Seit über einem Jahr tobt die Diskussion über das Fliegen in und durch die deutschen Zeitungen und man würde denken, es sei alles gesagt. Den Artikel von Niels Boeing in der Zeit habe ich schon kommentiert. Und es gab auch schon eine Diskussion zum Beitrag von Tadzio Müller zum Thema Flugscham in der taz. Nun, auf ein Neues!
Als Vorbemerkung muss ich sagen, dass ich mich heute schon mal über die taz geärgert habe (wegen Olympia), weshalb der Post vielleicht etwas heftiger ausfällt. Der Blutdruck ist immer noch oben.
Klaus Hillenbrandt (KH) schreibt in der taz über WanderarbeiterInnen in der EU und dass diese doch auch ein Recht hätten, ihre Familien zu sehen und dass deshalb Billigflüge ein Segen seien.
Soziale Gerechtigkeit und das Recht auf Billigflüge
Klaus Hillenbrandt argumentiert, dass doch die Arbeiter aus Litauen ein Recht darauf hätten, ihre Familien zu hause zu besuchen und dass man ihnen die Billigflüge von Ryanair doch gönnen sollte. Zu Ryanair unten noch mehr. Es ist richtig, dass es innerhalb der EU Probleme und ein Reichtumsgefälle gibt. Aber was in KHs Argumentation ganz aus dem Blickfeld gerät, ist, dass wir ein globales Problem haben. Ein massives! Inseln versinken im Ozean, die Ernährung und Wasserversorgung von Millionen Menschen ist nicht gewährleistet. Millionen Menschen sind auf der Flucht! Und es werden mehr werden. Was fordern die Jugendlichen von Fridays For Future jede Woche seit über einem Jahr? What do they want? Climate justice! When do they want it? Now! Jibs och uf Berlinerisch.
Was bedeutet das? Das bedeutet, dass wir nicht auf Kosten des Südens leben können und zwar nicht des Südens in der EU sondern des globalen Südens. Es ist einfach unzulässig, das Recht darauf, seine Familie billig besuchen zu fahren über das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit zu stellen.
Ryanair
Was mich sehr erstaunt hat, ist, dass KH mit Billigflügen von Ryanair argumentiert und dass irgendwer ein Recht darauf habe. Ryanair ist eine der schlimmsten europäischen Firmen. Sie sind seit Jahren bemüht, Schlupflöcher zu finden, wie sie an Mindestlohngesetzen und dergleichen vorbei kommen. Sie stellen PilotInnen nicht direkt ein und finden auch sonst allerlei kreative Wege, ihre MitarbeiterInnen maximal auszubeuten.
Ryanair ist ein Sicherheitsrisiko für die gesamte Luftfahrt, weil sie, um Kosten zu sparen, mit zu wenig Kerosin starten. Wenn sie dann in Notsituationen nicht landen können, reicht der Sprit nicht und sie müssen sich bei den Landemanövern vordrängeln, weil es sonst ein Unglück geben würde. Das heißt, die niedrigen Preise kommen auf Kosten der anderen Airlines bzw. deren KundInnen zustande. PilotInnen fliegen krank, weil sie sonst kein Gehalt bekommen usw.
Das alles ist in einem sehr guten Video-Beitrag vom WDR dokumentiert.
Das heißt, dass die Billigflüge nur deshalb überhaupt möglich sind, weil PilotInnen und Kabinenpersonal gnadenlos ausgebeutet werden. Von TouristInnen und PendlerInnen gleichermaßen.
Subventionen
Bei der gesamten Diskussion sollte man berücksichtigen, dass der Flugverkehr subventioniert wird, nämlich dadurch, dass keine Steuern auf Kerosin erhoben werden und auch keine Mehrwertsteuer. Erhöbe man solche Steuern, könnte man diese in die Subventionierung des Bahnverkehrs stecken. Die Bahn-Strecken Richtung Litauen würden so auch wieder ökonomisch attraktiv und könnten eventuell wieder betrieben werden.
Klimafolgekosten
Das Umweltbundesamt hat errechnet, dass eine Tonne CO2 den Preis von 180€ haben müsste, wenn man alle externen Kosten einpreisen würde. Bei 9,864 Tonnen CO2 für die Flugreisen wären das 1775€ pro Jahr.
