, da es sinnlos gewesen wäre, vor leeren Uni-Toren zu stehen.

Das verwaiste Klimahäuschen an der Humboldt-Universität in Corona-Zeiten, 15.05.2020, Bild: Stefan Müller CC-BY

Klimamontag 2020–2022

Aber es gab einen besseren Nachfolger: Berlin for Future organisierte am Alex jahrelang den Klimamontag. Einmal im Monat um 18:00 gab es Vorträge und Musik.

Gisbert Fanselow (Scientists for Future, Researchstrejk) auf der Montagsdemo für Klimaschutz von Berlin4Future, Berlin, Alexanderplatz, 07.09.20, Bild: Stefan Müller CC-BY

Parteieingründung Klimaliste Berlin 2020

Am 09.08.2020 wurde mit Radikal Klima eine Partei gegründet, die sich noch stärker für Klimaschutz einsetzen will als die Grünen.

Gründungsparteitag radikal:klima: Parteimitglieder, In der Else, Berlin, 09.08.20

Die Partei nennt sich später in Klimaliste um. Aktivist*innen wie Kathrin Henneberger treten in die Grüne Partei ein.

FFF, XR und Hungerstreik, Letzte Generation 2021–

FFF und XR haben aber auch in der Corona-Zeit weitergemacht. Ich habe Carla Hinrichs, Henning Jeschke und Lea Bonasera im August 2021 bei einer XR-Blockade fotografiert, ohne sie zu diesem Zeitpunkt zu kennen (Album).

Henning Jeschke (hinten rufend), Lea Bonasera (vorn mit Rise-Up-Tuch) und Carla Hinrichs (mit Geste) bei der Blockade des Brandenburger Tors angeklebt an einem Tripod, Berlin, 20.08.21, Bild: Stefan Müller, CC-BY

Die drei waren dann später beim Hungerstreik (Album) aktiv und haben die Letzte Generation gegründet. Zu diesem Zeitpunkt waren die Entwürfe des sechsten IPCC-Reports geleakt worden und die Hungerstreikenden wussten bestens Bescheid.

Jacob, Ruben und Henning vom Hungerstreik der letzten Generation am 13. Tag des Hungerstreiks bei der Medienarbeit. Sie hatten damals schon den geleakten IPCC-Report. Berlin, 11.09.21

Sie waren der Meinung, dass es nicht ausreichen würde, sich ab und zu mit XR zu treffen (Frühlings- und Herbstrebellion) und ein paar Straßen zu blockieren. Ihrer Meinung nach musste der Protest auf eine ganz andere Stufe gehoben werden. Die Letzte Generation begann Widerstand gegen die unzureichenden Klimamaßnahmen zu organisieren. Die erste Aktion war eine Container-Aktion. Sie verteilten gerettete Lebensmittel im und vor dem Kaufland im Wedding (Album). Die Menschen waren dankbar.

Aktivisten vom Aufstand der Letzten Generation verschenken weggeworfene Lebensmittel im Kaufland in der Residenzstraße, Mitte Lina Eichler, rechts Henning Jeschke. Berlin, 08.01.21, Bild: Stefan Müller, CC-BY

Wenig später begannen die im Gespräch mit Scholz angekündigten Autobahnblockaden. Das war aber nicht alles. Die Letzte Generation hat ein wirklich buntes Programm an Protestaktionen entwickelt. Ich glaube, dass die Öl-Aktion vor dem Kanzleramt, bei der sechs Olaf Scholzs nach Nordseeöl gruben (Album), und auch die Weihnachtsbaum-Aktion, bei der LG vor den Augen der Polizei über 20 Minuten mit einer Hebebühne agierte, um die Spitze des Weihnachtsbaums am Brandenburger Tor abzuschneiden (Album), Gisbert gefallen hätten, denn er war für Quatsch aller Art stets zu haben. So war er auch Bestandteil des Kabinetts Müller I, das ich in meinem grenzenlosen Optimismus schon zusammengestellt hatten. Ich war ja 2021 einer der 299 Kanzlerkandidat*innen der Partei Die PARTEI. Gisbert war für den Minister für Post und Fernmeldewesen vorgesehen. Wir wollten die bestehenden Telegrafenverbindungen von der Sternwarte in Mitte zum Telegraphenberg in Potsdam zur DFG nach Köln wieder aktivieren und auch Bayern modernisieren. Leider ist aus meinen Kanzlerplänen nichts geworden, aber immerhin war ich der einzige Kanzlerkandidat, der die Forderung der Hungerstreikenden nach einem Gespräch erfüllt hat.

Aktivistinnen vom Aufstand der letzten Generation in Olaf Scholz-Kostümierung graben vor dem Bundeskanzleramt nach Öl, um auf die Unsinnigkeit der Erschließung neuen Erdöls in der Nordsee hinzuweisen. Berlin, 09.07.22, Bild: Stefan Müller, CC-BY
Aktivistinnen der Letzten Generation mit Hebebühne am Weihnachtsbaums vor dem Hotel Adlon, im Hintergrund zwei Mannschaftswagen der Polizei, vorn macht Edmund Schultz ein Bild. Berlin, 21.12.22, Bild: Stefan Müller, CC-BY

Aktionen wie die mit den sechs Ölafs und dem Weihnachtsbaum wurden jedoch von den Medien weitestgehend ignoriert. Das einzige, was zuverlässig für Schlagzeilen sorgte, waren Autobahnblockaden.

Krieg, IPCC-Bericht, Letzte Generation, Extinction Rebellion und Scientists Rebellion 2022

Am 24.02.2022 begann Putin seinen Krieg gegen die Ukraine. Die Klimakatastrophe war medial abgemeldet. Eine spektakuläre Aktion der Letzten Generation mit Luftballons am BER ging in der Kriegsberichterstattung unter.

Miriam Meyer (vorn) und Lina Eichler vom Aufstand der Letzten Generation springen mit Ballons am Flughafen BER aus einem Transporter. Miriam Meyer hat vorher im Fernsehen angekündigt, die Ballons aufsteigen zu lassen. Miriam Meyer vom Aufstand der Letzten Generation informiert den Tower. Der Aufstand der Letzten Generationen blockiert Häfen und Flughäfen, um die Ausarbeitung eines Gesetzes gegen Lebensmittelverschwendung und eine Agrarwende zu erzwingen, so dass die Ernährung auch trotz Klimakrise gesichert bleibt. Berlin-Schönefeld 25.02.22

Der IPCC-Bericht wird in drei Teilen veröffentlicht. Der erste erscheint am 28.02.2022. Extinction Rebellion blockiert die Marschallbrücke.

Extinction Rebellion zündet Weltkugel an, um auf IPCC-Bericht hinzuweisen. Aktivistin mit Scholz-Maske und Benzin-Kanister, auf dem Lobby steht, gießt weiter Benzin ins Feuer. Marschallbrücke, Berlin, 28.02.2022

Die Zeitungen sind voll mit Kriegsberichterstattung. Immerhin schafft es Antonio Guterres als einziges Nicht-Kriegsthema in die 20:00-Ausgabe der Tagesschau.

Am 5.3.22 eine erneute Blockade der Marschallbrücke durch Extinction Rebellion. Diesmal mit einem raffinierten trojanischen Pferd, in dem vier Personen versteckt und vier weitere mit Lock Ons außen verbunden sind (Album).

Extinction Rebellion blockiert die Marschallbrücke, um auf den IPCC-Report und die Verfehlung des 1,5„-Ziels hinzuweisen. Vier Menschen haben sich mit Lock Ons von außen an die Konstruktion gefesselt. In der Konstruktion sind weitere Menschen miteinander verbunden. Marschallbrücke, Berlin, 05.03.22

Zwei Aktivist*innen von Extinction Rebellion verlesen eine Rede, die man für eine typische Aktivist*innen-Rede halten könnte, aber sie ist von Antonio Guterres, dem UN-Generalsekretär (Rede).

Aktivisten von Extinction Rebellion verlesen während der Blockade der Marschallbrücke die Rede von UN-Generalsekretär António Guterres zum IPCC-Report. Berlin, 05.03.22

Zur selben Zeit sind Wissenschaftler*innen auf einem Platz an der Leipziger Straße aktiv. Mitten auf dem Platz besprühen sie Kittel mit dem Schriftzug Scientist Rebellion. Sie haben einen Eimer mit roter Farbe dabei und eine Schablone mit der „Aufschrift Ukraine Climate War“. Aufgrund des Krieges ist Berlin in erhöhter Alarmbereitschaft. Botschaften und andere Einrichtungen werden besonders bewacht. Die Zentrale von Gazprom ist gleich um die Ecke, zwei Zivilpolizisten mit offen getragener Pistole sind gleich auf dem Platz und zwingen alle auf den Boden. Erkennungsdienstliche Behandlung, Platzverweise.

