Zuletzt geändert am 22. Dezember 2019
Immer wieder höre ich, wenn es um Flugverzicht geht, das Argument: „Das Flugzeug fliegt doch auch ohne mich.“ Ich habe es zum ersten Mal auf einem Elternabend gehört, bei dem es um die Abschlussfahrt in der zehnten Klasse ging. Zur Auswahl standen Neapel und Zinnowitz. Nun taucht das Argument auch in Diskussionen der Scientist4Future auf und zwar von WissenschaftlerInnen, die selbst nicht fliegen, die einen großen Teil ihrer Lebenszeit mit Aktionen gegen Flughafenausbau und Fluglärm verbringen. Irgendwas muss dran sein an diesem Argument. Ich finde, dass es nicht funktioniert und here is why:
Infrastrukturfunktion von Flügen
Aussage: Wenn wir auf Kurzstreckenflüge verzichten, bringt das nichts, weil die Zubringerflüge eine Infrastrukturfunktion haben und die Fluglinien weiter fliegen werden, schon damit ihre KundInnen nicht zur Konkurrenz gehen.
Antwort: Das ist zum Teil richtig. Ich bin auch über London nach Hongkong geflogen. Aber es gibt viel mehr Flugverkehr nach London als für die Zubringerfunktion wichtig wäre. Ich habe mit einer Konzertbesucherin über gemeinsame Musikinteressen gesprochen und sie erzählte mir begeistert von XY, die aber leider in diesem Jahr nur in London spielen würde. Sie ist deshalb zum Konzert geflogen. Genauso Paris.
Hier sind die Flüge, die British Airways nach London anbietet:
Die Flüge sind teilweise zum gleichen Zeitpunkt, zeitweise in einem Abstand von 45 Minuten. Das sind die Flüge von nur einer Airline! (Außerdem gibt es noch zwei Verbindungen von Eurowings, sieben von Easyjet und vier von Ryanair) Würden Flüge unwirtschaftlich, würden sich die Airlines zusammenschließen, so wie es ja bei der Star Alliance, Sky Team und OneWorld Allience schon geschehen ist.
Und es gibt Beispiele für die Einstellung von Fluglinien wegen Unwirtschaftlichkeit. Verbindungen von Berlin nach Hamburg gibt es nicht mehr, weil es eine sehr schnelle ICE-Verbindung gibt. Bei der Aufarbeitung meiner Flüge sind mir Tickets von 1994 untergekommen. Ich bin nach Helsinki über Hamburg geflogen. Irrsinn. Flugzeug rein, hoch, runter, bisschen gewartet, bis die Hamburger aus- und eingestiegen waren, dann weiter. Heute kann man immer noch dorthin fliegen, fliegt dann aber über Stuttgart oder Köln:
2015 haben vier Fluggesellschaften Flüge nach Russland wegen mangelnder Wirtschaftlichkeit eingestellt. 2019 wurden die Flugverbindungen von Berlin nach Karlsruhe, Nürnberg und Saarbrücken eingestellt. Es gibt also Beispiele.
Start-/Landeslots würden anders genutzt
Aussage: Die Slots sind für die Fluglinien sehr wertvoll. Wenn sie eine Route einstellen würden, würden sie den Slot verlieren, weshalb sie „lieber Popcorn durch die Gegend fliegen, als den Slot aufzugeben“.
Antwort: Ja, das machen Fluglinien. AirBerlin hat es uns jahrelang vorgemacht. Ich habe einen Kollegen, der ein Ticket Berlin-Salzburg für 3 € plus Steuern gekauft hat. Seine Flüge wurden wiederholt gecancelt. Er hat dann eine Nacht im Hotel verbracht, weil sich der Flug für die Airline eben nicht gelohnt hätte. Es wäre so teuer gewesen, dass sie lieber den Passagieren eine Nacht im Hotel bezahlt haben. Letztendlich ist AirBerlin Pleite gegangen. Wegen Popcorn sozusagen.
Es ist wahr: Wenn alle Kurzstreckenflüge entfallen würden und es statt dessen in allen Slots Langstreckenflüge geben würde, dann wären wir letztendlich schlechter dran. Dazu müsste es aber ein Wachstum in den Langstreckenflügen geben. Das wird ja auch von der Luftfahrtindustrie so prognostiziert. Wenn wir auf Kurz- und Langstreckenflüge verzichten, freiwillig oder weil die mit 180€/Tonne CO2 besteuert werden, wird es aber kein Wachstum geben.
