Fridays for Future vs. Letzte Generation

Gestern war ich beim Scientists Responsibility Summit und hörte einen Vortrag von Michael Brüggemann (Universität Hamburg) mit dem Titel: How can disruptive climate protests be transformative? Inferences from media debates on Fridays for Future and Last Generation in Germany (Wie kann disruptiver Klimaprotest transformativ sein? Schlüsse aus der Diskussion von Fridays for Future und der Letzten Generation in den Medien.

Alter und Zusammensetzung der Gruppen

Michael Brüggemann merkte irgendwann an, dass die deutschen Fernsehzuschauer*innen im Fernsehen Menschen in ihrer Altersgruppe bevorzugen, weshalb es von Fridays for Future gut gewesen wäre, dass sie mit den Scientist For Future zusammengegangen wären.

Nun ging es bei der Forschungsfrage auch um Wahrnehmung, aber zumindest als Forschender sollte man dann zwischen Wahrnehmung durch die Medien/Gesellschaft und Realität trennen. Brüggemann zeigte ein Bild von einer Pressekonferenz (taz, 13.03.2019), auf dem man neben Luisa Neubauer und Jakob Blasel auch Maja Göpel, Volker Quaschning und Eckart von Hirschhausen sehen konnte.

In der Diskussionsphase habe ich angemerkt, dass die Letzte Generation die diverseste Klimagruppe in Deutschland gewesen ist. Alle Altersgruppen von 16 bis 86 waren vertreten.

Ronja, 16, blockiert mit dem Aufstand der Letzten Generation eine Straße in Berlin. Das Licht in ihren Augen kommt von den Scheinwerfern des Autos vor dem sie sitzt. Danziger Straße/Prenzlauer Allee, Berlin, 21.11.2022
Polizist wendet Nervendrucktechniken gegen 16jährigen Aktivisten der Letzten Generation an. Dieser schreit vor Schmerzen. Drei andere kräftige Polizisten stehen dabei. Sie hätten ihn ohne Probleme transportieren können. Dieser Einsatz von Polizeigewalt muss wohl als Folter gewertet werden. Nach Besetzung der Frankfurter Allee, Berlin, 13.04.2024
Zivilpolizisten tragen die 86jährige Aktivistin Jutta Heusinger von der Straße. Sie war Lehrerin an einer Hauptschule und hat im Audiobereich beim Bayrischen Rundfunk gearbeitet unter dem Namen Leskien. Während der Blockade Mollstraße/Prenzlauer Allee, Berlin, 19.09.2023
Ernst Hörmann (72, 8 Enkel), Aktivist vom Aufstand der Letzten Generation, bei der erkennungsdienstlichen Behandlung nach der Blockade der A100, Berlin, 04.02.22

Es gab eine weite Streuung unter den Berufen. Vom Geigenbauer, Krankenpfleger*innen, zum Ingenieur, über Physiker, die Gasturbinen entwickelt haben, Soziolog*innen, Biolog*innen, Köche, Zerspanungsfacharbeiter, Menschen aus der Automobilindustrie in Umschulung zu Elektrofacharbeitern, Pfarrer*innen, Nachrichtensprecher*innen, Hörspielautorinnen, Kirchenmusiker*innen, Afrikanist*innen, Umweltingenieure, Qualitätsmanager, Vertriebler*innen, Künstler*innen, Elektriker*innen, Tischler*innen (auch mit Meister), Ärzt*innen, (Kinder)psycholog*innen, Druckereibesitzer*innen, Designer*innen, Ökonom*innen, Sexarbeiter*innen, Informatiker*innen, Tanzlehrer*innen, Schauspieler*innen, Schüler*innen, Lehrer*innen, Student*innen, promovierte und Professoren und sogar eine Hauptkommissarin der Polizei (Portraits von Aktivist*innen mit Altersangabe und Beruf, Menschen der LG Ü50). Menschen mit Behinderungen, die auch immer wieder an Aktionen teilgenommen haben. Neurodiverse Menschen und auch diverse nicht Neurodiverse. Queere und Transpersonen. Menschen ohne Kinder, Menschen mit vielen Kindern (ich weiß von einer Mutter mit vier Kindern und Ernst Hörmann hat 8 Enkel). Menschen aus dem Osten und dem Westen Deutschlands, Menschen aus verschiedenen Regionen.

