Zuletzt geändert am 7. Januar 2025
Prof. Dr. Bernward Gesang, Wirtschaftsethiker an der Universität Mannheim, hat auf meinen Blog-Post Gesang und Mahnung: Zu einem katastrophalen Beitrag von Bernward Gesang zum Umgang mit der Klimakatastrophe geantwortet. Sein Kommentar hängt unten an dem ursprünglichen Post an. Der Kommentar macht einiges klarer. Aber nicht besser. Ich möchte den Kommentar im Folgenden wie gewohnt auseinandernehmen. Zeile für Zeile.
Sehr geehrter Herr Gesang,
Ich habe Ihren Artikel in der taz vom 20.12.2024 als einen Angriff auf mein Leben, auf das Leben meiner Kinder und auf das Leben von Milliarden anderen Menschen wahrgenommen. Das mag als Erklärung für den nachdrücklichen Stil ausreichen.
Details
Im Tja, wo anfangen? Der Artikel befasst sich ausführlich mit meinem Artikel „Kipppunkt für unseren Klimaschutz“ in der taz. Er missversteht mich im Detail und in der allgemeinen Botschaft. Das Detail und die Beleidigungen lasse ich einfach mal beiseite, obwohl es den Philosophen wurmt, dass Argumentationsfehler unterstellt werden, die er nicht widerlegen soll.
Antwort von Bernward Gesang auf meinen Blog-Post.
Gerne können wir die Details ausdiskutieren. Sie können auch einen Gastbeitrag auf meinem Blog schreiben, wenn Sie möchten. Am Umfang meines Beitrags können Sie sehen, dass ich mich intensiv mit Ihrem Artikel auseinandergesetzt habe. Wenn ich wissenschaftliche Gutachten bekomme, die zeigen, dass Reviewer 2 mich total falsch verstanden hat, dann nehme ich das als Hinweis darauf, dass in meinem Aufsatz etwas unklar, schlecht formuliert war und versuche meinen Beitrag zu verbessern.
Beleidigungen und Clowns
Ich habe meinen Post noch einmal gelesen und kann keine Beleidigung darin entdecken. Vielleicht fühlen Sie sich durch die Clownspassage beleidigt:
Herr Gesang, in einer 4,8° wärmeren Welt wird es weder für Philosoph*innen noch für Sprachwissenschaftler*innen einen Platz geben. Wir wären unnütze Esser und auch körperlich nicht in der Lage, uns durchzusetzen. Vielleicht würde einer von uns beiden am Lagerfeuer geduldet, weil er witzig ist, aber zwei Clowns braucht keiner.
Aber diese Passage soll nur die Welt nach dem Zusammenbruch der Zivilisation beschreiben. Dass die menschliche Zivilisation gefährdet ist, sagen uns nicht nur Hungerstreikende aus der Klimabewegung, sondern auch die Fakt-Checking-Organisation Scientists For Future.
Das ist der Forschungsstand: Die Menschen werden wahrscheinlich nicht aussterben, aber es wird wesentlich weniger von uns geben, die Lebenserwartung wird sinken und das Leben der Menschen in der sich entfaltenden Klimakatastrophe wird nichts mit dem zu tun haben, was wir kennen und schätzen. Menschen haben 2024 fast 100 Tage dafür gehungert, diese Tatsache bekannt zu machen, und die Scientists For Future haben die wissenschaftliche Korrektheit der vier Punkte bestätigt und die Psychologists For Future haben die Forderung unterstützt.
Ansonsten habe ich in der Clownspassage nur die Möglichkeit erwogen, dass Sie oder ich oder wir beide für witzig gehalten werden könnten und dass wir deshalb als unnütze Esser geduldet werden könnten. Wenn Sie nicht witzig sein wollen, dann entschuldige ich mich für diese Annahme. Es könnte auch sein, dass Sie in Ihrer Freizeit ein begnadeter Handwerker, Ingenieur oder Fallensteller sind. Auch auf diese Weise könnte ich Ihnen Unrecht getan haben. Aber: Sie werden für Ihre Aufsätze kein Essen mehr bekommen und bei 48° Höchsttemperatur werden Sie auch keine Landwirtschaft mehr betreiben können. Nur zur Erinnerung in Indien fallen die Vögel jetzt schon tot vom Himmel (rnd, 22.05.2022) und in Mexiko die Brüllaffen von den Bäumen (dpa-Meldung im Stern, 23.05.2024).