Parallele Argumentation in anderen Bereichen
Wenn diese Argumentation funktionieren würde, dann müsste ja jede Änderung im Konsumverhalten sinnlos sein. Genauso könnte man ja argumentieren: „Das Huhn im Tiefkühlregal war eh schon tot. Dann kann ich es auch essen. Sonst würde es halt jemand anders essen.“ Das Huhn wird aber aufgezogen und geschlachtet, weil es einen gewissen Bedarf in der Bevölkerung gibt. Man kann als Bauer und als Großhändler und als Einzelhändler abschätzen, wie viele Hühner man an den Mann bringen kann. Wenn keiner mehr Hühner kauft, werden auch keine mehr produziert.
Beispiel Schweden: Flygskam
In Schweden ist die Anzahl der Flüge zwischen Januar und September um 3% gesunken. Das zeigt, dass ein gesellschaftliches Umdenken erfolgreich sein kann.
Schlussfolgerung
„Das Flugzeug wäre eh geflogen“ funktioniert nicht als Argument. Wir müssen Flüge einfach vermeiden, wann immer das möglich ist.
So wie umgekehrt Menschen ihre Lebensplanung auf billigen Flügen aufbauen, wenn diese verfügbar sind.
Verzicht und Verteuerung/Verbot!
Ja, beides zusammen! Danke für den Link auf https://shutdownforclimate.de/. Ich mache meine Seiten am 20.09. auch schwarz gute Idee.
Mit Interesse las ich ihren Blog. Zum Thema
Das Flugzeug wäre eh geflogen
kann ich hinzufügen.
Ich steuere selbst beruflich eine Boeing 737. Ich kann mich über die verschiedenen Meinungen nur wundern. Tatsächlich sagt das Energiesteuergesetz laut Wikipedia:
Für landwirtschaftliche Zwecke verwendeter Kraftstoff ist steuerbegünstigt (Agrardiesel), während für Dieselloks der Normalsatz angewendet wird.
Kerosin (Jet A-1) und Flugbenzin (AvGas) sind zur gewerbsmäßigen Beförderung von Personen oder Sachen durch Luftfahrtunternehmen steuerfrei.
Das heißt, während Bahn, Bus und Auto sehr wohl Mineralölsteuern bezahlen, tanken Lufthansa & Co gerade mal für 45 Eurocent der Liter.
Das ist genauso als wenn sie den Kartoffelbauer von der Mehrwertsteuer befreien und dem Getreidebauer den doppelten oder dreifachen Satz abverlangen. Essen Sie gerne bei McDonalds? Dann sind Sie fein raus und freuen sich über immer billigere Fritten. Trinken Sie aber lieber Bier, dann werden Sie mit der Zeit doch sauer. Freiwillig nicht mehr zu McDonalds gehen, nur noch Pasta essen und Bier trinken würde da herzlich wenig ausrichten. Jedes Kind kann ausrechnen, dass McDonalds und die meisten Kartoffelbauern steinreich werden, während Sie Frust und Gnochi mit Wodka runterspülen.
Die Vorschläge der Studie des Umweltbundesamtes spitzen das bestehende Missverhältnis weiter zu. Jede Tankfüllung schlägt dann mit €35,- extra zu Buche während das Mallorca-Ticket gleich billig bleibt. Da ist schnell klar wo der nächste Wochenendtrip oder die Urlaubsreise hingeht! Müssten Lufthansa&Co das Gleiche bezahlen wie wir, kostete das €24,99 Ticket nach Mallorca geringfügig mehr, €29,99. Die Treibstoffkosten haben keinen großen Einfluß auf den Ticketpreis. Sehen Sie selbst unter:
https://blog.zeit.de/teilchen/2016/05/19/flugpreise-zusammensetzung-tickets-treibstoff-gebuehren/
Erinnern Sie sich noch als die Fluggesellschaften Treibstoffzuschläge verlangten? 1999 hatte sich der Kerosin Preis binnen 9 Monaten verdoppelt. Damals wurden €2,- für Inlandsflüge und €7,- für interkontinentale Flüge verlangt. Zu Recht machen Viele sich Sorgen über steigende Lebenshaltungskosten. Dass aber niemand beklagt, dass das wöchentliches Opfer an der Zapfsäule vollständig vom rasant wachsenden Flugverkehr aufgegessen wird ist verwunderlich. Die Luftfahrt rechnet mit stabilen Wachstumsraten von 6 bis 8%! Das entspricht einer Verdoppelung innerhalb von 12 bis 9 Jahren. Wenn wir in Zukunft noch nach Venedig, Nizza oder Amsterdam fliegen wollen, sollte uns das ein oder andere mal ein kleines Opfer wert sein.
S. aus M.