RAF, Linksradikalismus und Revolution

Seit Beginn des Crowdfundings für das Olympia-Projekt (siehe Warum ich Olympia gut finde) gab es immer wieder tweets von denselben Accounts mit denselben Kommentaren. Einer dieser Accounts hat auch meinen Blogpost taz lügt nicht kommentiert. Auf die Frage, was sie denn eigentlich wollten, kam keine Reaktion. Nach einem Gesprächsangebot kam keine Antwort mehr. Bei einem anderen Account, war es sehr klar, was der Account-Inhaber möchte:

Twitter-Profil, 24.12.2019

Ich hatte als Antwort auf eine Kritik geschrieben, dass wir die gegenwärtigen Probleme nur zusammen lösen können und MarktIsMuell dazu aufgefordert, mitzumachen. Nachdem ich aber seine RAF-Statements gesehen hatte, habe ich die Aufforderung zurückgenommen:

Screenshot 30.12.2019

MarktIsMuell fordert: „Deutschland muss brennen.“ Ja, es wird brennen. Es hat bereits gebrannt. 2019 ist der bisher größte Schaden entstanden und die Schäden werden noch größer werden (Bericht vom rbb): Die Wälder in Brandenburg und anderswo sind ausgetrocknet, sie brennen wie Zunder. Solche bzw. noch schlimmere Brände gilt es zu verhindern. Die Frage ist wie.

Hengameh Yaghoobifarah argumentiert heute in der taz gegen Olympia und fordert, dass linke Protestkultur wieder radikal wird:

Lasst uns im neuen Jahr stattdessen dafür sorgen, dass linke Protestkultur wieder radikal wird.

Hengameh Yaghoobifarah, taz, 30.12.2019

Was ist damit genau gemeint? Linksradikalismus? Laut Wikipedia ist der Begriff Linksradikalismus eine Selbstzuschreibung und nicht genau definiert. Was brauchen wir jetzt? Wir brauchen radikale Schritte: eine radikale Energiewende, eine radikale Verkehrswende, eine radikale Agrarwende, radikale Veränderungen beim Konsum und bei den Finanzen. Aus dem ganzen Klimaschlamassel kommen wir nicht raus ohne Gerechtigkeit zwischen Nord und Süd, zwischen oben und unten, global, national, regional. Wir brauchen linke Politik. Das alles muss sehr schnell gehen, wenn wir uns nicht selbst abschaffen wollen. Wir brauchen eine Revolution! Revolution ist wie folgt definiert:

Eine Revolution ist ein grundlegender und nachhaltiger struktureller Wandel eines oder mehrerer Systeme, der meist abrupt oder in relativ kurzer Zeit erfolgt. Er kann friedlich oder gewaltsam vor sich gehen. Revolutionen gibt es in den verschiedensten Bereichen des gesellschaftlichen und kulturellen Lebens. Als Antonyme gelten die Begriffe Evolution und Reform: Sie stehen für langsamer ablaufende Entwicklungen beziehungsweise für Änderungen ohne radikalen Wandel.

Eintrag für Revolution in Wikipedia, 30.12.2019

Brauchen wir eine gewaltsame Revolution? Wenn wir eine wollten, wer würde die machen? Sollte das nicht eine Mehrheit sein? Wenn es keine Mehrheit ist, was kommt dann nach der Revolution? Die Diktatur dieser Minderheit? Wenn es eine Mehrheit ist, sollten wir dann nicht mit dieser Mehrheit etwas ausrichten? Sollten wir nicht dafür sorgen, dass wir in einer Gesellschaft miteinander leben können, die handlungsfähig ist? Dazu brauchen wir mehr BürgerInnenbeiteiligung und Lobby-Kontrolle. Viele PolitikerInnen haben jede Scham verloren: Sie wechseln nach dem Ende ihrer Amtszeit direkt in den Vorstand von Auto-, Gas- oder Kohlefirmen. Und mit solch einer Art „Altersabsicherung“ in Aussicht machen sie auch entsprechende Politik. Das muss sich ändern. Dafür und für die Erweiterung unserer Demokratie durch repräsentative BürgerInnenversammlungen kämpft der Verein Mehr Demokratie e.V., einer der Berater des Olympia-Projekts.1

Was meint Hengameh Yaghoobifarah mit radikal? Ziviler Ungehorsam kann es nicht sein, denn den haben wir ja schon: Ende Gelände, Extinction Rebellion, Sand im Getriebe und Am Boden bleiben gibt es bereits (Bilder). All diese Bewegungen sind gewaltfreie Protestformen. Es kann nur gewaltfrei gehen. Ich war am 8.10.1989 in der Gethsemanekirche. Die Polizei stand davor. Mit Gewalt hätten wir keine Chance gehabt und auch jetzt ist Gewalt keine Lösung (siehe auch Fun with Extinction Rebellion). Unsere Kinder kämpfen seit einem Jahr für eine Zukunft. Wollt Ihr, dass sie zu Waffen greifen? Wollt Ihr das?

