Wie ich die Welt rettete oder Handabdruck und Fußabdruck

Wow. Ich habe gerade die Welt gerettet. Ich musste vor dem Bahnhof auf einen Zug warten, weil ich jemanden abholen wollte, und da war ein Mann in einem Bus, der den Motor laufen ließ. Ich saß da und dachte: „Nee, da gehe ich jetzt nicht hin. Ich setzte mich hier auf die Bank und drücke an meinem Taschentelefon rum.“ Aber ich habe es nicht ausgehalten. Der Gedanke, dass jetzt zehn Minuten oder länger der Motor läuft. Für nichts und wieder nichts. Obwohl ich ein bisschen Angst hatte – es war ein kräftiger Mann –, bin ich hingegangen. Und nach einigem Hin und Her hat er sogar den Motor ausgemacht. Wir haben uns zehn Minuten über die Klimakatastrophe unterhalten. Bis der Zug kam. Zum Schluss haben wir uns fröhlich winkend voneinander verabschiedet. Das Gespräch kann man sich nicht ausdenken, weshalb ich es hier für die Nachwelt festhalten möchte. Zu einigen Punkten habe ich korrigierende bzw. weiterführende Anmerkungen und/oder Quellenangaben. Diese sind mit „(NB)“ im Text markiert. Im folgenden bin ick icke und er ist er. Allet klar, oder?

Das Gespräch

Icke: „Könnten Sie bitte den Motor abstellen?“

Er: „Warum? Stört Sie das Geräusch?“

Icke: „Nein, aber …“

Er: „Ach, wegen dem CO2?“

Icke: „Ja.“

Er: „Das ist doch alles Quatsch! Ich mach den Motor nicht aus. Lieber fahr ich noch ein paar Runden.“

Icke: „Nein, is kein Quatsch.“

Er: „Doch das stimmt alles nich. Deswegen mach ich den Motor nich aus. Und ich will mich auch gar nicht mit Ihnen unterhalten.“

Icke: „Na gut. Aber mekren Sie sich das Gespräch und denken Sie in zehn Jahren noch mal drüber nach!“

Er: „In zehn Jahren, da bin ich ja 88!“

Icke: „Oh, da haben Sie sich aber gut gehalten!“

Er: „Nee, hab mich verrechnet, dann bin ich 78.“

Icke: „Aber wenn Sie den Motor laufen lassen, verbraucht das doch auch Benzin. Das kostet Geld!“

„Ha“, dachte ich, „jetzt hab ich ihn.“

Er: „Ich bin mehrfacher Millionär, dit is mir egal.“

Icke: „Mit dem Klimawandel das stimmt aber wirklich, ich habe gestern gerade die Daten für Brandenburg rausgesucht. Temperatur und Niederschlag, kann ich Ihnen zeigen.“ (NB) Handyrumfuchtel.

Er: „Moment mal, ich mach jetzt doch erst mal den Motor aus.“

Icke (innerlich): \ő/

Er: „Das mit den Temperaturen ist alles Quatsch, glauben Sie das? Der Lauterbach erzählt doch nur Unsinn.“

Icke: „Was hat der denn damit zu tun? Das ist doch ein Mediziner.“

Icke: „Aber meine Schwester ist Klimaforscherin. Die weiß genau Bescheid.“

Er: „Ach, dann kriegt se ihr Geld für nüscht.“

Icke: „Nee, die hat bestimmt mehr gearbeitet als Sie. Die ist promoviert, das ist harte Arbeit. 60 Stunden die Woche, ich weiß das, war bei mir auch so, bin Professor.“

Er: „Na, wenn ich nur 60 Stunden die Woche gearbeitet hätte, hätte ich schon Mittwochs Feierabend gehabt.“

Icke: „Ehm. Wie das?“

Er: „Ich war Fernfahrer. 16, 17 Stunden. Manchmal sogar 19.“

Icke: „OK, dann nehme ich alles zurück. Aber ist das nicht auch verboten, so lange zu fahren? Wegen Arbeitsschutz und so?“

Ich glaub, er fand das cool, dass ich das wusste.

