Zuletzt geändert am 12. Oktober 2025
Gestern war ich beim Scientists Responsibility Summit und hörte einen Vortrag von Michael Brüggemann (Universität Hamburg) mit dem Titel: How can disruptive climate protests be transformative? Inferences from media debates on Fridays for Future and Last Generation in Germany (Wie kann disruptiver Klimaprotest transformativ sein? Schlüsse aus der Diskussion von Fridays for Future und der Letzten Generation in den Medien.
Alter und Zusammensetzung der Gruppen
Michael Brüggemann merkte irgendwann an, dass die deutschen Fernsehzuschauer*innen im Fernsehen Menschen in ihrer Altersgruppe bevorzugen, weshalb es von Fridays for Future gut gewesen wäre, dass sie mit den Scientist For Future zusammengegangen wären.
Nun ging es bei der Forschungsfrage auch um Wahrnehmung, aber zumindest als Forschender sollte man dann zwischen Wahrnehmung durch die Medien/Gesellschaft und Realität trennen. Brüggemann zeigte ein Bild von einer Pressekonferenz (taz, 13.03.2019), auf dem man neben Luisa Neubauer und Jakob Blasel auch Maja Göpel, Volker Quaschning und Eckart von Hirschhausen sehen konnte.
In der Diskussionsphase habe ich angemerkt, dass die Letzte Generation die diverseste Klimagruppe in Deutschland gewesen ist. Alle Altersgruppen von 16 bis 86 waren vertreten.




Es gab eine weite Streuung unter den Berufen. Vom Geigenbauer, Krankenpfleger*innen, zum Ingenieur, über Physiker, die Gasturbinen entwickelt haben, Soziolog*innen, Biolog*innen, Köche, Zerspanungsfacharbeiter, Menschen aus der Automobilindustrie in Umschulung zu Elektrofacharbeitern, Pfarrer*innen, Nachrichtensprecher*innen, Hörspielautorinnen, Kirchenmusiker*innen, Afrikanist*innen, Umweltingenieure, Qualitätsmanager, Vertriebler*innen, Künstler*innen, Elektriker*innen, Tischler*innen (auch mit Meister), Ärzt*innen, (Kinder)psycholog*innen, Druckereibesitzer*innen, Designer*innen, Ökonom*innen, Sexarbeiter*innen, Tanzlehrer*innen, Schauspieler*innen, Schüler*innen, Lehrer*innen, Student*innen, promovierte und Professoren und sogar eine Hauptkommissarin der Polizei (Portraits von Aktivist*innen mit Altersangabe und Beruf, Menschen der LG Ü50). Menschen mit Behinderungen, die auch immer wieder an Aktionen teilgenommen haben. Neurodiverse Menschen und auch diverse nicht Neurodiverse. Queere und Transpersonen. Menschen ohne Kinder, Menschen mit vielen Kindern (ich weiß von einer Mutter mit vier Kindern und Ernst Hörmann hat 8 Enkel). Menschen aus dem Osten und dem Westen Deutschlands, Menschen aus verschiedenen Regionen.





Aus der Web-Übertragung merkte jemand an, dass die Letzte Generation nicht divers sei, weil es keine People of Color gegeben habe. Das ist nicht richtig, denn Sarah Kaden war Aktivistin der Letzten Generation. Mir sind noch zwei weitere bekannt, einer mit vietnamesischem Hintergrund.

Ansonsten sind zwei Dinge anzumerken: Die Letzte Generation hat anders als andere Klimagruppen immer mit offenem Gesicht und oft mit Angabe des Namens gearbeitet. (Sonst wären mir diese auch nicht bekannt.) Die Aktivist*innen haben die Repressionen in Kauf genommen und haben immer brav ihren Ausweis vorgezeigt, wenn die Polizei kam. Das ist für People of Color nicht so einfach möglich. Zweitens bedeutet die Verwendung des Komparativs nicht unbedingt, dass der Positiv gelten muss. Beispiel: Aus: Die Ameise ist größer als die Schlupfwespe. folgt nicht, dass die Ameise groß ist. Aus der Verwendung des Superlativs folgt auch nicht, dass ein mögliches Maximum erreicht wird. Beispiel: Von diesen drei Männern ist Klaus am klügsten. kann wahr sein, ohne das Klaus normalerweise als klug zu bezeichnen wäre. Also: Daraus, dass die Letzte Generation diverser als andere Bewegungen ist, folgt nicht, dass sie alle Kriterien für Diversheit erfüllt hat.
Brüggemann scheint derselbe Fehler unterlaufen zu sein, der immer wieder in den Medien zu beobachten war. Es wurde immer wieder von „jungen Menschen“ gesprochen, obwohl die Teams bei Pressekonferenzen so aussahen:

