Genehmigung von Flugreisen

Diesen Brief habe ich an die Mitarbeiter*innen meines Instituts geschrieben, nachdem mich zwei Personen um die Genehmigung ihrer Flugreise nach Sizilien gebeten hatten.

Liebe alle,

Ich wurde von zwei Personen um die Genehmigung ihrer Dienstreise nach Sizilien gebeten. Die Reisen sind mit Flug geplant. Wie Ihr wisst, genehmige ich seit 2022 keine Reisen mit Flügen mehr (Flüge, CO2, Verantwortung und Mitschuld). Das bedeutet nicht, dass die Reisen nicht stattfinden können, denn andere Personen mit den entsprechenden Befugnissen können die Reise genehmigen. 2022 war ich stellvertretender Institutsdirektor. Ich habe damals meinen Entschluss mitgeteilt. Inzwischen habt Ihr mich zum Institutsdirektor gewählt. Ich möchte den Anlass nutzen, erneut ein paar Dinge zur Klimakatastrophe zu sagen und zu versuchen, mein Handeln zu erklären.

Die Klimakatastrophe ist da, es gibt kein CO2-Restbudget

In den Monaten von März bis Juni gab es wieder einen Hungerstreik. Mehrere Klimaaktivist*innen haben gestreikt, darunter die Mutter zweier Kinder. Wissenschaftler*innen von Scientist Rebellion haben solidarisch gefastet. Wolfgang Metzeler-Kick, Ingenieur für Technischen Umweltschutz, war insgesamt fast 100 Tage im Hungerstreik.

Wolfgang Metzeler-Kick am 86. Tag im Hungerstreik, 8. Tag im absoluten Hungerstreik, Hungerstreikcamp, Invalidenpark, Berlin, 31.05.2024

Wolfgang Metzler-Kick war bereit, Hungers zu sterben, damit vier Fakten in das Bewusstsein der Bevölkerungen dringen:

  1. Der Fortbestand der menschlichen Zivilisation ist durch die Klimakatastrophe extrem gefährdet.
  2. Der CO₂-Gehalt in der Luft ist viel zu hoch (0,42 ‰).  Der Weltklimarat zeigt einen Weg (SSP1-1.9 “1,5°-Pfad”), mit dem die Menschheit die beste Überlebenschance hat.
  3. Dieser Pfad hat einen Zielwert von 0,35 ‰ (bis zum Jahr 2150).  Das bedeutet, es sind bereits jetzt hunderte Gigatonnen zu viel CO₂ in der Luft.
  4. Wir müssen jetzt, wenn auch mit Jahren Verspätung, radikal umsteuern.

Die Hungerstreikenden waren in Kontakt mit den Scientists 4 Future und diese haben die vier Punkte der Hungerstreikenden überprüft und eine Aussage korrigiert. In ihrer Presseerklärung vom 06.05.2024 haben sie die vier Punkte, die oben aufgeführt sind, formuliert.

Die Scientists schreiben dazu:

Diese Feststellungen sind wissenschaftlich solide und vernünftig. Die Erderhitzung ist unzweifelhaft eine existenzielle Gefahr für die menschliche Gesellschaft, ​​im Sinne nicht nur der angesprochenen „Überlebenschancen“, sondern eines menschenwürdigen Lebens und einer Lebensweise, die mit dem Erdsystem verträglich ist. Ebenso unzweifelhaft ist die Erderhitzung überwiegend die Folge des ungebremsten Verbrennens von Kohle, Gas und Öl, worauf die Energieversorgung der meisten Volkswirtschaften immer noch gründet. Letztlich tun die Regierungen der Welt zweifellos viel zu wenig, um die technisch mögliche und finanziell machbare Defossilisierung voranzutreiben.