Wissenschaftler von Scientists Rebellion wurden mit Schablone und Farbeimer in der Nähe der Gazpromvertretung in Berlin festgenommen. Auf der Schablone steht: „Ukraine Climate War“. vlnr. Daniele Artico, Physiker, Doktorand, Kyle Topfer, Umweltwissenschaftler, MSc Student, Christian Bläul, Physiker, Mike Lynch-White, Physiker. Jugendpark der WBM, Berlin, 05.03.22

Am 4.4. erscheint der dritte Teil des IPCC-Reports. Scientist Rebellion hat inzwischen genug Kittel besprüht, ist besser organisiert und Wissenschaftler*innen aus ganz Europa – darunter eine hochschwangere Biologin – blockieren die Kronprinzenbrücke (Album).

Wissenschaftler*innen von Scientist Rebellion blockieren die Kronprinzenbrücke in Berlin, um auf die dramatischen Folgen der Klimakatastrophe laut IPCC-Bericht hinzuweisen. Unter Fahrradverkehrsschild mit Pyro Prof. Dr. Nikolaus Froitzheim, Geologe aus Bonn, Kronprinzenbrücke, Berlin, 06.04.22

Klima after work 2022

Heinrich Stößenreuter, Initiator von vielen NGOs und Ereignissen (Changing Cities, German Zero, Critical Mass Berlin) hat mit Wolfgang Oels (CEO von Ecosia), Künstler*innen von Volle Halle und Berlin 4 Future die Klima after Work-Party ins Leben gerufen.

Rebel for Life: Kleines Kind mit Extinction-Rebellion-Jacke und Oma for Future beim ersten Klima after Work, Im Hintergrund mit Mütze Antonio Rohrßen von der Klimaliste Berlin, Invalidenpark vor dem Klimaministerium, Berlin, 01.07.22

Das war im Prinzip eine lowlevelige Variante des Klimamontags. Eine Art Party, die jeden Freitag 17:00–18:00 stattfand. Die Idee Wolfgang Oehls war, dass sich die Teilnehmerzahlen jede Woche verdoppel sollten und bei 10 Mio würde es dann sehr schnell echten Klimaschutz geben. Alle waren mal da, aber zu exponentiellem Wachstum kam es nicht.

Dieser Plan war aber wohl ohne die extreme Individualisierung und Überforderung durch Corona gemacht worden. Klima after Work lief bis Weihnachten 2022.

Volksbegehren / Volksentscheid 2022–2023

Die Initiative Klimaneustart hat über Jahre für ein Volksbegehren und einen Volksentscheid gekämpft. Da Berlin wegen Schlamperei Neuwahlen durchführen musste, hätte es nahe gelegen, den Volksentscheid gemeinsam mit den Wahlen durchzuführen. Die Politik in Berlin hätte dann gewusst, was das Volk in Berlin will, aber die SPD hat das bewusst hintertrieben, hat den Volksentscheid in den März verschoben, auf einen Tag, der wegen der Zeitumstellung eine Stunde kürzer war und an dem ein Halbmarathon stattfand.

Aktion von Extinction Rebellion zum Volksentscheid Berlin klimaneutral 2030 für einen gemeinsamen Termin mit der Landeswahl: Andreas Geisel, Franziska Giffey und Iris Spranger werfen zerrissene Unterschriftensammelbriefe hoch. Rotes Rathaus, Berlin, 07.11.22

Geht doch in eine/gründet doch eine Partei, startet eine Petition, geht wählen, macht einen Volksentscheid

Ich habe in den letzten Jahren viele Klimaaktionen fotografisch begleitet. Oft haben Polizist*innen mit Aktivist*innen diskutiert und versucht, sie auf den Pfad der Tugend zurück und vom zivilen Ungehorsam abzubringen.

Das Kommunikationsteam der Polizei diskutiert mit Aktivisten während der Blockade des Potsdamer Platzes durch Extinction Rebellion, Aktivist hält ein Banner mit der Aufschrift: „Wir müssen nicht das Klima retten sondern uns selbst!“ Berlin, 19.09.22

Sie hatten viele Vorschläge: Geht in eine Partei! Gründet eine Partei! Startet eine Petition, geht wählen, macht einen Volksentscheid, meldet Eure Demos an. Wie ich oben gezeigt habe, machen Aktivist*innen all das ständig. Manche auch gleichzeitig. Bis zum Burnout. Die Zeit ist knapp, denn es müssen in den nächsten Jahren die Weichen gestellt werden. Im IPCC-Report steht: „Die in diesem Jahrzehnt getroffenen Entscheidungen und durchgeführten Maßnahmen werden sich jetzt und für Tausende von Jahren auswirken.“ So, wie die Weichen jetzt stehen, zeigen sie nicht in Richtung 1,5°! Übrigens: Das 1,5°-Ziel wurde einstimmig vom Bundestag beschlossen. Es ist der Kompromiss. Man muss darüber nicht neu verhandeln. Man muss handeln.

Workshop und Berlin-Blockade 04/2023

Gisbert war ab Januar 2022 schwer krank, so dass ich ihn nicht mehr persönlich getroffen habe. Wir haben nie über die Letzte Generation vor den Kipppunkten geredet. Vom 27.–29.04.2023 fand nun der sprachwissenschaftliche Workshop zu seinen Ehren statt. Vom 24.04. an stört die Letzte Generation mit 800 Menschen den Verkehr in Berlin. Das sind Straßenblockaden mit den üblichen Klebeaktionen. Autobahnauffahrten, mit gemieteten Autos auch Autobahnen mittendrin und dann auch Kreuzungen im Innenstadtbereich. Dazu kommen so genannte Slow Walks, bei denen die Aktivist*innen einfach so die Straße langlaufen. Langsam. (Album)

Slow walk der Letzten Generation. in der Mitte Sonja Manderbach, Rotes Rathaus, Berlin, 24.03.23, Bild: Stefan Müller, CC-BY

Das erzeugt auch lange Staus. Je nach Situation sorgt die Polizei für gesperrte Straßen, indem sie Aktivist*innen kesselt. (Album)

Aktivist*innen der Letzten Generation werden am Alexanderplatz von der Polizei gekesselt. Berlin, 19.04.23, Bild: Stefan Müller, CC-BY

Ich habe an alle Workshopteilnehmer*innen geschrieben, dass sie am besten das Rad nehmen sollten, denn beim Nahverkehr gibt es viele Baustellen und die Straßen sind dicht. Am ersten Tag, als ich auf dem Weg zum Festsaal der HU war, leitete die Polizei den Verkehr durch die kleine Nebenstraße, die ich nehme, um die Kreuzung Eberswalder/Schönhauser zu vermeiden. Ich dachte mir, diesen ganzen Verkehr tue ich mir jetzt nicht an, und bin weiter den Radweg gefahren. Auf der Kreuzung saß dann auch die Letzte Generation.

Sie haben sich dann auch unbemerkt in meinen Vortrag beim Gisbert-Workshop eingeschlichen. Sie waren einfach mittendrin auf einer Folie. Ohne Sinn und Verstand! Es hat nicht gepasst. Nur gestört. Die Bildqualität des Beamers war schlecht. Es war mir peinlich.

Einen Tag später saßen sie wieder da. Andere Menschen, gleiche Stelle:

Die Letzte Generation blockiert die Kreuzung Eberswalder/Schönhauser Allee. Berlin, 28.04.23, Bild: Stefan Müller, CC-BY

Ich bin dann zum Ernst-Reuter-Platz zu einer angemeldeten Demonstration von Wissenschaftler*innen gefahren, die sich mit der Letzten Generation solidarisch erklärt haben (Album).

Wissenschaftler*innen solidarisieren sich mit der Letzten Generation. Auf dem Schild mit den Warming Stripes steht ein Zitat aus dem IPCC-Report: „Die in diesem Jahrzehnt getroffenen Entscheidungen und durchgeführten Maßnahmen werden sich jetzt und für Tausende von Jahren auswirken.“ Dr. Matthias Schmelzer spricht. Ernst-Reuter-Platz. Berlin, 28.04.23, Bild: Stefan Müller, CC-BY

Zufällig gab es dann auch drei Straßenblockaden um den Ernst-Reuter-Platz herum.

Wissenschaftler*innen solidarisieren sich mit der Letzten Generation bei einer Blockade des Ernst-Reuter-Platzes. Auf dem Transparent steht: „Die Wissenschaft steht hinter der Letzten Generation“, Berlin, 28.04.23, Bild: Stefan Müller, CC-BY

Ganz rechts im Bild steht Dr. Hartmut Ehmler, Physiker und Energiewissenschaftler. Er war einer derjenigen, die beim Researchstrejk aktiv waren. Auch Prof. Dr. Dr. Martina Schäfer hat sich bereits bei einer früheren Solidarisierungsaktion mit der Letzten Generation solidarisiert (Album):

Prof. Dr. Dr. Martina Schäfer, TU Berlin, Zentrum Technik und Gesellschaft (Wissenschaftliche Geschäftsführerin) spricht bei Veranstaltung zur Solidarisierung mit der Letzten Generation. Im Hintergrund Dr. Helen Feulner, Unter den Linden, Berlin, 17.02.23, Bild: Stefan Müller, CC-BY

Ich fand die Solidarisierungsaktion am Ernst-Reuter-Platz, die genau zeitgleich mit dem Gisbert-Workshop stattfand, interessant und habe mich wieder gefragt, ob er wohl heute hier gewesen wäre.