Slow walk der Letzten Generation. Penelope Frank wird von der Straße getragen. Aktivistenhände sind zu sehen, die anklagend auf die Polizisten weisen, weil diese vorher Penelope Frank den Arm verdreht und somit nicht das mildeste Mittel verwendet haben. Penelope Frank war vorher mehrfach auf die Straße zurückgelaufen. Sie ist eine Trans-Aktivistin. Rotes Rathaus, Berlin, 24.03.2023
Protestmarsch der Letzten Generation vom Brandenburger Tor zur Siegessäule, links vorn Almut Bellmann, Pfarrerin aus Berlin, in der Mitte mit Weste Sonja Manderbach, Kirchenmusikerin, zweite Reihe mit weißem Kittel Dr. Nana-Maria Grüning, Biologin von Scientist Rebellion, und Prof. Dr. Anne Bolliot, dahinter mit weißen Haaren Edmund Schultz, Berlin, 06.05.23
Rollstuhlfahrer mit Schild „Schützt die Aktionen der Letzten Generation“ bei der zweite Massenblockade der Letzten Generation und anderer Klimagruppen an der Siegessäule, im Hintergrund Christian Bläul, Berlin, 28.10.2023
Eva von der Letzten Generation verteilt im Mauerpark Info-Material. Berlin, 22.10.2023
Letzte Generation blockiert mit Mietwagen Autobahn. In der Mitte ein Rollstuhlfahrer, Messe Nord, 28.09.2023

Aus der Web-Übertragung merkte jemand an, dass die Letzte Generation nicht divers sei, weil es keine People of Color gegeben habe. Das ist nicht richtig, denn Sarah Kaden war Aktivistin der Letzten Generation. Mir sind noch zwei weitere bekannt, einer mit vietnamesischem Hintergrund.

Sarah Kaden und Anja Windl, Aktivistinnen der Letzten Generation, in Handschellen nach Blockade des Potsdamer Platzes, Berlin, 06.10.2023

Ansonsten sind zwei Dinge anzumerken: Die Letzte Generation hat anders als andere Klimagruppen immer mit offenem Gesicht und oft mit Angabe des Namens gearbeitet. (Sonst wären mir diese auch nicht bekannt.) Die Aktivist*innen haben die Repressionen in Kauf genommen und haben immer brav ihren Ausweis vorgezeigt, wenn die Polizei kam. Das ist für People of Color nicht so einfach möglich. Zweitens bedeutet die Verwendung des Komparativs nicht unbedingt, dass der Positiv gelten muss. Beispiel: Aus: Die Ameise ist größer als die Schlupfwespe. folgt nicht, dass die Ameise groß ist. Aus der Verwendung des Superlativs folgt auch nicht, dass ein mögliches Maximum erreicht wird. Beispiel: Von diesen drei Männern ist Klaus am klügsten. kann wahr sein, ohne das Klaus normalerweise als klug zu bezeichnen wäre. Also: Daraus, dass die Letzte Generation diverser als andere Bewegungen ist, folgt nicht, dass sie alle Kriterien für Diversheit erfüllt hat.

Brüggemann scheint derselbe Fehler unterlaufen zu sein, der immer wieder in den Medien zu beobachten war. Es wurde immer wieder von „jungen Menschen“ gesprochen, obwohl die Teams bei Pressekonferenzen so aussahen:

Bei der Pressekonferenz der Letzten Generation zur nächsten Protestwelle in Berlin hält Prof. Dr. Nikolaus Froitzheim (65, Strukturgeologe) ein Blatt mit den Temperaturentwicklungen der Meeresoberfläche in die Kameras. Er antwortet damit auf die Frage nach der Beliebtheit und den Protestformen der Letzten Generation. Links von ihm Rolf Meyer (56, Physiker), rechts Hauptkommissarin Chiara Malz und Pressesprecherin Clara Hinrichs, Lina Johnsen, Kanzleramt, Berlin, 08.09.2023

Über die „jungen Menschen“ habe ich auch in Unfried, Palmer und die Letzte Generation im Februar 2023 schon geschrieben.

Zusammengefasst: Wenn Medien jemanden in der Altersgruppe ihres Zielpublikums gesucht hätten, hätten sie jemanden finden können. Vom Kinderkanal bis zum Schunkeltreff auf ARD oder ZDF.

