Zuletzt geändert am 14. Dezember 2024
Bei der Diskussion der Selbstverpflichtungsaktion von Scientists4Future zum Verzicht auf Kurzstreckenflüge kommt mitunter das Argument, dass bei der Benutzung der Bahn unter Umständen ein oder sogar zwei Hotelaufenthalte nötig werden. Da das aber auch CO2 verursacht, wäre am Ende nichts gewonnen. Dieses Argument ist falsch. Ich möchte das am Beispiel Stuttgart–Hamburg mal durchrechnen.
Das Hotel
Ich selbst fahre immer mal wieder nach Bonn. Mit dem Flugzeug wäre es möglich, früh hin und abends zurückzufliegen. Da ich Bahn fahre, würde ich den Sitzungsbeginn verpassen, weshalb ich einen Tag vorher anreise. Es fällt also eine Übernachtung an. Da die Sitzung meistens bis 16:00 oder 17:00 dauert, schaffe ich noch einen Zug zurück. Für Hamburg–Stuttgart würde das je nach Sitzung eventuell nicht klappen, so dass zwei zusätzliche Übernachtungen nötig würden. Frage: Wie sieht dann die Klimabilanz aus?
Antwort: Es ist schwierig. Wie die Klimabilanz eines Hotels aussieht, hängt von sehr vielen Faktoren ab: Hat das Hotel Öko-Strom? Gibt es eine Sauna? Swimmingpool? Wie oft wird die Wäsche gewechselt? Wie arbeitet die Wäscherei? Wie gut ist das Gebäude isoliert? Wie wird geheizt? Wie hoch ist die Auslastung des Hotels? Wie groß ist die Zimmergröße? Wie lang sind die Anfahrtswege der Hotelangestellten?
Für die Berechnung der CO2-Emissionen von Geschäftsreisen gibt es einen Standard vom Verband deutsches Reisemanagement e.V. Die Formeln für den Jahresausstoß eines Hotels und den Ausstoß pro Übernachtung zeigt die folgende Abbildung.
Ich habe lange gebraucht, im Web Durchschnittswerte zu finden, und bin dann auf die folgenden Angaben von 2014 gestoßen.
Kategorie | CO2-Emmission |
---|---|
0–2 Sterne | 24,7 kg |
3 Sterne | 16,9 kg |
4 Sterne | 21,0 kg |
5 Sterne | 47,6 kg |
Da sich inzwischen energiesparende Beleuchtung durchgesetzt haben dürfte, Geräte effizienter geworden sind und auch der Ökostrom-Anteil am allgemeinen deutschen Strommix größer geworden ist, kann man davon ausgehen, dass der CO2-Impakt von Hotels in Wirklichkeit (im Schnitt) kleiner ist. Sollte jemand aktuellere Zahlen haben, wäre ich für einen Hinweis dankbar.
Auf klimabewußte KundInnen ausgelegte Hotels können den Ausstoß nach Biohotels.de sogar auf 10kg/Nacht reduzieren.
Flug und Zug
Laut atmosfair beträgt die CO2-Belastung für die Strecke Stuttgart–Hamburg bei Hin- und Rückflug 211kg CO2 (Für Germanwings geben sie 347kg und eine durchschnittliche Airline 272kg an). Ich habe dabei angenommen, dass auf dieser Strecke ein Airbus A320 unterwegs ist (zur Zeit fliegt nur Eurowings und laut Eurowings: Technik & Flotte ist der A320 das Flugzeug, das sie am häufigsten einsetzen).
Laut CO2-online beträgt der CO2-Ausstoß für die Hin- und Rückreise mit dem ICE 39kg. Dabei hat CO2-online den durchschnittlichen deutschen Strommix unter Berücksichtigung des Ökostromanteils, den die Deutsche Bahn verwendet, angesetzt. Die Deutsche Bahn verwendet für ihr gesamtes Angebot zu 60% Ökostrom und gibt aber an, dass sie im Fernverkehr ausschließlich Ökostrom benutzt. Damit wäre die CO2-Emission für die reine Fahrleistung Null.