Affen sind uns übrigens biologisch sehr nah. Wenn sie in der Hitze sterben, ist das auch für uns kein gutes Zeichen. Wenn niemand mehr Philosophen bezahlt, haben sie und Sie auch keine Mittel mehr, um Klimaanlagen zu bezahlen.
Irreführende Unterüberschrift der taz
Aber persönliche Rechtfertigung bringt uns in der Sache nicht wirklich weiter. Das größte Missverständnis in der Sache wird leider durch die taz befeuert, die in den Untertiteln des Beitrags, auf die der Autor keinen Einfluss hat, dass Fazit zieht, der Klimaschutz sei nun aufzugeben. Das ist nicht meine These!
Gut! Aber warum gab es in der taz bisher keine Richtigstellung? Ihr Artikel ist am 22.12.2024 erschienen und es gab bereits empörte Leserbriefe. Wieso haben Sie keine Gegendarstellung erwirkt?1 Wieso ist das zwei Wochen nach Erscheinen in der Online-Ausgabe immer noch genau so wie zum Erscheinen?
Das Milliardenprojekt Klimarettung ist mit der Wiederwahl Donald Trumps gescheitert. Ist unser Geld in Armutsbekämpfung besser investiert?
Bernward Gesang, 2024: Unterüberschrift zum Artikel Der Kipppunkt für unseren Klimaschutz, 22.12.2024 bis mindestens 08.01.2025 online
Ihre Antwort hier im Blog ist vom 04.01.2025. Heute ist der 08.01. Warum ist die Online-Version des Beitrags unverändert?2
Dass jemand anders Ihren Beitrag so zusammengefasst hat, sollte Ihnen auch zu denken geben. Ich war durch die Unterüberschrift geprimt, aber eine taz-Mitarbeiter*in muss das ja ohne ein solches Priming als die Kernaussage Ihres Beitrags gesehen haben.
Mängel im Ausdruck, in der Logik: Welche Rolle spielt Trump überhaupt in dem Argument?
Erstens, solange empirische Studien Zweifel haben, dass der Effekt der reaktionären Politik weltweit, wirklich so verheerend ist, wie befürchtet werden kann, muss man das ernst nehmen und weiterhin empirisch beobachten, ob nicht irgendwelche, sondern wesentliche Kipppunkte ausgelöst werden.
Was meinen Sie? Warum verwenden Sie Negationen (Zweifel) und Modalverben (kann)? Und Passiv. Warum „befürchtet werden kann“? Weil es möglich ist, dass es jemanden gibt, der etwas befürchtet? Sollten wir uns nicht mit denen auseinandersetzten, die etwas befürchten? Warum „empirisch beobachten“? Was soll das bedeuten? Wie soll man denn unempirisch beobachten? Das Wort hätten Sie beide Male weglassen können. Nun ja, vielleicht sehen sie die empirische Arbeit ja im Unterschied zu Ihrer eigenen. Dann könnte ich das verstehen, aber ich gehe eben davon aus, dass wir nur emperiebasiert entscheiden sollten.
Ihr Argument im ursprünglichen Artikel und in Ihrer Antwort ist so aufgebaut:
- Trump wurde gewählt.
- Trumps Politik wird schlecht für das Klima sein (obwohl Studien sagen, dass Trumps lokaler Einfluss nur 0,04° betragen wird).
- Vielleicht gibt es international Nachahmer.
- Eventuell werden wir (wesentliche) Kipppunkte erreichen.
- Wenn wir diese Kipppunkte erreichen und nur dann, sollten wir anderen Klimaschutz betreiben.
Ich habe einen Energieexperten zitiert, der zeigt, dass die Energiewende im Sinne des Inflation Reduction Acts sehr weit fortgeschritten ist. So weit, dass die neue Form der Energiegewinnung nicht mehr umkehrbar ist. Wenn die „Studien Zweifel haben“, wie Sie in Ihrer Antwort schreiben, dann wäre das ja in meinem Sinne und nicht in Ihrem. Wie können Sie das als Voraussetzung in einem Argument zu Ihren Gunsten verwenden?
Erst dann sollte man erwägen, etwas zu verändern, bis dahin gilt sowieso weitermachen wie bisher. Das hatte ich am Ende des Textes klar formuliert.