Aktionsformen und Disruption

Brüggemann zeigte genau dasselbe Unverständnis für die Aktionsformen der Letzten Generation wie die Kommentatoren in den Zeitschriften, die er untersucht hatte. So stellte er fest, dass der Auto- und Flugverkehr klimaschädlich sind und dass man deshalb entsprechende Blockaden nachvollziehen könne, aber Beschmadderung von Kunstwerken oder das Besprühen von Universitätsgebäuden sei nicht nachvollziehbar.

Besonders empört war er wegen einer Farbattacke auf Gebäude der Uni Hamburg, denn die Forscher*innen dort seien doch die Allies (Verbündeten) der Klimabewegung.

Michael Brüggemann spricht beim Scientists Responsibility Summit, Humboldt-Universität zu Berlin, 11.10.2025

Auch diese Aussagen bzgl. der Letzten Generation sind befremdlich, denn die Letzte Generation hat immer wieder in Pressemitteilungen und Interviews ihre Strategie und ihre Protestform erklärt. Die Proteste waren so ausgelegt, dass sie maximal disruptiv waren bzw. maximal Aufmerksamkeit erregten. Sie sollten die Menschen wachrütteln und auf das Problem der Klimakatastrophe hinweisen. Es ging nicht um den oder die einzelne Autofahrerin. Die Attacken auf Kunstwerke waren genau für Bildungsbürger*innen wie Michael Brüggemann (und mich) gedacht, die mit dem Fahrrad zur Uni fahren und die kilometerlange Staus auf Autobahnen nicht betreffen. In der Tat haben diese Attacken gegen Kunstwerke mich als Bildschaffenden am meisten bewegt, auch wenn schnell klar wurde, dass die Kunstwerke hinter Glas waren bzw. der Holzrahmen, an den sich Aktivist*innen angeklebt hatten, kein altes Original war.

Lina Eichler vom Aufstand der letzten Generation deeskaliert bei Straßenblockade am Hauptbahnhof. Sie erklärt aufgebrachten Autofahrern, warum blockiert wurde. Am Morgen desselben Tages wurde sie von einem Fahrer eines Lieferwagens mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Berlin, 22.08.2022

Die auf maximale Aufmerksamkeit ausgerichteten Proteste wurde in den Medien nicht verstanden oder bewusst anders geframet. Als Protestforscher sollte man das aber wissen und von der Medienberichterstattung trennen, die man untersucht.

Allianzen

Wenn man sagt, die Fridays seien strategisch geschickter gewesen, weil sie Allianzen mit den Scientists gebildet hätten, dann ist das unzulässig, denn es gab neben der Letzten Generation auch die Scientist Rebellion.

Wissenschaftler von Scientist Rebellion blockieren die Kronprinzenbrücke in Berlin, um auf die dramatischen Folgen der Kliamkatastrophe laut IPCC-Bericht hinzuweisen. In der Mitte mit Pyro Prof. Dr. Nikolaus Froitzheim, Geologe aus Bonn, Kronprinzenbrücke, Berlin, 06.04.22

Beide sind als Schwesterorganisationen anzusehen und haben auch gemeinsame Aktionen durchgeführt.

Aktivistinnen der Letzten Generation blockieren gemeinsam mit Scientist Rebellion den World Health Summit 2022 in Berlin. 16.10.2022

Eine weitere Zusammenarbeit eines Hungerstreiks, der unabhängig von der Letzten Generation stattgefunden hat, aber von Aktivist*innen der Letzten Generation organisiert wurde, gab es ebenfalls mit Scientist Rebellion und sogar auch mit den Psychologists for Future und den Scientists for Future. Die S4F haben die vier Forderungen der Hungerstreikenden unterstützt (nachdem sie eine kleine Korrektur angeregt hatten). Die Psychologists haben sich der Unterstürzung angeschlossen.

Pressekonferenz von „Hungern bis Ihr ehrlich seid“ Am 62. Tag des Hungerstreiks. vlnr: Wolfgang Metzeler-Kick, 49, Umweltingenieur, Dr. Bernhard Steinberger, Scientists 4 Future, Lea Dohm, Psychologists 4 Future, Adrian Lack, ab heute im stillen Hungerstreik, Marlen Stolze, Moderatorin, PD Dr. Susanne Koch, Scientist Rebellion und betreuende Ärztin, Michael Winter, 22. Tag im Hungerstreik, BMI von 16. Ganz rechts außen Lebenspartnerin von WMK. Links im Bild die Forderungen. Hungerstreikcamp, Invalidenpark, Berlin, 07.05.2024

Aktivitäten der Letzten Generation

Die Letzte Generation hat nicht nur disruptiv protestiert. Sie haben auch für die EU-Wahl kandidiert, mit über 100.000 Stimmen in Bremen! Sie haben Haustürgespräche geführt, sie haben in Kirchen mit Gemeinden gesprochen, sie waren in Polizeischulen unterwegs und haben dort Polizist*innen erklärt, was sie tun und warum.