Presseerklärung der Scientists 4 Future vom 06.05.2024

Pressekonferenz von „Hungern bis Ihr ehrlich seid“ Am 62. Tag des Hungerstreiks. vlnr: Wolfgang Metzeler-Kick, 49, Umweltingenieur, Dr. Bernhard Steinberger, Scientists 4 Future, Lea Dohm, Psychologists 4 Future, Adrian Lack, ab heute im stillen Hungerstreik, Marlen Stolze, Moderatorin, PD Dr. Susanne Koch, Scientist Rebellion und betreuende Ärztin, Michael Winter, 22. Tag im Hungerstreik, BMI von 16. Ganz rechts außen Lebenspartnerin von WMK. Links im Bild die Forderungen. Hungerstreikcamp, Invalidenpark, Berlin, 07.05.2024

Zur Einordnung: Scientists 4 Future ist eine Vereinigung von Wissenschaftler*innen, die zum Thema Klimawandel arbeiten und sich für eine entsprechende Politik engagieren. Es ist die Fakt-Checking-Organisation hinter Fridays for Future. Das Fachkollegium, das für die Presseerklärungen verantwortlich ist, besteht aus hoch angesehenen Professor*innen aus dem Klimabereich. Ein Gründungsmitglied ist zum Beispiel der Klimageograph und Vizepräsident für Forschung der Humboldt-Universität Prof. Dr. Christoph Schneider.

Noch mal im Detail: Was bedeuten diese vier Punkte? Der erste Punkt ist klar: Die menschliche Zivilisation ist in Gefahr. Zu dieser Zivilisation gehören Kunst und Kultur, gehören Sprachen. Sprachen, die Ihr liebt und erforscht. In Gesellschaften, die sich im Existenzkampf befinden, wird es dafür keine Ressourcen mehr geben. Der zweite Punkt ist: Wir sind bei 424 parts per million (ppm) CO2-Gehalt in der Luft. Wir müssen zu 350 ppm zurück. Ist es da schlau weiteres CO2 auszustoßen? Zumal nicht geklärt ist, wie das Rückholen von CO2 und die Speicherung von CO2 ohne mögliche Leckagen im Gigatonnen-Berich funktionieren kann.

Selbst wenn man – wie die IPCC-Szenarien – davon ausgeht, dass wir noch in einem gewissen Rahmen CO2 emittieren können, das wir dann eben zurückholen müssen, ist das Kontingent, das wir als Deutsche nach dem Pariser Abkommen für die Erreichung des 1,5°-Ziels noch hatten, seit diesem März aufgebraucht. Das zeigt der Sachverständigenrat für Umweltfragen in einer Veröffentlichung (SRU, 2024). Der Sachverständigenrat für Umweltfragen ist ein Gremium, das die Bundesregierung berät. Zu den sieben Personen in diesem Rat gehört seit 2016 Prof. Dr. Wolfgang Lucht (Physiker und Geographieprofessor der Bereiche Klimaforschung, Erdsystemanalyse und Nachhaltigkeitswissenschaft ebenfalls von der Humboldt-Uni und vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung).

Wenn aber selbst dieses Budget aufgebraucht ist und wir aber irgendwie leben müssen (essen, heizen, Kleidung, Bahn fahren, das Fahrrad reparieren), dann sollten wir wohl als Gesellschaft darüber nachdenken, was wirklich wichtig ist und was nicht.

Der letzte Brief, den ich Euch geschrieben habe, ist von 2022. Jetzt ist es inzwischen 2024. 2024 war der heißeste Sommer, der jemals gemessen wurde (afp, 06.09.2024). Der zweitheißeste war 2023. Die Scientists 4 Future kommen mit der Aktualisierung ihrer Demomaterialien gar nicht hinterher.

Scientists 4 Future bei Fridays for Future-Demo zur Europawahl mit Transparent: „Wir liefern die Fakten. Zeit zu handeln!“. Das Transparent ist wahrscheinlich von 2019, denn nach dem auf dem Transparent verzeichneten Sommer 2018 gab es mehrere heißere Sommer. Luisenstraße, Berlin, 31.05.2024

Dieser weitere Anstieg der Temperatur in den letzten beiden Jahren seit 2022 war verbunden mit vielerlei Katastrophen: Dürre, Hitze, Hunger, Fluten. Die Klimaveränderungen führen zum Einwandern von Arten in unsere Lebensbereiche. Zum Beispiel die Tiegermücke wird hier heimisch. Sie überträgt gefährliche Krankheiten wie das Dengue-Fieber.