TheoRadicals live auf der FridaysForFuture-Demo am U-Bahnhof Französische Straße, Friedrichstraße, Berlin, 29.11.2019, sehr gute Texte (soundcloud), aber sie singen auch von der Zeit nach der Revolution. Was für eine Revolution ist gemeint? Eine friedliche? Wie kommen wir da hin?

Die Situation jetzt ist anders als vor 30 Jahren. Damals gab es eine Krise im Ostblock, die Krise, in der wir uns jetzt befinden, ist eine globale. Ich habe mich in London mit einem XR-Mitglied unterhalten und er hat mir von einer Handvoll Superreicher erzählt, die jemanden von XR zum Vortrag eingeladen haben. Er wollte ihnen den üblichen Klimavortrag halten, hat dann aber festgestellt, dass sie nur wissen wollten, was sie tun müssten, um nach der Revolution am Leben gelassen zu werden. Das ist eine lustige Geschichte, denn XR möchte die Demokratie durch repräsentative BürgerInnenversammlungen ergänzen und nicht Superreiche umbringen und die Demokratie abschaffen, aber der Punkt ist, dass, wenn wir nicht jetzt sofort handeln, niemand am Leben bleiben wird, jedenfalls nicht so, wie wir jetzt leben und auch der ganze akkumulierte Reichtum wird einfach wertlos sein.

K.I.Z: Hurra die Welt geht unter. Wird gern auf FFF-Demos gespielt. Im Video ist der Anfang ein Atomschlag. Alternativ kann man dort auch die Klimakatastrophe einsetzen.

Die Revolution im Osten war gewaltlos. Sie hätten geschossen. Die Armee stand bereit. Nach dem Oktober und November gab es runde Tische. Die Ossis wurden drüber gezogen, weil sie keine Ahnung hatten. Olympia könnte der Prozess sein, bei dem sich die Gesellschaft (zumindest in einem Land) darüber klar wird, was geht und wie. Die Transformationen sind nur zu bewerkstelligen, wenn wir alle mitnehmen. Sorry, auch wenn das manchen Linksradikalen weh tut: Wir brauchen alle oder zumindest viele, wir brauchen die 27%, die uns schon abhanden gekommen sind. Es hilft nicht, wenn wir Revolution machen und dann hinterher feststellen: Ups, der einzige hier draußen bin leider wieder ich.

Nochmal: Die entscheidende Frage ist, wie man den radikalen Wandel einleiten kann, den wir jetzt brauchen. Die RAF hatte irgendwie die Idee, ein paar miese Typen umzubringen und dann würden die Massen ihnen zustimmen und dann wäre alles gut. Das hat nicht ganz geklappt, was die RAF auch eingesehen hat, weshalb sie sich dann aufgelöst hat.

Ted Gaier von den Goldenen Zitronen: „Damals haben wir gegen einen Sozialstaat gekämpft, weil wir dachten, es gäb noch was Besseres“ beim Konzert im Festsaal Kreuzberg, Berlin, 01.05.2019

Die auf Wettbewerb und Maximalprofit ausgerichteten Gesellschaften haben nun eine Situation herbeigeführt, in der unsere Weiterexistenz bedroht ist. Man kann jetzt darauf warten, dass sich eine revolutionäre Situation ergibt und irgendwie RAF 2.0 spielen. Oder man versucht, ein paar Bremsen einzuziehen: Grenzen für Kapitalakkumulation, Vermögenssteuer, Finanztransaktionssteuern usw. Bessere Beiteilung aller an demokratischen Entscheidungen, weniger Lobbyeinflußmöglichkeiten usw. Olympia ist mehr oder kann mehr sein, als ein paar Petitionen. Es könnte ein großer runder Tisch werden, an dem wir uns alle klar darüber werden, wie ein Weiterleben möglich sein könnte. Warum sollte so etwas funktionieren? Warum sollten die 1% uns irgendetwas abgeben? Die Antwort ist einfach: Auch sie wollen leben. Ihr Reichtum würde ihnen nichts nützen, wenn sie niemanden mehr hätten, der ihn mehren würde. Also: Bevor die gewaltsamen Revolutionen kommen, lasst es uns noch ohne Gewalt versuchen. Gemeinsam mit Extinction Rebellion, Ende Gelände, Am Boden Bleiben, Sand im Getriebe kann Olympia eine weitere Komponente in der politischen Landschaft sein, die Druck auf die Regierenden aufbaut.