Letztendlich ist das alles aber egal, weil sich die Medien bewusst oder unbewusst dafür entschieden haben, sich auf die Krawallaspekte zu konzentrieren.

Protestformen von Fridays for Future

Jemand meinte in der Kaffeepause, dass ihm FFF zu lahm sei. Dazu muss man anmerken, dass die ursprüngliche Form der Schulstreiks eine radikale Form zivilen Ungehorsams war. Die Schüler*innen haben nicht das gemacht, was sie sollten. Das ware ein enormer Aufreger.

Profi von morgen auf Fridays For Future Demonstration in Berlin, 15.03.2019

Christian Lindner, FDP, ein inzwischen in Vergessenheit geratener Politiker, fand, die Kinder sollten mal zur Schule gehen und die Angelegenheit den Profis überlassen, woraufhin sich Scientist for Future gründete und als Profis den Jugendlichen bestätigte, dass ihr Anliegen berechtigt sei.

Es gab später Überlegungen mit Extinction Rebellion (XR) gemeinsam zu protestieren, weshalb das August Rise Up auch nicht Rebellion Week genannt wurde, sondern ein neutralerer, offener Name gewählt wurde. Verschiedene Ortsgruppen von FFF werden unter den Gruppen, die sich beteiligen auch genannt (August Rise Up! Wer wir sind, 12.10.2025). Insgesamt hat sich FFF dann aber wohl gegen eine Teilnahme entschieden.

Geklebte Aktivistin von Animal Rebellion wird von Polizei gelöst, Blockade Landwirtschaftsministerium durch verschiedene Klimagruppen beim August Rise Up!, Berlin, 19.08.2021
Breites Bündnis an Klimagruppen unterstützte das August Rise Up! Direkt vor der Bundestagswahl im Jahr 2021. Die Letzte Generation entwickelte sich aus dem Hungerstreik, der direkt nach dem August Rise Up! begann. Quelle: August Rise Up! Wer wir sind, 12.10.2025

Jedoch gab es eineige Monate später eine gemeinsame Blockade mit XR und anderen. Nach einem Protestmarsch von FFF sind Aktivist*innen verschiedener Klimagruppen zurückgekommen und haben vor der SPD-Parteizentrale die Straße blockiert. Carla Reemtsma und Pauline Brünger haben für FFF gesprochen. Man beachte die Traktoren!

Blockade der SPD-Parteizentrale durch Klimaaktivisten und Klimaaktivistinnen von Friday For Future, Extinction Rebellion und anderen Gruppierungen, Berlin, 22.10.2021
Pauline Brünger und Carla Reemtsma von Fridays For Future sprechen auf einem Traktor bei der Blockade der SPD-Parteizentrale, Berlin, 22.10.2021

Luisa Neubauer war auch vor Ort, aber da war ich schon weg.

Ich finde es verständlich, dass FFF sich zurückgehalten hat, schließlich waren und sind sie auch für Kinder und sehr junge Jugendliche verantwortlich.

Übrigens war die Letzte Generation ab einem gewissen Zeitpunkt auch bei den internationalen Klimastreiks von Fridays for Future dabei. 2023 stellte die Letzte Generation sogar den größten Demoblock.

Aktivist*innen der Letzten Genration beim 13. globalen Klimastreik von Fridays for Future, Berlin, 15.09.2023

Klimaproteste und Scientist for Future

In der Diskussion sagte Nana-Maria Grüning promovierte Biologin mit Promotion in Cambridge: Nein, die Wissenschaftler*innen seien nicht ihre Allies (Verbündeten). Sie säßen in ihren Büros und ließen ein paar Kinder den Protest machen.