Pendlerpauschalen
Wenn man fände, dass EU-WanderarbeiterInnen ein Recht auf Flugreisen haben, dann könnte man ihnen entsprechende Steuern erstatten. Damit wäre der „Segen der Billigflüge“ schon etwas relativiert. Das liefe aber auf eine Subventionierung von Arbeitverhältnissen mit langen Anfahrtswegen hinaus, was eigentlich kontraproduktiv ist. Dasselbe Problem gibt es national mit Ost-West-Pendelei und lokal mit Stadt-Land-Pendelei. In jedem Fall sollten Pauschalen abgeschafft werden. Warum muss jemand, der sich für 40.000€ ein Auto mit entsprechendem Spritverbrauch leisten kann, vom Staat unterstützt werden? Wenn man soziale Gerechtigkeit ernst nimmt, sollte man die unterstützen, die es brauchen, nicht die anderen.
Visionen für Europa und den Osten, ja die ganze Welt
KH argumentiert mit sozialer Gerechtigkeit: Weil es in Litauen und Rumänien keine Arbeitsplätze gibt, müssen die Menschen in andere, reichere europäische Länder migrieren und dort arbeiten und dann ihre Verwandten besuchen. Wäre es nicht für diese Menschen auch besser, wenn sie in ihren eigenen Ländern leben und arbeiten könnten? Ich war in diesem Sommer in Rumänien. Es gibt dort keine HandwerkerInnen mehr, weil die alle irgendwo anders in Europa unterwegs sind.
Hätten die Ossis nach der Wende es nicht auch besser gefunden, wenn sie weiterhin in Magdeburg, Chemnitz, Brandenburg, Zwickau oder sonst wo hätten arbeiten können?
Würden es nicht viele Menschen aus dem Süden vorziehen in ihren Heimaten zu bleiben? Wenn wir ihnen das ermöglichen wollen, sollten wir aufhören, ihre Lebensgrundlagen zu zerstören. Und wir sollten über fairen Handel und über Umverteilung von Wohlstand nachdenken. Innerhalb der einzelnen Staaten und global. Ein interessanter Weg zu mehr Gerechtigkeit wäre die Einführung von Vermögensteuern. Ulrike Hermann hat über die Vermögenssteuer einen interessanten Artikel geschrieben.
Zusammenfassung
Genauso wenig wie es ein Recht auf Kohlebaggerfahren gibt, gibt es ein Recht auf Billigflüge. Man kann das Recht zu Reisen nicht über das der körperlichen Unversehrtheit von Millionen Menschen stellen. Wir müssen andere Wege finden, die sozialen Problem zu lösen und das Reichtums- und Wohlstandsgefälle abzubauen.
Im Zusammenhang mit unserer Selbstverpflichtungsaktion zum Verzicht auf Kurzstreckenflüge habe ich Menschen angeschrieben und sie auch um Mithilfe beim Crowdfunding für #12062020olympia gebeten. Eine Person hat mir geantwortet, dass sie ihre Unterschrift unter die Kurzstreckenflugaktion nicht öffentlich sehen will, weil sie mit Olympia nicht in Zusammenhang gebracht werden will. Das hat mich einigermaßen verwundert. 1) weil ich ja nicht der Organisator von Olympia bin und 2) weil Olympia eine grandiose Sache ist. In diesem Post will ich erklären, was Olympia ist und warum ich die Idee gut finde.
Die Grundidee
Während wir Normalos so darüber nachdenken, ob wir zur FridaysForFuture-Demo gehen sollen oder ob der nächste wissenschaftliche Aufsatz irgendwie doch wichtiger ist und ob wir einen Verein gründen sollten, in dem wir uns dann irgendwann engagieren können, haben ein paar Wahnsinnige aus Kreuzberg beschlossen, das größte Demokratieprojekt zu starten, das Deutschland je gesehen hat. Sie haben das Olympiastadion reserviert, um dann darin am 12.06.2020 Petitionen an den Bundestag zu verabschieden. Man kann sie dafür nicht genug bewundern, auch wenn wir WissenschaftlerInnen viele Dinge sorgfältiger geplant hätten: Wir haben die Zeit nicht! Die geplanten Dinge müssen jetzt stattfinden. In sehr kurzen Zeiträumen. Die Devise „Wir fangen einfach mal an und justieren dann nach.“ ist also genau richtig für die Zeit, in der wir leben.