taz lügt nicht

In diesem Post geht es um das Demokratie-Projekt 12062020olympia. Ich habe das Projekt im Blog-Post Warum ich Olympia gut finde bereits beschrieben, hier geht es nicht um das Projekt selbst sondern um die Berichterstattung darüber in meiner Lieblingszeitung der taz. Am 18.11.2019 gab es in der Markthalle neun in Kreuzberg eine Auftaktveranstaltung der OrganisatorInnen und UnterstützerInnen. Ich war da und habe Bilder gemacht. Die taz war wohl nicht da, hat aber eine Woche später negativ berichtet. Ich habe diesen Bericht auf Uninformiertheit zurückgeführt, denn viele Behauptungen, die in diesem Artikel enthalten sind, sind falsch oder einseitig präsentiert. Zudem ist der Artikel von Neid und Mißgunst geprägt, letztendlich auch basierend auf falschen Annahmen. Für die Uninformiertheit muss man leider die OrganisatorInnen verantwortlich machen, denn es gab zum Start des Crowdfunding keine Web-Seite, die alles schön übersichtlich erklärt hätte. Ehm, es gab gar keine Web-Seite. Von der taz hätte man – anders als von der Bild-Zeitung, die ähnlich berichtete – erwarten können, dass sie zum Treffen in der Markthalle kommen, da scheinen sie nicht getan zu haben, denn ihr Artikel bezeugte ihre Ahnungslosigkeit.

OK. Fehler passieren. Auch ist die taz eine Zeitung, in der man durchaus unterschiedliche Meinungen antreffen kann. Auch gibt es ein pro/contra-Format, das ich sehr schätze. So habe ich gehofft, dass es noch weitere Artikel und Diskussion in der taz geben würde. Heute ist ein zweiter Artikel erschienen. Und dieser Artikel ist eine große Enttäuschung. Ich bin nicht nur enttäuscht, ich bin wütend! Ich lese die taz seit fast dreißig Jahren und ich habe mich schon öfter geärgert (z.B. über die Werbung des Rüstungs- und Autokonzerns Daimler in der Jugendtaz), aber wütend war ich eigentlich noch nie. Die „Ich-kündige-mein-Abo“-LeserInnenbriefe fand ich immer irgendwie lustig, sie gehörten zur taz-Folklore dazu. Ich habe nie darüber nachgedacht, mein Abo zu kündigen und denke auch jetzt nicht darüber nach. Aber es fehlt jetzt Geld und ich werde es mir von der taz borgen. Dazu gleich mehr, jetzt erstmal zum Artikel.

Der Artikel in der heutigen Printausgabe der taz hat die folgende Überschrift:

Tendenziöses Framing in der taz, Printausgabe 21.12.2019, S. 7

Framing

Im Artikel selbst wird das Wort Hipster wieder aufgegriffen und zwar mit Zitaten:

„Eine Hipsterveranstal­tung für eine weiße Mittel­standsblase“ nannten Twitter­ User*innen das Event

In Kombination mit der Überschrift könnte man vermuten, dass die taz behauptet, dass es sich bei den OrganisatorInnen/zukünftigen TeilnehmerInnen nicht um Hipster handelt. Trotzdem wird in der Überschrift dick und fett das Klischee wiederholt. Die Negation spielt dabei keine Rolle, was man aus der sprachwissenschaftlichen Forschung weiß. Auch wenn man ein falsches Frame negiert, wird es gestärkt. (Das passiert mit dieser Diskussion leider auch, bitte betrachten Sie den Beitrag als wissenschaftlichen Fachbeitrag, ich bin Linguist.)2 Ich habe das auch mit dem Titel des Beitrags gezeigt: In bestimmten Teilen Berlins sieht man Grafitti mit „taz lügt“. Selbst wenn ich diesen Spruch negiere, bleibt immer etwas haften bei der LeserIn, denn die Assoziation zwichen taz und lügen wird bei jedem gemeinsamen Vorkommen der beiden Wörter gestärkt.