Nana-Maria Grüning hat Recht, wenn sie darauf verweist, dass FFF die großen Proteste angestoßen hat. Letztendlich war es Greta Thunberg, die sich über das gemeinschaftliche Verdrängen hinweggesetzt und damit eine weltweite Bewegung ausgelöst hat. (Extinction Rebellion hat sich etwa zeitgleich aus diversen Vorläuferorganisationen entwickelt.)

Dann aber haben die Scientist for Future auch einige Zeit mit FFF gemeinsame Aktionen gemacht.

Alles gesagt: Schweigemarsch der Scientists for Future unterstützt von Fridays For Future und Students For Future am Bundeskanzlerinamt, Berlin, 15.11.2019

Auch gab es ab 2019 bis zum Beginn der Corona-Lockdowns „Streiks“, die denen von FFF ähnelten. Das lief unter Researchstrejk. Gisbert Fanselows Idee war, dass jeden Tag eine andere Berufsgruppe streiken sollte. Freitags die Schüler*innen, Mittwochs die Uni-Mitarbeiter*innen, Montags die Busfahrer*innen, Dienstags die Müll-Menschen … Diese Aktionen sind unter Climatewednesday.org dokumentiert. Sie fanden in Form von Mahnwachen und öffentlichen Lehrveranstaltungen in Berlin, Potsdam und Leipzig statt. Es waren so ca. 100 Wissenschaftler*innen beteiligt.

Researchmittagspause in Potsdam vor dem Bildungsforum, Mitte karriert Prof. Dr. Gisbert Fanselow und Dr. Hartmut Ehmler, vorn weißes T-Shirt Lorena Valdivia-Steel, Potsdam, 12.06.2019
Forschungspause mit Wissenschaftler*innen von der HU, FU und aus Potsdam vor der FU Berlin. Gelbes Shirt: Prof. Uli Reich, daneben in Rot: Dr. Bernhard Steinberger,kariert Dr. Hartmut Ehmler, rot Lorena Valdivia-Steel, weiß rechts Prof. Dr. Judith Meinschäfer, vorn kariert Gisbert Fanselow. 05.06.2019
Forschungspause am Klimahäuschen der Humboldt-Universität. Hinten Stefan Müller, vorn mit Warming Stripes Prof. Dr. Christoph Schneider, Klimageograph, der später Vizepräsident der HU wurde, Berlin, 18.09.2019

Diese Mahnwachen waren mit den Lockdowns sinnlos geworden, weil die Universitäten geschlossen waren.

Das verwaiste Klimahäuschen an der Humboldt-Universität in Corona-Zeiten, 15.05.2020

Später veranstaltet Berlin for Future die Klimamontage, ein besseres Konzept mit Vorträgen und Musik.

Der Researchstrejk fand in den Medien kein Interesse, obwohl es sogar eine unterstützende Pressemeldung von der HU-Öffentlichkeitsarbeit (Gemeinsam für mehr Klimaschutz, 02.07.2019) und eine Erwähnung in der taz gab (taz, 17.08.2019). Es gab Berichte, diese bezogen sich aber ausschließlich auf die Selbstverpflichtungsaktion zum Verzicht auf Kurzstreckenflüge. Übersicht) Wahrscheinlich wurde der Researchstrejk durch die viel interessanteren Schulstreiks überlagert.

Also: Es gab Wissenschaftler*innen von Scientists for Future, die Formen disruptiven Protests angedacht hatten. Das war allerdings eine kleine Gruppe, die auf Berlin, Potsdam und Leipzig begrenzt war. Diese Anmerkung ist also eher ein historisch interessanter Hinweis, der nichts daran ändert, dass Menschen aus der Klimabewegung, die die Klimakatastrophe mit der ihr gebührenden Dringlichkeit behandelten, Wissenschaftler*innen egal welcher Fachrichtungen nicht als ihre Verbündeten ansahen, sondern als Menschen, die es aus ihrer Passivität und Verdrängung zu reißen galt.

Zusammenfassung

Es existieren in den Medien und eventuell auch dadurch bedingt in der Forschung falsche Vorstellungen darüber, was die Ziele und Methoden bestimmter Klimagruppen sind bzw. waren. Auch gibt es immer noch Klischees bezüglich der Zusammensetzung der Gruppen.

Vielleicht kann meine Dokumentation mit inzwischen mehr als 15.000 Bildern zur Klimabewegung ab 2018 dazu beitragen, Vorstellungen mit der Realität abzugleichen.