OK. Wir laufen mit den aktuell geplanten Klimamaßnahmen auf 2,7° zu, wie ich oben im Blog-Beitrag erwähnt habe. Das bedeutet, dass wir ca. 1° über dem Pariser Ziel „deutlich unter 2°“ landen werden. Das bedeutet auch, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit die erste Gruppe von Kipppunkten gerissen würde. Das ist der aktuelle Stand ohne Trump-Effekte. Bitte erklären Sie mir die Relevanz Ihres Debattenbeitrags: Warum finden Sie, dass dieser Artikel jetzt geschrieben werden musste? Was hat Trump damit zu tun? Ihr Punkt wäre ja dann allgemeiner: Wenn wir, warum auch immer, die (ersten, wesentlichen, whatever, …) Kipppunkte nicht halten können, sollten wir anderen Klimaschutz machen. Punkt 1–3 im oben skizzierten Argument hätten Sie also weglassen können.
Klimaschutz beibehalten oder aufgeben?
Sodann hatte ich nie gefordert, allen Klimaschutz zur Disposition zu stellen. Wäre das gefordert, fragte sich in der Tat, wie man überhaupt einen Schlusspunkt von zum Beispiel 4,5° bei der Erderwärmung erzielen kann. Ich hatte zwischen Klimaschutz orientiert an den Zielen von Paris und Klimaschutz, der diese Ziele aufgibt unterschieden. Letzteren müssen wir natürlich in jedem Fall beibehalten!
Nicht schummeln: In Ihrem Szenario waren es 4,8°. Wenn ich Sie an Ihren Text erinnern darf:
Kann man es verantworten, diese Kosten-Nutzen-Abwägung zu ignorieren? Ist es sinnvoll, auf möglicherweise geringe Wahrscheinlichkeiten einen erheblichen Teil der volkswirtschaftlichen Ressourcen zu setzen? Zwar könnten wir neben der notwendigen Anpassung an Klimaschäden noch bewirken, dass der Klimawandel, nachdem entscheidende Kipppunkte gefallen sind, bei vielleicht 4,5 statt bei 4,8 Grad Celsius gestoppt wird. Das wäre zwar auch ein „Erfolg“. Dieser Erfolg wäre jedoch mit Klimaschutzpolitik, wie sie derzeit in Europa praktiziert wird, zu teuer erkauft.
4,5 vs. 4,8°. Das ist ein Unterschied! Ein wesentlicher! Und da sind wir ja an dem Punkt, der mich so aufregt, weshalb ich auch bei meiner Einschätzung bleibe, dass Sie nie wieder etwas über das Klima schreiben sollten: Der Klimaschutz zur Erreichung der Pariser Ziele besteht aus verschiedenen Komponenten und genau diese Komponenten brauchen wir auch, wenn wir die Klimaziele gerissen haben werden.
Wenn wir aufgrund reaktionärer Politik tatsächlich Kipppunkte auslösen,
Der Move mit der reaktionären Politik ist herzallerliebst, aber in Deutschland hatten wir gerade eine Rot-Grün-Gelbe Koalition, die das Klimaschutzgesetz abgeschafft hat. Es ist nicht nur Trump, der nicht klimaadäquat handelt. Aber Sie haben Recht, diese Art Politik, die Politik der Klimaleugner*innen kann alles noch wesentlich schlimmer machen.
die uns in gefährliche Dimensionen bringen, sind die Ziele von Paris Makulatur (ob das Verfassungsgericht uns auf sie, bzw. baldige Klimaneutralität festlegt oder nicht). Der Klimaschutz, der sich an ihnen orientiert, dann auch.
Der Denkfehler, und das habe ich in meinem Blog-Post versucht klarzumachen, ist, dass nach den gescheiterten 1,7 oder 1,8° nicht 4,8° das neue Ziel oder auch nur hinnehmbar ist. Es ist dann zwar so, dass es kein offizielles Ziel mehr gibt, dem alle Staaten zugestimmt hätten, aber im Sinne des Pariser Abkommens wäre das neue Ziel dann eben bei 1,75 oder 1,85°. So sieht es auch der UN-Generalsekretär. Das Video ist in meinem Beitrag und auch hier verlinkt: Jedes Zehntelgrad zählt!
Senken: Moore und Regenwälder
Es gibt aber auch andere Modelle, zum Beispiel Klimaschutz, der verstärkt auf Schutz von Senken wie Moore und Regenwälder setzt.