Tendenziöse Berichterstattung mit Bezug auf alten Diskussionsstand

Der zitierte Tweet (im PDF der taz verlinkt) ist vom 21.11. also ganz vom Anfang der Diskussion, als noch nicht allen klar war, was genau geplant ist. Wie ich in meinem ersten Blog-Post zum Thema mit Bezug zur nun vorhandenen Web-Seite der OrganisatorInnen dargestellt habe, findet Olympia nicht nur im Stadion statt. Die Veranstaltung wird gestreamt und alle können teilhaben, ob nun am eigenen Bildschirm oder beim Public Viewing vor dem EM-Eröffnungsspiel. Außerdem sind mehr als die Hälfte der Tickets Spenden, so dass Menschen, die es sich nicht leisten können, dennoch teilnehmen können (zu spendenfinanzierten Kliamveranstaltungen siehe unten). Das war der taz auch vor dem Schreiben des Beitrags bekannt. Das weiß ich genau, denn ich hatte meinen Blog-Post mit Hinweis auf die Unterstützung durch Scientists4Future Berlin-Brandenburg und das Erreichen der Millionengrenze an die Redaktion und die LeserInnenbriefabteilung geschickt.

Auch bei diesem Zitat lügt die taz nicht:

Auch ihre Berliner Orts­gruppe hat mittlerweile ein ablehnendes Statement veröf­fentlicht. Das Olympia-Projekt komme einem „Event näher als einer repräsentativen demokra­tischen Versammlung“, schreiben sie in einem Statement.

taz zitiert FFF-Statement

Das ist wohl wahr, nur geht es am Punkt vorbei. Es hat nie jemand behauptet, dass Olympia eine repräsentative Versammlung werden solle. FridaysForFuture ist auch nicht repräsentativ. Wir verdanken FFF sehr viel und gerade auch der Berliner Gruppe. Ich denke, dass das die taz auch anerkennt. Die Situation in Bezug auf das Klima ist schrecklich, aber sie wäre noch viel schlimmer, wenn wir FFF nicht (gehabt) hätten. Zu sagen, die Bewegung XY ist nur eine dämliche Mittelschichtsveranstaltung, ist Bildzeitungsniveau. Genauso wurde nun schon ein Jahr gegen FFF argumentiert und wird nun eben auch gegen Olympia argumentiert. Paradoxerweise auch von FFF selber. Hey FFF, Ihr seid auch nicht repräsentativ, aber trotzdem großartig!

Die taz macht sich also formal die Hände nicht schmutzig, sie zitiert ja nur. Das macht sie aber selektiv und tendenziös. Sie hätte erwähnen können, dass die PsychologInnen for Future, die Parents For Future und die Scientists for Future Olympia unterstützen. Sie hätte erwähnen können, dass die Genossenschaftbank GLS-Bank, der Grundeinkommen-Verein, Günter Faltin und die Entrepreneurs For Future, Mehr Demokratie e.V., Open Petition German, Zerochange.org, Demokratie in Bewegung und Schule im Aufbruch dabei sind. Sie hätte erwähnen können, dass es ein Potential gibt, nicht nur das Klimaproblem sondern auch Probleme mit Gleichstellung, Diversität und sozialer Teilhabe Gegenstand von Petitionen sein werden. Das sind alles Anliegen der taz, weshalb diese selektive Berichterstattung sehr verwundert.

Und. Und! Und sie hätte wissen können, dass Olympia am Freitag vor und während der regulären -Demo bei FFF im Invalidenpark war.

Olympia und FFF Berlin am 13.12.2019 gemeinsam im Invalidienpark

Ey, taz, vielleicht habt Ihr die Verbindung zu den Bewegungen verloren. Vielleicht seid Ihr einfach alt und keine Hipster und keine Jugendlichen. Wird’s jetzt unsachlich? Ja! Ich bin wütend! Ich darf das. Ich schreibe hier nur meinen Blog, aber Ihr, Ihr macht ’ne Zeitung und da hat alles sachlich zu sein, außer auf der Meinungsseite oder bei „Die steile These“ vielleicht, aber der Beitrag war auf der Politikseite.

Hipster

Vorweg: Ich mag Hipster auch nicht. Irgendwann so zwischen 2001 und 2010 gab es eine Initiative, den Gneistplatz im Prenzlauer Berg verkehrszuberuhigen. Ich bin da hingegangen und da waren 10 Menschen, die mit sich selbst beschäftigt waren, mich überhaupt nicht wahrgenommen haben und mit Sekt angestoßen haben. Mir war klar: Das ist nicht meine Welt. Ich bin inzwischen aus dem Prenzlauer Berg weggezogen. Wegen der Hipster.3 Aber, liebe taz, kennt Ihr denn die VeranstalterInnen? Habt Ihr mit ihnen gesprochen? Das sind inzwischen sehr viel mehr, als die Einhorn-Leute. Und die Einhorn-Leute persönlich sind auch sehr ok. Was Ihr macht, sind direkte Ad Hominem-Argumente (Ihr greift Personen an, statt Euch mit Inhalten auseinaderzusetzen) und das ist unterste Schublade. Es geht nicht um zehn Personen, die es gern an ihrer Kreuzung leise und abgasfrei haben wollen. Es geht um Menschen, die die drängendsten Probleme unserer Zeit lösen wollen, genauer: Die NGOs und anderen eine Plattform zur Verfügung stellen wollen, mit der wir dann gemeinsam die Probleme lösen können. Warum hasst Ihr sie dafür?