Über die „jungen Menschen“ habe ich auch in Unfried, Palmer und die Letzte Generation im Februar 2023 schon geschrieben.
Zusammengefasst: Wenn Medien jemanden in der Altersgruppe ihres Zielpublikums gesucht hätten, hätten sie jemanden finden können. Vom Kinderkanal bis zum Schunkeltreff auf ARD oder ZDF.
Aktionsformen und Disruption
Brüggemann zeigte genau dasselbe Unverständnis für die Aktionsformen der Letzten Generation wie die Kommentatoren in den Zeitschriften, die er untersucht hatte. So stellte er fest, dass der Auto- und Flugverkehr klimaschädlich sind und dass man deshalb entsprechende Blockaden nachvollziehen könne, aber Beschmadderung von Kunstwerken oder das Besprühen von Universitätsgebäuden sei nicht nachvollziehbar.
Besonders empört war er wegen einer Farbattacke auf Gebäude der Uni Hamburg, denn die Forscher*innen dort seien doch die Allies der Klimabewegung.

Auch diese Aussagen bzgl. der Letzten Generation sind befremdlich, denn die Letzte Generation hat immer wieder in Pressemitteilungen und Interviews ihre Strategie und ihre Protestform erklärt. Die Proteste waren so ausgelegt, dass sie maximal disruptiv waren bzw. maximal Aufmerksamkeit erregten. Sie sollten die Menschen wachrütteln und auf das Problem der Klimakatastrophe hinweisen. Es ging nicht um den oder die einzelne Autofahrerin. Die Attacken auf Kunstwerke waren genau für Bildungsbürger*innen wie Michael Brüggemann (und mich) gedacht, die mit dem Fahrrad zur Uni fahren und die kilometerlange Staus auf Autobahnen nicht betreffen. In der Tat haben diese Attacken gegen Kunstwerke mich als Bildschaffenden am meisten bewegt, auch wenn schnell klar wurde, dass die Kunstwerke hinter Glas waren bzw. der Holzrahmen, an den sich Aktivist*innen angeklebt hatten, kein altes Original war.
Die auf maximale Aufmerksamkeit ausgerichteten Proteste wurde in den Medien nicht verstanden oder bewusst anders geframet. Als Protestforscher sollte man das aber wissen und von der Medienberichterstattung trennen, die man untersucht.
Allianzen
Wenn man sagt, die Fridays seien strategisch geschickter gewesen, weil sie Allianzen mit den Scientists gebildet hätten, dann ist das unzulässig, denn es gab neben der Letzten Generation auch die Scientist Rebellion.

Beide sind als Schwesterorganisationen anzusehen und haben auch gemeinsame Aktionen durchgeführt.

Eine weitere Zusammenarbeit eines Hungerstreiks, der unabhängig von der Letzten Generation stattgefunden hat, aber von Aktivist*innen der Letzten Generation organisiert wurde, gab es ebenfalls mit Scientist Rebellion und sogar auch mit den Psychologists for Future und den Scientists for Future. Die S4F haben die vier Forderungen der Hungerstreikenden unterstützt (nachdem sie eine kleine Korrektur angeregt hatten). Die Psychologists haben sich der Unterstürzung angeschlossen.

Aktivitäten der Letzten Generation
Die Letzte Generation hat nicht nur disruptiv protestiert. Sie haben auch für die EU-Wahl kandidiert, mit über 100.000 Stimmen in Bremen! Sie haben Haustürgespräche geführt, sie haben in Kirchen mit Gemeinden gesprochen, sie waren in Polizeischulen unterwegs und haben dort Polizist*innen erklärt, was sie tun und warum.
Letztendlich ist das alles aber egal, weil sich die Medien bewusst oder unbewusst dafür entschieden haben, sich auf die Krawallaspekte zu konzentrieren.
Protestformen von Fridays for Future
Jemand meinte in der Kaffeepause, dass ihm FFF zu lahm sei. Dazu muss man anmerken, dass die ursprüngliche Form der Schulstreiks eine radikale Form zivilen Ungehorsams war. Die Schüler*innen haben nicht das gemacht, was sie sollten. Das ware ein enormer Aufreger.

Christian Lindner, FDP, ein inzwischen in Vergessenheit geratener Politiker, fand, die Kinder sollten mal zur Schule gehen und die Angelegenheit den Profis überlassen, woraufhin sich Scientist for Future gründete und als Profis den Jugendlichen bestätigte, dass ihr Anliegen berechtigt sei.
Es gab später Überlegungen mit Extinction Rebellion (XR) gemeinsam zu protestieren, weshalb das August Rise Up auch nicht Rebellion Week genannt wurde, sondern ein neutralerer, offener Name gewählt wurde. FFF wird unter den Gruppen, die sich beteiligen auch genannt (August Rise Up! Wer wir sind, 12.10.2025) hat sich dann aber wohl gegen eine Teilnahme entschieden.

