Die Gründe für unser Versagen in der Klimakrise: Gehirnstruktur und Technologiegläubigkeit oder Bis zum Hals in der Scheiße und keine Straßenbahn in Sicht

Zuletzt geändert am 18. August 2019

Auf der Mailing-Liste der Scientists For Future Berlin/Brandenburg wunderte sich der Geograph Prof. Dr. Cristoph Schröder darüber, warum so lange nichts passiert ist, warum einige erst jetzt aufwachen und andere immer nocht schlafen:

Nicht falsch verstehen, mir sind alle recht, die sich jetzt endlich bewegen, inklusive mir selbst. Peinlich – und das gilt für mich persönlich auch, obwohl ich seit 1986 von den Gefahren des Klimawandels weiß und seit 1993 dazu forsche – ist es trotzdem. Und warum brauchen wir eine schwedische Jugendliche, um uns in die Gänge zu kriegen?

Prof. Dr. Cristoph Schneider, interne EMail-Diskussion S4F-BB (Danke für die Zitier-Erlaubnis)

Der Neurobiologe Dr. Sébastien Bohler hat dafür eine wissenschaftliche Erklärung: Unsere Gehirne sind so gebaut: Macht, Sex, Essen, Faulheit werden belohnt:

Die riesige Großhirnrinde des Homo sapiens, die ihm immer mehr Möglichkeiten verschaffte, hat sich in den Dienst eines Zwerges gestellt, der sich an Macht, Sex, Essen, Faulheit und seinem Ego berauscht.

Dr. Sébastien Bohler, Konsumverzicht: Bewusster leben, Spektrum, 29.07.2019

Dazu kommt Technologiegläubigkeit gepaart mit Verdrängung (Terror-Management). Mein Chef hat mir mal die Geschichte erzählt, dass um 1850 jemand ausgerechnet hat, dass, wenn der Droschkenverkehr weiter so zunimmt, New York bis zu drei Meter hoch in Pferdescheiße versinken wird. Aber dann kamen die elektrischen Straßenbahnen, S-Bahn, U-Bahn.

Jetzt wachen die Leute auf, weil wir in der Scheiße sitzen. Noch nicht drei Meter, aber bis zum Hals. Leider ist keine Straßenbahn in Sicht (Fliegen wird wahrscheinlich noch bis 2060 schlecht sein, Fleisch lässt sich nicht in dem Mengen künstlich herstellen, die vertilgt werden, die E-Mobilität steckt in den Kinderschuhen und ist ohnehin keine Lösung). Es hilft also wohl vorerst nur, die Anzahl der Pferdekutschen zu reduzieren.

Sébastien Bohler hat auch Vorschläge, wie das mit der Reduktion trotz unserer Gehirnstruktur funktionieren kann. Wir können uns selbst ändern und bewusster leben. Er erklärt die Rosinen-Übung dazu.

Auch im zwischenmenschlichen Bereich kann weniger mehr sein. Anstatt die Zahl der Freunde auf Facebook zu mehren, können wir in die Qualität dieser Beziehungen investieren. Wir lassen uns weismachen, wir bräuchten zu unserem Glück ein Auto, das mindestens so luxuriös und leistungsstark ist wie das der Nachbarn. Doch wir haben die Wahl: die Werbebotschaften für bare Münze zu nehmen und immer mehr zu konsumieren – oder uns am Fahren eines altmodischen Autos zu erfreuen und an Freundschaften, in denen es nicht darum geht, wer mehr vorzuweisen hat.

Dr. Sébastien Bohler, Konsumverzicht: Bewusster leben, Spektrum, 29.07.2019

Einige der Scientists For Future sind bei climatewednesday.org aktiv und haben dort angefangen, Beispiele von Leuten zu sammeln, die alternativ reisen. Auch das kann Glücksmomente erzeugen, auch wenn es manchmal beschwerlich ist. Also: arbeiten wir an uns.

Disclaimer: Ich bin promovierter Informatiker und liebe Technik und Technologie, unser Merhfamilienhaus ist voll davon: Photovoltaik, Solarthermie, Geothermie und alles gekoppelt in einem komplizierten System.

Hier noch Knorkator zum Thema Fortschritt:

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