Er: „Dis war noch davor. Bin überall rumgefahren.“

Icke: „Aber dann ham se doch zum Ausgleich ganz viel Urlaub gehabt?“

Er: „Nee, hab ich mir alles auszahlen lassen. Ich bin überall gewesen im Süden. Da war es schon immer warm. Das ist alles Quatsch. Ich bin da überall gefahren. Unten in Griechenland bis rüber zum Aralsee.“

Icke: „Ja, und der ist jetzt weg. Ausgetrocknet.“

Er: „Ja, aber der hatte auch damals schon wenig Wasser.“

Icke: „Ja, aber jetzt isser weg. Man kann sich ja auf so historischen Satellitenkarten angucken, wie er kleiner wurde. Wie erklären Sie denn das?“ (NB)

Er: „Ja, das weiß ich jetzt auch nicht. Irgendwo muss das Wasser ja sein.“

Icke: „Ja. Ich weiß wo.“ Fuchtel, zeig. „Da oben. Wegen der höheren Temperaturen kann die Atmosphäre mehr Feuchtigkeit aufnehmen und dann kommt es irgendwann gesammelt runter an einem Ort, wo wir es nicht brauchen.“

Icke: „Und in Sizilien waren es 48°!“

Er: „Das stimmt nicht, ich habe einen Aufsatz von einem anderen Klimaforscher gelesen und das war die Bodentemperatur, nicht die normale Temperatur. Die wird 20 cm über dem Boden gemessen, die Bodentemperatur aber nur fünf cm über dem Boden (NB) und da ist es natürlich wärmer. Wenn die Formel 1 fährt sind es auch 33°, aber der Asphalt ist 45°, oder so.“

Icke: „Ja, is klar, der ist ja auch schwarz. Aber das mit Sizilien war so, dass es erst diese Berichte von der Bodentemperatur gab und einige Tage später war die richtige Temperatur auch bei 48°.“ (NB)

Er: „Ja, aber ich war da früher überall und da war es schon immer heiß.“

Icke: „Aber jetzt: Diese Woche sind dort die Stromkabel in der Straße geschmolzen, weil es zu heiß war. Wenn es schon immer so heiß gewesen wäre, dann hätten die ja auch früher schon schmelzen müssen, aber es waren die alten Kabel, die bis jetzt gehalten haben.“

Er: „Aber glauben Sie denn denen da oben denn? Die sind ja zum Teil blöder als ich. Baerbock und so.“

Icke: „Ja, die mag ich auch nicht so.“ (NB)

In diesem Moment rief Mausi an (Name geändert). Es ging um den Zug. Ich wusste, dass der 18:12 (Zeit auch geändert. Aber am Bahnhof war ich wirklich.) ankommt, denn ich wartete ja auf denselben.

Chemtrails

Wo kamen die Chemtrails denn jetzt her? Irgendwie tauchten die mitten im Gespräch auf. Keine Ahnung wieso. Aber wahrscheinlich hätte genauso gut ich ihn nach Chemtrails fragen können. Er musste mich wohl für einen halten, der an die Klimakatastrophe glaubt und Chemtrails als Verschwörungstheorie abtut.

Er: „Und glauben Sie auch nicht an Chemtrails?“

Icke: „Nee. Ist Quark. Ich habe mir das genau angeguckt. Ich habe in der Einflugschneise von Tegel gewohnt und war da in einer Bürgerinitiative aktiv. Da haben auch welche gedacht, die Flugzeuge würden über bewohnten Gebieten vor der Landung Kerosin ablassen, aber was so aussieht an den Tragflächen ist kein Kerosin und das wäre auch ökonomisch Unsinn, denn der Treibstoff kostet ja Geld.“

Er: „Nee, das meine ich nicht. Die machen so Aluminium-Partikel in die Luft. Wegen Klimawandel.“

Icke: „Hm. Ja, Geoengeniering, hab ich von gehört, von solchen Plänen. Und die machen das? Wegen Klimawandel? Dann gibt es also doch Klimawandel?“

Er: „Nee, aber das sagen die. Als Tarnung. Sagt man. Sie müssen mal gucken, auf flight-Dings, da fliegen Flugzeuge, die sind so ganz hoch, nach Warschau oder so und dann fliegt noch ein zweites Flugzeug und das versprüht die Chemikalien. Dieses Flugzeug taucht nicht auf dem Radar auf! Der Streifen von diesem Flugzeug sieht auch ganz anders aus, viel weicher und weiter verteilt.“