Jedoch gab es eine gemeinsame Blockade mit XR und anderen. Nach einem Protestmarsch von FFF sind Aktivist*innen verschiedener Klimagruppen zurückgekommen und haben vor der SPD-Parteizentrale die Straße blockiert. Carla Reemtsma und Pauline Brünger haben für FFF gesprochen. Man beachte die Traktoren!


Luisa Neubauer war auch vor Ort, aber da war ich schon weg.
Ich finde es verständlich, dass FFF sich zurückgehalten hat, schließlich waren sie auch für Kinder und sehr junge Jugendliche verantwortlich.
Klimaproteste und Scientist for Future
In der Diskussion sagte Nana-Maria Grüning promovierte Biologin mit Promotion in Cambridge: Nein, die Wissenschaftler*innen seien nicht ihre Allies (Verbündeten). Sie säßen in ihren Büros und ließen ein paar Kinder den Protest machen.
Nana-Maria Grüning hat Recht, wenn sie darauf verweist, dass FFF die großen Proteste angestoßen hat. Letztendlich war es Greta Thunberg, die sich über das gemeinschaftliche Verdrängen hinweggesetzt und damit eine weltweite Bewegung ausgelöst hat. (Extinction Rebellion hat sich etwa zeitgleich aus diversen Vorläuferorganisationen entwickelt.)
Dann aber haben die Scientist for Future auch einige Zeit mit FFF gemeinsame Aktionen gemacht.

Auch gab es ab 2019 bis zum Beginn der Corona-Lockdowns „Streiks“, die denen von FFF ähnelten. Das lief unter Researchstrejk. Gisbert Fanselows Idee war, dass jeden Tag eine andere Berufsgruppe streiken sollte. Freitags die Schüler*innen, Mittwochs die Uni-Mitarbeiter*innen, Montags die Busfahrer*innen, Dienstags die Müll-Menschen … Diese Aktionen sind unter Climatewednesday.org dokumentiert. Sie fanden in Form von Mahnwachen und öffentlichen Lehrveranstaltungen in Berlin, Potsdam und Leipzig statt. Es waren so ca. 100 Wissenschaftler*innen beteiligt.



Diese Mahnwachen waren mit den Lockdowns sinnlos geworden, weil die Universitäten geschlossen waren.

Später veranstaltet Berlin for Future die Klimamontage, ein besseres Konzept mit Vorträgen und Musik.
Der Researchstrejk fand in den Medien kein Interesse, obwohl es sogar eine unterstützende Pressemeldung von der HU-Öffentlichkeitsarbeit (Gemeinsam für mehr Klimaschutz, 02.07.2019) und eine Erwähnung in der taz gab (taz, 17.08.2019). Es gab Berichte, diese bezogen sich aber ausschließlich auf die Selbstverpflichtungsaktion zum Verzicht auf Kurzstreckenflüge. Übersicht) Wahrscheinlich wurde der Researchstrejk durch die viel interessanteren Schulstreiks überlagert.
Also: Es gab Wissenschaftler*innen von Scientists for Future, die Formen disruptiven Protests angedacht hatten. Das war allerdings eine kleine Gruppe, die auf Berlin, Potsdam und Leipzig begrenzt war. Diese Anmerkung ist also eher ein historisch interessanter Hinweis, der nichts daran ändert, dass Menschen aus der Klimabewegung, die die Klimakatastrophe mit der ihr gebührenden Dringlichkeit behandelten, Wissenschaftler*innen egal welcher Fachrichtungen nicht als ihre Verbündeten ansahen, sondern als Menschen, die es aus ihrer Passivität und Verdrängung zu reißen galt.
Zusammenfassung
Es existieren in den Medien und eventuell auch dadurch bedingt in der Forschung falsche Vorstellungen darüber, was die Ziele und Methoden bestimmter Klimagruppen sind bzw. waren. Auch gibt es immer noch Klischees bezüglich der Zusammensetzung der Gruppen.
Vielleicht kann meine Dokumentation mit inzwischen mehr als 15.000 Bildern zur Klimabewegung ab 2018 dazu beitragen, Vorstellungen mit der Realität abzugleichen.
Quellen
Telschow, Fabian. 2005. Sind koordinierte Lehrplanboykotte von Wissenschaftler:innen als Dringlichkeitssignal zur Klimakrise irgendwann notwendig? (doi:10.5281/zenodo.15331596)