Das Olympiastadion ist der größte Veranstaltungsort, den es in Berlin gibt. Bis zu 90.000 Menschen passen hinein. Wenn man sicherstellen will, dass alle TeilnehmerInnen gut sehen und hören, scheiden Alternativen, die einem vielleicht einfallen könnten, aus. Einzelpersonen können das Olympiastadion nicht mieten. Deshalb sind die Wahnsinnigen mit ihrer Firma als Vertragspartner für das Olympiastadion angetreten. Damit eine Petition im Petitionsausschuss des Bundestags besprochen wird, braucht man mindestens 50.000 Unterschriften. Die Petitionen sollen im kommenden halben Jahr ausgearbeitet werden (siehe unten) und dann am 12.06.2020 gemeinsam eingereicht werden. Die Veranstaltung wird gestreamt, so dass auch Menschen teilnehmen können, die nicht nach Berlin ins Olympiastadion kommen können oder wollen. Da die Versammlung am Tag stattfindet, an dem auch die Fußball-EM beginnt, werden überall im Land Leinwände für das Public Viewing aufgebaut sein. Es gibt also die Möglichkeit vor dem Fußballspiel Olympia-Content zu streamen.
Die Petitionen werden im Stadion vorgestellt und außerhalb des Stadions gibt es Stände, an denen man ins Gespräch kommen kann. Ein riesiges Netzwerk-Event.
Das ganze wird aufgelockert durch Beiträge von MusikerInnen und anderen Künsterlnnen. Ein riesiges Fest der Demokratie!
Themen und KooperationspartnerInnen
Bisher sind folgende Themen für Petitionen vorgesehen:
Klimaschutz und Biodiversität
soziale Gerechtigkeit
Demokratie
Fridays for Future Berlin und Scientists for Future (S4F) sind Kooperationspartner. S4F unterstützt das Projekt mit wissenschaftlicher Beratung. Es werden derzeit weitere Initiativen angesprochen, ob und wie sie unterstützen wollen.
Die Auswirkungen der Klimakrise werden immer mehr sichtbar und die wissenschaftlichen Prognosen zunehmend bedrohlicher. Zugleich sind die Gegenmaßnahmen völlig unzureichend. Die Mehrheit der Deutschen ist mit dem Klimapäckchen der Regierung nicht zufrieden. Die Regierung irgendwie auch nicht, spricht aber von der „Politik des Machbaren“. Die Petitionen sollen zeigen, wie es anders geht.
Neben den Klimafragen sollen demokratietheoretische Fragen aufgegriffen werden, weil wir jetzt Wege brauchen, um das, was „machbar“ ist, zu erweitern. Wir müssen Dinge tun, die die Politik nicht tun kann, weil sie in Lobbyistennetze verstrickt ist und/oder Angst vor den Medien/WählerInnen hat. Möglichkeiten sind ausgeloste repräsentative BürgerInnenversammlungen (Wikipedia dazu) und Lobbykontrolle, wie sie der Bürgerrat Demokratie als Erweiterung der parlamentarischen Demokratie fordert (Bericht tagesschau).
All die Dinge, die sich die For-Future-Bewegung wünscht, werden nicht umzusetzen sein, wenn soziale Fragen nicht mitberücksichtigt werden. Deshalb liegt ein dritter Schwerpunkt für Petitionen im sozialen Bereich.
Ein vierter Bereich ist noch offen. Dieses Feld kann dann zum Start der aktiven Arbeit an den Petitionen mit einem Thema, das viele interessiert, gefüllt werden.