Je nach dem, wie man das nun sehen will, hat die Bahn auf der Strecke Stuttgart–Hamburg also einen Ausstoß von Null oder eben 39kg. Setzt man Null an, liegt der CO2-Ausstoß von Bahn-Reise + zwei Übernachtungen bei einem Sechstel (16%) des minimalen CO2-Ausstoßes für den Flug. Setzt man 39kg an, so ist die Bahnreise + zwei Übernachtungen immer noch bei einem Drittel (35%) des Fluges. Das zeigt die folgende Tabelle im Überblick.
Bahn kg CO2 | Flug kg CO2 | Bahn in % | |
---|---|---|---|
Öko | 0 | 211 | 0 |
Öko+1 | 17 | 211 | 8 |
Öko+2 | 34 | 211 | 16 |
Mix | 39 | 211 | 18 |
Mix+1 | 56 | 211 | 27 |
Mix+2 | 73 | 211 | 35 |
Öko | 0 | 347 | 0 |
Öko+1 | 17 | 347 | 5 |
Öko+2 | 34 | 347 | 9 |
Mix | 39 | 347 | 11 |
Mix+1 | 56 | 347 | 16 |
Mix+2 | 73 | 347 | 21 |
Rechnet man das Ganze mit den 374 kg, die bei atmosfair als Wert für germanwings angegeben wurden, sieht alles noch verheerender aus: Selbst mit zwei Übernachtungen und Berechnung des Strommixes liegt die Bahn bei einem Fünftel des Flugzeugs.
Schlussfolgerung
Da das Bundesreisekostengesetz dahingehend geändert wird, dass Klimaaspekte bei Reisen zu berücksichtigen sind und da auch teurere Bahnfahrten und Tagegeld erstattet werden, gibt es je nach Strecke nur noch einen Grund zu fliegen: Es ist bei sehr langen Strecken schneller und man ist eher wieder zu hause (ein Reisezeitvergleich Bahn vs. Flugzeug zeigt, dass das bei den meisten Kurzstreckenflügen nicht der Fall ist). Bei WissenschaftlerInnen mit Familie kann die kürzere Reisezeit ein wichtiger Faktor sein, aber man sollte sich auch bei allen organisatorischen Problemen überlegen, ob man das zukünftige Wohl der Kinder dafür opfern möchte, dass man mit ihnen zwei bis vier Abende/Morgende gemeinsam verbringen kann.
Wegen des Zeitarguments: Es sollte auch der Zeitaspekt mit Anreise Flughafen-Innenstadt mit eingerechnet werden. Z.B. ist Berlin München mit 4h von Zentrum zu Zentrum (Bahn) und Zentrum->Flughafen->Sicherheitskontrolle->Flug->Flughafen->Zentrum inzwischen etwa gleich lang, und Bahnfahren ist mMn deutlich entspannter als fliegen, wo die Zeit meist weniger gut genutzt werden kann.
Ja, danke für den Hinweis! Ich ändere das noch mal. Es war jetzt für Hamburg-Stuttgart, das ist wirklich eine lange Strecke. Herzliche Grüße Stefan (Müller)
Da ich auch gerade versucht habe, herauszufinden, wie viel denn so eine Geschäftsreise verbraucht, vier Gedanken, die ich noch hatte:
1. Die Zahlen der Dehoga sind für einen Vergleich nicht brauchbar. Zum Beispiel ist der Verbrauch höher bei nur einer Übernachtung (Bettwäsche und Handtücher müssen pro Besuch und nicht pro Übernachtung gewaschen werden), ungenutzte Dienstleistungen wie Sauna oder Pool sollte man nicht einrechnen; und wir wissen leider auch nicht, ob die Zahl die Errichtung des Hotelgebäudes enthält. Und am Ende müssen wir noch alles abziehen, was durch die Hotelübernachtung zu Hause gespart wird. Wahrscheinlich ist der tatsächliche CO2-Verbrauch, den eine Hotelübernachtung bei einer Geschäftsreise zusätzlich verursacht, deutlich niedriger als der Dehoga-Wert (ich würde daher 10 kg pro Nacht als obere Grenze nehmen).