Aktivistin bei der Rebellion of One blockiert eine Straße in Kreuzberg mit einem Schild, auf dem steht: „Die Klimakatastrophe ist da“. An der Laterne rechts steht: „Why are we here?“. Berlin, 21.08.2021

Fliegen tötet

Bei einer Diskussion von Flugreisen im Jahr 2022 hatte ich auch Parncutt (2019) erwähnt, der berechnet hat, wie viele zukünftige Tote die Verbrennung von Kohlenstoff bewirkt. Seinen Abschätzungen nach führen 1000 Tonnen verbrannter Kohlenstoff zu einem vorzeitigen klimabedingten Toten (die 1000-Tonnen-Regel). 1000 Tonnen verbrannter Kohlenstoff erzeugen 3700 Tonnen CO2. Man kann also leicht ausrechnen, wie viele Menschen bei einem gewissen Flugaufkommen sterben werden. In diesem Jahr versuche ich, die taz davon abzubringen, touristische Flugreisen zu organisieren und zu bewerben (Gespräch in der taz). Bei den Gesprächen wurden die Zahlen von Parncutt in Frage gestellt. Im Zuge der Diskussion habe ich eine aktuelle Veröffentlichung von Pearce & Parncutt (2023) zum Thema gefunden, die die Argumentation ausbaut, und ich habe die Abschätzung eines Journalisten besprochen, der fand, dass Parncutts Zahlen und meine Berechnungen um Größenordnungen falsch liegen. Interessanterweise kam bei dieser Diskussion heraus, dass die Abschätzungen, auf die sich der Journalist bezog, in derselben Größenordnung liegen. Siehe Abschätzung der Tode, die wir durch unsere Treibhausgas-Emissionen verursachen. Das halte ich für eine gute Bestätigung dieser Abschätzungen. Als Ergebnis bleibt die Schlussfolgerung von Parncutt (2019):

Therefore, flying should be made more expensive (e.g. by carbon taxes) and reserved for emergencies and life-saving projects.

Parncutt, Richard. 2019. The human cost of anthropogenic global warming: Semi-quantitative prediction and the 1,000-Tonne Rule. frontiers in Psychology 10(2323). 1–17. S. 12.

Sizilien als Reiseziel

Sizilien liegt in Europa. Es ist mit dem Zug + Fähre erreichbar (Brouter: Berlin, München, Bologna Centrale, Siracusa, Noto, 32 Stunden mit Nachtzug von Bologna nach Siracusa). Sprachwissenschaftler*innen können in Zügen arbeiten. Es gäbe also keinen Grund zu fliegen. Wenn man es dennoch tut, kann man die Insel von oben sehen. Man kann die Katastrophe sehen, die man selbst gerade mit seinem Flug verstärkt:

tagesschau vom 07.08.2024: Sizilien von Hitze und Dürre geplagt – Tiere werden notgeschlachtet

In Sizilien gibt es die schlimmste Dürre seit 20 Jahren. Die Bauern schlachten ihre Tiere, weil sie nicht genug Wasser haben. Das Wasser wird für die Bevölkerung rationiert. Der Tourismus ist nicht betroffen. Die Konferenz wird in einem klimatisierten Hotel stattfinden. Es wird wunderbar. Man kann mit anderen Wissenschaftler*innen interessante Probleme besprechen. Das Essen wird sicher gut sein. Ein Salat mit Ziegenkäse vielleicht? Wenn die Konferenzteilnehmer*innen nicht rausgehen, werden sie auch nicht mit der unterversorgten Bevölkerung ringsum in Kontakt kommen. Sie werden nicht erfahren, dass die Bauern ihre Ziegen schlachten müssen und vielleicht in einigen Jahren der Ziegenkäse aus Deutschland importiert werden wird.

Wenn Ihr mit dem Flugzeug einschwebt, werdet ihr das vertrocknete Land sehen können und die leeren Wasserbecken. Achtet darauf! Ich möchte, dass Ihr Euch das für immer merkt! Dass Ihr es nie vergessen könnt.