Gut, aber wieso das anderer Klimaschutz als der sein soll, den wir gerade betreiben, will mir nicht ganz einleuchten. Mein Bruder arbeitet an der Wiedervernässung von Mooren bei Bremen (Bremer Bildungsmoor). Die Humboldt-Universität zu Berlin möchte bis 2030 klimaneutral werden und denkt im Zuge dessen über Senken nach (siehe Klimaschutzkonzept Klimaschutzfond, S. 90, Kooperation mit Miles for Moor der Berliner Stiftung Naturschutz). Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) fördert das Moor-Projekt MOOReturn mit 4,3 Mio Euro (Pressemitteilung, 30.12.2024).
Den kann man gut mit Armutsbekämpfung verkoppeln, indem man etwa armen Bauern im Regenwald ermöglicht, ein ausreichendes Einkommen zu haben, damit sie Regenwälder nicht an Palmölkonzerne verkaufen müssen etc.
Ich möchte Ihnen dafür danken, dass Sie mich dazu gebracht haben, diese Dokumentation über den brasilianischen Regenwald zu schauen:
Darin kann man sehen, dass die Indigenen im Wald leben, dass sie eigentlich nichts außer dem Wald brauchen. Er ernährt sie. Es wird gesagt, dass Kleinbauern am Rande des Regenwalds schlimmer sind als die großen. Aber die leben auf Land, das bereits gerodet ist. Die Rodungen sind illegal. Brandrodungen, die auch bereits wieder aufgeforstetes Gebiet betreffen. Im Film wird auch thematisiert, was mit den Produkten der Großbauern passiert: Auf gigantischen Feldern wird Soja angebaut, das dann in die EU exportiert wird und hierzulande fressen es die Viecher, die wir dann fressen. Die Kleinbauern, die vorher irgendwo, natürlich nicht im Wald gelebt haben, werden enteignet, die Indigenen werden ermordet oder vertrieben. Im Film wird erklärt, wer in Brasilien in den Parlamenten sitzt: Die Großbauern haben die Macht. Ein Brasilien-Experte hat mir versichert, dass das unabhängig davon ist, wer gerade Präsident ist. Sie schlagen in Ihrer Antwort vor, dass man versuchen sollte, die Regenwälder zu retten. Sicher sollte man das, man könnte an die im Film beschriebene Initiative Yorenka Tasorentsi spenden, damit diese Gebiete aufkaufen kann. Allerdings ist das Problem mit dem illegalen Niederbrennen dann nicht gelöst. Hier sind politische Lösungen notwendig. Zum Beispiel kann man verlangen, dass es entwaldungsfreie Lieferketten gibt. An der Umsetzung einer entsprechenden EU-Verordnung arbeitet das BMEL: Das nationale Stakeholderforum für entwaldungsfreie Lieferketten. Das ist Teil des Klimaschutzes, der jetzt betrieben wird. Teil des Klimaschutzes, der im Rahmen des Pariser Abkommens betrieben wird, wogegen Sie argumentieren. Auf der privaten Ebene kann man zum Schutz der Regenwälder beitragen, indem man einfach auf pflanzenbasierte Ernährung umsteigt. Denkt man Ihre Vorschläge weiter, so bedeuten sie, dass wir als Land oder EU das Geld, das jetzt für Klimaschutz eingesetzt wird, in Brasilien an Bauern/Indigene/NGOs spenden, die damit in großem Stil Dinge tun, die dem widersprechen, was die brasilianische Politik tut. Das ist eine merkwürdige Form von Einflussnahme, die zu diplomatischen Verwicklungen führen dürfte.
Übrigens: Es wäre toll, wenn wir die Rodung des Regenwalds verhindern könnten, aber dadurch würden China, Indien, die USA und Europa kein Gram CO2 weniger ausstoßen. Ihr Klimaschutz, Herr Gesang, würde sich darauf beschränken, dass andere es nicht noch schlimmer machen, als es jetzt schon ist, zur Reduktion würde nichts beigetragen.
Kolonialistischer Ansatz: Kompensation woanders, wir machen weiter wie bisher
Ein Muster, das sich durch Ihre Vorschläge, die ich bisher in der taz gesehen habe, durchzieht, ist: Wir sollten uns nicht selbst ändern, sondern unsere Mittel irgendwo im Süden einsetzen, denn dort ist der erreichbare Effekt größer. Das ist eine Ansicht, die, wenn man von ganz weit oben auf die Welt schaut, zwar richtig ist, aber sie ist eben auch kolonialistisch. Sie nimmt den Menschen vor Ort die Möglichkeiten, selbst etwas zu tun. Im Jahr 2020/2021 hat die Themenklasse Nachhaltigkeit der Humboldt-Universität eine gute Arbeit zum Thema Dienstreisen vorgelegt (Themenklasse Nachhaltigkeit, 2021), in der es auch um Kompensation ging. Ich habe im Blog-Beitrag Dienstliche Flüge und CO2-Kompensation darüber geschrieben und auch Ihre früheren Vorschläge (Gebärstreik als Klimaschutz-Maßnahme Kinderlos fürs Klima? taz, 18.03.2024) kommentiert.