Deniese von Extinction Rebellion und Parents For Future diskutiert bei der Auftaktveranstaltung in der Markthalle neun mit Frauen, die sich in Arbeitsgruppen zur Ausarbeitung von Petitionen bzgl. Diversität und Teilhabe einbringen wollen.

Kommunisten, Sozialdemokraten und Nazis

Lieber taz, was gerade in diesem Land passiert ist genau dasselbe, wie vor 1933. Die Kommunisten und Sozialdemokraten hauen sich die Köppe ein, die Nazis geben ihnen den Rest und übernehmen dann. Wir können die zu lösenden Problem nicht in kleinen Gruppen lösen. Schon gar nicht in der noch zur Verfügung stehenden Zeit. Es wäre also sehr schön, wenn wir uns nicht dauernd selbst die Beine weghauen würden.

Wirklich? Andere Protestformen sind kostenlos?

Und übrigens: Auch Eure Bildunterschrift ist falsch: Der Straßenprotest ist nicht kostenlos.

Falsche Bildunterschrift in der taz: Umsonst ist der Tod.

Am Anfang der Proteste haben FFF-Berlin Geld gesammelt, damit sie ihre Anlage kaufen konnten. Bei den Großveranstaltungen wird eine PA gestellt, die es in sich hat.

Seeed spielen live auf der FridaysForFuture-Demo am Brandenburger Tor, Berlin, 29.11.19, „Boxentürme massieren deine Seele.“ Man sieht die Türme im Hintergrund.

Die gibt es auch nicht für Umme. Und? Wo kommt das Geld her? Von uns, von SpenderInnen. Teilweise in Aktionen eingeworben, teilweise auf den Veranstaltungen selbst.

SpendensammlerInnen mit großen Geldsammelgefäßen bei NeustartKlima am 29.11.2019 inBerlin

Bei Olympia geht das nicht, denn das Stadion, die Telekom-Infrastruktur, die Bühnen, die Security muss vorher finanziert werden.

Konsequenz: Ich borg mir mal Geld von der taz

Eine positive Berichterstattung in der taz hätte vielleicht 100.000–200.000€ gebracht. Dieses Geld fehlt nun. Ich habe mich deshalb entschlossen, noch 100 Tickets zu kaufen.

Crowdfunding-Optionen auf startnext

Das geht nicht mal eben so. Deshalb werde ich mir das Geld von der taz borgen. Ich bin taz-Genossenschaftler. Schon in den 90er Jahren habe ich überlegt, was mir eine solche Tageszeitung wert ist, und habe seit dem immer wieder Genossenschaftsanteile gekauft. Auch der taz-Stiftung habe ich Geld für das neue Redaktionsgebäude gespendet. Die Genossenschaftanteile habe ich erst vor kurzem wieder aufgestockt, weil wir die taz auf alle Fälle als Stimme in der Klimakrise brauchen. Die Anteile hole ich mir nun aber zurück. Wenn ich nach Olympia dann wieder Geld habe, dann zahle ich es wieder ein.

Ich werde dann sagen können, dass ich dabei gewesen bin. Die taz wird zumindest beim Crowd-Funding nicht dabei gewesen sein. Vielleicht verstehen sie ja, was passiert, wenn die Arbeitsgruppen mit ihrer Arbeit beginnen.

Wer noch unterstützen/Tickets kaufen will, kann das bei startnext tun. Egal ob 15€ oder 30.000€, jeder Euro zählt. Haut rein!

Anhang: Unerwiderte Liebe

Nur damit das wirklich klar ist: Ich liebe die taz! Ich verbringe je nach Arbeitsbelastung 30–60 Minuten täglich mit ihr. Ich frühstücke mit ihr, ich gehe mit ihr ins Bett und ich nehme sie mit auf’s Klo. Die Artikel über Umweltfragen sind hervorragend (meistens), Ulrike Herrmann schreibt sehr aufschlussreich und anders als AutorInnen in anderen Zeitungen über Wirtschaftsthemen. Berichterstattung über den Osten ärgert mich manchmal, aber es gibt mit Anja Meier und Simone Schmollak auch da sehr gute AutorInnen und die taz hat zumindest das Problem mit der Berichterstattung über den Osten erkannt.

Seit ich Geld verdiene (1994), bezahle ich den politischen Preis der taz, der höher liegt als der normale Preis und AbonentInnen mit dem Leider-leider-Preis subventioniert. Seit einiger Zeit habe ich ein online-Abo noch dazu.