TeilnehmerInnen: die ersten demokratisch ausgearbeiteten Petitionen und begleitende Demonstrationen
Viele, die zum ersten Mal von der Idee gehört haben, sehen nur das Riesen-Event, aber es ist nicht nur das Riesen-Event sondern noch viel mehr: Die Petitionen werden im halben Jahr vor dem Treffen im Olympiastadion ausgearbeitet und zwar von verschiedenen Arbeitsgruppen: von Menschen, denen das jeweilige Thema auf den Nägeln brennt, und von ExpertInnen, die sich diese Menschen dazu einladen. Das unterscheidet die Olympia-Petitionen ganz wesentlich von den Petitionen, die wir alle schon zu Hunderten unterzeichnet haben. Oft sind Petitionen einfach von Einzelpersonen oder von kleinen Gruppen auf die Reise geschickt worden. Hier werden sie aber von größeren Gruppen ausgearbeitet und man kann auch darauf achten, dass Personen mit verschiedenen sozialen Hintergründen beteiligt werden. Aus den im Vorfeld erarbeiteten Petitionen werden einige ausgewählt, die am 12.06.2020 dann im Stadion besonders präsentiert werden.
Eine solche gemeinsame Ausarbeitung von Petitionen ist bisher einzigartig und ich sehe darin eine große Chance für unsere Demokratie und die Beteiligung der BürgerInnen an den Geschehnissen in diesem Land und dieser Zeit.
Die Bedeutung von Petitionen
Bundestagsmitglieder sagen, dass Petitionen in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen haben und ernster genommen werden. Davon unabhängig befinden wir uns aber in einer besonderen Zeit. Wenn im Juni mit großem Getöse 10 Petitionen verabschiedet werden, die vielleicht 100.000 oder 200.000 UnterzeichnerInnen haben werden (streaming und Unterschriften im Nachgang der Aktion), dann kommt niemand an diesen Petitionen vorbei. Parteien müssen dazu Stellung beziehen. Wir bestimmen die politische Agenda! Und: Es sind Wahlen. Spätestens 2021. Das heißt, wir können festlegen, welche Themen in den Wahlprogrammen auftauchen werden. Die Olympiaidee ermöglicht so, vielen Menschen an demokratischen Prozessen teilzunehmen, die ansonsten verzweifelt zu hause oder auf der Couch eines Psychiaters sitzen würden.
Crowdfunding
Als Internet-Mensch kennt man sich mit Crowdfunding aus, aber für Olympia brauchen wir alle. Deshalb hier eine kleine Anmerkung dazu, wie Crowdfunding funktioniert. Bei Crowdfunding-Aktionen verpflichtet man sich, eine bestimmte Summe zu bezahlen. Diese wird abgebucht und man erwirbt damit ein Recht auf eine bestimmte Leistung. Wenn das Crowdfunding-Ziel nicht erreicht wird, bekommt man aber sein Geld zurück. Die ganze Sache ist also für die GeldgeberInnen komplett risikolos.
Zur Zeit sind 555.000€ eingeworben (update 24.12. morgens: 1.626.818 €). Gebraucht werden aber 1.8 Mio €. Dieser Betrag ist gigantisch, aber er wird für Stadionmiete, Technik und Security gebraucht. Wenn die Rolling Stones im Olympiastadion spielen, kosten Tickets 96€.
Die 96€ gehen nicht komplett auf die Konten der Stones. Davon muss eine riesige Maschinerie bezahlt werden. Der Aufwand für Olympia ist ähnlich (vielleicht abzüglich Kosten für das Feuerwerk zum Schluss, das ohnehin nicht umweltverträglich war), aber viel von diesem Aufwand wird ehrenamtlich geleistet. Die OrganisatorInnen haben ein Ticket mit 30€ kalkuliert, wobei da schon eine CO2-Kompensation mit eingerechnet ist.
Damit das Event stattfinden kann, muss die Abnahme von 60.000 Tickets garantiert sein. Sollte von diesem Geld etwas übrig bleiben, wird das dann für entsprechende Zwecke gespendet.
Bei startnext kann man ein Ticket für sich selbst kaufen, aber auch ein Ticket für sich und ein Ticket, das jemand anders geschenkt bekommt (https://www.startnext.com/12062020/). Man kann auch 1001 oder 1000 Tickets spenden. Wenn die Gesamtsumme nicht zusammen kommt, bekommen die UnterstützerInnen ihr Geld zurück.
Schlussfolgerung
Alles klar? Dann Konto gecheckt und crowdgefundet! Hier gehts zu startnext.