Als ich später die Bilder ausgesucht habe, habe ich etwas gesehen, was mir vor Ort nicht aufgefallen war:

Firmenfahrzeug der Firma Horst Fanselow passiert Blockade der Letzten Generation am Ernst-Reuter-Platz. Berlin, 28.04.23, Bild: Stefan Müller, CC-BY

Ein großer roter Transporter von Fanselow-Berlin passierte die Blockade. Fanselow ist nun nicht so ein häufiger Name. Es kann also kein Zufall sein. Gisbert hat uns ein Zeichen geschickt und meine Frage beantwortet.

Nachwort

Ellen Brandner hat beim Workshop aus einem frühen Aufsatz von Gisbert zur Bindungstheorie zitiert: „Die Lage ist hoffnungslos aber nicht ernst“ (eine Verdrehung einer Aussage eines Kollegen). So ist es auch mit dem Klimaschutz: Die Regierung von Porschepartei, Klimakanzler und LNG-Grünen ist hoffnungslos vom Kurs abgekommen und will nun sogar auch noch das Not-Klimagesetz, das Scholz selbst mitverantwortet, so aufweichen, dass die Sektoren nicht mehr einzeln verantwortlich sind und auch nicht mehr so oft die Einhaltung überprüft wird. Das alles lässt sich nur mit Humor ertragen. Wir sind also nicht ernst. Ich glaube nicht ernsthaft daran, dass Gisbert über rote Autos mit uns kommuniziert.

Und übrigens: Das ist Ernst:

Ernst Hörmann (72, 8 Enkel), Aktivist vom Aufstand der Letzten Generation, bei der erkennungsdienstlichen Behandlung nach der Blockade der A100, Berlin, 04.02.22, Bild: Stefan Müller, CC-BY

Er ist 73, hat 8 Enkel und ist bei der Letzten Generation aktiv.

Gedenkminute für Gisbert Fanselow von seinen Mitstreiter*innen bei Scientist 4 Future, Researchstrejk, Climate Wednesdays. Golm, 23.11.23

RAF, Linksradikalismus und Revolution

Seit Beginn des Crowdfundings für das Olympia-Projekt (siehe Warum ich Olympia gut finde) gab es immer wieder tweets von denselben Accounts mit denselben Kommentaren. Einer dieser Accounts hat auch meinen Blogpost taz lügt nicht kommentiert. Auf die Frage, was sie denn eigentlich wollten, kam keine Reaktion. Nach einem Gesprächsangebot kam keine Antwort mehr. Bei einem anderen Account, war es sehr klar, was der Account-Inhaber möchte:

Twitter-Profil, 24.12.2019

Ich hatte als Antwort auf eine Kritik geschrieben, dass wir die gegenwärtigen Probleme nur zusammen lösen können und MarktIsMuell dazu aufgefordert, mitzumachen. Nachdem ich aber seine RAF-Statements gesehen hatte, habe ich die Aufforderung zurückgenommen:

Screenshot 30.12.2019

MarktIsMuell fordert: „Deutschland muss brennen.“ Ja, es wird brennen. Es hat bereits gebrannt. 2019 ist der bisher größte Schaden entstanden und die Schäden werden noch größer werden (Bericht vom rbb): Die Wälder in Brandenburg und anderswo sind ausgetrocknet, sie brennen wie Zunder. Solche bzw. noch schlimmere Brände gilt es zu verhindern. Die Frage ist wie.

Hengameh Yaghoobifarah argumentiert heute in der taz gegen Olympia und fordert, dass linke Protestkultur wieder radikal wird:

Lasst uns im neuen Jahr stattdessen dafür sorgen, dass linke Protestkultur wieder radikal wird.

Hengameh Yaghoobifarah, taz, 30.12.2019

Was ist damit genau gemeint? Linksradikalismus? Laut Wikipedia ist der Begriff Linksradikalismus eine Selbstzuschreibung und nicht genau definiert. Was brauchen wir jetzt? Wir brauchen radikale Schritte: eine radikale Energiewende, eine radikale Verkehrswende, eine radikale Agrarwende, radikale Veränderungen beim Konsum und bei den Finanzen. Aus dem ganzen Klimaschlamassel kommen wir nicht raus ohne Gerechtigkeit zwischen Nord und Süd, zwischen oben und unten, global, national, regional. Wir brauchen linke Politik. Das alles muss sehr schnell gehen, wenn wir uns nicht selbst abschaffen wollen. Wir brauchen eine Revolution! Revolution ist wie folgt definiert:

Eine Revolution ist ein grundlegender und nachhaltiger struktureller Wandel eines oder mehrerer Systeme, der meist abrupt oder in relativ kurzer Zeit erfolgt. Er kann friedlich oder gewaltsam vor sich gehen. Revolutionen gibt es in den verschiedensten Bereichen des gesellschaftlichen und kulturellen Lebens. Als Antonyme gelten die Begriffe Evolution und Reform: Sie stehen für langsamer ablaufende Entwicklungen beziehungsweise für Änderungen ohne radikalen Wandel.

Eintrag für Revolution in Wikipedia, 30.12.2019

Brauchen wir eine gewaltsame Revolution? Wenn wir eine wollten, wer würde die machen? Sollte das nicht eine Mehrheit sein? Wenn es keine Mehrheit ist, was kommt dann nach der Revolution? Die Diktatur dieser Minderheit? Wenn es eine Mehrheit ist, sollten wir dann nicht mit dieser Mehrheit etwas ausrichten? Sollten wir nicht dafür sorgen, dass wir in einer Gesellschaft miteinander leben können, die handlungsfähig ist? Dazu brauchen wir mehr BürgerInnenbeiteiligung und Lobby-Kontrolle. Viele PolitikerInnen haben jede Scham verloren: Sie wechseln nach dem Ende ihrer Amtszeit direkt in den Vorstand von Auto-, Gas- oder Kohlefirmen. Und mit solch einer Art „Altersabsicherung“ in Aussicht machen sie auch entsprechende Politik. Das muss sich ändern. Dafür und für die Erweiterung unserer Demokratie durch repräsentative BürgerInnenversammlungen kämpft der Verein Mehr Demokratie e.V., einer der Berater des Olympia-Projekts.1

Was meint Hengameh Yaghoobifarah mit radikal? Ziviler Ungehorsam kann es nicht sein, denn den haben wir ja schon: Ende Gelände, Extinction Rebellion, Sand im Getriebe und Am Boden bleiben gibt es bereits (Bilder). All diese Bewegungen sind gewaltfreie Protestformen. Es kann nur gewaltfrei gehen. Ich war am 8.10.1989 in der Gethsemanekirche. Die Polizei stand davor. Mit Gewalt hätten wir keine Chance gehabt und auch jetzt ist Gewalt keine Lösung (siehe auch Fun with Extinction Rebellion). Unsere Kinder kämpfen seit einem Jahr für eine Zukunft. Wollt Ihr, dass sie zu Waffen greifen? Wollt Ihr das?

TheoRadicals live auf der FridaysForFuture-Demo am U-Bahnhof Französische Straße, Friedrichstraße, Berlin, 29.11.2019, sehr gute Texte (soundcloud), aber sie singen auch von der Zeit nach der Revolution. Was für eine Revolution ist gemeint? Eine friedliche? Wie kommen wir da hin?

Die Situation jetzt ist anders als vor 30 Jahren. Damals gab es eine Krise im Ostblock, die Krise, in der wir uns jetzt befinden, ist eine globale. Ich habe mich in London mit einem XR-Mitglied unterhalten und er hat mir von einer Handvoll Superreicher erzählt, die jemanden von XR zum Vortrag eingeladen haben. Er wollte ihnen den üblichen Klimavortrag halten, hat dann aber festgestellt, dass sie nur wissen wollten, was sie tun müssten, um nach der Revolution am Leben gelassen zu werden. Das ist eine lustige Geschichte, denn XR möchte die Demokratie durch repräsentative BürgerInnenversammlungen ergänzen und nicht Superreiche umbringen und die Demokratie abschaffen, aber der Punkt ist, dass, wenn wir nicht jetzt sofort handeln, niemand am Leben bleiben wird, jedenfalls nicht so, wie wir jetzt leben und auch der ganze akkumulierte Reichtum wird einfach wertlos sein.

K.I.Z: Hurra die Welt geht unter. Wird gern auf FFF-Demos gespielt. Im Video ist der Anfang ein Atomschlag. Alternativ kann man dort auch die Klimakatastrophe einsetzen.