Quellen

Telschow, Fabian. 2005. Sind koordinierte Lehrplanboykotte von Wissenschaftler:innen als Dringlichkeitssignal zur Klimakrise irgendwann notwendig? (doi:10.5281/zenodo.15331596)

Friedliche Proteste und adäquate Möglichkeiten für die Polizei

Es hat doch als Antwort auf meinen Blog-Post zu Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit und Polizeigewalt tatsächlich jemand gefragt, wie die Polizei ohne Folter ihre Polizeiarbeit machen soll! Also so ganz ohne gebrochene Handgelenke, vor Schmerzen schreienden Aktivist*innen und Druck auf Druckpunkte hinter dem Ohr?

Turbodemokrat fragt doch in der Tat, wie die Polizei ohne Folter ihre Polizeiarbeit machen soll.

Bei Turbodemokrat handelt es sich sicher um einen Troll, obwohl die auf Mastodon recht selten sind. Ich möchte hier ein paar Möglichkeiten aufführen, wie man Menschen ohne Gewalt von der Straße bekommt. Darunter sind einige, die auch Polizist*innen „mit Rücken“ einsetzen können. Das scheinen immerhin 98% der Berliner Polizisten zu sein, wenn man ihren Ansagen vor dem Einsatz von Schmerzgriffen glauben schenken kann (sarkastische Übertreibung).

Also: Es gibt mindestens fünf Möglichkeiten, Aktivist*innen von der Straße zu bekommen:

  1. Warten, bis sie wieder gehen
  2. Wegtragen als Päckchen,
  3. Wegrollern mit floor-board,
  4. Wegrollern mit Euro-Palette,
  5. Wegschleifen mit Trage.

Alle sind in Berlin schon zum Einsatz gekommen und ich habe sie auch selbst fotografiert. Es folgen die Möglichkeiten.

Warten

In anderen Städten werden bei Klima-Protesten die Straßen gesperrt, die Aktivist*innen demonstrieren und gehen irgendwann selbst nach Hause. Das folgende Bild zeigt Aktivist*innen verschiedener Klimagruppen auf der Straße des 17. Juli.

Zweite Massenblockade der Letzten Generation und anderer Klimagruppen an der Siegessäule, Berlin, 28.10.2023

Die Polizei ließ die Aktivist*innen gewähren, es gab keine Gewalt. Reden wurden gehalten, Lieder gesungen, nach einigen Stunden gingen alle friedlich nach Hause bzw. essen zur Küche für alle (Küfa).

Diese Strategie wurde auch bei Bauernprotesten mehrfach erfolgreich angewendet.

Päckchen

Wenn eine Straße nach Verlegung des Veranstaltungsortes und drei Durchsagen schnell geräumt werden muss, ist das mildeste Mittel das Wegtragen. Aktivist*innen setzen sich meist mit angezogenen Knien und untergeschlagenen Armen hin, so dass sie die Polizist*innen wegtragen können. Aktivist*innen und Polizist*innen üben ihre Parts vorher. Natürlich nicht gemeinsam.

Aktivistinnen von Extinction Rebellion machen ein Päckchen und werden nach der Blockade des Schlesischen Tors abtransportiert. Schlesisches Tor, Berlin, 17.09.22

Manche Polizist*innen sind so stark, dass sie eine Aktivist*in allein tragen können.

Räumung der Blockade von Extinction Rebellion durch die Polizei. Rebellen von Extinction Rebellion haben die Marschallbrücke blockiert, um auf den IPCC-Report hinzuweisen. Berlin, 05.03.2022

Davon ist aber aus Arbeitsschutzgründen abzuraten, da das eventuell zu Rückenproblemen führen kann.

Floor board

Aktivist*innen, die ein Päckchen machen, kann man auf ein floor board setzen. Man kann sie dann bequem wegrollern. Das können auch Polizist*innen, die eigentlich in der Rücken-Reha sein müssten.

Aktivistin von Extinction Rebellion macht ein Päckchen und wird von der Polizei mit einem floar board weggerollt. August Riseup, Brandenburger Tor, Berlin, 20.08.2021

Mit floor boards kann man sogar zwei mit einem Rohr verbundene Aktivist*innen transportieren.