Bin nur ich es, der das alles pervers findet?

Genehmigung von Flugreisen

Ich kann die aktuelle Situation nicht verdrängen. Ich beneide Euch darum, dass Ihr es könnt. Ich kann verdrängen, dass Ihr fliegt. Bitte erinnert mich nicht daran. Bitte treibt mich nicht in die Verzweiflung. Behaltet die Tatsache für Euch, bittet mich nicht um Genehmigungen. Macht das mit Eurem Gewissen aus. Ist es wichtig zu fliegen? Wofür? Muss ich diese Aktivität unternehmen, das schlimmste Umweltverbrechen, das man legal als Einzelperson begehen kann (Niko Paech 2019)? Und wenn Ihr die Frage mit Ja beantwortet, dann schämt Euch und sagt mir nichts davon und bittet mich nicht um Beihilfe. Ich werde nicht unterschrieben. Wenn Ihr mir dennoch schreibt, werdet Ihr eine Reaktion wie diesen Brief bekommen. Ihr werdet Daten und Fakten über Euer Reiseziel bekommen und ich werde Euch aufzeigen, wie Ihr gerade dieses Ziel mit Euren Aktivitäten zerstört. Sei es Vanuatu, seien es die Gebiete in Südamerika. Fragt mich nicht. Bitte!

Ich hoffe, dass der Tag kommen wird, an dem Ihr versteht, warum ich so handele, wie ich handele. Ich hoffe, dass er bald kommt.

Quellen

afp. 2024. Globale Rekordtemperaturen: Der heißeste Sommer – weltweit. taz. Berlin. (https://taz.de/Globale-Rekordtemperaturen/!6035053/)

Matthias Politycki vs. Niko Paech: Müssen wir reisen? 2019. Deutschlandfunk. (https://www.deutschlandfunk.de/matthias-politycki-vs-niko-paech-muessen-wir-reisen-100.html)

Parncutt, Richard. 2019. The Human Cost of Anthropogenic Global Warming: Semi-Quantitative Prediction and the 1,000-Tonne Rule. frontiers in Psychology 10(2323). 1–17. (doi:10.3389/fpsyg.2019.02323)

Pearce, Joshua M. & Parncutt, Richard. 2023. Quantifying Global Greenhouse Gas Emissions in Human Deaths to Guide Energy Policy. Energies 16(6074). 1–20. (doi:10.3390/en16166074)

Sachverständigenrat für Umweltfragen. 2022. Wie viel CO2 darf Deutschland maximal noch ausstoßen? Fragen und Antworten zum CO2-Budget. Berlin: Sachverständigenrat für Umweltfragen. (https://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/04_Stellungnahmen/2020_2024/2022_06_fragen_und_antworten_zum_co2_budget.html)

Sachverständigenrat für Umweltfragen. 2024. Wo stehen wir beim CO2-Budget? Eine Aktualisierung. Berlin: Sachverständigenrat für Umweltfragen. (https://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/04_Stellungnahmen/2020_2024/2024_03_CO2_Budget.pdf?__blob=publicationFile&v=8)

Flüge, CO2, Verantwortung und Mitschuld

Zur Zeit bin ich stellvertretender Institutsleiter. Bisher war die Arbeitsverteilung so, dass ich Dienstreiseanträge, die die Institutsleiterin oder ihre Arbeitsgruppe stellt, unterschrieben habe. Vor Kurzem hat mich die Institutsleiterin gebeten, alle Dienstreiseanträge zu unterschreiben, weil sie mit der Leitung genug zu tun hat und weil die Aufgabenverteilung auch früher schon so war. Nun sehe ich plötzlich alle Reiseanträge, auch die Flugreisen. Ich habe lange über die Situation nachgedacht, konkret über die Genehmigung von Flugreisen seit Juni. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ich keine Flugreisen mehr genehmigen werde.