2. Beim Verbrauch der Bahn kam das UBA für das Jahr 2008 auf 70 g CO2eq pro Personenkilometer (davon 20 g für die Infrastruktur und Wartung, Rest für den Betrieb). Da sich der Strommix seitdem verbessert hat, kann man den Wert wahrscheinlich auf 60 g senken und käme dann auf 80 kg für die 1400 km hin und zurück. Warum EcoPassenger (die Quelle von CO2-Online) nur auf die Hälfte kommt, lässt sich nicht nachvollziehen; da hinter EcoPassenger aber unter anderem die International Railways Union steckt, würde ich deren Wert von 40 kg als untere Grenze ziehen.
3. Beim Flugzeug sollte man auch die Infrastruktur und Vorketten für die Energie beachten. Das UBA kommt dann auf 260 g CO2eq pro Personenkilometer innerdeutsch, was dann den Wert auf 280 kg erhöht (Den atmosfair-Zahlen würde ich nicht trauen – damit Germanwings 50% schlechter ist als die durchschnittliche Fluggesellschaft müssten die Flugzeuge aus den 70ern fliegen – mindestens eine der beiden Zahlen von atmosfair ist komplett falsch; EcoPassenger kommt übrigens auf 320 kg mit allen Effekten).
4. Wenn wir die Umweltauswirkungen der Reise betrachten wollen, sollten wir nicht den CO2-Ausstoß, für den man moralisch verantwortlich ist, betrachten, sondern wie viel CO2 zusätzlich erzeugt wurde wegen der Reise. Wäre der ICE nicht gefahren, wäre weniger Strom verbraucht worden. Der geringere Stromverbrauch hätte aber nicht dazu geführt, dass ein Windrad oder ein durchschnittliches deutsches Kraftwerk ausgeschaltet worden wäre, sondern das, das den teuersten Strom produziert. Und wegen des CO2-Handels ist das wahrscheinlich ein Kohlekraftwerk (ok, im Moment vielleicht doch ein Gaskraftwerk). Also sollten wir nicht die 420 g CO2eq / kWh des deutschen Strommixes ansetzen, sondern die 940 g eines Braunkohlekraftwerkes. Das macht dann nochmal 10 – 20 g mehr pro Personenkilometer im ICE, also kommen wir insgesamt auf 65 – 110 kg für die Bahnfahrt. Beim Flugzeug dürfte der Effekt sein, dass zuerst die älteren Flugzeuge abgestellt werden, vermutlich kann man hier deshalb auch noch mal 5-10% draufschlagen.
Schlussfolgerung: Grob geschätzt verursacht die Geschäftsreise Hamburg – Stuttgart mit der Bahn ohne Hotel grob geschätzt 80 kg CO2eq (also irgendwo zwischen 65 und 110) und damit deutlich mehr als im Beitrag angenommen, aber immer noch deutlich weniger als der Flug. Gleichzeitig sollte der Verbrauch für das Hotel nach unten korrigiert werden, ist damit jetzt eine Größenordnung kleiner als der Verbrauch der Bahnfahrt selber und kann daher für den Vergleich Bahn gegenüber Flug ignoriert werden. Die Grundaussage des Blogbeitrages bleibt also bestehen: Die Bahnfahrt ist deutlich umweltfreundlicher als ein Flug, selbst mit Hotelübernachtung.
Wohlgemerkt: UmweltfreundlichER, nicht umweltfreundlich. So eine Fahrt jeden Monat würde zum Beispiel dem Unterschied zwischen täglichem Fleischkonsum und veganer Ernährung entsprechen.
P.S. Bei der Bahn kann man übrigens etwa 10% bei 2. Klasse abziehen und sollte 30% bei 1. Klasse hinzufügen.
Wow. Das alles ist doch ziemlich kompliziert. Aber was spart man denn zu hause, wenn man im Hotel übernachtet? Höchstens Seife, aber die bringt man doch eigentlich auch mit. Sauna und Pool müssen vorgehalten werden. Beim Pool ist es wahrscheinlich egal, ob den jemand nutzt. Das Wasser wird geheizt und gereinigt. Bei der Sauna kann es schon sein, dass die nur bei Bedarf angeschaltet wird.