Die Revolution im Osten war gewaltlos. Sie hätten geschossen. Die Armee stand bereit. Nach dem Oktober und November gab es runde Tische. Die Ossis wurden drüber gezogen, weil sie keine Ahnung hatten. Olympia könnte der Prozess sein, bei dem sich die Gesellschaft (zumindest in einem Land) darüber klar wird, was geht und wie. Die Transformationen sind nur zu bewerkstelligen, wenn wir alle mitnehmen. Sorry, auch wenn das manchen Linksradikalen weh tut: Wir brauchen alle oder zumindest viele, wir brauchen die 27%, die uns schon abhanden gekommen sind. Es hilft nicht, wenn wir Revolution machen und dann hinterher feststellen: Ups, der einzige hier draußen bin leider wieder ich.

Nochmal: Die entscheidende Frage ist, wie man den radikalen Wandel einleiten kann, den wir jetzt brauchen. Die RAF hatte irgendwie die Idee, ein paar miese Typen umzubringen und dann würden die Massen ihnen zustimmen und dann wäre alles gut. Das hat nicht ganz geklappt, was die RAF auch eingesehen hat, weshalb sie sich dann aufgelöst hat.

Ted Gaier von den Goldenen Zitronen: „Damals haben wir gegen einen Sozialstaat gekämpft, weil wir dachten, es gäb noch was Besseres“ beim Konzert im Festsaal Kreuzberg, Berlin, 01.05.2019

Die auf Wettbewerb und Maximalprofit ausgerichteten Gesellschaften haben nun eine Situation herbeigeführt, in der unsere Weiterexistenz bedroht ist. Man kann jetzt darauf warten, dass sich eine revolutionäre Situation ergibt und irgendwie RAF 2.0 spielen. Oder man versucht, ein paar Bremsen einzuziehen: Grenzen für Kapitalakkumulation, Vermögenssteuer, Finanztransaktionssteuern usw. Bessere Beiteilung aller an demokratischen Entscheidungen, weniger Lobbyeinflußmöglichkeiten usw. Olympia ist mehr oder kann mehr sein, als ein paar Petitionen. Es könnte ein großer runder Tisch werden, an dem wir uns alle klar darüber werden, wie ein Weiterleben möglich sein könnte. Warum sollte so etwas funktionieren? Warum sollten die 1% uns irgendetwas abgeben? Die Antwort ist einfach: Auch sie wollen leben. Ihr Reichtum würde ihnen nichts nützen, wenn sie niemanden mehr hätten, der ihn mehren würde. Also: Bevor die gewaltsamen Revolutionen kommen, lasst es uns noch ohne Gewalt versuchen. Gemeinsam mit Extinction Rebellion, Ende Gelände, Am Boden Bleiben, Sand im Getriebe kann Olympia eine weitere Komponente in der politischen Landschaft sein, die Druck auf die Regierenden aufbaut.

taz lügt nicht

In diesem Post geht es um das Demokratie-Projekt 12062020olympia. Ich habe das Projekt im Blog-Post Warum ich Olympia gut finde bereits beschrieben, hier geht es nicht um das Projekt selbst sondern um die Berichterstattung darüber in meiner Lieblingszeitung der taz. Am 18.11.2019 gab es in der Markthalle neun in Kreuzberg eine Auftaktveranstaltung der OrganisatorInnen und UnterstützerInnen. Ich war da und habe Bilder gemacht. Die taz war wohl nicht da, hat aber eine Woche später negativ berichtet. Ich habe diesen Bericht auf Uninformiertheit zurückgeführt, denn viele Behauptungen, die in diesem Artikel enthalten sind, sind falsch oder einseitig präsentiert. Zudem ist der Artikel von Neid und Mißgunst geprägt, letztendlich auch basierend auf falschen Annahmen. Für die Uninformiertheit muss man leider die OrganisatorInnen verantwortlich machen, denn es gab zum Start des Crowdfunding keine Web-Seite, die alles schön übersichtlich erklärt hätte. Ehm, es gab gar keine Web-Seite. Von der taz hätte man – anders als von der Bild-Zeitung, die ähnlich berichtete – erwarten können, dass sie zum Treffen in der Markthalle kommen, da scheinen sie nicht getan zu haben, denn ihr Artikel bezeugte ihre Ahnungslosigkeit.

OK. Fehler passieren. Auch ist die taz eine Zeitung, in der man durchaus unterschiedliche Meinungen antreffen kann. Auch gibt es ein pro/contra-Format, das ich sehr schätze. So habe ich gehofft, dass es noch weitere Artikel und Diskussion in der taz geben würde. Heute ist ein zweiter Artikel erschienen. Und dieser Artikel ist eine große Enttäuschung. Ich bin nicht nur enttäuscht, ich bin wütend! Ich lese die taz seit fast dreißig Jahren und ich habe mich schon öfter geärgert (z.B. über die Werbung des Rüstungs- und Autokonzerns Daimler in der Jugendtaz), aber wütend war ich eigentlich noch nie. Die „Ich-kündige-mein-Abo“-LeserInnenbriefe fand ich immer irgendwie lustig, sie gehörten zur taz-Folklore dazu. Ich habe nie darüber nachgedacht, mein Abo zu kündigen und denke auch jetzt nicht darüber nach. Aber es fehlt jetzt Geld und ich werde es mir von der taz borgen. Dazu gleich mehr, jetzt erstmal zum Artikel.

Der Artikel in der heutigen Printausgabe der taz hat die folgende Überschrift:

Tendenziöses Framing in der taz, Printausgabe 21.12.2019, S. 7

Framing

Im Artikel selbst wird das Wort Hipster wieder aufgegriffen und zwar mit Zitaten:

„Eine Hipsterveranstal­tung für eine weiße Mittel­standsblase“ nannten Twitter­ User*innen das Event

In Kombination mit der Überschrift könnte man vermuten, dass die taz behauptet, dass es sich bei den OrganisatorInnen/zukünftigen TeilnehmerInnen nicht um Hipster handelt. Trotzdem wird in der Überschrift dick und fett das Klischee wiederholt. Die Negation spielt dabei keine Rolle, was man aus der sprachwissenschaftlichen Forschung weiß. Auch wenn man ein falsches Frame negiert, wird es gestärkt. (Das passiert mit dieser Diskussion leider auch, bitte betrachten Sie den Beitrag als wissenschaftlichen Fachbeitrag, ich bin Linguist.)2 Ich habe das auch mit dem Titel des Beitrags gezeigt: In bestimmten Teilen Berlins sieht man Grafitti mit „taz lügt“. Selbst wenn ich diesen Spruch negiere, bleibt immer etwas haften bei der LeserIn, denn die Assoziation zwichen taz und lügen wird bei jedem gemeinsamen Vorkommen der beiden Wörter gestärkt.

Tendenziöse Berichterstattung mit Bezug auf alten Diskussionsstand

Der zitierte Tweet (im PDF der taz verlinkt) ist vom 21.11. also ganz vom Anfang der Diskussion, als noch nicht allen klar war, was genau geplant ist. Wie ich in meinem ersten Blog-Post zum Thema mit Bezug zur nun vorhandenen Web-Seite der OrganisatorInnen dargestellt habe, findet Olympia nicht nur im Stadion statt. Die Veranstaltung wird gestreamt und alle können teilhaben, ob nun am eigenen Bildschirm oder beim Public Viewing vor dem EM-Eröffnungsspiel. Außerdem sind mehr als die Hälfte der Tickets Spenden, so dass Menschen, die es sich nicht leisten können, dennoch teilnehmen können (zu spendenfinanzierten Kliamveranstaltungen siehe unten). Das war der taz auch vor dem Schreiben des Beitrags bekannt. Das weiß ich genau, denn ich hatte meinen Blog-Post mit Hinweis auf die Unterstützung durch Scientists4Future Berlin-Brandenburg und das Erreichen der Millionengrenze an die Redaktion und die LeserInnenbriefabteilung geschickt.

Auch bei diesem Zitat lügt die taz nicht:

Auch ihre Berliner Orts­gruppe hat mittlerweile ein ablehnendes Statement veröf­fentlicht. Das Olympia-Projekt komme einem „Event näher als einer repräsentativen demokra­tischen Versammlung“, schreiben sie in einem Statement.

taz zitiert FFF-Statement

Das ist wohl wahr, nur geht es am Punkt vorbei. Es hat nie jemand behauptet, dass Olympia eine repräsentative Versammlung werden solle. FridaysForFuture ist auch nicht repräsentativ. Wir verdanken FFF sehr viel und gerade auch der Berliner Gruppe. Ich denke, dass das die taz auch anerkennt. Die Situation in Bezug auf das Klima ist schrecklich, aber sie wäre noch viel schlimmer, wenn wir FFF nicht (gehabt) hätten. Zu sagen, die Bewegung XY ist nur eine dämliche Mittelschichtsveranstaltung, ist Bildzeitungsniveau. Genauso wurde nun schon ein Jahr gegen FFF argumentiert und wird nun eben auch gegen Olympia argumentiert. Paradoxerweise auch von FFF selber. Hey FFF, Ihr seid auch nicht repräsentativ, aber trotzdem großartig!