04.12.2019 Beitrag zur Pressekonferenz in der Gründerszene
03.12.2019 Beitrag zur Pressekonferenz im Tagesspiegel
Update: Kritikpunkte
Nachtrag 24.12. In den sozialen Medien und sogar auch in den klassischen werden immer dieselben Kritikpunkte besprochen, obwohl diese in der FAQ der VeranstalterInnen längst abgehandelt sind (leider kam die zu spät in dem ganzen Prozess). Zur unsäglichen Berichterstattung in der taz habe ich einen weiteren Blog-Post geschrieben. Hier noch einmal einige Punkte.
Repräsentativität, regionaler Bias
Nachtrag 24.12 Es kommt immer wieder der Vorwurf, die Versammlung sei nicht repräsentativ für die deutsche Bevölkerung. Das ist ein einigermaßen absurder Vorwurf, denn keine Demo, keine Versammlung ist repräsentativ. Es sei denn, sie wäre extra so zusammengestellt. Dafür, dass solche repräsentativ zusammengestellten BürgerInnenversammlungen Teil unseres demokratischen Prozesses werden, kämpft der Bürgerrat für Demokratie und ich persönlich würde das auch gern im Rahmen von Olympia unterstützen.
Ansonsten: Auch Fridays For Future ist nicht repräsentativ. Sie sind trotzdem großartig.
Genauso ist der Vorwurf eines regionalen Bias kein sinnvolles Argument:
Was ist daran schlimm, dass das in Berlin stattfinden soll? Es haben eben BerlinerInnen organisiert. Genauso könnte das Event in München stattfinden. Ich würde es dennoch unterstützen. Nachteil wäre, dass es in München keinen so großen Veranstaltungsort gibt. Das Olympiastadion ist der zweitgrößte in Deutschland. Und die Petitionen können im ganzen Land ausgearbeitet werden bzw. Menschen von außerhalb können teilnehmen. Extinction Rebellion arbeitet auch landesweit, ja sogar global. Das kann man mit Telekonferenzen machen. Kein Problem.
30.12.2019 Es gibt noch eine besonders schönen, weil so schön absurden Aspekt dieses Vorwurfs: „Das Ganze ist nicht repräsentativ, deshalb machen wir nicht mit.“ Würden sich alle in die Ausarbeitung der Petitionen einbringen, so könnte man sich dem Ideal der Repräsentativität annähern. Zumindest könnten alle Bevölkerungsgruppen beteiligt werden. Beteiligt man sich nicht, bedeutet das, das man auf irgendeinen späteren Termin wartet, zu dem man dann ausgelost wird oder jemand anders, der derselben sozialen Gruppe zugerechnet wird.
CO2-Fußabdruck des Events
Nachtrag 25.12.2019 Es wird mitunter angemerkt, dass das Event selbst einen CO2-Fußabdruck hinterlässt. Dieses Argument ist relativ merkwürdig, wenn man sich überlegt, wie das bei anderen Demos ist. Wenn Menschen sich versammeln, dann müssen sie irgendwie zum Versammlungsort kommen. So fahren Bauern mit ihrem Traktor in die Stadt oder Menschen mit dem Zug zum Hambacher Forst oder zu Ende Gelände in die Lausitz.
Ganz Großbritannien kam zur Rebellion Week nach London, um dort die Innenstadt zu blockieren.
Dass Menschen durchs Land reisen, ist normal für Demonstrationen. Das Stadion-Event kann man durchaus mit Demonstrationen vergleichen (lt. Wikipedia ist eine Demonstration eine in der Öffentlichkeit stattfindende Versammlung mehrerer Personen zum Zwecke der Meinungsäußerung). Der einzige Unterschied ist, dass der Platz im Stadion begrenzt ist, so dass vielleicht nicht alle im Stadion teilnehmen können, sondern das Ereignis per Streaming mitverfolgen müssen. Aber auch bei der Demo am 4. November 1989 auf dem Alexanderplatz konnten nicht alle die Bühne sehen. Eine Millionen Menschen waren einfach zu viel. Genauso bei der #unteilbar-Demo im Oktober 2018. Über 240.000 Menschen waren dabei, nur wenige konnten die Bühne an der Siegessäule sehen.