Irgendwann kamen die ersten Menschen aus dem Zug. Leider kam ich deshalb nicht mehr dazu, ihn zu fragen, warum uns die Regierung denn seiner Meinung nach umbringen wolle. Ich fragte ihn aber noch, was denn passieren müsse, damit er, wenn wir uns in zehn Jahren wieder träfen, eingestehen würde, dass das mit dem Klimawandel und dem CO2 ein Problem sei. Er meinte, dass es schon sein könne, dass er das einsehen würde, aber er sei noch nicht überzeugt.

Das hörte sich gaaaanz anders an als der Beginn unseres Gesprächs.

Dann war auch Mausi da, stieg auf der anderen Seite des Busses ein und wir verabschiedeten uns lächelnd und winkten uns zu. Das war großartig!

Die nahe Zukunft

Ich habe was für seinen ökologischen Fußabdruck und für meinen Handabdruck getan. (Der Fußabdruck sind die Klimafolgen, die wir individuell zu verantworten haben. Er ist kein so gutes Maß, denn bestimmte Dinge können wir selbst nicht beeinflussen. Ich kann meinen eigenen Fußabdruck nicht mehr viel senken (kein Auto, keine Flüge, kein Fleisch, null Heizung, Solarstrom usw.). Der Handabdruck ist positiver gedacht: Dort wird bewertet, wie man andere oder gleich die gesamte Gesellschaft positiv beeinflusst. Zu Hand- und Fußabdruck siehe Sind wir individuell für die Klimakatastrophe mitverantwortlich? Ja, natürlich!)

Ansonsten denke ich, dass ich jetzt auf Tour durch die neuen Bundesländer gehen werde und mit allen, die wollen, darüber streiten werde, ob es den menschengemachten Klimawandel gibt, oder nicht. Die Grünen können in Berlin bleiben. Ich mach das schon. Der Strößenreuther kommt dann eine Woche nach mir mit dem Fleck vorbei und vertickert überall die Solarzellen und Windräder. =:-) Hey, ich hab Visionen und ich geh nicht zum Arzt!

Nebenbemerkungen und Quellen

Temperaturen und Niederschläge in Brandenburg

Hier sind die Messergebnisse für Temperatur und Niederschläge in Brandenburg und der Vergleich zu den letzten Abschnitten von je 30 Jahren.

Boden und Lufttemperatur

Die Bodentemperatur wird im Boden gemessen. Kurz unter der Oberfläche. Das weiß ich auch erst seit heute. Wikipedia-Entrag Bodentemperatur. Die Lufttemperatur wird in zwei Meter Höhe gemessen. Wikipedia-Eintrag Lufttemperatur.

Sizilien 48°, oder doch nicht?

Bei t-online kann man in einem Beitrag vom 16.07.2023 lesen, welche „Klimaexperten“, wann was gesagt haben. Sag nur schnell mal, dass Julian Reichelt auch mit dabei war: Boden- oder Lufttemperatur? Verwirrung um 48-Grad-Hitze in Italien. Die taz hat für den 25.07. von 46° berichtet: Heißzeitfolgen auf Sizilien: Hitze trifft marode Infrastruktur. In einer AFP-Meldung wird für den 24.07. von 47,6° berichtet. Die schmelzenden Kabel werden auch im taz-Artikel besprochen.

Aralsee

Im Wikipedia-Artikel zum Aralsee gibt es eine Animation, die das Austrocknen zeigt. Der Aralsee war der viertgrößte See weltweit und wurde von den Einheimischen „das Meer“ genannt. Die Austrocknung ist hauptsächlich auf die jahrzehntelange Wasserentnahme für die Landwirtschaft zurückzuführen. Der Klimawandel gibt ihm jetzt den Rest. Er kann wohl nicht mehr gerettet werden. Beim SWR gibt es einen guten Radiobeitrag zum Aralsee und zu Wasser in der Region.

Annalena Baerbock

Liebe Grüne, verzeiht mir. Aber es hat ja keiner gehört.