Die taz macht sich also formal die Hände nicht schmutzig, sie zitiert ja nur. Das macht sie aber selektiv und tendenziös. Sie hätte erwähnen können, dass die PsychologInnen for Future, die Parents For Future und die Scientists for Future Olympia unterstützen. Sie hätte erwähnen können, dass die Genossenschaftbank GLS-Bank, der Grundeinkommen-Verein, Günter Faltin und die Entrepreneurs For Future, Mehr Demokratie e.V., Open Petition German, Zerochange.org, Demokratie in Bewegung und Schule im Aufbruch dabei sind. Sie hätte erwähnen können, dass es ein Potential gibt, nicht nur das Klimaproblem sondern auch Probleme mit Gleichstellung, Diversität und sozialer Teilhabe Gegenstand von Petitionen sein werden. Das sind alles Anliegen der taz, weshalb diese selektive Berichterstattung sehr verwundert.

Und. Und! Und sie hätte wissen können, dass Olympia am Freitag vor und während der regulären -Demo bei FFF im Invalidenpark war.

Olympia und FFF Berlin am 13.12.2019 gemeinsam im Invalidienpark

Ey, taz, vielleicht habt Ihr die Verbindung zu den Bewegungen verloren. Vielleicht seid Ihr einfach alt und keine Hipster und keine Jugendlichen. Wird’s jetzt unsachlich? Ja! Ich bin wütend! Ich darf das. Ich schreibe hier nur meinen Blog, aber Ihr, Ihr macht ’ne Zeitung und da hat alles sachlich zu sein, außer auf der Meinungsseite oder bei „Die steile These“ vielleicht, aber der Beitrag war auf der Politikseite.

Hipster

Vorweg: Ich mag Hipster auch nicht. Irgendwann so zwischen 2001 und 2010 gab es eine Initiative, den Gneistplatz im Prenzlauer Berg verkehrszuberuhigen. Ich bin da hingegangen und da waren 10 Menschen, die mit sich selbst beschäftigt waren, mich überhaupt nicht wahrgenommen haben und mit Sekt angestoßen haben. Mir war klar: Das ist nicht meine Welt. Ich bin inzwischen aus dem Prenzlauer Berg weggezogen. Wegen der Hipster.3 Aber, liebe taz, kennt Ihr denn die VeranstalterInnen? Habt Ihr mit ihnen gesprochen? Das sind inzwischen sehr viel mehr, als die Einhorn-Leute. Und die Einhorn-Leute persönlich sind auch sehr ok. Was Ihr macht, sind direkte Ad Hominem-Argumente (Ihr greift Personen an, statt Euch mit Inhalten auseinaderzusetzen) und das ist unterste Schublade. Es geht nicht um zehn Personen, die es gern an ihrer Kreuzung leise und abgasfrei haben wollen. Es geht um Menschen, die die drängendsten Probleme unserer Zeit lösen wollen, genauer: Die NGOs und anderen eine Plattform zur Verfügung stellen wollen, mit der wir dann gemeinsam die Probleme lösen können. Warum hasst Ihr sie dafür?

Deniese von Extinction Rebellion und Parents For Future diskutiert bei der Auftaktveranstaltung in der Markthalle neun mit Frauen, die sich in Arbeitsgruppen zur Ausarbeitung von Petitionen bzgl. Diversität und Teilhabe einbringen wollen.

Kommunisten, Sozialdemokraten und Nazis

Lieber taz, was gerade in diesem Land passiert ist genau dasselbe, wie vor 1933. Die Kommunisten und Sozialdemokraten hauen sich die Köppe ein, die Nazis geben ihnen den Rest und übernehmen dann. Wir können die zu lösenden Problem nicht in kleinen Gruppen lösen. Schon gar nicht in der noch zur Verfügung stehenden Zeit. Es wäre also sehr schön, wenn wir uns nicht dauernd selbst die Beine weghauen würden.

Wirklich? Andere Protestformen sind kostenlos?

Und übrigens: Auch Eure Bildunterschrift ist falsch: Der Straßenprotest ist nicht kostenlos.

Falsche Bildunterschrift in der taz: Umsonst ist der Tod.

Am Anfang der Proteste haben FFF-Berlin Geld gesammelt, damit sie ihre Anlage kaufen konnten. Bei den Großveranstaltungen wird eine PA gestellt, die es in sich hat.

Seeed spielen live auf der FridaysForFuture-Demo am Brandenburger Tor, Berlin, 29.11.19, „Boxentürme massieren deine Seele.“ Man sieht die Türme im Hintergrund.

Die gibt es auch nicht für Umme. Und? Wo kommt das Geld her? Von uns, von SpenderInnen. Teilweise in Aktionen eingeworben, teilweise auf den Veranstaltungen selbst.

SpendensammlerInnen mit großen Geldsammelgefäßen bei NeustartKlima am 29.11.2019 inBerlin

Bei Olympia geht das nicht, denn das Stadion, die Telekom-Infrastruktur, die Bühnen, die Security muss vorher finanziert werden.

Konsequenz: Ich borg mir mal Geld von der taz

Eine positive Berichterstattung in der taz hätte vielleicht 100.000–200.000€ gebracht. Dieses Geld fehlt nun. Ich habe mich deshalb entschlossen, noch 100 Tickets zu kaufen.

Crowdfunding-Optionen auf startnext

Das geht nicht mal eben so. Deshalb werde ich mir das Geld von der taz borgen. Ich bin taz-Genossenschaftler. Schon in den 90er Jahren habe ich überlegt, was mir eine solche Tageszeitung wert ist, und habe seit dem immer wieder Genossenschaftsanteile gekauft. Auch der taz-Stiftung habe ich Geld für das neue Redaktionsgebäude gespendet. Die Genossenschaftanteile habe ich erst vor kurzem wieder aufgestockt, weil wir die taz auf alle Fälle als Stimme in der Klimakrise brauchen. Die Anteile hole ich mir nun aber zurück. Wenn ich nach Olympia dann wieder Geld habe, dann zahle ich es wieder ein.

Ich werde dann sagen können, dass ich dabei gewesen bin. Die taz wird zumindest beim Crowd-Funding nicht dabei gewesen sein. Vielleicht verstehen sie ja, was passiert, wenn die Arbeitsgruppen mit ihrer Arbeit beginnen.

Wer noch unterstützen/Tickets kaufen will, kann das bei startnext tun. Egal ob 15€ oder 30.000€, jeder Euro zählt. Haut rein!

Anhang: Unerwiderte Liebe

Nur damit das wirklich klar ist: Ich liebe die taz! Ich verbringe je nach Arbeitsbelastung 30–60 Minuten täglich mit ihr. Ich frühstücke mit ihr, ich gehe mit ihr ins Bett und ich nehme sie mit auf’s Klo. Die Artikel über Umweltfragen sind hervorragend (meistens), Ulrike Herrmann schreibt sehr aufschlussreich und anders als AutorInnen in anderen Zeitungen über Wirtschaftsthemen. Berichterstattung über den Osten ärgert mich manchmal, aber es gibt mit Anja Meier und Simone Schmollak auch da sehr gute AutorInnen und die taz hat zumindest das Problem mit der Berichterstattung über den Osten erkannt.

Seit ich Geld verdiene (1994), bezahle ich den politischen Preis der taz, der höher liegt als der normale Preis und AbonentInnen mit dem Leider-leider-Preis subventioniert. Seit einiger Zeit habe ich ein online-Abo noch dazu.

Auf twitter hat jemand geschrieben, ich würde mich wie ein vierjähriges Kind benehmen, dem man sein Lieblingsspielzeug nicht gekauft hat. Ich habe dem zugestimmt, möchte das aber revidieren. Die Emotion ist ungleich stärker, denn es handelt sich um unerwiderte Liebe. Ich denke immer noch, dass die taz Olympia gutfinden müsste. Und wer weiß, vielleicht tut sie das ja auch. Wir haben bisher zwei Stimmen aus der taz gehört und das waren jeweils nicht die Umwelt-RedakteurInnen. Diese zwei Artikel haben bei den Olympioniken sehr viel kaputt gemacht, aber meine Liebe ist so groß, dass ich uns eine zweite Chance geben würde.

NeustartKlima: taz-Mitarbeiterin verteilt die Klima-taz bei der FridaysForFuture-Demo , Berlin, 29.11.19

Die Aktion mit den Anteilen ist ohnehin symbolischer Natur, weil ich die Anteile ja wieder einzahlen werde. Das heißt, dass der Schaden, der entstehen wird, der Höhe der Zinsen/Kursgewinne entspricht, die die taz für das Geld in der Zeit bekäme, die ich zum Rückzahlen brauche. Ich weiß nicht, wie viel das genau ist, weil ich nicht weiß, was die taz mit dem Geld macht, aber der Betrag wird nicht groß sein. Und ich habe auch vor, weiterhin neue Anteile zu erwerben, so dass wirklich kein wirtschaftlicher Schaden entsteht. Ein politischer Schaden ist natürlich entstanden, aber das liegt an dem unterirdischen Artikel, diesen Schaden hat sich die taz selbst zuzuschreiben.