Würde man die KritikerInnen ernst nehmen, würde das bedeuten, dass wir uns nicht bewegen sollen. Nein, es geht bei Olympia auch um eine Demonstration! Und nur weil wir Ökos sind, heißt das nicht, dass wir nicht mehr zusammenkommen. Und dass es Konzerte gibt, kann man auch niemandem vorwerfen. Der einzige Unterschied zwischen #wirsindmehr, #unteilbar und #olympia ist, dass es Sitzplätze gibt (sehr sinnvoll bei einer neunstündigen Veranstaltung), dass alle besser sehen können und dass die Klos besser sein werden.2
Was nun Olympia von anderen Events abhebt, ist, dass der CO2-Schaden kompensiert wird. Und zwar für alles, was im Stadion stattfindet. Das ist großartig und soweit ich weiß, gab es das bisher nie für irgendeine Veranstaltung. Und wenn man möchte, dann kann man zusätzlich auch die Anreise kompensieren lassen. Auch das ist einzigartig.
Das schöne Geld! Was man damit alles machen könnte!
26.12.2019 Das einzige Argument, das ich halbwegs irgendwie als Argument anerkennen würde, ist: „Mann, 1,8 Mio Euro? Was man damit alles machen könnte!“ bzw. „Mann, was hätte man mit 2 Mio Euro alles machen können!“ Zwei Millionen Euro sind ein Haufen Geld, man könnte damit Projekte im Süden finanzieren, könnte Fridays For Future helfen, könnte die Streikkassen der Workers For Future füllen. Ich denke aber, dass es hier einen Denkfehler gibt: Es gibt diese Summe nur als einen Batzen, weil die Menschen die olympische Idee gut finden. Sie sonst einzuwerben ist nicht einfach. Es gelingt natürlich für manche Projekte. Menschen, die für Olympia gespendet haben, spenden auch bei FFF, bei Unicef, bei Amnesty International, Greenpeace, share the meal (Die haben ne coole app!) und sonstwo.
Aber niemand würde mal eben so zwei Millionen für FFF oder für die Streikkassen der Arbeiter zusammenbekommen.
Einfach weil der Spendenaufruf nicht durchdringt, weil es keine klare Motivation gibt, diese Crowdfunding-Summe zusammenzubekommen, weil die Menschen andere Dinge im Kopf haben usw. Interessanterweise kann Olympia aber auch genau bei diesem Problem helfen: Viele Menschen werden Olympia gemeinsam vorbereiten. Am Tag im Stadion werden noch viel mehr Menschen erreicht. Man kann in diesem Zusammenhang einfach weitere Crowd-Funding-Aktionen oder Spendensammel-Aktionen starten und diese auch im Stadion und davor und danach bewerben. Man stelle sich den ersten Streik mit Crowd-Funding-Streikkasse vor.
Die Olympische Idee ist so groß, dass ganz klar ist, warum manche Angst vor ihr haben.
Emotionalisierung der Massen
Ein Punkt, der immer wieder kommt, aber auf fehlender Information zum Charakter von Olympia beruht, ist folgender: „Ein Event, bei dem zehntausende emotionalisierte Menschen Petitionen durchwinken, ist ein Alptraum. Das hat nichts mit Demokratie zu tun.“ Dem kann ich nur zustimmen! Ich hasse gleichgeschaltete Massen. Insbesondere zusammen mit dem Olympiastadion kommen da ungute Gefühle auf. Ich bin aus dem Osten und weiß, wie es sich anfühlt, wenn Menschen versuchen, jemanden in eine bestimmte Richtung zu drängen. Ich war schon zu DDR-Zeiten in der alternativen Musikszene unterwegs (Gefahrenzone, AG Geige, die Art, die Anderen, Herbst in Peking, Firma, Freygang, Ich-Funktion, Hard Pop (mit Steve Binetti), Papierkrieg, Skeptiker, Feeling B, Sandow, Rosengarten, Freunde der Italienischen Oper, Die goldenen Zitronen)3 und arbeite auch in der Wissenschaft in einem Minderheitenframework (einfach weil es die bessere Theorie ist, ätsch). Ich habe über den Druck und Versuche zur Gleichschaltung auch in Der moralische Druck der Öko-Gutmenschen ist ja wie in der DDR geschrieben.