Auf twitter hat jemand geschrieben, ich würde mich wie ein vierjähriges Kind benehmen, dem man sein Lieblingsspielzeug nicht gekauft hat. Ich habe dem zugestimmt, möchte das aber revidieren. Die Emotion ist ungleich stärker, denn es handelt sich um unerwiderte Liebe. Ich denke immer noch, dass die taz Olympia gutfinden müsste. Und wer weiß, vielleicht tut sie das ja auch. Wir haben bisher zwei Stimmen aus der taz gehört und das waren jeweils nicht die Umwelt-RedakteurInnen. Diese zwei Artikel haben bei den Olympioniken sehr viel kaputt gemacht, aber meine Liebe ist so groß, dass ich uns eine zweite Chance geben würde.

NeustartKlima: taz-Mitarbeiterin verteilt die Klima-taz bei der FridaysForFuture-Demo , Berlin, 29.11.19

Die Aktion mit den Anteilen ist ohnehin symbolischer Natur, weil ich die Anteile ja wieder einzahlen werde. Das heißt, dass der Schaden, der entstehen wird, der Höhe der Zinsen/Kursgewinne entspricht, die die taz für das Geld in der Zeit bekäme, die ich zum Rückzahlen brauche. Ich weiß nicht, wie viel das genau ist, weil ich nicht weiß, was die taz mit dem Geld macht, aber der Betrag wird nicht groß sein. Und ich habe auch vor, weiterhin neue Anteile zu erwerben, so dass wirklich kein wirtschaftlicher Schaden entsteht. Ein politischer Schaden ist natürlich entstanden, aber das liegt an dem unterirdischen Artikel, diesen Schaden hat sich die taz selbst zuzuschreiben.

Zusammenfassung: Liebe taz, Ich hoffe, wir sehen uns im Olympiastadion. Vielleicht könnt Ihr drinnen keinen Stand haben, weil Ihr eine kommerzielle Einrichtung seid. Aber RedakteurInnen sind natürlich herzlichst willkommmen und Ihr dürft die taz natürlich vor dem Stadion verteilen.

NeustartKlima: taz-Mitarbeiter verteilt die Klima-taz bei der FridaysForFuture-Demo , Berlin, 29.11.19

Am Boden bleiben, Berlin, 2019-11-10

Symbolische Blockade des Flughafens Berlin Tegel (TXL) durch Am Boden bleiben (stay grounded). Die BlockiererInnen hatten angekündigt, dass sie so blockieren wollen, dass niemand seinen Flug verpasst, und haben die Blockade auch so durchgeführt. Die Polizeit hat aber am Tunnel zu Tegel Flugtickets kontrolliert und so einen enormen Stau verursacht. Busse endeten mehrere hundert Meter vor dem Flughafen, so dass Passagiere laufen mussten.

Der Gewaltbegriff von Extinction Rebellion: eine Antwort in Bildern

In seinem Artikel Agressiv friedlich in der taz schreibt Simon Sales Pedro, dass Extinction Rebellion keine Bewegung für alle sein kann, weil dies schon am von XR angenommenen Gewaltbegriff scheitern müsse. Er hält das Prinzip der Gewaltfreiheit für eine Illusion.

Lieber Herr Sales Pedro, Sie schreiben:

Man sei ein gewaltfreies Netzwerk, heißt es online unter Punkt neun auf der Liste der Prinzipien und Werte. Auf der Straße sieht das dann so aus: Als am Montag die Polizei in London eine Blockade auflöste, sangen die Demonstrierenden „Polizei, wir lieben euch, wir tun das auch für eure Kinder“. Und nachdem die Berliner Behörde am Dienstag den besetzten Potsdamer Platz räumte, applaudierten die Aktivist*innen und bedankten sich – bei der Polizei. Das muss wohl dieser zivile Ungehorsam sein.

Ja, das ist der zivile Ungehorsam. Ich habe mich gestern hier in London lange mit einem Mann über Gewalt unterhalten. Ich habe ihn gefragt, wieso es die Protestierenden schaffen, am Trafalgar Square Dutzende Zelte aufzustellen.

Zelte am Trafalgar Square, London, 08.10.2019

Er meinte, dass die Polizei nicht hinterherkäme. Er hat mir gesagt, dass in London zur Zeit nur Londoner Polizei eingesetzt wird. Ich habe ihm von den „Mai-Revolutionen“ in Berlin erzählt und dass da Tausende PolizistInnen im Einsatz waren. Er meinte, dass sich das sofort ändern würde, wenn XR gewalttätig wäre. Der Trafalgar Square ist besetzt. Brücken waren besetzt, die Zufahrten zur Westminsterbrücke ist immer noch besetzt. Das ist gewaltfreier ziviler Ungehorsam.