So ein nicht an Paris orientierter Klimaschutz wird etwa in F.J. Radermacher neuem Buch „All in!“ beschrieben. Dieser geht davon aus, Klimaneutralität erst 2070 zu erreichen, weil die Welt sich de facto entschlossen habe, fossile Ressourcen weiter zu nutzen. Deren fatale Wirkung soll durch Ausbau von CCS-Techniken abgefangen werden.
Ich habe mal geguckt, was so in dem Buch steht:
Wie gehen weltweiter Wohlstand und der Schutz des Planeten Hand in Hand? Antwort: Nicht gemäß der in Deutschland verfolgten Strategien. Global betrachtet ist der deutsche »All-Electric«-Ansatz ein Irrweg, denn die Entwicklungs- und Schwellenländer werden sich nicht verbieten lassen, ihre Ressourcen für ihre wirtschaftliche Entwicklung zu nutzen. Die reichen Länder haben ihre Ressourcen schließlich auch für ihre Vormachtstellung genutzt.
Die Welt braucht ein alternatives, realistisches Energiekonzept. Derzeit kommen mehr als 80 Prozent der globalen Primärenergie aus fossilen Energieträgern. Die Alternative muss pragmatisch und technologieoffen sein: Alle geeigneten Energie-quellen nutzen! Fossile mit Carbon Capture, Erneuerbare und Nuklearenergie. Alles, was bezahlbar, klimaneutral und sicher ist.
Verlagswerbung für Rademachers Buch „All in! Energie und Wohlstand für eine wachsende Welt“
Franz Josef Radermacher ist also vom Team Weiter-so+technologieoffen. Ich habe in meinem Blog-Post die Kosten für Energie aufgeführt. Atomenergie ist keine Option mehr. Kohle und Gas auch nicht.
Nicht, dass ich das auch fordern würde oder die gesetzten Prämissen plausibel fände, aber es ist eine Möglichkeit, den Gedanken an Klimaschutz nach Paris zu konkretisieren.
OK. Es gibt noch jemanden anders, der für Energieträger argumentiert, an denen einige wenige Menschen bzw. Firmen viel Geld verdienen können. Sie fordern das nicht und finden auch die Prämissen nicht plausibel. Aber was genau sollen wir aufgeben? Was ist zu teuer und warum? Und was würde es helfen, diese Ziele aufzugeben, wenn wir als Zivilisationen in der heutigen Form nur dann weiterbestehen können, wenn wir den Klimawandel stoppen, also klimaneutral werden, UND CO2 zurückholen. Zur Beachtung: CCS ist sehr energieintensiv. Es ist nur dann sinnvoll, CCS überhaupt zu betreiben, wenn die Rückholung mit Erneuerbaren Energien gemacht wird, denn sonst verwendet man einen Großteil der erzeugten Energie für die Rückgewinnung des CO2s. Es folgt also, dass man die Rückholung überhaupt nur für CO2 verwenden sollte, das nicht vermieden werden kann. Zum Beispiel CO2, das bei der Zementherstellung entsteht. Wobei man selbst hier vielleicht besser auf Neubau verzichten sollte bzw. in Holzbauweise bauen sollte.
Alles in allem möchte ich betonen, dass ich kein „Vordenker der Fossil-Lobby“ bin,
Das wäre dann auch eher ein NACHdenker.
sondern engagierter Klimaschützer, der sich anhand der katastrophalen neuen Gegebenheiten fragt, wie man angemessen darauf reagieren sollte. Maßstab dafür ist, wie sich am Ende die Bilanz in Form geretteter Leben darstellt.
Tja, dazu müssten Sie konkrete Vorschläge machen. Welche Flächen sollten erhalten werden? Was würde das kosten? Wie viel CO2 würde so eingespart werden?
Sie haben sich aber geweigert, diese Berechnungen anzustellen.
Natürlich wäre eine detaillierte Kosten-Nutzen-Analyse hilfreich. Die müsste die für den Klimaschutz aufzuwendenden Kosten mit den Wahrscheinlichkeiten vergleichen, den gewünschten Effekt zu erzielen. Allerdings fürchte ich, eine solche Analyse wäre wegen der Komplexität der Materie sowieso fehlerhaft.