Aber: Olympia ist etwas ganz Anderes: Olympia ist ein Prozess, nicht nur ein Event. Das Event ist in der Mitte, aber davor gibt es drei große Phasen: 1) das Crowdfunding 2) die Zusammenstellung der Arbeitsgruppen, die Ausarbeitung der Petitionen, die Auswahl der Petitionen, die ins Stadion kommen. Die Hoffnung ist, dass die fast 30.000 UnterstützerInnen von Olympia und viele mehr sich an diesem Prozess beteiligen. Bisher ist Olympia fast ausschließlich in den sozialen Medien organisiert worden, weil die Presse der Idee wegen anfänglicher Nicht- bzw. Fehlkommunikation dem Projekt feindlich gegenüber stand (Ausnahmen sind RBB und ZDF [nennt mir mehr positive Beispiele]). Das wird hoffentlich jetzt anders. Die OrganisatorInnen haben auch einen entsprechenden Liebesbrief an die Medienschaffenden geschrieben. Der ganze Prozess wird also maximal transparent und öffentlich stattfinden. Wenn die Presse nicht will, dann machen wir auch das eben ohne sie, aber wir sind viele, so dass es für entsprechende Nachrichten auch einen Markt gibt [=:-(] und vielleicht wird es ja doch noch eine große Liebe. Ich würde nun erwarten, dass alle, die ins Stadion kommen und alle, die den Tag an irgendwelchen Bildschirmen oder Leinwänden verfolgen, sich mit den Themen beschäftigt haben. Oder vorsichtiger: viele.
Wenn die Petitionen mehrere Wochen vor dem Stadionereignis auf dem Bundestagsserver freigeschaltet werden, könnten sie bereits vor dem 12.06. die Quote von 50.000 Unterschriften erreicht haben, so dass es auch auf Einzelstimmen nicht mehr so ankäme. Es gäbe also keinen Grund, irgendwie Druck aufzubauen, und jede/jeder könnte sich frei entscheiden.
Letztendlich hängt natürlich viel von der Präsentation und der Moderation des Events ab. Die Petitionen selbst müssen natürlich mit Schwung vorgestellt werden, aber die Moderation könnte ja ein nüchterner und langweiliger Wissenschaftler übernehmen. Rauschartige Zustände wie zuletzt beim Crowdfunding von Olympia lassen sich dadurch vermeiden, dass im Stadion keine Zahlen über Petitionszeichnungen bekannt gegeben werden. Die Zahlen kann man zwar normalerweise auf den Petitionsseiten sehen, aber es ist sicher möglich, den Betreiber der Petitionsseiten des Bundestages darum zu bitten, die Anzeige der Zahlen auszuschalten. Die Ergebnisse würden dann nach dem Ende oder zum Ende der Veranstaltung bekannt gegeben.
Olympia ist mit diesem Höhepunkt in der Mitte nicht vorbei. Wenn wir am Freitag zehn oder wie viel auch immer Petitionen verabschiedet haben werden, heißt das nicht, dass die am Montag im Bundestag besprochen werden und am Dienstag ist die Welt oder zumindest das Land in Ordnung. Die Petitionen werden nach und nach in den Bundestag kommen und das muss von uns begleitet werden und zwar mit Action! Demonstrationen, Mahnwachen, was auch immer. Das heißt, es liegt ein Jahr Arbeit vor uns. Was brauchen wir dafür? Tja: Emotionen. Ärger (Jonny Rotten: Anger is an energy), Trauer, Wut, Fröhlichkeit. Möglichst in der richtigen Mischung und zur richtigen Zeit. Ich war im Oktober in London und es hat mich sehr beeindruckt, mit welcher Leichtigkeit und Effektivität Extinction Rebellion dort protestiert und blockiert hat.
Auch bei Fridays For Future-Demonstrationen spielen Emotionen eine Rolle: Wut, Wut auf uns Erwachsene, die das mit dem Klima nicht hinkriegen. Die ein Jahr lang nur blockiert haben. Also nicht wir jetzt sondern die anderen …
Wir brauchen Emotionen. Wir brauchen sie für das kommende Jahr. Im Stadion aber sollten wir den Ball flach halten.4
Emotionen, die wir nicht brauchen, sind Hilflosigkeit, Ohnmacht und die sich daraus ergebende Verzweiflung und Depressionen. Aber dagegen gibt es ein Mittel: Mitmachen im Olympia-Jahr! Los!