Zuletzt geändert am 14. Dezember 2024
Seit über einem Jahr tobt die Diskussion über das Fliegen in und durch die deutschen Zeitungen und man würde denken, es sei alles gesagt. Den Artikel von Niels Boeing in der Zeit habe ich schon kommentiert. Und es gab auch schon eine Diskussion zum Beitrag von Tadzio Müller zum Thema Flugscham in der taz. Nun, auf ein Neues!
Als Vorbemerkung muss ich sagen, dass ich mich heute schon mal über die taz geärgert habe (wegen Olympia), weshalb der Post vielleicht etwas heftiger ausfällt. Der Blutdruck ist immer noch oben.
Klaus Hillenbrandt (KH) schreibt in der taz über WanderarbeiterInnen in der EU und dass diese doch auch ein Recht hätten, ihre Familien zu sehen und dass deshalb Billigflüge ein Segen seien.
Soziale Gerechtigkeit und das Recht auf Billigflüge
Klaus Hillenbrandt argumentiert, dass doch die Arbeiter aus Litauen ein Recht darauf hätten, ihre Familien zu hause zu besuchen und dass man ihnen die Billigflüge von Ryanair doch gönnen sollte. Zu Ryanair unten noch mehr. Es ist richtig, dass es innerhalb der EU Probleme und ein Reichtumsgefälle gibt. Aber was in KHs Argumentation ganz aus dem Blickfeld gerät, ist, dass wir ein globales Problem haben. Ein massives! Inseln versinken im Ozean, die Ernährung und Wasserversorgung von Millionen Menschen ist nicht gewährleistet. Millionen Menschen sind auf der Flucht! Und es werden mehr werden. Was fordern die Jugendlichen von Fridays For Future jede Woche seit über einem Jahr? What do they want? Climate justice! When do they want it? Now! Jibs och uf Berlinerisch.
Was bedeutet das? Das bedeutet, dass wir nicht auf Kosten des Südens leben können und zwar nicht des Südens in der EU sondern des globalen Südens. Es ist einfach unzulässig, das Recht darauf, seine Familie billig besuchen zu fahren über das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit zu stellen.
Ryanair
Was mich sehr erstaunt hat, ist, dass KH mit Billigflügen von Ryanair argumentiert und dass irgendwer ein Recht darauf habe. Ryanair ist eine der schlimmsten europäischen Firmen. Sie sind seit Jahren bemüht, Schlupflöcher zu finden, wie sie an Mindestlohngesetzen und dergleichen vorbei kommen. Sie stellen PilotInnen nicht direkt ein und finden auch sonst allerlei kreative Wege, ihre MitarbeiterInnen maximal auszubeuten.
Ryanair ist ein Sicherheitsrisiko für die gesamte Luftfahrt, weil sie, um Kosten zu sparen, mit zu wenig Kerosin starten. Wenn sie dann in Notsituationen nicht landen können, reicht der Sprit nicht und sie müssen sich bei den Landemanövern vordrängeln, weil es sonst ein Unglück geben würde. Das heißt, die niedrigen Preise kommen auf Kosten der anderen Airlines bzw. deren KundInnen zustande. PilotInnen fliegen krank, weil sie sonst kein Gehalt bekommen usw.
Das alles ist in einem sehr guten Video-Beitrag vom WDR dokumentiert.
Das heißt, dass die Billigflüge nur deshalb überhaupt möglich sind, weil PilotInnen und Kabinenpersonal gnadenlos ausgebeutet werden. Von TouristInnen und PendlerInnen gleichermaßen.
Subventionen
Bei der gesamten Diskussion sollte man berücksichtigen, dass der Flugverkehr subventioniert wird, nämlich dadurch, dass keine Steuern auf Kerosin erhoben werden und auch keine Mehrwertsteuer. Erhöbe man solche Steuern, könnte man diese in die Subventionierung des Bahnverkehrs stecken. Die Bahn-Strecken Richtung Litauen würden so auch wieder ökonomisch attraktiv und könnten eventuell wieder betrieben werden.
Klimafolgekosten
Das Umweltbundesamt hat errechnet, dass eine Tonne CO2 den Preis von 180€ haben müsste, wenn man alle externen Kosten einpreisen würde. Bei 9,864 Tonnen CO2 für die Flugreisen wären das 1775€ pro Jahr.
Pendlerpauschalen
Wenn man fände, dass EU-WanderarbeiterInnen ein Recht auf Flugreisen haben, dann könnte man ihnen entsprechende Steuern erstatten. Damit wäre der „Segen der Billigflüge“ schon etwas relativiert. Das liefe aber auf eine Subventionierung von Arbeitverhältnissen mit langen Anfahrtswegen hinaus, was eigentlich kontraproduktiv ist. Dasselbe Problem gibt es national mit Ost-West-Pendelei und lokal mit Stadt-Land-Pendelei. In jedem Fall sollten Pauschalen abgeschafft werden. Warum muss jemand, der sich für 40.000€ ein Auto mit entsprechendem Spritverbrauch leisten kann, vom Staat unterstützt werden? Wenn man soziale Gerechtigkeit ernst nimmt, sollte man die unterstützen, die es brauchen, nicht die anderen.
Visionen für Europa und den Osten, ja die ganze Welt
KH argumentiert mit sozialer Gerechtigkeit: Weil es in Litauen und Rumänien keine Arbeitsplätze gibt, müssen die Menschen in andere, reichere europäische Länder migrieren und dort arbeiten und dann ihre Verwandten besuchen. Wäre es nicht für diese Menschen auch besser, wenn sie in ihren eigenen Ländern leben und arbeiten könnten? Ich war in diesem Sommer in Rumänien. Es gibt dort keine HandwerkerInnen mehr, weil die alle irgendwo anders in Europa unterwegs sind.
Hätten die Ossis nach der Wende es nicht auch besser gefunden, wenn sie weiterhin in Magdeburg, Chemnitz, Brandenburg, Zwickau oder sonst wo hätten arbeiten können?
Würden es nicht viele Menschen aus dem Süden vorziehen in ihren Heimaten zu bleiben? Wenn wir ihnen das ermöglichen wollen, sollten wir aufhören, ihre Lebensgrundlagen zu zerstören. Und wir sollten über fairen Handel und über Umverteilung von Wohlstand nachdenken. Innerhalb der einzelnen Staaten und global. Ein interessanter Weg zu mehr Gerechtigkeit wäre die Einführung von Vermögensteuern. Ulrike Hermann hat über die Vermögenssteuer einen interessanten Artikel geschrieben.
Zusammenfassung
Genauso wenig wie es ein Recht auf Kohlebaggerfahren gibt, gibt es ein Recht auf Billigflüge. Man kann das Recht zu Reisen nicht über das der körperlichen Unversehrtheit von Millionen Menschen stellen. Wir müssen andere Wege finden, die sozialen Problem zu lösen und das Reichtums- und Wohlstandsgefälle abzubauen.