Wenn Extinction Rebellion dazu aufruft, sich von der Polizei festnehmen und wegtragen zu lassen, dann schließt man dadurch alle Menschen aus, die das nicht tun können – wegen ihrer Hautfarbe, wegen ihres Arbeitsverhältnisses oder ihres Aufenthaltsstatus.

Das ist richtig. Ich bin Beamter und kann mich deshalb nicht verhaften lassen. Bin ich deshalb traurig, weil ich nicht mitmachen darf? Bin ich benachteiligt? Nein, denn es gibt ganz viele verschiedene Möglichkeiten, sich zu beteiligen, sich einzubringen. KollegInnen von mir beherbergen RebellInnen, die nach Berlin kommen. Andere helfen, indem sie Comics zur Wissenschaftsillustration zeichnen. Und selbst wenn man auf die Straße gehen will, heißt das nicht, dass man sich verhaften lassen muss. Am 07.10.2019 hat die religiöse Rebellion die Lambeth-Brücke in London blockiert. Das folgende Bild zeigt einen Muslim und eine Muslima, die zu den anderen gesprochen haben. Ob sie sich verhaften lassen haben, weiß ich nicht, es war jedenfalls nicht notwendig.

Muslim und Muslima sprechen bei Brückenblockade in London, Lambeth-Bridge, 07.10.2019

Extinction Rebellion müsse die komplexen Realitäten aller von der Klimakrise Betroffenen berücksichtigen, statt sich ihre Kämpfe anzueignen. Die mangelnde Sensibilität hierfür könnte daher rühren, dass Extinction Rebellion wie so viele Klimabewegungen vor allem eines ist: weiß.

Ich frage mich ernsthaft, wie man sich als Bewegung hier richtig verhalten sollte. Die Aufgaben, die vor uns liegen, sind so gewaltig, wie kann man da jemandem vorwerfen, er wolle einem Arbeit wegnehmen, zumal wenn er dazu aufruft, die Arbeit gemeinsam zu erledigen.

Eine Klimabewegung, die sich selbst ernst nimmt, muss intersektional denken. Sie muss Rassismus und Sexismus ablehnen, sie muss den Kapitalismus kritisieren.

Der Witz an XR ist, dass diese Bewegung niemandem vorschreibt, was er oder sie muss – abgesehen von einigen Grundregeln wie zum Beispiel Gewaltfreiheit. Wenn man lange genug über die Lage nachdenkt, kommt man von allein drauf, dass unsere Regierungen in dem Rahmen, in dem sie agieren, gefangen sind. Das Klimapäckchen der deutschen Regierung ist das beste Beispiel dafür, wie eine Regierung versucht, alles, was irgendwie wehtun könnte auf nach den Wahlen zu verschieben. Das ist der demokratische Ansatzpunkt von XR: Bürger*innenversammlungen aus zufällig repräsentativ ausgewählten Bürger*innen können helfen, das Problem zu lösen. Sie können der Regierung Vorschläge unterbreiten, die diese dann umsetzen können, ohne sich vor ihren Wähler*innen dafür rechtfertigen zu müssen, denn die Legitimation hätten sie direkt vom Volk bekommen. Diese Bürger*innenversammlungen (damals noch Bürgerversammlungen) gab es übrigens schon damals in Griechenland.

Ob man bei den anstehenden Veränderungen gleich noch den Kapitalismus abschafft, abschaffen kann, ist eine interessante Frage. Mir persönlich würde schon reichen, wenn man das Überleben der Menschheit sichern könnte. Die anstehenden Transformationen werden ohnehin so gewaltig sein, dass wir unsere Gesellschaften dann nicht mehr wiedererkennen werden. So oder so.

Statt sich gut gelaunt von Polizisten festnehmen zu lassen, müsste man anprangern, dass vor allem Schwarze Menschen von Polizeigewalt betroffen sind.

Den dass-Satz möchte ich als Meta-Whataboutism bezeichnen. Wieso soll XR Gewalt gegen Schwarze Menschen anprangern? Bei XR geht es um die Klimakatastrophe, Gewalt gegen Schwarze ist ein Problem, das gelöst werden muss, aber nicht noch zusätzlich auch noch von XR. (Die Bewegung der schwarzen Amerikaner*innen ist übrigens ein Vorbild von XR)

Ansonsten denke ich, dass Sie sich für diesen Satz bei allen an XR Beteiligten entschuldigen sollten. Ich zeige Ihnen ein paar Bilder von zwei Tagen in London. Das erste Bild zeigt eine hochbetagte Frau, die sich hat festnehmen lassen (07.10. Trafalgar Square). Sie wirkte auf mich sehr zerbrechlich, von guter Laune keine Spur.