Zusammenfassung: Liebe taz, Ich hoffe, wir sehen uns im Olympiastadion. Vielleicht könnt Ihr drinnen keinen Stand haben, weil Ihr eine kommerzielle Einrichtung seid. Aber RedakteurInnen sind natürlich herzlichst willkommmen und Ihr dürft die taz natürlich vor dem Stadion verteilen.

NeustartKlima: taz-Mitarbeiter verteilt die Klima-taz bei der FridaysForFuture-Demo , Berlin, 29.11.19

Warum ich Olympia gut finde

Im Zusammenhang mit unserer Selbstverpflichtungsaktion zum Verzicht auf Kurzstreckenflüge habe ich Menschen angeschrieben und sie auch um Mithilfe beim Crowdfunding für gebeten. Eine Person hat mir geantwortet, dass sie ihre Unterschrift unter die Kurzstreckenflugaktion nicht öffentlich sehen will, weil sie mit Olympia nicht in Zusammenhang gebracht werden will. Das hat mich einigermaßen verwundert. 1) weil ich ja nicht der Organisator von Olympia bin und 2) weil Olympia eine grandiose Sache ist. In diesem Post will ich erklären, was Olympia ist und warum ich die Idee gut finde.

Die Grundidee

Während wir Normalos so darüber nachdenken, ob wir zur FridaysForFuture-Demo gehen sollen oder ob der nächste wissenschaftliche Aufsatz irgendwie doch wichtiger ist und ob wir einen Verein gründen sollten, in dem wir uns dann irgendwann engagieren können, haben ein paar Wahnsinnige aus Kreuzberg beschlossen, das größte Demokratieprojekt zu starten, das Deutschland je gesehen hat. Sie haben das Olympiastadion reserviert, um dann darin am 12.06.2020 Petitionen an den Bundestag zu verabschieden. Man kann sie dafür nicht genug bewundern, auch wenn wir WissenschaftlerInnen viele Dinge sorgfältiger geplant hätten: Wir haben die Zeit nicht! Die geplanten Dinge müssen jetzt stattfinden. In sehr kurzen Zeiträumen. Die Devise „Wir fangen einfach mal an und justieren dann nach.“ ist also genau richtig für die Zeit, in der wir leben.

Auftaktveranstaltung für das Crowdfunding von : Philip Siefer (Gründer Einhorn, Mikro), Thomas Loew (Scientists4Future, grau gesprekelter Pullover), Irma (Fridays4Future, mit Button), Waldemar Zeiler (Gründer Einhorn, Brille Bart) und Charlotte Roche (vorn grüner Pullover) bei der Auftaktveranstaltung zur Crowdfunding-Aktion zur Mietung des Olympiastadions für die größte BürgerInnenversammlung der Welt mit bis zu 90.000 Menschen. Hier weihen sie gerade den Instagram-Kanal das Projekts ein. Berlin, 18.11.19, CC-BY: Stefan Müller

Das Olympiastadion ist der größte Veranstaltungsort, den es in Berlin gibt. Bis zu 90.000 Menschen passen hinein. Wenn man sicherstellen will, dass alle TeilnehmerInnen gut sehen und hören, scheiden Alternativen, die einem vielleicht einfallen könnten, aus. Einzelpersonen können das Olympiastadion nicht mieten. Deshalb sind die Wahnsinnigen mit ihrer Firma als Vertragspartner für das Olympiastadion angetreten. Damit eine Petition im Petitionsausschuss des Bundestags besprochen wird, braucht man mindestens 50.000 Unterschriften. Die Petitionen sollen im kommenden halben Jahr ausgearbeitet werden (siehe unten) und dann am 12.06.2020 gemeinsam eingereicht werden. Die Veranstaltung wird gestreamt, so dass auch Menschen teilnehmen können, die nicht nach Berlin ins Olympiastadion kommen können oder wollen. Da die Versammlung am Tag stattfindet, an dem auch die Fußball-EM beginnt, werden überall im Land Leinwände für das Public Viewing aufgebaut sein. Es gibt also die Möglichkeit vor dem Fußballspiel Olympia-Content zu streamen.

Die Petitionen werden im Stadion vorgestellt und außerhalb des Stadions gibt es Stände, an denen man ins Gespräch kommen kann. Ein riesiges Netzwerk-Event.

Das ganze wird aufgelockert durch Beiträge von MusikerInnen und anderen Künsterlnnen. Ein riesiges Fest der Demokratie!

Themen und KooperationspartnerInnen

Bisher sind folgende Themen für Petitionen vorgesehen:

  • Klimaschutz und Biodiversität
  • soziale Gerechtigkeit
  • Demokratie

Fridays for Future Berlin und Scientists for Future (S4F) sind Kooperationspartner. S4F unterstützt das Projekt mit wissenschaftlicher Beratung. Es werden derzeit weitere Initiativen angesprochen, ob und wie sie unterstützen wollen.

Die Auswirkungen der Klimakrise werden immer mehr sichtbar und die wissenschaftlichen Prognosen zunehmend bedrohlicher. Zugleich sind die Gegenmaßnahmen völlig unzureichend. Die Mehrheit der Deutschen ist mit dem Klimapäckchen der Regierung nicht zufrieden. Die Regierung irgendwie auch nicht, spricht aber von der „Politik des Machbaren“. Die Petitionen sollen zeigen, wie es anders geht.

Neben den Klimafragen sollen demokratietheoretische Fragen aufgegriffen werden, weil wir jetzt Wege brauchen, um das, was „machbar“ ist, zu erweitern. Wir müssen Dinge tun, die die Politik nicht tun kann, weil sie in Lobbyistennetze verstrickt ist und/oder Angst vor den Medien/WählerInnen hat. Möglichkeiten sind ausgeloste repräsentative BürgerInnenversammlungen (Wikipedia dazu) und Lobbykontrolle, wie sie der Bürgerrat Demokratie als Erweiterung der parlamentarischen Demokratie fordert (Bericht tagesschau).

All die Dinge, die sich die For-Future-Bewegung wünscht, werden nicht umzusetzen sein, wenn soziale Fragen nicht mitberücksichtigt werden. Deshalb liegt ein dritter Schwerpunkt für Petitionen im sozialen Bereich.

Ein vierter Bereich ist noch offen. Dieses Feld kann dann zum Start der aktiven Arbeit an den Petitionen mit einem Thema, das viele interessiert, gefüllt werden.

TeilnehmerInnen: die ersten demokratisch ausgearbeiteten Petitionen und begleitende Demonstrationen

Viele, die zum ersten Mal von der Idee gehört haben, sehen nur das Riesen-Event, aber es ist nicht nur das Riesen-Event sondern noch viel mehr: Die Petitionen werden im halben Jahr vor dem Treffen im Olympiastadion ausgearbeitet und zwar von verschiedenen Arbeitsgruppen: von Menschen, denen das jeweilige Thema auf den Nägeln brennt, und von ExpertInnen, die sich diese Menschen dazu einladen. Das unterscheidet die Olympia-Petitionen ganz wesentlich von den Petitionen, die wir alle schon zu Hunderten unterzeichnet haben. Oft sind Petitionen einfach von Einzelpersonen oder von kleinen Gruppen auf die Reise geschickt worden. Hier werden sie aber von größeren Gruppen ausgearbeitet und man kann auch darauf achten, dass Personen mit verschiedenen sozialen Hintergründen beteiligt werden. Aus den im Vorfeld erarbeiteten Petitionen werden einige ausgewählt, die am 12.06.2020 dann im Stadion besonders präsentiert werden.

Eine solche gemeinsame Ausarbeitung von Petitionen ist bisher einzigartig und ich sehe darin eine große Chance für unsere Demokratie und die Beteiligung der BürgerInnen an den Geschehnissen in diesem Land und dieser Zeit.

Die Bedeutung von Petitionen

Bundestagsmitglieder sagen, dass Petitionen in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen haben und ernster genommen werden. Davon unabhängig befinden wir uns aber in einer besonderen Zeit. Wenn im Juni mit großem Getöse 10 Petitionen verabschiedet werden, die vielleicht 100.000 oder 200.000 UnterzeichnerInnen haben werden (streaming und Unterschriften im Nachgang der Aktion), dann kommt niemand an diesen Petitionen vorbei. Parteien müssen dazu Stellung beziehen. Wir bestimmen die politische Agenda! Und: Es sind Wahlen. Spätestens 2021. Das heißt, wir können festlegen, welche Themen in den Wahlprogrammen auftauchen werden. Die Olympiaidee ermöglicht so, vielen Menschen an demokratischen Prozessen teilzunehmen, die ansonsten verzweifelt zu hause oder auf der Couch eines Psychiaters sitzen würden.