Chemtrails

Also die Chemtrails kommen irgendwie immer im Paket mit Klimawandel-Verleugnung. Ich hatte schon vor einer Woche so was. Ein studierter Mensch. Architekt. Ich hatte dazu mal in Wikipedia nachgeguckt (Wikipedia: Chemtrails), da kann man ein bisschen dazu finden. Aber das wird natürlich nicht als Quelle anerkannt, denn die stecken ja alle unter einer Decke bzw. es ist so geheim, dass nur die eingeweihten Kreise und die Verschwörungstheoretiker*innen etwas wissen können. Der andere Verschwörer meinte übrigens, dass in der Gegend um den Flughafen in Frankfurt/Main so Quadrate mit Kondensstreifen abgedeckt würden. Die Flugzeuge würden immer hin und her fliegen, bis eine komplette Fläche abgedeckt wäre. Und sie würden nicht auf flightradar auftauchen.

Irgendwie scheint mir die Regierung ein bisschen blöd zu sein, dass sie die Chemtrails so offensichtlich für alle ausbringt. Wäre es da nicht besser, das Trinkwasser zu vergiften? Die Idee hatten ja damals schon die Hippies, die wollten LSD in die großen Seen kippen. Und die Hippies sind jetzt in der Regierung!! Die Vergiftung übers Trinkwasser würde niemand sehen können und es wäre sicher auch billiger, weil man sich das Rumfliegen sparen könnte und es wäre auch besser für die Regierung, weil die ja überlebt und das CO2, das beim Fliegen entsteht, ist ja schlecht für’s Klima und würde der Regierung schaden. Ach, Moment: Das mit dem CO2 wird ja als Argument nicht akzeptiert. Ehm, und noch ein Gedanke: Wie schützt sich eigentlich die Regierung vor den Chemtrails? Die laufen ja auch alle draußen rum. Außer Olaf Scholz natürlich. Wo ist der eigentlich?

Zu unserem CO2-Restbudget: Car is over

(Update 25.03.2024 Update vom Sachverständigenrat für Umweltfragen: CO2-Budget ist aufgebraucht (SRU 2024). Es gibt eine schöne Visualisierung vom klimadashboard.

Update 26.06.2022 Inzwischen hat der Sachverständigenrat für Umweltfragen, der die Bundesregierung berät, eine Berechnung des Restbudgets veröffentlicht (SRU, 2022). Die Wissenschaftler*innen haben ein noch kleineres Budget als ich berechnet. Es verbleiben 2Gt für das 1,5°-Ziel bei 67% (S. 7). Ich hatte 2,3Gt bei 83%. Sie haben also weniger und die Wahrscheinlichkeit, dass das 1,5°-Ziel erreicht wird, ist auch noch geringer. Das liegt daran, dass der SRU die Verteilung auf die Bevölkerung ab 2016, dem Zeitpunkt des Pariser Abkommens, gerechnet hat, wohingegen ich von einer gleichmäßigen Verteilung Pro-Kopf ab jetzt ausgegangen bin.)

Neulich war ich mit jemand (TM) im Tiergarten spazieren. Wir haben uns über Klimafragen unterhalten. Ein Punkt war der neue IPCC-Bericht und das verbleibende CO2-Budget für das Erreichen des 1,5°-Ziels. Der IPCC-Bericht wird von führenden Wissenschaftler*innen als Zusammenfassung von Fachartikeln zusammengestellt. Das geschah mit Fachartikeln von 2020 im Jahre 2021. Der Bericht wurde 2022 übersetzt und dann im März und April der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Fast alle politischen Parteien waren sich vor der Wahl einig, dass sie das 1,5°-Ziel anstreben. Die folgende Tabelle zeigt, welches Rest-Budget an CO2-Ausstoß wir 2020 hatten, wenn wir bestimmte Temperatursteigerungen mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit erreichen wollen. Die erste Zeile zeigt das 1,5°-Ziel mit Wahrscheinlichkeit von 17%, 33%, 50%, 67%, 83%.