Bernward Gesang, 2024: Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Weil sie komplex sind. Weil sie Fehler enthalten können. Wissen Sie, was Tausende Wissenschaftler*innen weltweit seit Jahren tun? Sie versuchen, Wege zu finden, wie wir aus dem Schlamassel noch rauskommen können, in das wir uns seit einigen Jahrzehnten sehender Augen hineinmanövriert haben. Und jetzt sagen Sie: „Hey, Mädels und Jungs, ich hab was viel Besseres, nachrechnen möchte ich nicht, aber glaubt mir: Wenn wir das Geld irgendwie so einsetzen, dann können wir viel mehr Leben retten.“
Nochmal, was ich im ursprünglichen Blog-Post gesagt habe: Wenn wir bei 2,7° sind, werden wir zwar Kipppunkte gerissen haben, aber wir können dennoch nicht aufhören, denn es gibt weitere Kipppunkte, die erst bei höheren Temperaturen gerissen werden.
Elementare Logik-Fehler
Und noch ein Kardinalfehler in Ihrer Argumentation: Wenn Ihre Form von Klimaschutz besser wäre als die gegenwärtig praktizierte (mehr Leben retten könnte), dann wäre es unsinnig, erst darauf zu warten, dass Kipppunkte gerissen werden, denn nach den Kipppunkten kommen weiter Kipppunkte. Wenn Ihre Art Klimaschutz besser wäre, dann sollten wir sofort mit Ihrer Variante beginnen. Vorher sollten wir aber sicherheitshalber noch mal nachrechnen.
Ich hatte ja oben Ihr fünfteiliges Argument bereits auf die beiden Punkte hier reduziert:
- Eventuell werden wir (wesentliche) Kipppunkte erreichen.
- Wenn wir diese Kipppunkte erreichen und nur dann, sollten wir anderen Klimaschutz betreiben.
Davon bleibt nun nur noch:
- Wir sollten anderen Klimaschutz betreiben.
Dafür haben Sie mit einer Zeitungsseite sehr viel Platz verbraucht. (Und zur Erinnerung: Sie hatten außer „armutsbekämpfendem Klimaschutz“ nichts zu den Details gesagt.)
Schlussfolgerung
Ich glaube, ich bleibe bei meiner Einschätzung: Sie sind entweder ein enttarntes U-Boot der Fossil-Industrie oder ein schlechter Philosoph. Sie dürfen wählen.
Quellen
Appiah-Nuamah, Maame & Berner, Richard & Gipp, Antonia & Hohmann, Theresa & Nöfer, Johannes & Pätzke, Franka & Prawitz, Hannah et al. 2021. Wissenschaftliches Reisen: THESys Humboldt-Stipendium Themenklasse Nachhaltigkeit und Globale Gerechtigkeit 2020/2021. Humboldt-Universität zu Berlin. (doi: 10.18452/23298)
dpa. 2024. Extreme Hitze: Brüllaffen fallen tot von den Bäumen. Stern. 23.05.2024. (https://www.stern.de/panorama/weltgeschehen/mexiko–bruellaffen-fallen-in-hitzewelle-tot-von-den-baeumen-34734688.html)
Marescot, Luc. 2023. Brasilien: Die Hüter des Waldes. Arte. (Doku HD.) (https://www.youtube.com/watch?v=03YqF_paGY8)
rnd. 2022. Temperaturen von fast 50 Grad Hitzewelle in Indien: Vögel fallen vom Himmel. RND Redaktionsnetzwerk Deutschland. (https://www.rnd.de/panorama/indien-hitzewelle-laesst-voegel-vom-himmel-fallen-2YQPKJFKUZAL5MB2SPP4YU7YTM.html)
Waack, Jonas. 2025. Ein bisschen über die CO2-Stränge schlagen. taz. 04.01.2025 Berlin. (https://www.taz.de/!6059148)
- Das hat sich überschnitten und Sie haben jetzt, sogar einen Denkfehler eingeräumt (taz, 08.01.2024). Das ehrt Sie. Als Wissenschaftler hätte ich eine Quelle für die Erkenntnis angegeben.
- Und wieso haben Sie in Ihrer Klarstellung die irreführende Unterüberschrift nicht erwähnt? Wieso wird die Klarstellung nicht direkt vor die Online-Version des Artikels geschaltet?