Crowdfunding

Als Internet-Mensch kennt man sich mit Crowdfunding aus, aber für Olympia brauchen wir alle. Deshalb hier eine kleine Anmerkung dazu, wie Crowdfunding funktioniert. Bei Crowdfunding-Aktionen verpflichtet man sich, eine bestimmte Summe zu bezahlen. Diese wird abgebucht und man erwirbt damit ein Recht auf eine bestimmte Leistung. Wenn das Crowdfunding-Ziel nicht erreicht wird, bekommt man aber sein Geld zurück. Die ganze Sache ist also für die GeldgeberInnen komplett risikolos.

Zur Zeit sind 555.000€ eingeworben (update 24.12. morgens: 1.626.818 €). Gebraucht werden aber 1.8 Mio €. Dieser Betrag ist gigantisch, aber er wird für Stadionmiete, Technik und Security gebraucht. Wenn die Rolling Stones im Olympiastadion spielen, kosten Tickets 96€.

Ticket vom Rolling-Stones-Konzert: Ein Teil der Einnahmen wird für Stadionmiete, Anlage, Beleuchtung und Security benötigt.

Die 96€ gehen nicht komplett auf die Konten der Stones. Davon muss eine riesige Maschinerie bezahlt werden. Der Aufwand für Olympia ist ähnlich (vielleicht abzüglich Kosten für das Feuerwerk zum Schluss, das ohnehin nicht umweltverträglich war), aber viel von diesem Aufwand wird ehrenamtlich geleistet. Die OrganisatorInnen haben ein Ticket mit 30€ kalkuliert, wobei da schon eine CO2-Kompensation mit eingerechnet ist.

Zusammensetzung des Ticketpreises nach FAQ der VeranstalterInnen, 22.12.2019

Damit das Event stattfinden kann, muss die Abnahme von 60.000 Tickets garantiert sein. Sollte von diesem Geld etwas übrig bleiben, wird das dann für entsprechende Zwecke gespendet.

Bei startnext kann man ein Ticket für sich selbst kaufen, aber auch ein Ticket für sich und ein Ticket, das jemand anders geschenkt bekommt (https://www.startnext.com/12062020/). Man kann auch 1004 oder 1000 Tickets spenden. Wenn die Gesamtsumme nicht zusammen kommt, bekommen die UnterstützerInnen ihr Geld zurück.

Schlussfolgerung

Alles klar? Dann Konto gecheckt und crowdgefundet! Hier gehts zu startnext.

Anhang: Weitere Informationen

Unterstüzerinnen/BeraterInnen

  • Bela B, Die Ärzte (24.12.2019)
  • Psychologists For Future (18.12.2019)
  • Scientists for Future Berlin/Brandenburg (18.12.2019)
  • Parents For Future (19.12.2019)
  • Die Genossenschaftbank GLS-Bank
  • der Grundeinkommen-Verein
  • Günter Faltin und die Entrepreneurs For Future
  • Mehr Demokratie e.V.
  • Open Petition
  • German Zero (21.12.2019)
  • change.org
  • Demokratie in Bewegung
  • Schule im Aufbruch

Links

Update: Kritikpunkte

Nachtrag 24.12. In den sozialen Medien und sogar auch in den klassischen werden immer dieselben Kritikpunkte besprochen, obwohl diese in der FAQ der VeranstalterInnen längst abgehandelt sind (leider kam die zu spät in dem ganzen Prozess). Zur unsäglichen Berichterstattung in der taz habe ich einen weiteren Blog-Post geschrieben. Hier noch einmal einige Punkte.

Repräsentativität, regionaler Bias

Nachtrag 24.12 Es kommt immer wieder der Vorwurf, die Versammlung sei nicht repräsentativ für die deutsche Bevölkerung. Das ist ein einigermaßen absurder Vorwurf, denn keine Demo, keine Versammlung ist repräsentativ. Es sei denn, sie wäre extra so zusammengestellt. Dafür, dass solche repräsentativ zusammengestellten BürgerInnenversammlungen Teil unseres demokratischen Prozesses werden, kämpft der Bürgerrat für Demokratie und ich persönlich würde das auch gern im Rahmen von Olympia unterstützen.

Ansonsten: Auch Fridays For Future ist nicht repräsentativ. Sie sind trotzdem großartig.

Genauso ist der Vorwurf eines regionalen Bias kein sinnvolles Argument:

https://twitter.com/quermitdenker/status/1209025628252585984

Was ist daran schlimm, dass das in Berlin stattfinden soll? Es haben eben BerlinerInnen organisiert. Genauso könnte das Event in München stattfinden. Ich würde es dennoch unterstützen. Nachteil wäre, dass es in München keinen so großen Veranstaltungsort gibt. Das Olympiastadion ist der zweitgrößte in Deutschland. Und die Petitionen können im ganzen Land ausgearbeitet werden bzw. Menschen von außerhalb können teilnehmen. Extinction Rebellion arbeitet auch landesweit, ja sogar global. Das kann man mit Telekonferenzen machen. Kein Problem.

30.12.2019 Es gibt noch eine besonders schönen, weil so schön absurden Aspekt dieses Vorwurfs: „Das Ganze ist nicht repräsentativ, deshalb machen wir nicht mit.“ Würden sich alle in die Ausarbeitung der Petitionen einbringen, so könnte man sich dem Ideal der Repräsentativität annähern. Zumindest könnten alle Bevölkerungsgruppen beteiligt werden. Beteiligt man sich nicht, bedeutet das, das man auf irgendeinen späteren Termin wartet, zu dem man dann ausgelost wird oder jemand anders, der derselben sozialen Gruppe zugerechnet wird.

CO2-Fußabdruck des Events

Nachtrag 25.12.2019 Es wird mitunter angemerkt, dass das Event selbst einen CO2-Fußabdruck hinterlässt. Dieses Argument ist relativ merkwürdig, wenn man sich überlegt, wie das bei anderen Demos ist. Wenn Menschen sich versammeln, dann müssen sie irgendwie zum Versammlungsort kommen. So fahren Bauern mit ihrem Traktor in die Stadt oder Menschen mit dem Zug zum Hambacher Forst oder zu Ende Gelände in die Lausitz.

Die Demonstration „Wir haben es satt!“ mit 171 Traktoren Unter den Linden, Berlin, 19.01.19

Ganz Großbritannien kam zur Rebellion Week nach London, um dort die Innenstadt zu blockieren.

Sänger während der Rebellion Week von Extinction Rebellion in London, Whitehall, 08.10.2019

Dass Menschen durchs Land reisen, ist normal für Demonstrationen. Das Stadion-Event kann man durchaus mit Demonstrationen vergleichen (lt. Wikipedia ist eine Demonstration eine in der Öffentlichkeit stattfindende Versammlung mehrerer Personen zum Zwecke der Meinungsäußerung). Der einzige Unterschied ist, dass der Platz im Stadion begrenzt ist, so dass vielleicht nicht alle im Stadion teilnehmen können, sondern das Ereignis per Streaming mitverfolgen müssen. Aber auch bei der Demo am 4. November 1989 auf dem Alexanderplatz konnten nicht alle die Bühne sehen. Eine Millionen Menschen waren einfach zu viel. Genauso bei der #unteilbar-Demo im Oktober 2018. Über 240.000 Menschen waren dabei, nur wenige konnten die Bühne an der Siegessäule sehen.

Die Unteilbar-Demo gegen 16:00 von der Siegessäule aus photographiert. Es waren noch nicht alle der 242.000 TeilnehmerInnen angekommen. Berlin, 15.10.18

Würde man die KritikerInnen ernst nehmen, würde das bedeuten, dass wir uns nicht bewegen sollen. Nein, es geht bei Olympia auch um eine Demonstration! Und nur weil wir Ökos sind, heißt das nicht, dass wir nicht mehr zusammenkommen. Und dass es Konzerte gibt, kann man auch niemandem vorwerfen. Der einzige Unterschied zwischen #wirsindmehr, #unteilbar und ist, dass es Sitzplätze gibt (sehr sinnvoll bei einer neunstündigen Veranstaltung), dass alle besser sehen können und dass die Klos besser sein werden.5

Konstantin Wecker: Der Liedermacher spielte live vor 240.000 Menschen bei der Demonstration , Berlin, 13.10.18

Was nun Olympia von anderen Events abhebt, ist, dass der CO2-Schaden kompensiert wird. Und zwar für alles, was im Stadion stattfindet. Das ist großartig und soweit ich weiß, gab es das bisher nie für irgendeine Veranstaltung. Und wenn man möchte, dann kann man zusätzlich auch die Anreise kompensieren lassen. Auch das ist einzigartig.

Das schöne Geld! Was man damit alles machen könnte!