Konkret bedeutet das nur, dass die Institutsleiterin die Flugreisen genehmigen muss. Es ist keine totale Blockade von Flugreisen. Einziges Problem sind die Reisen der Institutsleiterin selber bzw. ihrer Arbeitsgruppe. Diese Reisen kann dann wahrscheinlich jemand, der hierarchisch über uns beiden steht, genehmigen. Also jemand aus dem Dekanat.

Laut Verfassung der Humboldt-Universität kann die Institutsleitung mit einer 2/3-Mehrheit im Institutsrat über alle Statusgruppen hinweg abgewählt werden. Das könnte in einer der nächsten Sitzungen passieren.

Nachtrag 14.06.2022: 1) Der Dekan hat mit mir gesprochen und versteht das. Ich bin nicht zurückgetreten oder abgewählt worden. 2) Die Kommission zu Flugreisen, die wir schon im Juni eingerichtet haben, hat getagt und ich bin optimistisch, dass wir für das Institut eine Lösung finden, die über die uniweiten Regelungen zu Flugreisen hinausgeht.

Details

Wir sind bei einer Erderhitzung von 1,2° gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter. Alle Gebiete auf der Erde sind bereits jetzt von unglaublichen Katastrophen betroffen. 180 Tote im Ahrtal, Schäden in Milliardenhöhe. 1300 Tote in Pakistan, ein Drittel des Landes überflutet, 33 Millionen Menschen mussten ihre Wohnungen verlassen (Wikipedia: Überschwemmungskatastrophe in Pakistan 2022). In China stehen Menschen nach Starkregen bis zum Hals eingeschlossen in U-Bahnen. Auch in New York flutet der Starkregen die U-Bahnen. Sturmschäden in Florida, Flüsse trocknen aus, Kraftwerke können mangels Kühlwasser nicht mehr betrieben werden, Ernteausfälle. Hungersnöte. In diesem Sommer sind 10.000 Menschen allein in Deutschland den Hitzetod gestorben, wie man anhand von Übersterblichkeitsstatistiken, die mit Hitzetagen korrelieren, nachweisen kann (taz, 22.08.2022). In Europa waren es 24.000 (taz, 07.10.2022) (Zu einer Übersicht über Katastrophen siehe Katastrophen. Im Quellenverzeichnis der Seite findet man Links zu Fernsehberichten.) Das ist das, was wir jetzt haben. Bei 1,2°. Die Wissenschaft geht davon aus, dass das 1,5°-Ziel nicht zu halten ist. Derzeit steuern wir auf 2,7° zu (Klimaforscher Prof. Lucht in der taz, 17.02.2022). Ganze Bereiche der Erde werden unbewohnbar werden, woraus sich Migrationsbewegungen und Ressourcenkriege ergeben werden.

Die Themenklasse Nachhaltigkeit der Humboldt-Universität hat sich mit den Reisen des wissenschaftlichen Personals der HU beschäftigt. Sie haben Vorschläge gemacht, wie mit Flugreisen umgegangen werden sollte. Keine Inlandsflüge, ein Flug pro Jahr pro Person (Appiah-Nuamah et al. 2021). Die Veröffentlichung ist von 2021. Inzwischen ist es 2022 und wir sind einen IPCC-Sachstandsbericht weiter. Was in diesem Bericht steht, ist erschreckend. 2020 blieben nur noch 400 Gt CO2-Ausstoß, wenn man das 1,5°-Ziel mit einer Wahrscheinlichkeit von 67% erreichen will. Bei 83% waren es nur noch 300 Gt.

Tabelle mit den verbleibenden CO2-Mengen und den entsprechenden Temperatursteigerungen und Wahrscheinlichkeiten. Quelle: IPCC, 2021. 6. IPCC-Sachstandsbericht. S. 32

Seitdem haben wir aber weitere 70 Gt verbraucht, d.h. es bleiben 230 Gt, wenn wir das 1,5°-Ziel mit 83%iger Wahrscheinlichkeit erreichen wollen (siehe Zu unserem CO2-Restbudget bzw. Sachverständigenrat Umweltfragen, 2022).