Tabelle mit den verbleibenden CO2-Mengen und den entsprechenden Temperatursteigerungen und Wahrscheinlichkeiten. Quelle: IPCC, 2021. 6. IPCC-Sachstandsbericht. S. 32

Klimaentwicklungen sind komplex. Mit dem Klima ist es wie mit dem Wetter. Je nach Wetterlage kann man nicht voraussagen, ob es morgen regnet oder nicht. Aber man kann es mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit vorhersagen. So ist das mit den Klimaentwicklungen auch. Wenn wir von 2020 ausgehend 650 Gt CO2 ausstoßen, erreichen wir das 1,5°-Ziel mit 33% Wahrscheinlichkeit. Das bedeutet, dass in einem von drei Fällen das von uns Erwartete eintritt. Wir haben das alle in der Schule mit Würfeln gelernt. Also: klappt, Mist, Mist, klappt, Mist, Mist. Bei 50% wäre es klappt, Mist, klappt, Mist und bei 67% dann klappt, klappt, Mist, klappt, klappt, Mist. Jemand hat das auf einer Veranstaltung mal mit abstürzenden Flugzeugen verglichen. Eins von dreien stürzt ab. Das ist nicht ganz korrekt, denn über 1,5° kann alles Mögliche sein. 1,52° ist auch ein Verfehlen des 1,5°-Ziels. Was in dem restlichen Drittel passiert, ist wieder mit Wahrscheinlichkeiten behaftet. Die Details kenne ich nicht, weil ich kein Fachwissenschaflter bin, aber mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit werden wir in einer 2°-Welt landen, mit einer anderen Wahrscheinlichkeit in einer 3°-Welt und so weiter. Alle diese Wahrscheinlichkeiten zusammen für den Bereich über 1,5° ergeben 33%. Klar ist: Dort wollen wir nicht hin. Es ist jetzt schon schlimm genug (zu einer Sammlung von Katastrophenberichten aus den Medien). Also müssen wir die Wahrscheinlichkeit, dass wir dorthin gelangen, so tief wie möglich drücken. Die Tabelle zeigt uns noch den Fall für ein Erreichen des 1,5°-Ziels mit 83% Wahrscheinlichkeit. Das wäre: klappt, klappt, klappt, klappt, Mist. Geht schon, oder? Jedenfalls besser als 1 von 3 (67%), denn auch die Wahrscheinlichkeiten im Mist-Bereich verschieben sich ja zu unseren Gunsten, wenn wir weniger CO2 ausstoßen. Wenn wir 83% Sicherheit wollen, müssen wir mit 300Gt verbleibendem CO2-Ausstoß 2020 rechnen. Inzwischen hat die Menschheit aber leider weiter CO2 ausgestoßen. 2020 waren das 34.807 Mio Tonnen (Quelle: Statista). 2021 haben wir wieder annähernd das Niveau von 2019 erreicht (Quelle: Deutschlandfunk) also 36.702 Mio Tonnen. Zusammen sind das für 2020 und 2021 also ca. 70 Gt. Das heißt, dass uns für das Erreichen des 1,5°-Ziels mit 83% Wahrscheinlichkeit noch 300–70 = 230 Gt bleiben. Für die gesamte Menschheit. Wir können jetzt überlegen, wie wir dieses Restbudget aufteilen. Man könnte einfach gucken, wer seit Beginn der Industrialisierung wie viel ausgestoßen hat und die Mengen gerecht aufteilen. Wenn wir das machen, … Oh. Geht nicht, denn dann haben wir nichts mehr übrig.

Länder dargestellt nach CO2-Ausstoß anstatt ihrer wirklichen Größe. Quelle: The Carbon Map, 13.05.2022.

Update: 26.06.2022: Nun könnte man sagen, dass wir ja nichts dafür können, denn zu Beginn der Industrialisierung konnte niemand ahnen, was für katastrophale Folgen das Verwenden von Dampfmaschinen, Stahl und Zement haben würde. Aber selbst das kann uns nicht entlasten, denn wenn wir den Ausstoß ab der Veröffentlichung des ersten Sachstandsberichts des IPCC 1990 zugrundelegen, wäre unser Budget für 1,5° bereits aufgebraucht. Das 2°-Budget bei 50%iger Wahrscheinlichkeit der Zielerreichung voraussichtlich Anfang 2023. (SRU, 2022: 10)