Hochbetagte Frau mit Stock wird am Trafalgar Square festgenommen. Der Polizist trägt ihren Rucksack. Rechts der Mann ist Leagle Observer. Die Umstehenden klatschen Beifall für sie und rufen „We love you“. Auf dem T-Shirt in Rot steht: „Labor Party says no to … Fascism Racism Antisemitism Islamophobia“

Die Männer und Frauen im und am Auto haben sich mit Schlössern am Auto angeschlossen oder miteinander verbunden.

Sie sitzen jetzt bereits über zwei Tage in diesem Auto oder liegen daneben bzw. darunter. Es hat teilweise stark geregnet. Der Mann außerhalb des Autos ist wahrscheinlich unterkühlt. Keiner von ihnen konnte sich in dieser Zeit richtig bewegen. (Toilette!?!) Einfach schon so lange in einer Körperhaltung zu liegen oder zu sitzen ist eine enorme Leistung.

Die zwei Frauen auf dem folgenden Bild haben sich mit Fahrradschlössern am Kopf zusammengeschlossen.

Zwei Frauen haben sich mit Fahrradschlössern am Kopf zusammengeschlossen.

Um sie zu trennen, hat die Polizei ihre Köpfe mit feuerfestem Tuch abgedeckt, ihnen Schutzbrillen aufgesetzt und die Schlösser dann mit einem Trennschleifer aufgesägt. Die Polizistin hat die eine Rebellin gefragt, ob sie gehen möchte, ansonsten würde sie verhaftet. Die Rebellin hat erklärt, dass sie verhaftet werden möchte.

„Sie können gehen, wenn Sie wollen.“ „Nein, bitte verhaften Sie mich.“

Ihre Mitstreiterin war beim Abtransport ohnmächtig oder wirkte zumindest so.

Eine gut gelaunte Festnahme sieht anders aus.

Aber jenseits der Festnahmen gab es durchaus gute Laune. Das folgende Bild zeigt einen Sänger, der auch in Faslane beim Peace-Camp gegen die dort stationierten Atom-U-Boote dabei war. Er spricht über die Polizist*innen, die auch nur ihren Job tun und ansonsten vielleicht sogar auf ihrer Seite wären. Als Beispiel erzählt er von Faslane, wo es ein sehr gutes Verhältnis zur Polizei gab und die Polizist*innen am Tag vor der Festnahme der Aktivist*innen angerufen haben, um nachzufragen, wer vegetarisches und wer veganes Essen bevorzuge.

Sänger berichtet von der Polizei in Faslane, die vor den Festnahmen angerufen hat, um sich zu erkundigen, welche AktivistInnen welches Essen bevorzugen.

Ich kann solche Polizei-Erlebnisse aus Faslane persönlich bestätigen. Ich war 1993 zum Valentinstag dort und die Polizist*innen halfen uns, Plakate am Zaun zu befestigen, denn das Gewebe des Zauns war so engmaschig, dass man keinen Faden hindurch und wieder zurück bekam. Sie halfen uns von der anderen Seite. Auch gestern bei der Losschneideaktion kam mir ein Polizist entgegen und hat sich nach Absprache extra so hingestellt, dass ich photogoraphieren konnte. Ziel von XR ist es, London/Berlin/whatever möglichst lange besetzt zu halten. Möglichst viele und gute Bilder zu bekommen und damit in die Medien zu kommen. Die Polizei spielt dabei ihren Rolle. Diese kann sie so oder so ausgestalten. Sie ist nicht notwendigerweise der Gegner der Rebellion.

Statt zu sagen man sei „offen für alle“, müsste man sich fragen, weshalb trotzdem nicht alle repräsentiert werden – und Barrieren abbauen, die das verhindern. Statt sich von Kämpfen abzukapseln, die Marginalisierte längst führen, müsste man sich mit ihnen solidarisieren und sie schützen. Statt für andere zu sprechen, könnte man sie zu Wort kommen lassen.

Genau das passiert in London und wahrscheinlich auch in Berlin. Macht einfach alle mit. Dann seid Ihr die Bewegung, bestimmt, was gemacht wird und wer sichtbar ist.

Besetzung der Lambeth-Brücke durch die Religiöse Rebellion, London, 07.09.2019

Nachtrag: Hier sind alle Bilder aus London mit People of Color: https://www.flickr.com/search/?user_id=184802432%40N05&sort=date-taken-desc&text=People%20of%20Color&view_all=1