Räumung der Blockade von Extinction Rebellion durch die Polizei. Rebellen von Extinction Rebellion haben die Marschallbrücke blockiert, um auf den IPCC-Report hinzuweisen. Berlin, 05.03.2022

Euro-Paletten

Euro-Paletten bieten noch mehr Platz. Hier werden zwei verklebte Aktivist*innen transportiert. Ein dritter darf zusätzlich mitfahren.

Miteinander verklebte Aktivisten der Letzten Generation werden auf Euro-Paletten zur Personalienfeststellung gefahren. Massenblockade der Straße des 17. Juni. Berlin, 28.10.2023

Ein massives Problem und seine Lösung: Krankentrage

Bei der ungehorsamen Versammlung der Letzten Generation am 25.05.2024 hatte die Polizei ein massives Problem: Der Koch der Letzten Generation hatte sich einfach auf die Straße gelegt und war nicht dazu zu bewegen, diese wieder zu verlassen. Ein Polizist fragte ihn, ob er denn die Straße freiwillig wieder verlassen würde und der Aktivist meinte: „Ja.“ Der Polizist fragte weiter, wann er denn zu gehen gedenke und die Antwort war 17:00. Es war da etwa 14:00 Uhr, die Blockade hatte um 12:00 begonnen.

Aktivist mit Schild: „Klimaschutz ist die beste Medizin.“, das ihn vor Sonne schützt. Auf seinem T-Shirt steht: „Eltern haften für ihre Kinder!“ Blockade am Hauptbahnhof durch Letzte Generation, Berlin, 25.05.2024

Die Polizei musste ihn also selbst bewegen. Das folgende Bild zeigt, dass in den Mannschaftswagen der Polizei auch floor boards transportiert werden. Das sind wahre Schatztruhen: Maschinenpistolen, Besen zum Straßefegen und floor boards sind immer mit dabei. Oder immer öfter.

Die Polizei hat ein Floorboard für den Transport besorgt. Blockade am Hauptbahnhof durch Letzte Generation, Berlin, 25.05.2024

Der Koch war aber zu groß für das floor board und die Mannschaftswagen sind wohl zu klein für Euro-Paletten und das entsprechende Palettentransportgerät. Jedenfalls gab es noch eine andere Lösung: die Krankentrage.

Transport eines übergewichtigen Aktivisten in einer Schale bei Blockade durch Letzte Generation am Hauptbahnhof. Berlin, 25.05.2024

Fünf Polizisten fixierten den Aktivisten auf der Krankentrage, wie man auf dem nächsten Bild sehen kann, auch mit Handschellen.

Transport eines übergewichtigen Aktivisten in einer Schale bei Blockade durch Letzte Generation am Hauptbahnhof. Er ist mit Handschellen gefesselt und angegurtet. Berlin, 25.05.2024

Dann wurde er von der Straße geschleift.

Varianten: An den Füßen schleifen

Eine besondere Variante kam mir am 20.10.2023 unter. Ich weiß nicht, ob das so in der Polizeiausbildung gelehrt wird. Prinzipiell scheint es sich um eine Variante der im vorigen Abschnitt vorgestellten Transportart mit Trage zu handeln. Nur ohne Trage halt.

Polizisten schleifen Aktivisten der Letzten Generation an den Füßen von der Straße. Er ruft immer wieder: „Ich bin ein Mensch!“, die Polizisten antworten beide: „Ich bin auch ein Mensch.“ Bei Blockade der Prenzlauer Allee/Danziger Allee, Berlin, 20.10.2023

Bei dieser Transportform geht die Jacke kaputt, aber zumindest werden keine Handgelenke gebrochen oder Schmerzpunkte am Kiefer bzw. hinter den Ohren gedrückt.

Schlussfolgerung

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Aktivist*innen, die zivilen Ungehorsam leisten, von der Straße zu bekommen. Die erste und einfachste, die ich bisher kennengelernt habe, besteht darin, abzuwarten, bis sie von selbst gehen. Ansonsten kann man sie von der Straße tragen. In Berlin ist vieles kaputt, aber ich hoffe, dass nicht alle Polizistenrücken kaputt sind, von denen das behauptet wird. Sollte das doch der Fall sein, dann können floor boards oder Euro-Paletten benutzt werden. Oder Tragen.

Es gibt keinen Grund für Schmerzgriffe oder Folter. Menschen über körperliche Züchtigungen vom Demonstrieren abzuhalten ist nicht die Aufgabe der Polizei. Es ist die Aufgabe von niemandem in diesem Land.