26.12.2019 Das einzige Argument, das ich halbwegs irgendwie als Argument anerkennen würde, ist: „Mann, 1,8 Mio Euro? Was man damit alles machen könnte!“ bzw. „Mann, was hätte man mit 2 Mio Euro alles machen können!“ Zwei Millionen Euro sind ein Haufen Geld, man könnte damit Projekte im Süden finanzieren, könnte Fridays For Future helfen, könnte die Streikkassen der Workers For Future füllen. Ich denke aber, dass es hier einen Denkfehler gibt: Es gibt diese Summe nur als einen Batzen, weil die Menschen die olympische Idee gut finden. Sie sonst einzuwerben ist nicht einfach. Es gelingt natürlich für manche Projekte. Menschen, die für Olympia gespendet haben, spenden auch bei FFF, bei Unicef, bei Amnesty International, Greenpeace, share the meal (Die haben ne coole app!) und sonstwo.

Spendensammlung in großen Kübeln bei der Friday For Future-Demonstration in Berlin am 29.11.2019 Es ist klar, große Demos mit Musikanlagen kosten Geld (siehe auch meinen Beitrag taz lügt nicht)

Aber niemand würde mal eben so zwei Millionen für FFF oder für die Streikkassen der Arbeiter zusammenbekommen.

Bahner beim Globalen Streik fürs Klima, #AlleFürsKlima, Berlin, 20.09.2019

Einfach weil der Spendenaufruf nicht durchdringt, weil es keine klare Motivation gibt, diese Crowdfunding-Summe zusammenzubekommen, weil die Menschen andere Dinge im Kopf haben usw. Interessanterweise kann Olympia aber auch genau bei diesem Problem helfen: Viele Menschen werden Olympia gemeinsam vorbereiten. Am Tag im Stadion werden noch viel mehr Menschen erreicht. Man kann in diesem Zusammenhang einfach weitere Crowd-Funding-Aktionen oder Spendensammel-Aktionen starten und diese auch im Stadion und davor und danach bewerben. Man stelle sich den ersten Streik mit Crowd-Funding-Streikkasse vor.

Die Olympische Idee ist so groß, dass ganz klar ist, warum manche Angst vor ihr haben.

Emotionalisierung der Massen

Ein Punkt, der immer wieder kommt, aber auf fehlender Information zum Charakter von Olympia beruht, ist folgender: „Ein Event, bei dem zehntausende emotionalisierte Menschen Petitionen durchwinken, ist ein Alptraum. Das hat nichts mit Demokratie zu tun.“ Dem kann ich nur zustimmen! Ich hasse gleichgeschaltete Massen. Insbesondere zusammen mit dem Olympiastadion kommen da ungute Gefühle auf. Ich bin aus dem Osten und weiß, wie es sich anfühlt, wenn Menschen versuchen, jemanden in eine bestimmte Richtung zu drängen. Ich war schon zu DDR-Zeiten in der alternativen Musikszene unterwegs (Gefahrenzone, AG Geige, die Art, die Anderen, Herbst in Peking, Firma, Freygang, Ich-Funktion, Hard Pop (mit Steve Binetti), Papierkrieg, Skeptiker, Feeling B, Sandow, Rosengarten, Freunde der Italienischen Oper, Die goldenen Zitronen)6 und arbeite auch in der Wissenschaft in einem Minderheitenframework (einfach weil es die bessere Theorie ist, ätsch). Ich habe über den Druck und Versuche zur Gleichschaltung auch in Der moralische Druck der Öko-Gutmenschen ist ja wie in der DDR geschrieben.

Freygang bzw- Freygang-Band, unangepasst vom ersten Konzert 1977 bis zum letzten 2019. Das Bild zeigt das vorletzte Konzert im Schokoladen, Berlin am 22.03.2019. Zu DDR-Zeiten war das mit dem Photographieren eher problematisch, weil die Leute mit den Kameras meist von Horch und Guck waren.

Aber: Olympia ist etwas ganz Anderes: Olympia ist ein Prozess, nicht nur ein Event. Das Event ist in der Mitte, aber davor gibt es drei große Phasen: 1) das Crowdfunding 2) die Zusammenstellung der Arbeitsgruppen, die Ausarbeitung der Petitionen, die Auswahl der Petitionen, die ins Stadion kommen. Die Hoffnung ist, dass die fast 30.000 UnterstützerInnen von Olympia und viele mehr sich an diesem Prozess beteiligen. Bisher ist Olympia fast ausschließlich in den sozialen Medien organisiert worden, weil die Presse der Idee wegen anfänglicher Nicht- bzw. Fehlkommunikation dem Projekt feindlich gegenüber stand (Ausnahmen sind RBB und ZDF [nennt mir mehr positive Beispiele]). Das wird hoffentlich jetzt anders. Die OrganisatorInnen haben auch einen entsprechenden Liebesbrief an die Medienschaffenden geschrieben. Der ganze Prozess wird also maximal transparent und öffentlich stattfinden. Wenn die Presse nicht will, dann machen wir auch das eben ohne sie, aber wir sind viele, so dass es für entsprechende Nachrichten auch einen Markt gibt [=:-(] und vielleicht wird es ja doch noch eine große Liebe. Ich würde nun erwarten, dass alle, die ins Stadion kommen und alle, die den Tag an irgendwelchen Bildschirmen oder Leinwänden verfolgen, sich mit den Themen beschäftigt haben. Oder vorsichtiger: viele.

Wenn die Petitionen mehrere Wochen vor dem Stadionereignis auf dem Bundestagsserver freigeschaltet werden, könnten sie bereits vor dem 12.06. die Quote von 50.000 Unterschriften erreicht haben, so dass es auch auf Einzelstimmen nicht mehr so ankäme. Es gäbe also keinen Grund, irgendwie Druck aufzubauen, und jede/jeder könnte sich frei entscheiden.

Letztendlich hängt natürlich viel von der Präsentation und der Moderation des Events ab. Die Petitionen selbst müssen natürlich mit Schwung vorgestellt werden, aber die Moderation könnte ja ein nüchterner und langweiliger Wissenschaftler übernehmen. Rauschartige Zustände wie zuletzt beim Crowdfunding von Olympia lassen sich dadurch vermeiden, dass im Stadion keine Zahlen über Petitionszeichnungen bekannt gegeben werden. Die Zahlen kann man zwar normalerweise auf den Petitionsseiten sehen, aber es ist sicher möglich, den Betreiber der Petitionsseiten des Bundestages darum zu bitten, die Anzeige der Zahlen auszuschalten. Die Ergebnisse würden dann nach dem Ende oder zum Ende der Veranstaltung bekannt gegeben.

Olympia ist mit diesem Höhepunkt in der Mitte nicht vorbei. Wenn wir am Freitag zehn oder wie viel auch immer Petitionen verabschiedet haben werden, heißt das nicht, dass die am Montag im Bundestag besprochen werden und am Dienstag ist die Welt oder zumindest das Land in Ordnung. Die Petitionen werden nach und nach in den Bundestag kommen und das muss von uns begleitet werden und zwar mit Action! Demonstrationen, Mahnwachen, was auch immer. Das heißt, es liegt ein Jahr Arbeit vor uns. Was brauchen wir dafür? Tja: Emotionen. Ärger (Jonny Rotten: Anger is an energy), Trauer, Wut, Fröhlichkeit. Möglichst in der richtigen Mischung und zur richtigen Zeit. Ich war im Oktober in London und es hat mich sehr beeindruckt, mit welcher Leichtigkeit und Effektivität Extinction Rebellion dort protestiert und blockiert hat.

Fröhlichkeit: Trafalgar Square blockiert und Spaß dabei. Dieser Rebell hat sich mit seiner Partner-Rebellin mit zwei Rohren verbunden, die die Polizei in stundenlanger Arbeit aufsägen musste, um sie räumen und verhaften zu können. Selbst die Polizei war gut drauf … London 10.10.2019
Trauer: Die Lambeth Bridge in London wurde durch XR Faith blockiert. XR Faith ist ein Zuammenschluss verschiedener Religionen innerhalb von Extinction Rebellion und ich habe zum ersten Mal eine Veranstaltung gesehen bei der Muslime, Juden, Christen, Hindus und Buddhisten der verschiedensten Art gemeinsam miteinander für eine Sache eintreten. London, 07.10.2019

Auch bei Fridays For Future-Demonstrationen spielen Emotionen eine Rolle: Wut, Wut auf uns Erwachsene, die das mit dem Klima nicht hinkriegen. Die ein Jahr lang nur blockiert haben. Also nicht wir jetzt sondern die anderen …

Wut: Jugendliche von Fridays For Future haben WissenschaftlerInnen bei ihrer Schweigeaktion (#AllesGesagt) vor dem Bundezkanzlerinnenamt unterstützt. Am Ende der Aktion haben sie sich von den Pflastern befreit und schreien ihren Frust in Richtung Bundeskanzlerin, Berlin, 15.11.2019

Wir brauchen Emotionen. Wir brauchen sie für das kommende Jahr. Im Stadion aber sollten wir den Ball flach halten.7

Emotionen, die wir nicht brauchen, sind Hilflosigkeit, Ohnmacht und die sich daraus ergebende Verzweiflung und Depressionen. Aber dagegen gibt es ein Mittel: Mitmachen im Olympia-Jahr! Los!