Dann versuchen wir mal das Zweitbeste: Wir nehmen das, was noch übrig ist, und teilen das durch die Anzahl der Menschen, die auf dieser Welt leben. Da die Deutschen 1% der Weltbevölkerung sind, haben wir 1% von 230 Gt = 2,3 Gt. Eine frühere Umweltministerin hat mal gesagt: „Unter den ganzen Tonnen kann sich doch niemand etwas vorstellen.“ Drum brechen wir das noch weiter runter. In diesem Land leben 83 Mio Menschen (Quelle: Wikipedia). 2,3 t * 10^9 / 83 * 10^6 = 27,7 t pro Person.1

An dieser Stelle sollten wir jetzt nachdenklich werden. Extinction Rebellion hat in Berlin die Brücke vor dem ARD-Hauptstadtstudio besetzt und das so zusammengefasst:

Brückendekoration während einer Blockade von Extinction Rebellion: We are fucked, Berlin, 05.03.2022, Bild: Stefan Müller, CC-BY

Der durchschnittliche Jahresausstoß einer Person in Deutschland beträgt 10,78t. Das heißt, wir haben in drei Jahren alles aufgebraucht.2 Alles alle! Oh.

Die Ergebnisse des Sachverständigenrates für Umweltfragen sind noch viel schlimmer, denn, da sie von 2016 an rechnen, kommen sie auf 2Gt bei nur 67% Wahrscheinlichkeit des Erreichens des 1,5°-Ziels. Das wären dann 24 t pro Person.

Durchschnittlicher deutscher CO2-Ausstoß laut Umweltbundesamt, 2022

Mein Gesprächspartner hat nun auf eine interessante Tatsache hingewiesen: Wenn man heute ein Auto mit Verbrennungsmotor kauft, dann wird dieses in der Zeit, in der Autos in Deutschland zugelassen sind (10,1 Jahre; Kraftfahrt-Bundesamt, 2022: 7), so viel CO2 ausstoßen, dass das Restbudget der jeweiligen Person aufgebraucht ist. Laut Atmosfair stößt ein Mittelklassewagen, der 12.000km im Jahr fährt, 2t aus. SUVs haben einen entsprechend größeren Ausstoß. Es folgt, dass eigentlich kein einziges Verbrenner-Auto mehr zugelassen werden dürfte. Ich höre Euch sagen: „Tja, ok, überzeugt. Ich kaufe mir ein Elektroauto und fahre nur noch mit Ökostrom.“ Aber nee. Pustekuchen. Ein 100% elektrischer Kleinwagen braucht nur für die Herstellung bereits bis 11t CO2 unseres Restbudgets (Der Verbrenner hat natürlich auch einen CO2-Impact in der Herstellung! Das hatten ich bisher der Pointe wegen ignoriert. Bei Verbrennern sind es: Kleinwagen: bis 4 Tonnen CO2, Mittelklassewagen: bis 8 Tonnen CO2, Mittelklassewagen Hybrid: bis 12 Tonnen, CO2 Luxus-SUV: bis 25 Tonnen CO2. Quelle: Carbon connect, 2020)

Die Gesamtschlussfolgerung ist, dass Autos keine Lösung für den Individualverkehr sind. Zur Zeit mag es auf dem Land ohne Auto schwierig sein, aber dieses Problem muss schnellstmöglich politisch gelöst werden. Ein Weiter-so ist schlicht unmöglich, wenn wir weiter leben wollen. Car is over!

Familie bei Fridays For Future Demonstration am Brandenburger Tor in Berlin, 20.09.2019, Bild: Stefan Müller CC-BY

Zusammenfassung

Runtergebrochen auf eine Person verbleiben noch 27,7t CO2. Das sind laut atmosfair weniger als 14 Jahre Auto fahren, wenn 12.000 km pro Jahr mit einem Mittelklasse-Verbrenner gefahren werden (ohne Herstellung des Autos). Oder weniger als 6 Flüge nach LA und zurück (je 5,095t) bzw. weniger als drei Flüge nach Sydney Economy Class (10,683 t). Business Class (20t) oder First Class (26,7t) könnt Ihr nur einmal machen. Bei vielen anderen Arten des Konsums spielt der Energiemix eine Rolle. Das ist bei Verbrenner-Auto und Flugzeug nicht der Fall, weil da klar ist, dass fossile Brennstoffe verbrannt werden. Deshalb sind wirklich individuelle Entscheidungen hier maßgeblich. Vielleicht sollte man sich diese Dinge dann einfach verkneifen. Wenigsten ab und zu. Bitte!