Svenja Schulze hat 2019, als sie noch Umweltministerin war, einmal gesagt, als sie auf die Restmenge CO2 angesprochen wurde: „Unter diesen ganzen Tonnen und so kann sich doch keiner was vorstellen.“ (Kontraste, ARD, 30.09.2019). Um zu zeigen, was diese ganzen Tonnen bedeuten, kann man die Restmenge unter allen Menschen aufteilen. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen, ein Gremium aus Professor*innen, das die Bundesregierung berät, hat das gemacht und kommt auf 24t pro Person bei einer Wahrscheinlichkeit für 1,5° von nur 67%. (Es gibt mehrere Berechnungsmöglichkeiten. Das ist hier schon eine der günstigeren. Historisch gesehen, haben wir schon alles verbraucht. Zu den Details siehe Zu unserem CO2-Restbudget bzw. Sachverständigenrat Umweltfragen, 2022). Da wir als Deutsche einen durchschnittlichen Ausstoß von 11t pro Jahr haben, heißt das, dass in weniger als drei Jahren unser Restbudget aufgebraucht sein wird.

Vor diesem Hintergrund muss man nun das Fliegen betrachten. Unser CO2-Restbudget ist praktisch aufgebraucht und für Interkontinentalflüge ist kein Budget mehr vorhanden. Zur Kompensation habe ich in Dienstliche Flüge und CO2-Kompensation u.a. Folgendes geschrieben: Wir stehen kurz vor dem Erreichen von Kipppunkten, so dass es nicht angeht, das CO2 auszustoßen mit dem Versprechen, es in ein paar Jahren durch Projekte wieder einzusparen (atmosfair verspricht Projektumsetzung innerhalb von zwei Jahren). Wir müssen als Gesellschaften jetzt radikal umsteuern und dazu gehört eben auch, nicht mehr oder sehr viel weniger zu fliegen.

Parncutt (2019) hat in seinem Aufsatz in frontiers in Psychology die 1000-Tonnen-Regel aufgestellt, nach der 1000 Tonnen verbrannter Kohlenstoff einen Klimatoten bedeuten. Das heißt, dass wegen einem Flug von Berlin nach Sydney 0,61 Menschen sterben. Bei zwei solchen Reisen (oder mehreren kleineren Reisen) sind die 329 Passagiere also gemeinschaftlich für den Tod eines Menschen verantwortlich.

Vor drei Jahren haben Monika Schäfer, Gisbert Fanselow und ich eine Selbstverpflichtungskampagne für den Verzicht auf Kurzstreckenflüge gestartet und an der HU haben sich 21,4% der wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen verpflichtet, Strecken, die unter 12h mit der Bahn zu bewältigen sind, nicht mehr zu fliegen. Seit dem hat sich einiges getan. Die HU hat zwei Klimamanager*innen, es gibt eine Klimasteuerungsgruppe, es gibt die Empfehlungen der Nachhaltigkeitsklasse, aber es gibt leider immer noch keine Änderung der Reisebestimmungen der HU. Diese sind nach dem Bundesreisekostengesetz gestaltet, so dass sich an dieser Stelle wahrscheinlich erst etwas ändern wird, wenn das Bundesreisekostengesetz angepasst wird.

Moral und Weigerung

Nachdem ich meinen Kolleg*innen mitgeteilt habe, dass ich keine Flüge mehr genehmigen werde, bekam ich von einer eine Antwort, in der stand, dass das gar nicht ginge, denn rechtlich könne ich nur solche Reisen nicht genehmigen, die gegen dienstliche Interessen verstoßen würden.