Nachtrag

Ich danke Hartmut Ehler, der mich auf folgenden Rede von Greta Thunberg hingewiesen hat:

Rede von Greta Thunberg vor der Französischen Nationalversammlung 23.07.2019

Dort hat sie gesagt:

Once you realize how painfully small the size of our remaining carbon dioxide budget is, once you realize how fast it is disappearing, once you realize that basically nothing is being done about it and once you realize that almost no one is even aware of the fact that carbon dioxide budgets even exists, then tell me what exactly do you do? And how do we do it without sounding alarmist? That is the question we must ask ourselves, and the people in power.

Das war vor drei Jahren und das Gesamtbudget ist noch viel kleiner geworden seitdem. Ich hoffe, dass inzwischen mehr Menschen wissen, dass es diese Budgets gibt und dass ich mit meinem Beitrag verständlich machen konnte, wie klein es inzwischen ist und was das für jede/jeden Einzelnen bedeutet.

Danksagungen

Ich danke Dr. Cornelia Huth von Scientist Rebellion für Denkanstöße und Hilfe mit den Zahlen und Quellen und Jemand (TM) für die Sache mit dem persönlichen Restbudget und dem CO2-Ausstoß von Autos.

Quellen

carbon-connect AG. 2020. Der CO2-Fussabdruck eines neuen Autos: Elektro versus Verbrennungsmotor: die nicht ganz einfache Klimabilanz. Volketswil. https://www.carbon-connect.ch/de/co2-emissionen-autoproduktion/.

IPCC, 2021. Zusammenfassung für die politische Entscheidungsfindung. In Beitrag von Arbeitsgruppe I zum Sechsten Sachstandsbericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen [Masson-Delmotte, V., P. Zhai, A. Pirani, S.L. Connors, C. Péan, S. Berger, N. Caud, Y. Chen, L. Goldfarb, M.I. Gomis, M. Huang, K. Leitzell, E. Lonnoy, J.B.R. Matthews, T.K. Maycock, T. Waterfield, O. Yelekçi, R. Yu, and B. Zhou (eds.)] (ed.), Naturwissenschaftliche Grundlagen. https://www.de-ipcc.de/media/content/AR6-WGI-SPM_deutsch_barrierefrei.pdf.

Kraftfahrt-Bundesamt. 2022. Fahrzeugzulassungen (FZ) Bestand an Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern nach Fahrzeugalter 1. Januar 2022. Flensburg: Kraftfahrzeugbundesamt. https://www.kba.de/SharedDocs/Downloads/DE/Statistik/Fahrzeuge/FZ15/fz15_2022.pdf?__blob=publicationFile&v=5.

Sachverständigenrat für Umweltfragen. 2020. Für eine entschlossene Umweltpolitik in Deutschland und Europa (Umweltgutachten). (https://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/01_Umweltgutachten/2016_2020/2020_Umweltgutachten_Entschlossene_Umweltpolitik.html)

Sachverständigenrat für Umweltfragen. 2022. Wie viel CO2 darf Deutschland maximal noch ausstoßen? Fragen und Antworten zum CO2-Budget. Berlin: Sachverständigenrat für Umweltfragen. (https://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/04_Stellungnahmen/2020_2024/2022_06_fragen_und_antworten_zum_co2_budget.html)

Sachverständigenrat für Umweltfragen. 2024. Wo stehen wir beim CO2-Budget? Eine Aktualisierung. Berlin: Sachverständigenrat für Umweltfragen. (https://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/04_Stellungnahmen/2020_2024/2024_03_CO2_Budget.pdf?__blob=publicationFile&v=8)

Schwarz, Susanne. 2022. Budget für Deutschland: Nur noch wenige Gigatonnen CO2. taz. 15.06.2022 Berlin: Sachverständigenrat für Umweltfragen. (https://taz.de/Budget-fuer-Deutschland/!5858119/)