Der Punkt hier ist kein rechtlicher, es ist ein moralischer. Ich kann es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, dass durch mein Handeln Menschen zu Tode kommen. Mein letzter privater Flug war 2008. Mein letzter Interkontinentalflug war 2016 nach Seoul, mein letzter innereuropäischer Flug 2017. In Seoul war ich eingeladener Sprecher auf einer Computerlinguistikkonferenz und habe zwei Vorlesungen gehalten. Es war eine schöne Reise und wichtig für den Lebenslauf. 2017 bin ich nach Oslo geflogen, um dort zwei Tage lang Anträge für Forschungesgelder zu besprechen und zu bewilligen. Eine verantwortungsvolle Tätigkeit und ebenfalls wichtig für den Lebenslauf. (Und die Lebensläufe vieler Sprachwissenschaftler*innen in Norwegen.) Im August 2019 habe ich nun beschlossen, überhaupt nicht mehr zu fliegen. Weder privat noch dienstlich (siehe Ich fliege nicht mehr). Die Abwägung der Vorteile (für mich) und Nachteile (für andere) hat ergeben, dass Flüge nicht zu rechtfertigen sind. Ein Vortrag über eine tolle Theorie vs. eine hungernde Familie, ein weggerissenes Haus, ein Mensch, der bis zum Hals im Wasser in einer gefluteten U-Bahn steht?

Durch die neue Konstellation im Institut bin ich jetzt in die Lage gekommen, dass ich, obwohl ich nicht selbst fliege, dafür verantwortlich bin, dass andere fliegen. Diese Verantwortung lehne ich ab. Ich bin nicht bereit, sie zu übernehmen. Wenn ich damit gegen Gesetze verstoße, dann ist das so. Ich kann nicht anders handeln.

Einige Beispiele dazu, die in ihrer Dimension und teilweise den Auswirkungen für die Betroffenen verschieden sind, aber verdeutlichen, wie Menschen in großen Apparaten handeln oder nicht handeln oder entgegen allgemeinen Erwartungen handeln.

Menschen, die nicht tun, was sie sollen / die tun, was sie nicht sollen

  • Todd Smith ist Pilot, d.h. er war Pilot. In Großbritannien. Dort muss man die Piloten-Ausbildung selbst bezahlen und er hat sein gesamtes Gehalt, das er in fünf Jahren verdient hat, und das Geld, das seine Großmutter durch den Verkauf ihres Hauses bekommen hat, in die Ausbildung zum kommerziellen Piloten gesteckt. Die Großmutter ist bei ihnen eingezogen. Wegen einer Magenentzündung konnte er nicht fliegen und sein Arzt hat ihn dazu überredet, auf Fleisch zu verzichten. Er hat sich dann mit Veganismus beschäftigt und von da war es nicht weit zu den Klimafakten. Das Ergebnis war, dass er seinen Beruf an den Nagel gehängt hat und Klimaaktivist geworden ist. Hier, in einem Bericht der Deutschen Welle, kann man die Details nachlesen.

He still loves flying and misses being up in the skies. But he won’t return until the industry takes its obligations seriously. In the meantime, he plans to continue honoring his own.

„As pilots, we’re trained to think, free from bias, to mitigate risks, to preserve life. I’m simply following my training and trying all that I can to get the industry to mitigate its risks. After all, safety is our No. 1 priority.“ 

Deutche Welle. 2022: Meet the pilot who stopped flying because of climate change
  • In Frankreich gab es Polizisten, die Jüd*innen vor Razzien der Deutschen gewarnt haben, obwohl sie den Befehl der Regierung hatten, den Deutschen zuzuarbeiten und die Deportationen in Konzentrationslager zur Ermordung zu unterstützen. Sie haben unter Einsatz ihres eigenen Lebens viele Menschen vor den Gaskammern gerettet. Dennoch tat sich die Polizei lange schwer damit, Polizisten zu ehren, die eigenmächtig gehandelt und gegen Befehle verstoßen haben. Heute dienen sie als Beispiele für die Gewissensbildung der Polizei (taz, 18.07.2022).
  • Ich bin Pazifist. Ich war bei der Armee, weil im Osten Verweigerung Gefängnis und den Ausschluss vom Studium bedeutet hätte, aber ich hätte niemanden erschossen. Nur mich selbst. In meiner Anverwandtschaft gab es einen Mann, der im zweiten Weltkrieg in Norwegen war. Er sollte norwegische Partisan*innen erschießen und hat sich geweigert. Daraufhin wurde er selbst erschossen. Seine Familie hat in der Nachkriegszeit in Westdeutschland nie darüber gesprochen, weil sie es für eine Schande hielten, dass ihr Sohn, Bruder, Onkel den Befehl verweigert hat. Ich denke, die meisten Menschen sehen das heute anders.

Schlussfolgerung

Alle, die die Klimakatastrophe in ihrem gesamten Ausmaß verstehen (George Monbiot (2022) spricht von weniger als 1% der Weltbevölkerung), werden verstehen, dass ganz anders gehandelt werden muss. Aus diversen Gründen handelt die Menschheit aber nicht adäquat. Wie Parncutt bereits 2019 schrieb, sollte nur noch in Notfällen geflogen werden (S. 12). Ich habe mich deshalb entschlossen, keine Flüge zu genehmigen. Wenn das Institut einfach weiter machen möchte, wie bisher, muss es mich abwählen oder die Anträge anderweitig genehmigen lassen.

Quellen

Appiah-Nuamah, Maame & Berner, Richard & Gipp, Antonia & Hohmann, Theresa & Nöfer, Johannes & Pätzke, Franka & Prawitz, Hannah et al. 2021. Wissenschaftliches Reisen: THESys Humboldt-Stipendium Themenklasse Nachhaltigkeit und Globale Gerechtigkeit 2020/2021. Humboldt-Universität zu Berlin. (doi: 10.18452/23298)

Asmuth, Gereon. 2022. Hitzetote in Deutschland: Hitzewelle mit dunklem Schatten. taz 22.08.2022. Berlin. (https://taz.de/Hitzetote-in-Deutschland/!5873299)

Holdinghausen, Heike. 2022. Studie zum Klimawandel: 1,2 Grad reichen für mehr Dürren. taz 07.10.2022. Berlin. (https://taz.de/Studie-zum-Klimawandel/!5886465/)

IPCC, 2021. Zusammenfassung für die politische Entscheidungsfindung. In Beitrag von Arbeitsgruppe I zum Sechsten Sachstandsbericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen [Masson-Delmotte, V., P. Zhai, A. Pirani, S.L. Connors, C. Péan, S. Berger, N. Caud, Y. Chen, L. Goldfarb, M.I. Gomis, M. Huang, K. Leitzell, E. Lonnoy, J.B.R. Matthews, T.K. Maycock, T. Waterfield, O. Yelekçi, R. Yu, and B. Zhou (eds.)] (ed.), Naturwissenschaftliche Grundlagen. https://www.de-ipcc.de/media/content/AR6-WGI-SPM_deutsch_barrierefrei.pdf.

Monbiot, George. 2022. The Tipping Point that will DESTROY the World. 2022. Double Down News. (https://www.youtube.com/watch?v=lIEu-OW9_YA)

Sachverständigenrat für Umweltfragen. 2022. Wie viel CO2 darf Deutschland maximal noch ausstoßen? Fragen und Antworten zum CO2-Budget. Berlin: Sachverständigenrat für Umweltfragen. (https://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/04_Stellungnahmen/2020_2024/2022_06_fragen_und_antworten_zum_co2_budget.html)

Schwarz, Susanne. 2022. Proteste der „Letzten Generation“: Zeit für Notwehr? taz, 17.02.2022. Berlin. (https://taz.de/Proteste-der-Letzten-Generation/!5831060/)

Speit, Andreas. 2022. Prozess gegen frühere KZ-Sekretärin: Menschen und Brennholz, geschichtet. taz. Berlin. (https://taz.de/Prozess-gegen-fruehere-KZ-Sekretaerin/!5861240)

Walker, Tamsin. 2022. Meet the pilot who stopped flying because of climate change. Deutsche Welle. Bonn. (https://www.dw.com/en/todd-smith-emissions-aviation-pilot-safe-landing-extinction-rebellion-climate-activist/a-61953106)

Weymann, Christoph. 2022. Judenverfolgung in der Nazi-Zeit: Widerstand in Uniform. taz, 18.07.2022. Berlin. (https://taz.de/Judenverfolgung-in-der-Nazi-Zeit/!5865427/)